RS Vfgh 1988/6/16 WI-11/87

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 16.06.1988
beobachten
merken

Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art141 Abs1 vorletzter Satz
B-VG Art141 Abs1 lita
Wr GemeindewahlO 1964 (Wr GdWO 1964) §1 Abs2, §51 Abs1, §62 Abs1, §76 Abs2
VfGG §67 Abs1
VfGG §68 Abs1
VfGG §70 Abs1
Wr Stadtverfassung §61a

Leitsatz

Bezirksvertretung - allgemeiner Vertretungskörper; Verwendung verschiedenfarbiger Wahlkuverts für Männer und Frauen zur Stimmabgabe - im Hinblick auf Regelung nach §62 Abs1 iVm §51 Abs1 (Wahlsprengel) und §76 Abs2 (Wahlkartenwähler) keine Verletzung des geheimen Wahlrechts; Zulassung einer Wählergruppe für Wahlergebnis bedeutungslos - keine Erörterung der Frage der Rechtmäßigkeit

Rechtssatz

Zu den allgemeinen Vertretungskörpern zählen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - für den Bereich des Art141 B-VG - auch die in der Gemeinde Wien landesgesetzlich eingerichteten Bezirksvertretungen (VfSlg. 6087/1969; siehe auch VfSlg. 888/1927).

Im vorliegenden Fall strebt die Einschreiterin mit ihrer Anfechtungsschrift nicht die dem Einspruchsverfahren nach §90 Abs1 Wr. GdWO 1964 vorbehaltene Nachprüfung ziffernmäßiger Ermittlungen und Berichtigungen sowie die Überprüfung der Beurteilung oder Zurechnung von Stimmzetteln an; sie rügt vielmehr die - in den Bereich sonstiger Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens fallende - Kandidatur der Wählergruppe "LAH" (Liste-Ausländer-Halt) sowie die Ausgabe und Verwendung verschiedenfarbiger Wahlkuverts, wofür die sofortige Wahlanfechtung nach Art141 Abs1 lita B-VG eingeräumt ist.

Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Frist zur Anfechtung ist in diesem Fall die Beendigung des Wahlverfahrnes (siehe VfSlg. 9085/1981, 9940/1984), di. hier bei der Bezirksvertretungswahl die gemäß §82 Abs6 Wr. GdWO 1964 der Bezirkswahlbehörde obliegende Kundmachung des Wahlergebnisses in Form der Verlautbarung "der gewählten Bewerber und der Ersatzmänner" durch Anschlag an der Amtstafel und Veröffentlichung im Amtsblatt der Stadt Wien (vgl. auch VfSlg. 10.610/1985).

Die rechtzeitig eingebrachte Anfechtung der Wahl der Bezirksvertretung für den 15. Wiener Gemeindebezirk vom 08.11.87 ist zulässig.

Die Anfechtungswerberin hält die Bestimmung des §62 Abs1 GWO - lautend "Für Männer und Frauen sind verschiedenfarbige, undurchsichtige Wahlkuverte zu verwenden" für verfassungswidrig, weil sie den in §61a der Wiener Stadtverfassung, LGBl. 28/1968, (WStV) garantierten Grundsatz des geheimen Wahlrechts verletze, indem sie Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Wähler ermögliche.

Dabei wird jedoch übersehen, daß die das geheime Wahlrecht für Bezirksvertretungswahlen in Wien (allein) garantierende Norm des §61a WStV - ebenso wie die bedenklich erachtete Vorschrift des §62 Abs1 Wr. GdWO 1964 - lediglich auf der Stufe eines einfachen Landesgesetzes steht. (Das Erste Hauptstück der WStV (§§1 bis 112h) ist ein schlichtes Landesgesetz mit den in den §§119 und 121 leg.cit. vorgesehenen Beschlußerfordernissen; nur das Zweite Hauptstück (§§113 bis 139a) enthält Landesverfassungsrecht, wofür die qualifizierten Beschlußerfordernisse des Art99 Abs2 B-VG bestehen.)

Eine Verfassungswidrigkeit des §62 Abs1 Wr. GdWO 1964 läßt sich darum aus der bezogenen Norm der WStV keinesfalls ableiten.

Ein Wahlrecht ist (nur) dann "geheim", wenn der Wähler seine Stimme derart abzugeben instand gesetzt wird, daß niemand, weder die Wahlbehörde noch sonst jemand, erkennen kann, wen er wählte. Das geheime Wahlrecht dient also der geheimen Stimmabgabe. Durch die Verwendung verschiedenfarbiger Wahlkuverts läßt sich aber unter dem Regime der Wr. GdWO 1964 das Stimmverhalten des jeweiligen Wählers - der von der Anfechtungswerberin vertretenen Auffassung zuwider - keineswegs feststellen. Denn nach §51 Abs1 Wr. GdWO 1964 sind die Wahlsprengel "derart abzugrenzen, daß die Durchführung des Abstimmungsverfahrens im Wahlsprengel innerhalb der Wahlzeit möglich erscheint, wobei anzunehmen ist, daß am Wahltag in einer Stunde 70 Wähler abgefertigt werden können". Da ein (Wiener) Wahlsprengel - angesichts einer Wahlzeit von mehreren Stunden - also jedenfalls mehrere hundert Wahlberechtigte umfaßt, ist die Annahme, es könnten dort insgesamt bloß ein Mann oder eine Frau oder doch nur ganz wenige Männer oder Frauen abstimmen, völlig wirklichkeitsfern und ungerechtfertigt. Zudem schreibt §76 Abs2 Wr. GdWO 1964 vor, daß dann, wenn bei einer Wahlbehörde für Wahlkartenwähler in einer Heil- und Pflegeanstalt oder in einem Altersheim Männer oder Frauen jeweils weniger als fünfzehn für den eigenen Bezirk bestimmte Wahlkuverte abgeben, alle diese Kuverte - zur Sicherung des Wahlgeheimnisses - ungeöffnet zu versiegeln und der Bezirkswahlbehörde zu übergeben sind. Dies ganz abgesehen davon, daß die Tatsache, wer das Wahlkuvert (der Wahlkommission) überreicht (ein Wähler männlichen oder weiblichen Geschlechts) an sich nicht "geheim", sondern für alle Mitglieder der Wahlbehörde offenkundig ist.

Einer Wahlanfechtung ist nicht schon dann stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erwiesen wurde; sie muß darüber hinaus auch auf das Wahlergebnis von Einfluß gewesen sein (Art141 Abs1 Satz 3 B-VG, §70 Abs1 VfGG 1953): Dazu sprach der Verfassungsgerichtshof wiederholt aus, daß diese (zweite) Voraussetzung bereits erfüllt ist, wenn die Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluß sein konnte (ständige Rechtsprechung vgl. VfSlg. 6424/1971 und die dort angeführte Vorjudikatur, sowie VfSlg. 7392/1974, 7784/1976, 7850/1976, 8853/1980; VfGH 14.06.86 WI-7/85, 06.12.86 WI-2/86). Dabei sind unter dem "Ergebnis" der Wahl einer Bezirksvertretung nicht nur die Anzahl der den einzelnen Wählergruppen zufallenden Mandate, sondern auch die Namen der gewählten Bezirksvertretungsmitglieder (einschließlich der sich daraus (mit-)ergebenden Reihung der Ersatzmänner) zu verstehen (vgl. VfSlg. 9011/1981).

Die Wahlanfechtungsschrift enthält lediglich die - vollkommen unsubstantiierte - Einrede, daß "das Wahlergebnis ein anderes gewesen wäre", wenn die LAH (Liste-Ausländer-Halt) nicht kandidiert hätte. Eine Überprüfung der Wahlakten zeigt indessen, daß die Zulassung der LAH als wahlwerbende Gruppe auf das Wahlergebnis in der Tat ohne jeden Einfluß blieb, wie schon die oberste Wahlbehörde der Sache nach zutreffend ausführte: Für sich selbst nimmt die Anfechtungswerberin KPÖ die 278 Stimmen jener Wähler, die für die LAH votiert hatten - offensichtlich im Hinblick auf die völlig unvereinbaren Wahlprogramme dieser beiden wahlwerbenden Gruppen - gar nicht in Anspruch. Nach Lage des Falles kann auch der Verfassungsgerichtshof eine derartige, durchaus lebensfremde Variante im Stimmverhalten der LAH-Wähler - rein spekulativ-hypothetische Möglichkeiten jenseits allgemeiner Lebenserfahrung müssen hier außer Betracht bleiben - mit Sicherheit ausschließen. Schlüge man aber die gesamten (278) LAH-Stimmen, wie es die anfechtende Wählergruppe vor Augen zu haben scheint, jeweils der SPÖ, ÖVP, FPÖ, den Grünen oder der VGÖ zu, träte in der Mandatsverteilung (und damit auch in der Reihung der gewählten Bewerber) überhaupt keine Änderung ein. Daraus folgt, daß die behauptete Rechtswidrigkeit - sollte sie erweisbar sein - für das erzielte Wahlergebnis gänzlich bedeutungslos wäre, sodaß es hier zumindest an einer der beiden in Art141 Abs1 vorletzter Satz B-VG normierten zwingenden Voraussetzungen für die Stattgebung der Wahlanfechtung fehlt.

Bei dieser Sach- und Rechtslage mußte die von der Anfechtungswerberin aufgeworfene Frage der Rechtmäßigkeit der Zulassung der LAH zur Bezirksvertretungswahl - weil für den Verfahrensausgang unerheblich - unerörtert auf sich beruhen.

Der von der Wählergruppe KPÖ eingebrachten Anfechtung der Wahl der Bezirksvertretung für den 15. Wiener Gemeindebezirk vom 08.11.87 wird nicht stattgegeben.

(Verschiedenfarbige Wahlkuverts für Männer und Frauen - keine Verletzung des Wahlgeheimnisses; Rechtmäßigkeit der Zulassung einer wahlwerbenden Gruppe braucht - weil für den Verfahrensausgang unerheblich - nicht geprüft zu werden.)

Entscheidungstexte

  • W I-11/87
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 16.06.1988 W I-11/87

Schlagworte

Wahlen, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:WI11.1987

Dokumentnummer

JFR_10119384_87W0I_11_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten