RS Vfgh 1987/3/5 G174/86

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Veröffentlicht am 05.03.1987
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967

Norm

StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
KFG 1967 §§108 ff (XI. Abschnitt)
KFG 1967 §110 Abs1 litb
KFG 1967 §110 Abs2

Leitsatz

gesetzliche, die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkende Regelungen verletzen die Erwerbsausübungsfreiheit nur dann nicht, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten und sachlich zu rechtfertigen sind; das KFG geht davon aus, daß die Verkehrssicherheit eine fachliche Befähigung des KFZ-Lenkers erfordert, deren Vorliegen die Behörde auf gesetzlich vorausbestimmte Weise festzustellen hat, daß die Verkehrssicherheit aber nicht gebietet, sich diese Befähigung auf bestimmte Weise (etwa durch Besuch einer Fahrschule) anzueignen; bei diesem System ist es ausgeschlossen, daß öffentliche Interessen (Verkehrssicherheit) eine besondere wirtschaftliche Absicherung der Fahrschulen erfordern; auch wenn das G den Erwerb der Befähigung durch Übungsfahrten nicht vorsähe, wäre die Bedarfsprüfung kein adäquates Mittel, um eine möglichst fundierte Ausbildung durch Fahrschulen zu sichern - Gewährleistung der bestmöglichen Ausbildung allenfalls durch gewerbepolizeiliche und wettbewerbsrechtliche Regelungen; Gründe der Verwaltungsökonomie (Einsparung von Kosten für ev. verstärkte behördliche Überwachung) rechtfertigen hier keine Einschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit; Bedarfsprüfung als eine der sachlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrschulbewilligung liegt nicht im öffentlichen Interesse; Aufhebung des §110 Abs1 litb und Abs2 wegen Verstoßes gegen die Erwerbsausübungsfreiheit

Rechtssatz

Die die Bedarfsprüfung für Fahrschulen betreffenden Abs1 litb und 2 des §110 KFG 1967 beschränken die Möglichkeit, ein bestimmtes Gewerbe anzutreten. Sie greifen daher in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit ein.

Aufhebung der die Bedarfsprüfung für Fahrschulen betreffenden Abs1 litb und 2 des §110 KFG 1967.

Das KFG 1967 überläßt es - wie sich aus seinem XI. Abschnitt "Ausbildung von Kraftfahrzeuglenkern", (§§108 ff) ergibt - dem Belieben des Antragstellers, ob er sich die fachliche Befähigung durch den Besuch einer Fahrschule (§§108 ff) oder durch Übungsfahrten (§§122 ff) (abgesehen von Sonder-Ausbildungsmöglichkeiten nach den §§119 bis 121) erwirbt. Das KFG 1967 geht also davon aus, daß die Verkehrssicherheit eine fachliche Befähigung des Kraftfahrzeug-Lenkers erfordert, deren Vorliegen die Behörde auf gesetzlich vorausbestimmte Weise festzustellen hat, daß die Verkehrssicherheit aber nicht gebietet, sich diese Befähigung auf bestimmte Weise, etwa durch den Besuch einer Fahrschule, anzueignen.

Bei dem vom Gesetzgeber gewählten System, das die Kontrolle der ausreichenden Ausbildung im Wege der Lenkerprüfung in den Mittelpunkt stellt, ist es ausgeschlossen anzunehmen, daß öffentliche Interessen - nämlich jene der Verkehrssicherheit - eine besondere wirtschaftliche Absicherung (etwa im Wege der Bedarfsprüfung) der Fahrschulen erfordern; dies auch dann, wenn eine fundierte Ausbildung künftiger Kraftfahrzeug-Lenker als wünschenswert betrachtet wird.

Aber auch wenn das Gesetz Übungsfahrten nicht vorsähe, wäre die Bedarfsprüfung kein adäquates Mittel, um - im Interesse der Verkehrssicherheit - eine möglichst fundierte Ausbildung künftiger Kraftfahrzeug-Lenker durch Fahrschulen zu sichern.

Wenn es der Gesetzgeber für geboten hält, durch Fahrschulen die bestmögliche Ausbildung der Fahrschüler (entgegen deren momentanem Interesse auf Schulung mit minimalem Zeit- und Geldaufwand) zu gewährleisten, könnte dies insbesondere durch (im weitesten Sinn) gewerbepolizeiliche und wettbewerbsrechtliche Regelungen erfolgen und die Bedarfsprüfung deshalb entfallen.

Die Bundesregierung meint, Gründe der Verwaltungsökonomie sprächen gegen eine verstärkte behördliche Überwachung der Fahrschulen. Hiezu ist sie zunächst darauf zu verweisen, daß auch das geltende KFG implizit eine behördlich Überwachung der Fahrschulen vorsieht (siehe zB §110 Abs1 lita, §110 Abs4, §112 KFG 1967, wobei allerdings anzumerken ist, daß es der Verordnungsgeber bisher nicht für erforderlich gehalten hat, eine DurchführungsV zu §110 Abs4 KFG zu erlassen). Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß bei Wegfall der Bedarfsprüfung eine verstärkte behördliche Kontrolle erforderlich werden kann, was erhöhte Kosten verursachen würde. Gründe der Verwaltungsökonomie (nämlich die Einsparung dieser Kosten) rechtfertigen aber im gegebenen Zusammenhang keine Einschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit durch eine Bedarfsprüfung.

§110 Abs1 litb und Abs2 des KraftfahrG 1967, BGBl. Nr. 267, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die die Erwerbsausübungsfreiheit stark beeinträchtigende Bedarfsprüfung bei der Verleihung von Fahrschulbewilligungen ist zur Durchsetzung öffentlicher Interessen zum Teil als ungeeignetes, zum Teil als unadäquates Mittel zu werten. Die Effekte der Regelung sind lediglich, daß die bestehenden Fahrschulen vor Konkurrenz geschützt und, daß - wie in der mündlichen Verhandlung unbestritten vorgebracht wurde - Fahrschulkonzessionen verkauft werden. Derartiges liegt aber nicht im öffentlichen Interesse (vgl. VfGH 23.6.1986 G14/86 ua).

Verstoß der die Bedarfsprüfung für Fahrschulen betreffenden Abs1 litb und 2 des §110 KFG 1967 gegen die Erwerbsausübungsfreiheit.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Gewerberecht, Fahrschulen, Kraftfahrrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G174.1986

Dokumentnummer

JFR_10129695_86G00174_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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