RS Vfgh 1987/12/14 G114/87, G165/87, G213/87, G227/87

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 14.12.1987
beobachten
merken

Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
B-VG Art140 Abs5
FinStrG §17 Abs2 lita idF der Novelle BGBl 532/1984

Leitsatz

In §17 Abs2 lita FinStrG idF der Novelle 1984 normierter Verfall von Gegenständen - obligatorisch zu verhängende Strafe ohne angemessenes Verhältnis zum Grad des Verschuldens und zur Höhe des Schadens; Möglichkeit des gnadenweisen Strafnachlasses nicht geeignet, die gebotene Flexibilität zu gewährleisten; Gleichheitswidrigkeit des §17 Abs2 lita idF der Novelle 1984 aus den schon in VfSlg. 9901/1983 (betreffend die Vorgängerbestimmung) genannten Gründen

Rechtssatz

Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner ständigen Judikatur, daß es dem Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz nicht verwehrt ist, seine politischen Zielvorstellungen - und zwar auch auf dem Gebiet des Finanzstrafrechtes - auf die ihm geeignet scheinende Art zu verfolgen, sofern die angeordneten Mittel sachlich zu rechtfertigen sind.

Aufhebung des §17 Abs2 lita idF der Novelle BGBl. 1984/352, der den Verfall als absolute Strafe ohne Möglichkeit, mildernde oder erschwerende Umstände zu berücksichtigen, vorsieht, als gleichheitswidrig.

Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof sind der Auffassung, daß zumindest schwere Strafen (auch jene des Verfalls) in angemessenem Verhältnis zu den Umständen des Einzelfalles stehen müssen. Bei dem in Prüfung gezogenen (neuen) §17 Abs2 lita FinStrG sind - schon im Hinblick darauf, daß die Zehntelregelung bei den derzeitigen Steuersätzen den Schmuggel und die Eingangsabgabenhinterziehung stets erfaßt - Fälle denkbar, in denen die obligatorisch vorgesehene Verfallsstrafe unverhältnismäßig streng ist; es kann nicht davon ausgegangen werden, daß es sich dabei um (allenfalls vernachlässigbare) atypische Einzelfälle handelt. Auch die geltende Verfallsregelung des §17 Abs2 lita FinStrG läßt also jede Flexibilität vermissen (sa. Erk. G34/83 14.12.1983 = VfSlg. 9901/1983).

Zum Einwand, daß eine andere als die getroffene Regelung für die Vollzugsorgane unpraktikabel wäre, ist beispielsweise auf die in der BRD geltende Regelung hinzuweisen. In den dem §17 FinStrG ähnlichen Fällen sieht §375 Abs2 der dt. AbgabenO die "Nebenfolge der Einziehung" vor. Nach Rechtsprechung und Lehre (vgl. zB Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl, Anm 32 zu §375 AO) gilt das im §74b des dt. StGB verankerte Verhältnismäßigkeitsprinzip über dessen (engeren) Anwendungsbereich hinaus im Einziehungsrecht schlechthin. Demgemäß unterbleibt jedwede Einziehung, wenn sie außer Verhältnis zur Bedeutung der begangenen Tat und zum Vorwurf gegen die Einziehungsbeteiligten steht, sei sie vom Gesetz zwingend vorgeschrieben oder nur zugelassen. Es muß ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Wert des einzuziehenden Gutes und der Schwere der Straftat im Einzelfall gegeben sein (s. Plath, Abgabenordnung (AO 1977), Anm 6 zu §375 AO).

Die gegen den ersten Halbsatz des §17 Abs2 lita FinStrG geäußerten Bedenken treffen zu. Diese Bestimmung war daher wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz aufzuheben.

Die gegen den zweiten Halbsatz dieser Gesetzesbestimmung dargelegten Bedenken wurden zwar durch die - in dieser Hinsicht voll zutreffende - Äußerung der Bundesregierung zerstreut. Dennoch war auch diese Vorschrift aufzuheben, weil sie in derart untrennbaren Zusammenhang mit dem ersten Halbsatz steht, daß sie ohne sie sinnlos würde.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG. Im Hinblick darauf, daß die Problematik bereits im hg. Erk. VfSlg. 9901/1983 deutlich gemacht wurde, reicht es hin, den Ablauf dieser Frist mit 31.7.1988 zu bemessen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Finanzstrafrecht, Verfall, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Trennbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G114.1987

Dokumentnummer

JFR_10128786_87G00114_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten