TE Vfgh Beschluss 2004/6/16 B456/03 ua

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Veröffentlicht am 16.06.2004
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Index

83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art131 Abs1 Z2 und Z3, Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs7
B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
Richtlinie des Rates vom 27.06.85. 85/337/EWG, über die Umweltverträglichkeitsprüfung
Sbg LandesumweltanwaltschaftsG §1, §2, §7, §8
UVP-G 2000 §19 Abs3, §24 Abs3

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Ermächtigung staatlicher Organe (Landeshauptmann und Landesumweltanwaltschaft) zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung von Interessen des Umweltschutzes oder sonstiger von ihnen wahrzunehmender öffentlicher Interessen wegen Verletzung des verfassungsrechtlichen Rechtsschutzsystems; Verletzung subjektiver Rechte als Voraussetzung einer Beschwerdelegitimation vor dem Verfassungsgerichtshof; Amtsbeschwerde wegen objektiver Rechtsverletzung nur vor dem Verwaltungsgerichtshof; Parteistellung einer bestimmten Interessentengruppe auch gemeinschaftsrechtlich nicht geboten

Spruch

Die zu B456, 457/03 protokollierte Beschwerde des Landeshauptmannes von Salzburg und die zu B462/03 protokollierte Beschwerde, soweit sie von der Sbg. Landesumweltanwaltschaft erhoben wurde, werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. a) Mit Bescheid vom 28. Jänner 2003 stellte der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie auf Grund von Anträgen zweier "Standortgemeinden", der "mitwirkenden Behörden" (Landesregierung Salzburg, Landeshauptmann von Salzburg und Bezirkshauptmannschaft Tamsweg) und der "Umweltanwaltschaft Salzburg" gemäß §24 Abs3 des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 (UVP-G 2000), BGBl. 697/1993, idF BGBl. I 89/2000 fest, dass für das Vorhaben "Katschbergtunnel (2. Röhre)" im Zuge der A 10 Tauern Autobahn keine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß §23a UVP-G 2000 durchzuführen ist. Anträge anderer Gemeinden wurden (weil nicht Standortgemeinden) unter einem mangels Parteistellung zurückgewiesen.

b) Mit Bescheid vom 31. Jänner 2003 stellte der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie auf Grund von Anträgen zweier "Standortgemeinden", der "mitwirkenden Behörden" (Landesregierung Salzburg, Landeshauptmann von Salzburg und Bezirkshauptmannschaft Tamsweg) und der "Umweltanwaltschaft Salzburg" gemäß §24 Abs3 UVP-G 2000 idF BGBl. I 89/2000 fest, dass für das Vorhaben "Tauerntunnel (2. Röhre)" im Zuge der A 10 Tauern Autobahn keine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß §23a UVP-G 2000 durchzuführen ist. Anträge anderer Gemeinden wurden (weil nicht Standortgemeinden) unter einem mangels Parteistellung zurückgewiesen.

2. a) Sowohl gegen den unter 1. a) als auch den unter 1. b) angeführten Bescheid erhob der Landeshauptmann von Salzburg Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (B456, 457/03) mit der Behauptung, durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §23a Abs2 Z3 UVP-G 2000 (idF BGBl. I 50/2002) in diesem Recht und im Recht auf Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (§23a Abs1 iVm §24 Abs3 und §19 Abs3 zweiter Satz UVP-G 2000) verletzt worden zu sein.

b) Zur Zulässigkeit der Beschwerde führt der Landeshauptmann von Salzburg - zusammengefasst - aus, dass er "mitwirkende Behörde" iSd §24 Abs8 Z1 UVP-G 2000 sei, weil er für die Genehmigung der drei im Rahmen der Vorhaben zur Ablagerung des Ausbruchsmaterials zu errichtenden Deponien mit einer Kubatur von jeweils mehr als 100.000 m3 gemäß §38 Abs6 iVm §37 Abfallwirtschaftsgesetz 2000 zuständig sei. Als solche käme ihm in einem Verfahren gemäß §24 Abs3 UVP-G 2000 Parteistellung mit den Rechten nach §19 Abs3 zweiter Satz leg.cit. zu:

"Der Landeshauptmann ist im zugrunde liegenden Verwaltungsverfahren Organpartei, der ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage keine subjektiven Rechte zukämen und ebenso nicht, subjektive Rechtsverletzungen geltend zu machen. Durch §24 Abs3 iVm §19 Abs3 zweiter Satz UVP-G 2000 wird ihm aber die Berechtigung eingeräumt, als subjektives Recht die Einhaltung jener Rechtsvorschriften zu relevieren, die dem Schutz der Umwelt oder der von ihm wahrzunehmenden öffentlichen Interessen dienen. Als Vorschriften, die dem Schutz der Umwelt dienen, sind in einem weiten Sinn alle jene auf das Vorhaben bezogene Rechtsvorschriften zu verstehen, die direkt oder indirekt dem Schutz des Menschen und der Umwelt vor schädlichen Aus- und Einwirkungen dienen, wie etwa das UVP-G 2000 selbst, das Betriebsanlagenrecht der Gewerbeordnung, das Wasserrecht, Naturschutzrecht, Luftreinhalterecht, Bergrecht, Luftfahrtrecht, Rohrleitungsrecht und Anderes (vgl AB 1179 BlgNR 18. GP).

§23a Abs1 UVP-G sieht die Verpflichtung zur Durchführung einer UVP [= Umweltverträglichkeitsprüfung] bei bestimmten Bundesstraßenprojekten vor. Dies ist eine Bestimmung, die unzweifelhaft dem Schutz der Umwelt dient und daher vom Beschwerdeführer releviert werden kann."

Bei der Behauptung, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt zu sein, werde nicht übersehen, dass "der Gleichheitssatz keine spezifisch umweltrechtliche Bestimmung" ist. An seiner Relevierbarkeit durch die Organpartei Landeshauptmann könne aber dennoch kein Zweifel bestehen, werde doch den mitwirkenden Behörden im §19 Abs3 zweiter Satz UVP-G 2000 auch das Recht zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof eingeräumt:

"Dieses Recht wäre weitgehend sinnentleert, wenn nicht zumindest der Gleichheitssatz als Instrument zur Geltendmachung besonders schwerer, offenkundiger und somit die Verfassungssphäre tangierender Fehler beim Vollzug von umweltschutzrechtlichen Vorschriften dienstbar gemacht werden könnte. Die die Parteienrechte eingrenzende Vorschrift des §19 Abs3 zweiter Satz UVP-G 2000 ist somit in einem weiten Sinn (so auch die Erläuterungen ...) dermaßen auszulegen, dass als subjektives Recht die Einhaltung jener Rechtsvorschriften aufgegriffen werden kann, die, wenn auch nicht ausschließlich, aber jedenfalls ua auch dem Schutz der Umwelt oder der von den mitwirkenden Behörden wahrzunehmenden öffentlichen Interessen dienen. Der Gleichheitssatz ist eine solche Vorschrift, da er einerseits den einfachen Gesetzgeber zur Wahrung der Sachlichkeit bei der Schaffung von Umweltrecht verhält und andererseits den Adressaten letztinstanzlicher Bescheide im Zusammenhalt mit Art144 Abs1 B-VG ein Mittel an die Hand gibt, um vor dem Verfassungsgerichtshof Willkür der Behörde bei der Anwendung von Umweltrecht erfolgreich geltend zu machen."

3. Gegen den unter 1. a) genannten Bescheid des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie wendet sich auch die hg. zZ B462/03 protokollierte Beschwerde der Sbg. Landesumweltanwaltschaft (soweit diese Beschwerde von der Gemeinde St. Michael im Lungau erhoben worden ist, wurde sie bereits mit hg. Beschluss vom 11. Juni 2003, B462/03-9, als unzulässig zurückgewiesen).

Die Sbg. Landesumweltanwaltschaft erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §40 Abs1 UVP-G 2000, verletzt. Ihre Beschwerdelegitimation gründet sie ebenso wie der Landeshauptmann von Salzburg auf §24 Abs3 iVm §19 Abs3 UVP-G 2000.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und Gegenschriften erstattet, in denen sie den Beschwerdevorwürfen entgegentritt und die Abweisung der jeweiligen Beschwerde beantragt. Die Beschwerdelegitimation des Landeshauptmannes von Salzburg und der Sbg. Landesumweltanwaltschaft wird nicht bezweifelt.

5. Aus Anlass dieser Beschwerden - und zwar im Zuge der Prüfung ihrer Zulässigkeit - leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 27. November 2003 von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "mit den Rechten nach §19 Abs3 zweiter Satz" in §24 Abs3 zweiter Satz UVP-G 2000 idF BGBl. I 89/2000 ein.

Diese Bestimmung ermächtigt bei geplanten, in den §§23a und 23b näher umschriebenen Vorhaben (betreffend Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken) unter anderem die so genannten mitwirkenden Behörden und den "Umweltanwalt", beim Bundesminister die Feststellung zu beantragen, ob für das Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, und räumt diesen Parteistellung "mit den Rechten nach §19 Abs3 zweiter Satz", d.h. mit der Berechtigung ein, die Einhaltung von Rechtsvorschriften, die den Schutz der Umwelt oder der von ihnen wahrzunehmenden öffentlichen Interessen dienen, als subjektive Rechte im Verfahren geltend zu machen, Rechtsmittel zu ergreifen und Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. "Mitwirkende Behörden" sind nach der Legaldefinition des §24 Abs8 Z1 UVP-G 2000 "jene Behörden, die neben der die Trassenverordnung erlassenden Behörde nach den Verwaltungsvorschriften für die Genehmigungen eines gemäß §23a oder §23b UVP-pflichtigen Vorhabens zuständig sind oder an den jeweiligen Verfahren zu beteiligen sind"; beim so genannten Umweltanwalt handelt es sich nach der Legaldefinition des §2 Abs4 leg.cit. um "ein Organ, das vom Bund oder vom betroffenen Land besonders dafür eingerichtet wurde, um den Schutz der Umwelt in Verwaltungsverfahren wahrzunehmen".

Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G4-6/04, hob der Verfassungsgerichtshof die in Prüfung gezogene Wortfolge im §24 Abs3 UVP-G 2000 als verfassungswidrig auf.

6. Die nun gemäß Art140 Abs7 B-VG auf Grund der bereinigten Rechtslage zu beurteilende Zulässigkeit der angeführten Beschwerden ist zu verneinen:

Nach Aufhebung der ausdrücklich die Beschwerdelegitimation einer mitwirkenden Behörde und eines Umweltanwaltes vor dem Verfassungsgerichtshof regelnden Bestimmung als verfassungswidrig fehlt es dem Landeshauptmann von Salzburg und der Sbg. Landesumweltanwaltschaft an der Ermächtigung zur Erhebung einer auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

Die Beschwerden sind daher mangels Legitimation zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden kann.

Schlagworte

EU-Recht Richtlinie, Rechte subjektive öffentliche, Rechtsschutz, Umweltschutz, Umweltverträglichkeitsprüfung, Verwaltungsgerichtshof Zuständigkeit, Amtspartei, Parteistellung Umweltschutz, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Legitimation, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Zuständigkeit, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B456.2003

Dokumentnummer

JFT_09959384_03B00456_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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