TE Vfgh Erkenntnis 2008/6/25 KI-3/07

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Veröffentlicht am 25.06.2008
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art138 Abs1 litb
B-VG Art144 Abs2
FremdenpolizeiG 2005 §51

Leitsatz

Vorliegen eines negativen Kompetenzkonfliktes bei Ablehnung einerBeschwerde durch den Verfassungsgerichtshof und Zurückweisung mangelsRechtsschutzinteresses durch den Verwaltungsgerichtshof;Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung über dieBeschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Feststellung derUnzulässigkeit der Abschiebung in ein bestimmtes Land als unzulässigwegen bereits erfolgter Abschiebung

Spruch

Der Verwaltungsgerichtshof ist zur Entscheidung über die Beschwerde der E S gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 13. Dezember 2006, Z2/4033/80/06, zuständig.

Der entgegenstehende Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Juli 2007, 2006/18/0506-3, wird aufgehoben.

Der Bund (Verwaltungsgerichtshof) ist schuldig, der Antragstellerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Einschreiterin reiste dem Antragsvorbringen zufolge am

12. Jänner 2005 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. März 2006 wurde der Asylantrag unter gleichzeitiger Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria und damit verbundener Ausweisung abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) mit Bescheid vom 6. November 2006 ab.

Mit Antrag vom 15. November 2006 begehrte die Einschreiterin die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria gemäß §51 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG). Dieser Antrag wurde von der Bezirkshauptmannschaft Kufstein mit Bescheid vom selben Tag gemäß §51 Abs1 zweiter Satz iVm Abs4 FPG als unzulässig zurückgewiesen und die dagegen erhobene Berufung mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (SiD Tirol) vom 13. Dezember 2006, Z2/4033/80/06, abgewiesen; begründend führte die SiD Tirol aus, dass die Asylbehörden über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria bereits rechtskräftig - negativ - entschieden hätten und das Vorbringen hinsichtlich des §51 Abs5 FPG ins Leere gehe, da es der Fremdenpolizeibehörde verwehrt sei, einen Bescheid des UBAS abzuändern.

Die Einschreiterin wurde am 16. November 2006 nach Nigeria abgeschoben und hält sich nach eigenen Angaben seit 15. Dezember 2006 wieder im Bundesgebiet auf.

2.1. Gegen den Berufungsbescheid der SiD Tirol erhob die Antragstellerin Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der zu B2163/06 protokollierten Beschwerde mit Beschluss vom 18. Juni 2007 gemäß Art144 Abs2 B-VG ab, da von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten sei; spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beurteilung der in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

2.2. Die von der Einschreiterin auch an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss vom 3. Juli 2007, 2006/18/0506-3, zurückgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof begründete seine Entscheidung damit, dass die vom UBAS verfügte Ausweisung mit der Abschiebung der Einschreiterin am 16. November 2006 ihre rechtliche Wirkung verloren habe. In Ermangelung eines Bescheides, aufgrund dessen der Aufenthalt der Einschreiterin zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides der SiD Tirol beendet werden könnte, habe zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Aussicht bestanden, dass die Einschreiterin abgeschoben werden könnte. Einer Entscheidung über die nach Abschiebung der Einschreiterin eingebrachte Beschwerde komme daher lediglich abstrakt-theoretische Bedeutung zu und es bestehe hinsichtlich der Erledigung der Beschwerde kein Rechtsschutzbedürfnis.

3. Mit ihrer nunmehrigen Eingabe stellt die Einschreiterin beim Verfassungsgerichtshof einen auf Art138 Abs1 litb B-VG gestützten Antrag auf Entscheidung eines (verneinenden) Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verfassungsgerichtshof einerseits und dem Verwaltungsgerichtshof andererseits. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird im Wesentlichen ausgeführt, dass für die Antragstellerin an der Beseitigung des Bescheides der SiD Tirol in zweifacher Hinsicht ein rechtliches Interesse bestehe: Zum einen hafte sie unter der Voraussetzung der Rechtmäßigkeit ihrer Abschiebung für die damit entstandenen Kosten; zum anderen stünden ihr im Fall der Rechtswidrigkeit der Abschiebung Schadenersatzansprüche gegen den Bund zu. Sie sei daher durch die fortgesetzte Zugehörigkeit des Berufungsbescheides der SiD Tirol zum Rechtsbestand in ihren Rechten verletzt.

Die Einschreiterin legte auch eine Heiratsurkunde vor, welcher zu entnehmen ist, dass sie anlässlich ihrer Verehelichung am 22. Dezember 2006 den Namen ihres Ehemannes annahm.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Bezug habenden Prozessakt vorgelegt und eine Äußerung erstattet. Darin führt er wörtlich aus:

"In der Sache hält der Verwaltungsgerichtshof an seiner bisher vertretenen Auffassung fest, wonach eine Entscheidung, mit welcher der Verwaltungsgerichtshof eine Beschwerde wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses (und nicht etwa wegen Unzuständigkeit) zurückgewiesen hat, auch im Hinblick auf eine vorhergehende Ablehnung der Behandlung dieser Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof keinen negativen Kompetenzkonflikt auslösen kann."

Hiezu verweist der Verwaltungsgerichtshof auf seine im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu KI-12/98 (VfSlg. 15.642/1999) erstattete Äußerung, welche er seinem Schreiben beilegte.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die hier zu lösenden Rechtsfragen sind im Kern dieselben, die den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Februar 1997, VfSlg. 14.769, und vom 13. Oktober 1999, KI-11/98, zugrunde lagen. Eine Konstellation, wie sie dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 2008, KI-7/07, zugrunde lag, ist hier nicht gegeben. Es genügt somit, auf die Entscheidungsgründe der genannten Erkenntnisse zu verweisen, aus welchen sich auch für den vorliegenden Fall ergibt, dass ein negativer Kompetenzkonflikt tatsächlich vorliegt (vgl. auch VfSlg. 15.489/1999, 15.642/1999) und weiters, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes, die Beschwerde zurückzuweisen, nicht dem Gesetz entsprach.

2. Es war daher einerseits auszusprechen, dass die Entscheidung über die Beschwerde gegen den Bescheid der SiD Tirol vom 13. Dezember 2006, Z2/4033/80/06, in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes fällt; andererseits war dessen entgegenstehender Beschluss vom 3. Juli 2007 aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §52 erster Satz VfGG. Der zugesprochene Betrag enthält Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG) in Höhe von € 180,-.

2. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 erster Satz VfGG).

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, Fremdenrecht, VerwaltungsgerichtshofZuständigkeit, Rechtsschutz, Refoulement-Verbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:KI3.2007

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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