TE Vwgh Erkenntnis 2008/12/10 2008/22/0580

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Veröffentlicht am 10.12.2008
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Index

19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §37;
MRK Art8;
SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §28 Abs2;
SMG 1997 §28 Abs3;
StGB §83 Abs1;
StGB §84 Abs1;
StGB §84 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der NM, vertreten durch Grilc & Partner, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom 16. Dezember 2004, Zl. Fr-553/03, betreffend ein unbefristetes Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine bosnische Staatsangehörige, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 sowie § 39 Abs. 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf folgende rechtskräftige Verurteilungen der Beschwerdeführerin:

1. vom 9. Februar 2000 wegen Diebstahls und Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach den §§ 15, 127, 298 Abs. 1 StGB zu einem Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe;

2. vom 2. August 2000 wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe;

3. vom 29. November 2000 wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe;

4. vom 21. Februar 2001 wiederum wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe;

5. vom 8. April 2002 wegen Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe;

6. vom 1. Juli 2002 wegen gefährlicher Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB, schwerer Nötigung nach den §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB, schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 2 StGB, Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, versuchter Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB und dauernder Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Demnach habe sie Anfang Jänner 2002 bis zumindest Mitte April 2002 eine Frau durch die wiederholte Äußerung, sie werde sie umbringen und im Fall einer Schwangerschaft das Kind "selbst mit den Händen herausreißen", zumindest mit einer Verletzung am Körper bedroht. Dieselbe Person habe sie am 2. Februar 2002 durch gefährliche Drohung mit dem Tod sowie mit Gewalt zur Vornahme eines Schwangerschaftstests und zur Unterlassung der Anzeigeerstattung genötigt. Weiters habe sie am 25. November 2001 mit Mittätern eine weibliche Person durch Zubodenstoßen, Reißen an den Haaren und Versetzen wiederholter Fußtritte vorsätzlich am Körper verletzt; ebenso am 1. Februar 2002 eine andere Frau. Am 3. Mai 2002 habe sie eine weibliche Person mit der Äußerung, es werde "noch mehr passieren", zur Unterlassung einer Anzeigeerstattung zu nötigen versucht; sie habe nämlich diese Frau tags zuvor durch Schläge, Zubodenreißen und durch einen Tritt gegen das Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt. Dieselbe Person habe sie am 3. Mai 2002 dadurch geschädigt, dass sie zwei Schlüssel weggeworfen habe.

7. Am 30. Juli 2003 sei die Beschwerdeführerin wegen schwerer Körperverletzung, versuchter schwerer Nötigung und wegen Vergehens nach § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Demnach habe sie am 9. November 2002 eine weibliche Person durch einen Faustschlag gegen den Mund und durch Zufügen eines Schnittes mit einem Taschenmesser am rechten Unterarm und eine weitere Person durch Versetzen von Faustschlägen gegen das Gesicht und durch Zubodenreißen vorsätzlich am Körper verletzt und diese Personen durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Unterlassung der Anzeigeerstattung genötigt. In der Zeit vom 1. Oktober 2002 bis 31. Jänner 2003 habe sie in wiederholten Fällen eine nicht näher bekannte Menge an Ecstasy-Tabletten erworben und besessen.

8. Die letzte Verurteilung sei am 21. September 2004 nach § 28 Abs. 2 und Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr erfolgt. Demnach habe die Beschwerdeführerin von November 2003 bis Mitte Februar 2004 insgesamt mindestens

1.300 Stück Ecstasy-Tabletten in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung gleichartiger Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, aus- bzw. eingeführt sowie an zahlreiche Personen gewinnbringend weiterverkauft.

Angesichts des Gesamtfehlverhaltens komme die belangte Behörde zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin gegenüber den zum Schutz der Gesundheit bzw. körperlichen Integrität anderer Personen und zum Schutz von Eigentum erlassenen Vorschriften bzw. gegenüber der österreichischen Rechtsordnung überhaupt negativ eingestellt sei und auch wegen der besonderen Gefährlichkeit der Suchtmittelkriminalität die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet sei. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin laufe dem Schutz von Eigentum und der Verhinderung von strafbaren Handlungen zuwider.

Die Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde zu deren persönlichen Verhältnissen - sei im Jahr 1992 als siebenjähriges Kind nach Österreich gereist und habe von 2001 bis 2003 mit Unterbrechungen eine Lehre als Koch/Kellner ohne Abschluss absolviert. In Österreich würden sich ihre Eltern befinden und es sei ihr am 28. Juli 2003 ein Niederlassungsnachweis ausgestellt worden. Auf Grund des langjährigen Aufenthaltes in Österreich verfüge sie über gute Deutschkenntnisse.

Die belangte Behörde gelangte daher zum Schluss, dass mit dem Aufenthaltsverbot ein schwerwiegender Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden sei. Sie bejahte jedoch die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 37 FrG, weil diese Maßnahme im Hinblick auf das vorliegende Fehlverhalten aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen dringend geboten scheine. Die Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde weiter - sei am 4. Jänner 2001 und 16. Jänner 2003 ermahnt worden, dass sie mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechnen müsse. Sie habe sich auch trotz Aufschubs des Vollzugs der siebenmonatigen Freiheitsstrafe nicht davon abhalten lassen, neuerlich ein zudem weit schwerer wiegendes Fehlverhalten - nämlich die Übertretung nach dem SMG von November 2003 bis Mitte Februar 2004 - zu setzen.

Die Beschwerdeführerin sei nicht iSd § 38 Abs. 1 Z 4 FrG von klein auf im Inland aufgewachsen, weil sie bei ihrer Einreise bereits sieben Jahre alt gewesen sei. Weiters habe sie vor ihrem ersten Fehlverhalten im Jahr 2000 noch nicht seit mindestens zehn Jahren ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gehabt (§ 38 Abs. 1 Z 3 FrG).

Im Blick auf die Verfehlungen im Bereich des Suchtmittelgesetzes könne die belangte Behörde das ihr zustehende Ermessen nicht zu Gunsten der Beschwerdeführerin ausüben. Da nicht abzusehen sei, wann der Grund für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes weggefallen sein werde, sei das (in erster Instanz noch mit sechs Jahren befristete) Aufenthaltsverbot auf unbefristete Zeit zu verhängen.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 9. Juni 2006, B 67/05-11, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der nach Beschwerdeergänzung und Aktenvorlage erwogen hat:

Eingangs bringt die Beschwerde vor, dass die Beschwerdeführerin zwischenzeitig am 20. April 2005 einen offenkundig österreichischen Staatsbürger geheiratet habe. Diese Eheschließung kann freilich, weil erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung erfolgt, keine Berücksichtigung finden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 2006, 2005/21/0304).

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann.

Nach Z 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0548).

Die Beschwerde tritt den behördlichen Feststellungen nicht entgegen und bekämpft auch nicht die behördliche Ansicht, dass die Prognose nach § 36 Abs. 1 FrG zu Lasten der Beschwerdeführerin zu treffen sei. Die Beschwerdeführerin meint jedoch, dass sie entgegen der bisherigen Rechtsprechung "von klein auf im Inland aufgewachsen" sei. Dies sei aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 22. April 2004 "Radanovic", NL 2004/2, abzuleiten. Nach diesem Urteil sei der Fall eines erst im Alter von zehn Jahren nach Österreich gereisten Beschwerdeführers nach denselben Kriterien zu prüfen, die üblicherweise in Fällen von Einwanderern der zweiten Generation angewendet würden.

Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerdeführerin weder Bedenken gegen die Richtigkeit der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 38 Abs. 1 Z 4 FrG (vgl. dazu ausführlich das Erkenntnis vom 22. November 2007, 2004/21/0331) zu wecken noch die behördliche Beurteilung nach § 37 FrG als rechtswidrig aufzuzeigen.

Gemäß § 37 Abs. 1 FrG ist, würde u.a. durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, diese Maßnahme nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Nach § 37 Abs. 2 FrG ist das Aufenthaltsverbot unzulässig, wenn dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dessen Erlassung.

Grundsätzlich darf auch gegen einen straffälligen Migranten zweiter Generation ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn angesichts der Umstände des Falles und der Schwere der begangenen Straftaten der mit dieser Maßnahme verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben iSd Art. 8 EMRK verhältnismäßig ist (vgl. das Urteil des EGMR vom 28. Juni 2007, Kaya gg. Deutschland, NL 2007, 144). Bei der Gewichtung der öffentlichen Interessen im vorliegenden Fall durfte die belangte Behörde darauf Bedacht nehmen, dass einerseits schwere Straftaten gegen die körperliche Integrität anderer Personen und im Bereich des gewerbsmäßigen Suchtmittelhandels verübt wurden und andererseits die Beschwerdeführerin sich in eindeutiger Weise als besserungsunwillig gezeigt hat. So wurde sie am 30. Juli 2003 wegen schwerer Körperverletzung und Suchtmittelbesitzes verurteilt und es wurde am 27. November 2003 das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot zugestellt. Dessen ungeachtet wurde die Beschwerdeführerin vom November 2003 bis Mitte Februar 2004 im Bereich des gewerbsmäßigen Suchtmittelhandels straffällig. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits großjährig.

Die Beschwerdeführerin verweist selbst auf die vom EGMR aufgestellten Kriterien für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender fremdenrechtlicher Maßnahmen. Die dabei genannten inländischen sozialen Beziehungen sind im Fall der Beschwerdeführerin keineswegs sehr ausgeprägt. Sie behauptet auch nicht, dass sie keine Kenntnisse der bosnischen Sprache hätte. Demnach erweist sich das Aufenthaltsverbot zur Abwendung einer Fortsetzung der kriminellen Karriere der Beschwerdeführerin in Österreich als zulässig im Sinn des § 37 FrG. Auf den angesprochenen "Aufbau eines normalen Ehelebens" ist dabei, wie eingangs dargestellt, nicht Bedacht zu nehmen.

Im Blick auf das bisherige Verhalten der Beschwerdeführerin ist auch die behördliche Ansicht nicht zu beanstanden, dass der Zeitpunkt, in dem die Gründe für das Aufenthaltsverbot weggefallen sein werden, nicht vorhergesehen werden kann. Im genannten Urteil erachtete der EGMR ein unbefristetes Aufenthaltsverbot als zulässig, wenn - wie dies auch nach österreichischem Recht der Fall ist - die Möglichkeit einer Aufhebung dieser Maßnahme besteht.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 10. Dezember 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008220580.X00

Im RIS seit

22.01.2009

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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