TE Vfgh Beschluss 2004/6/21 B481/03

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Veröffentlicht am 21.06.2004
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Index

83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art131 Abs1 Z2 und Z3, Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs7
B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
Richtlinie des Rates vom 27.06.85. 85/337/EWG, über die Umweltverträglichkeitsprüfung
Sbg LandesumweltanwaltschaftsG §1, §2, §7, §8
UVP-G 2000 §19 Abs3, §24 Abs3

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Ermächtigung staatlicher Organe (Landeshauptmann und Landesumweltanwaltschaft) zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung von Interessen des Umweltschutzes oder sonstiger von ihnen wahrzunehmender öffentlicher Interessen wegen Verletzung des verfassungsrechtlichen Rechtsschutzsystems; Verletzung subjektiver Rechte als Voraussetzung einer Beschwerdelegitimation vor dem Verfassungsgerichtshof; Amtsbeschwerde wegen objektiver Rechtsverletzung nur vor dem Verwaltungsgerichtshof; Parteistellung einer bestimmten Interessentengruppe auch gemeinschaftsrechtlich nicht geboten

Spruch

I. Die Beschwerde wird in Ansehung der Sbg.

Landesumweltanwaltschaft zur Gänze und in Ansehung der Gemeinde Hüttau, soweit sich diese (auch) gegen die Feststellung wendet, dass für das Vorhaben "Tauerntunnel (2. Röhre)" im Zuge der A 10 Tauern Autobahn keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, zurückgewiesen.

II. Soweit die von der Gemeinde Hüttau erhobene Beschwerde sich gegen den ersten Spruchteil (Zurückweisung u.a. ihres Feststellungsantrages gemäß §24 Abs3 UVP-G 2000 mangels Parteistellung) richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Begründung:

1. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie wies mit Bescheid vom 31. Jänner 2003 die Anträge der Gemeinden St. Michael im Lungau, Rennweg, Hüttau und Eben gemäß §24 Abs3 UVP-G 2000 mangels Parteistellung zurück und stellte auf Grund der Anträge der Standortgemeinden Flachau und Zederhaus, der mitwirkenden Behörden (Landesregierung Salzburg, Landeshauptmann von Salzburg und Bezirkshauptmannschaft Tamsweg) sowie der "Umweltanwaltschaft Salzburg" (richtig: Salzburger Landesumweltanwaltschaft; vgl. §2 des LandesumweltanwaltschaftsG, LGBl. für das Land Salzburg 67/1998 idF LGBl. 46/2001) gemäß §24 Abs3 UVP-G 2000 fest, dass für das Vorhaben "Tauerntunnel (2. Röhre)" im Zuge der A 10 Tauern Autobahn keine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß §23a UVP-G 2000 durchzuführen sei.

2. Gegen diesen Bescheid (und zwar undifferenziert gegen beide Spruchteile) wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte, von den Gemeinden Zederhaus, Flachau, Eben und Hüttau sowie der Sbg. Landesumweltanwaltschaft erhobene Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §40 Abs1 UVP-G 2000 idF BGBl. I 50/2002, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof begehrt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrte.

4. Mit Beschluss vom 11. Juni 2003, B481/03-9, wies der Verfassungsgerichtshof die vorliegende Beschwerde insoweit zurück, als sie von den Gemeinden Zederhaus, Flachau und Eben erhoben wurde, weil deren Beschwerde kein innerhalb der Beschwerdefrist gefasster Beschluss der hiefür zuständigen Gemeindevorstehung zugrunde lag.

Demgegenüber hat die Gemeindevorstehung der Gemeinde Hüttau zeitgerecht die Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen den angefochtenen Bescheid beschlossen.

5. a) Unter anderem aus Anlass einer anderen von der Sbg. Landesumweltanwaltschaft erhobenen Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 27. November 2003 von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "mit den Rechten nach §19 Abs3 zweiter Satz" in §24 Abs3 zweiter Satz UVP-G 2000 idF BGBl. I 89/2000 ein.

Diese Bestimmung ermächtigt bei geplanten, in den §§23a und 23b näher umschriebenen Vorhaben (betreffend Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken) die Standortgemeinde, die so genannten mitwirkenden Behörden und den "Umweltanwalt" beim Bundesminister die Feststellung zu beantragen, ob für das Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, und räumt diesen Parteistellung "mit den Rechten nach §19 Abs3 zweiter Satz", d.h. mit der Berechtigung ein, die Einhaltung von Rechtsvorschriften, die den Schutz der Umwelt oder der von ihnen wahrzunehmenden öffentlichen Interessen dienen, als subjektive Rechte im Verfahren geltend zu machen, Rechtsmittel zu ergreifen und Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. "Umweltanwalt" ist nach der Legaldefinition des §2 Abs4 UVP-G 2000 "ein Organ, das vom Bund oder vom betroffenen Land besonders dafür eingerichtet wurde, um den Schutz der Umwelt in Verwaltungsverfahren wahrzunehmen".

Mit Erkenntnis vom 16. Juni 2004, G4-6/04, hob er diese Wortfolge als verfassungswidrig auf.

b) Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleich zu halten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren hat am 16. Juni 2004 begonnen. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 24. März 2003 eingelangt, war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleich zu halten.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat daher die Zulässigkeit der von der Sbg. Landesumweltanwaltschaft und der Gemeinde Hüttau erhobenen Beschwerde anhand der durch das Erkenntnis G4-6/04 bereinigten Rechtslage zu beurteilen:

a) Dabei erweist sich die Beschwerde der Sbg. Landesumweltanwaltschaft zur Gänze als unzulässig, weil es dieser nach Aufhebung der u.a. die Beschwerdelegitimation des Umweltanwaltes normierenden Wortfolge in §24 Abs3 UVP-G 2000 an der Ermächtigung zur Erhebung einer auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof mangelt (vgl. dazu VfGH 16.6.2004, G4-6/04).

b) Anders verhält es sich insofern mit der Beschwerdelegitimation der Gemeinde Hüttau, da für Gemeinden von Verfassungs wegen eine Beschwerdebefugnis in, den eigenen Wirkungsbereich betreffenden Angelegenheiten vorgesehen ist (Art119a Abs9 B-VG). Dennoch ist ihre Beschwerde insofern als unzulässig zurückzuweisen, als sie sich (auch) gegen die (im zweiten Spruchteil getroffene) Feststellung richtet, dass für das Vorhaben "Tauerntunnel (2. Röhre)" im Zuge der A 10 Tauern Autobahn keine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß §23a UVP-G 2000 durchzuführen ist, und zwar aus folgendem Grund:

Legitimiert, gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art144 B-VG Beschwerde zu führen, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur, wer durch den angefochtenen Bescheid in irgendeinem subjektiven Recht verletzt sein kann (VfSlg. 5712/1968, 12.087/1989, 15.044/1997).

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung über die Nichtdurchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung wurde auf Grund von Anträgen der (Standort-)Gemeinden Flachau und Zederhaus, mehrerer mitwirkender Behörden und der Sbg. Landesumweltanwaltschaft getroffen, nicht aber auf Antrag der Gemeinde Hüttau. Deren Antrag wurde vielmehr im ersten Teil des Spruches mangels Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen.

Da sohin die Sachentscheidung der negativen Feststellung nicht über Antrag der Gemeinde Hüttau erging, konnte sie der Gemeinde Hüttau gegenüber auch keine Rechtswirkung äußern. Dieser Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides berührt demnach die Rechtssphäre der beschwerdeführenden Gemeinde Hüttau nicht. Da dies aber Voraussetzung für die Beschwerdeberechtigung nach Art144 Abs1 B-VG ist, erweist sich die von der Gemeinde Hüttau erhobene Beschwerde im eingangs erwähnten Umfang als unzulässig und ist daher in diesem Punkt zurückzuweisen.

7. Im Übrigen, also insoweit die Beschwerde die Aufhebung des den Antrag unter anderem der Gemeinde Hüttau zurückweisenden Spruchpunktes begehrt, wird die Beschwerdebehandlung abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; ersteres freilich nur mit Blick auf jenen Teil des Bescheides, zu dessen Anfechtung der Gemeinde Hüttau jedoch die Legitimation fehlt [s. oben Pkt. 6.b)], letzteres wegen Anwendung eines vermeintlich verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §40 Abs1 UVP-G 2000. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Verfassungswidrigkeit des §40 Abs1 UVP-G 2000 behauptet wird, lässt ihr Vorbringen im Hinblick auf die Zuständigkeitsvorschrift des Art11 Abs7 B-VG, die nicht für Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren nach Art10 Abs1 Z9 B-VG gilt, die behauptete Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Da die Angelegenheit auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, sieht der Verfassungsgerichtshof insoweit von einer Behandlung der Beschwerde ab und tritt sie insoweit gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof ab.

8. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z1 und Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

EU-Recht Richtlinie, Rechte subjektive öffentliche, Rechtsschutz, Umweltschutz, Umweltverträglichkeitsprüfung, Verwaltungsgerichtshof Zuständigkeit, Amtspartei, Parteistellung Umweltschutz, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Legitimation, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Zuständigkeit, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B481.2003

Dokumentnummer

JFT_09959379_03B00481_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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