TE Vfgh Beschluss 2008/6/25 KI-8/07

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.06.2008
beobachten
merken

Index

82 Gesundheitsrecht
82/04 Apotheken, Arzneimittel

Norm

B-VG Art138 Abs1 litb
ArzneiwareneinfuhrG §7 Abs1a idF BGBl I 41/2006
VfGG §52

Leitsatz

Zurückweisung des Antrags auf Entscheidung eines negativenKompetenzkonfliktes zwischen dem Verfassungsgerichtshof und demLandesgericht für Zivilrechtssachen Wien; keine Ablehnung derZuständigkeit des Gerichts durch Abweisung einer Amtshaftungsklagemangels eines gemeinschaftsrechtswidrigen Verhaltens einerVerwaltungsbehörde nach Zurückweisung einer Staatshaftungsklage durchden Verfassungsgerichtshof wegen Zuständigkeit der ordentlichenGerichte; Kostenzuspruch an den mitbeteiligten Bund

Spruch

Der Antrag auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verfassungsgerichtshof und dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, der mitbeteiligten Partei Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit € 1.800,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Antragstellerin betreibt ein Unternehmen zur Herstellung von und zum Großhandel mit Arzneiwaren aus menschlichem Blut. In dieser Eigenschaft beteiligte sie sich an einem Vergabeverfahren zur Belieferung der Spitäler des Wiener Krankenanstaltenverbundes mit humanen leukozytendepletierten Erythrozytenkonzentraten. Das Vergabeverfahren wurde im Oberschwellenbereich in Form eines offenen Verfahrens durchgeführt, einziges Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis. Der zu vergebende Lieferauftrag war in mehrere Lose unterteilt. Aus diesem Verfahren ging die Antragstellerin als mit Abstand Billigstbieterin bei zwei Losen hervor.

2. Die Antragstellerin gab ihr Anbot - nach eigenen Angaben - in Kenntnis davon ab, dass seit September 2005 eine Novelle zum Arzneiwareneinfuhrgesetz 2002, BGBl. I 28, in Begutachtung war. Durch die Novelle, BGBl. I 41/2006, wurde in §7 Arzneiwareneinfuhrgesetz ein neuer Abs1a eingefügt, der die Verkehrsfähigkeit von Blutprodukten zur direkten Transfusion in jenen Fällen ausschließt, in denen die Blutspende nicht gänzlich unbezahlt erfolgt.

3. Die einschlägigen Bestimmungen des Arzneiwareneinfuhrgesetzes 2002 idF BGBl. I 41/2006 lauten:

"Anwendungsbereich

§1. (1) Diesem Bundesgesetz unterliegen im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. Nr. L 256 vom 7. September 1987, S 1)

...

5.

Placenten aus der Unternummer 3001 90,

6.

Waren der Unterpositionen 3002 10 und 3002 9010,

...

(2) Abs1 gilt nicht für Waren, die als Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes, BGBl. Nr. 657/1996, einzustufen sind.

...

Verkehrsfähigkeitsbescheinigung

§7. (1) Die Einfuhr der im §1 Abs1 Z5 und 6 angeführten Waren in das Bundesgebiet ist nur zulässig, wenn das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen deren Verkehrsfähigkeit bestätigt hat.

(1a) Bei der Einfuhr von Blutprodukten zur direkten Transfusion, ist die Verkehrsfähigkeit jedenfalls nicht gegeben, wenn die Blutspende, abgesehen von Fällen, in denen der Spender aufgrund eines unmittelbaren Bedarfs in einer akuten Notfallsituation von der Blutspendeeinrichtung zur unverzüglichen Spende aufgefordert wurde, nicht gänzlich unbezahlt erfolgt ist. Dies gilt nicht, wenn die Einfuhr zur Sicherung der Versorgung mit äußerst seltenen Blutgruppen erforderlich ist."

4. Die Antragstellerin gab in ihrem Anbot vom 27. Februar 2006 an, dass die Zulieferung der humanen leukozytendepletierten Erythrozytenkonzentrate durch ein deutsches Unternehmen erfolgen würde. Dieses Unternehmen zahle den Spendern Aufwandsentschädigungen. Bei Inkrafttreten des §7 Abs1a Arzneiwareneinfuhrgesetz wäre daher eine Einfuhr von Blutprodukten aus Deutschland nicht mehr möglich. Die Antragstellerin erklärte deswegen in ihrem Anbot, dass sie bei einer dadurch bewirkten Unmöglichkeit der Einhaltung der Lieferverpflichtung keine Haftung übernehmen würde.

5. Das Anbot der Antragstellerin wurde letztlich im Vergabeverfahren ausgeschieden. Das Vergabeverfahren selbst wurde widerrufen, da nur mehr ein Bieter übrig blieb. Die Antragstellerin beantragte die Nichtigerklärung der Widerrufsentscheidung und die damit verbundene Ausscheidung ihres Anbots. Der Wiener Vergabekontrollsenat wies diesen Antrag zurück. Die Ausscheidung des Anbots der Antragstellerin wurde als rechtmäßig erkannt, da der erklärte Vorbehalt im Widerspruch zu den Ausschreibungsunterlagen gestanden sei.

6. Die Antragstellerin machte in weiterer Folge einen aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten Staatshaftungsanspruch wegen legislativen Unrechts geltend. Sie brachte vor, dass die Bestimmung des §7 Abs1a Arzneiwareneinfuhrgesetz eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung darstelle und somit gegen Art28 EG verstoße. Diese Klage wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. Februar 2007, A23/06, zurückgewiesen. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof darin aus:

"Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 16.107/2001, 17.002/2003 und zuletzt in A10/05 vom 26. September 2005 dargetan hat, ist er zur Entscheidung über solche Ansprüche nur zuständig, wenn der die Haftung auslösende Akt unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist. Knüpft der behauptete Schaden an ein - wenn auch durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmtes - verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln an, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung.

Soweit nun die klagende Partei ihren Schadenersatzanspruch aus dem Umstand ableitet, dass ihr Anbot im Vergabeverfahren ausgeschieden wurde, hat der Wiener Krankenanstaltenverbund als Träger von Privatrechten gehandelt. Ansprüche im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung sind aber im ordentlichen Rechtsweg auszutragen. Soweit aber der Schaden dadurch entstanden sein sollte, dass dem gegen die Entscheidung des Auftraggebers, das Anbot auszuscheiden, gerichteten Nachprüfungsantrag der Erfolg versagt blieb, wäre ein behördlicher Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht ebenfalls vor den ordentlichen Gerichten, und zwar im Amtshaftungsverfahren, geltend zu machen."

7. Die von der nunmehrigen Antragstellerin in der weiterer Folge vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien erhobene Amtshaftungsklage wurde mit Urteil vom 3. Dezember 2007, 31 Cg 9/07g-15, abgewiesen. Begründend wurde im Urteil dazu ausgeführt:

"Wie die klagende Partei über Aufforderung des Gerichtes im vorliegenden Verfahren selbst ausführte, behauptet sie in Wahrheit kein rechtswidriges Verhalten des Vergabekontrollsenates, weil seitens der klagenden Partei schlussendlich nicht bezweifelt wird, [dass] das von ihr mit Vorbehalt erstattete Anbot zu Recht ausgeschieden wurde.

... [Es] ergibt sich auch kein Anhaltspunkt, dass der

Vergabekontrollsenat rechtswidrig entschieden hätte, da das Anbot der Klägerin aufgrund des von ihr selbst gemachten, vergaberechtswidrigen Vorbehalts ausgeschieden werden musste. Es wäre der klagenden Partei frei gestanden, vor Inkrafttreten der Novelle zum Arzneimitteleinfuhrgesetz ein vergaberechtskonformes Anbot zu erstatten und sodann nach Inkrafttreten dieser Novelle das weitere Verhalten der Auftraggeberin abzuwarten bzw. die entsprechenden rechtlichen Schritte zu veranlassen.

Da somit kein gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten einer Verwaltungsbehörde (Vergabekontrollsenat) festgestellt werden konnte, war das Amtshaftungsbegehren aus diesem Grund abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Behauptungen über gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten, welches unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist, liegt keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte vor, sodass darauf nicht näher einzugehen war."

8. Die Antragstellerin beantragt - als beteiligte Partei des gerichtlichen Verfahrens (§46 Abs1 VfGG) - die Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verfassungsgerichtshof und dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

9. Die Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, erstattete eine Äußerung, in der sie beantragte, der Verfassungsgerichtshof möge den Antrag mangels Vorliegens eines negativen Kompetenzkonfliktes ab- bzw. zurückweisen und die Antragstellerin zum Ersatz ihres Kostenaufwandes zu verpflichten. Sie führte u.a. aus, "dass das Landesgericht für ZRS Wien mit Urteil vom 3.12.2007 die Amtshaftungsansprüche der klagenden Partei nicht wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen hat[,] sondern sehr wohl einer materiell rechtlichen Prüfung unterzogen, sie allerdings nicht als zu Recht bestehend qualifiziert und daher abgewiesen hat. Auch dies lässt erkennen, dass ein negativer Kompetenzkonflikt nicht vorliegt, da die Ansprüche der klagenden Partei vom Landesgericht für ZRS Wien im Rahmen von dessen Zuständigkeit Behandlung erfuhren."

II. Der Antrag ist unzulässig.

1.1. Gemäß Art138 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen ordentlichen Gerichten und anderen Gerichten. Nach dieser Verfassungsnorm iVm §46 Abs1 VfGG setzt ein negativer (verneinender) Kompetenzkonflikt jedenfalls voraus, dass jede der angerufenen Behörden eine Entscheidung in derselben Sache aus dem Grunde der Unzuständigkeit abgelehnt hat (vgl. etwa VfSlg. 16.682/2002 mwH).

1.2. Für das Vorliegen eines verneinenden Kompetenzkonfliktes ist es zunächst nicht erforderlich, dass die Ablehnung einer Zuständigkeit rechtskräftig ist oder der Instanzenzug ausgeschöpft wurde (vgl. VfSlg. 13.087/1992, 13.440/1993, 15.352/1998, 15.870/2000, 17.785/2006). Die Antragstellerin hat gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien nach ihren Angaben Berufung an das Oberlandesgericht Wien erhoben. Tritt die formelle Rechtskraft dieses Urteiles erst nach erfolgter Antragstellung ein, wäre dies im verfassungsgerichtlichen Verfahren kein Entscheidungshindernis (dazu Zellenberg, Art138/1 B-VG, in:

Korinek/Holoubek [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht Kommentar, 5. Lfg. 2002, Rz 63).

1.3. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 5407/1966, 7552/1975) ist die Beurteilung der Frage, ob im Einzelfall eine Sachentscheidung vorliegt oder die Zuständigkeit durch eine förmliche Entscheidung abgelehnt wurde, nicht allein nach dem Spruch der Entscheidung, sondern unter Berücksichtigung der Begründung derselben zu beurteilen. Das genannte Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien hat hinsichtlich des Klagebegehrens der Antragstellerin keine Zurückweisung, sondern eine Abweisung ausgesprochen. Eine - einen negativen Kompetenzkonflikt begründende - Ablehnung der Zuständigkeit könnte sich damit allenfalls aus der Begründung des Urteils ergeben.

2. Dies ist indes nicht der Fall. Mit dem Satz, wonach hinsichtlich der "weiteren Behauptungen über gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten, welches unmittelbar dem

Gesetzgeber zuzurechnen ist, ... keine Zuständigkeit der ordentlichen

Gerichte vor(liegt)", wird eine den ordentlichen Gerichten zukommende Zuständigkeit nicht abgelehnt, sondern lediglich jener Gedanke wiederholt, den der Verfassungsgerichtshof bereits im gegenüber der nunmehrigen Antragstellerin ergangenen Beschluss vom 26. Februar 2007, A23/06, zum Ausdruck gebracht hat. Legislatives Unrecht im Sinne der dort dargelegten Rechtsprechung liegt nur in jenen Fällen vor, in denen der die Haftung auslösende Akt unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist. Knüpft der behauptete Schaden an ein - wenn auch durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmtes - verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln an, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, die dieses Handeln unter Einschluss sämtlicher gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben zu überprüfen haben. Dies hat das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien im vorliegenden Fall aber getan und ist zum Ergebnis gekommen, dass "kein gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten einer Verwaltungsbehörde" vorliegt. Insoweit hat es keine ihm nach dieser Rechtsprechung zukommende Sachentscheidung abgelehnt.

3. Da somit ein negativer Kompetenzkonflikt nicht vorliegt, war der Antrag wegen offenbarer Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §52 VfGG.

Dem Antrag der mitbeteiligten Partei (Bund als beklagte Partei im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien), die dem Verfahren von Amts wegen beigezogen wurde, auf Kostenersatz ist aus folgenden Erwägungen Folge zu geben:

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat (VfSlg. 11.925/1988, 16.329/2001), ist der Wortlaut des §52 zweiter Satz VfGG in dem Sinn auszulegen, dass der Gesetzgeber damit die Möglichkeit eröffnete, in Verfahren zur Entscheidung eines im Sinne des §46 VfGG durch die Partei anhängig gemachten Kompetenzkonfliktes der antragstellenden Partei den Ersatz der anderen Beteiligten erwachsenen Kosten nicht nur bei Zurückziehung, sondern - wie dies im gegebenen Fall zutrifft - auch bei Erfolglosigkeit ihres Antrages infolge Zurückweisung aufzuerlegen. Der Kostenersatzanspruch eines am Verfahren Beteiligten kann nämlich nicht davon abhängen, ob der Antrag, dessen (von seinem Willen unabhängige) Einbringung für ihn Kosten nach sich zog, aus dem einen oder dem anderen Grund erfolglos geblieben ist.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, Staatshaftung, EU-Recht, Arzneimittel,Schadenersatz, Amtshaftung, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:KI8.2007

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten