TE Vfgh Erkenntnis 2008/6/26 B304/07

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Veröffentlicht am 26.06.2008
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Index

L5 Kulturrecht
L5500 Baumschutz, Landschaftsschutz, Naturschutz

Norm

EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
Oö Natur- und LandschaftsschutzG 2001

Leitsatz

Feststellung einer Verletzung im Recht auf Entscheidung innerhalbeiner angemessenen Frist durch neuerliche Versagung der Feststellungkeiner Verletzung öffentlicher Interessen an der Erhaltung desLandschaftsbildes durch die Errichtung einer Steganlage vor einemSeeufergrundstück

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist im verfassungsgesetzlich

gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist nach Art6 Abs1 EMRK verletzt worden.

2. Insoweit wird der Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, abgewiesen.

II. 1. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

2. Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

III. Das Land Oberösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 1260,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der nunmehrige Beschwerdeführer stellte am 6. Juli 1999 bei

der Bezirkshauptmannschaft V. (BH) einen Antrag auf bescheidmäßige Feststellung, dass durch die Errichtung einer Steganlage vor seinem Seeufergrundstück öffentliche Interessen an der Erhaltung des Landschaftsbildes nicht verletzt werden. Mit Bescheid vom 8. August 2001 wies die BH den Antrag ab; der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde von der Oö. Landesregierung mit Bescheid vom 26. Juni 2002 keine Folge gegeben. Gegen diesen Bescheid erhob der nunmehrige Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit Beschluss vom 26. November 2002, B1303/02, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde, der mit Erkenntnis vom 12. September 2005 den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben hat. Mit dem nun angefochtenen Ersatzbescheid der Oö. Landesregierung vom 8. Jänner 2007 wurde der Berufung abermals keine Folge gegeben.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet. Durch die Verfahrensdauer von fast acht Jahren, die ausschließlich auf das grob mangelhafte Ermittlungsverfahren und somit das Verschulden der belangten Behörde zurückzuführen sei, sei auch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK verletzt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt; insbesondere habe sie das Verfahren unverzüglich nach Erlassung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes fortgeführt.

II.     Die - zulässige - Beschwerde ist teilweise begründet:

        1. Art6 Abs1 EMRK bestimmt u.a., dass jedermann "Anspruch

darauf [hat], daß seine Sache ... innerhalb einer angemessenen Frist

gehört wird, und zwar von einem ... Gericht, das über zivilrechtliche

Ansprüche und Verpflichtungen ... zu entscheiden hat".

1.1. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht abstrakt, sondern im Lichte der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu beurteilen. Die besonderen Umstände des Einzelfalles ergeben sich aus dem Verhältnis und der Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Neben Faktoren, welche die Verfahrensdauer beeinflussen, nämlich die Schwierigkeit des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und das Verhalten der staatlichen Behörden in dem bemängelten Verfahren, ist auch die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer relevant (vgl. VfSlg. 17.307/2004; 17.582/2005; 17.644/2005).

Nicht eine lange Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung, sondern nur eine Verzögerung, die auf Versäumnis staatlicher Organe zurückzuführen ist. Der Rechtsprechung des EGMR ist daher keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK anzunehmen wäre (vgl. VfSlg. 16.385/2001 mH auf die Rechtsprechung des EGMR).

Im vorliegenden Fall sind seit dem Beginn des Verfahrens mit der Antragstellung am 6. Juli 1999 bis zum Endzeitpunkt der Beurteilung durch den Verfassungsgerichtshof (Zustellung des im fortgesetzten Verfahren ergangenen Bescheides der Oö. Landesregierung am 16. Jänner 2007) knapp über sieben Jahre und sechs Monate vergangen.

1.2. Da dem Beschwerdeführer nicht angelastet werden kann, wenn er zur Durchsetzung seiner Rechte - überdies erfolgreich - Rechtsmittel ergreift, kann die Verfahrensverzögerung nicht der Sphäre des Beschwerdeführers zugerechnet werden. Die Länge des Verfahrens ist daher allein auf das Handeln staatlicher Organe zurückzuführen.

Da nach der Aktenlage weder Art und Umfang des Sachverhalts noch die zu beurteilenden Rechtsfragen die Behandlung dieser Rechtssache ungewöhnlich komplex oder schwierig erscheinen lassen und sich im vorliegenden Verfahren auch keine weiteren besonderen Umstände ergeben haben, welche die Dauer des Verfahrens rechtfertigen könnten, ist die Dauer des Verfahrens von knapp über sieben Jahren und 6 Monaten nicht mehr als angemessen im Sinne des Art6 Abs1 EMRK zu qualifizieren (vgl. EGMR 17.7.2003, Fall Kolb ua., Appl. 35021/97

ua., Z54 = ÖJZ 2003, 814 f.; EGMR 27.8.2004, Fall Yavuz, Appl.

46549/99, Z38 = ÖJZ 2005, 156). Nach der Judikatur des EGMR sind auch

Verfahrensverzögerungen, die auf eine länger andauernde Belastung einzelner Instanzen zurückzuführen sind, allenfalls als ein struktureller Mangel der Gerichtsorganisation zu qualifizieren, der jedoch nicht als Rechtfertigungsgrund gelten kann (vgl. VfSlg. 16.385/2001).

Der Beschwerdeführer ist daher in seinem durch Art6 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzt worden.

1.3. Durch die (begehrte) Aufhebung des das (bisherige) überlange Verfahren (vorläufig) abschließenden, angefochtenen Bescheids würde diese Rechtsverletzung aber nicht beseitigt, sondern im Gegenteil sogar insoweit verschärft werden, als das Ende des Verfahrens noch weiter verzögert werden würde. Der Verfassungsgerichtshof hat sich deshalb auf den Ausspruch zu beschränken, dass eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist nach Art6 Abs1 EMRK stattgefunden hat; insoweit ist folglich der Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, abzuweisen (vgl. VfSlg. 17.307/2004, 17.644/2005).

2. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Ein solcher Fall liegt hier - abgesehen von der Verletzung des Art6 abs. 1 EMRK - vor: Die anderen behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Verfassungswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften behauptet wird, lässt ihr Vorbringen angesichts der Vollziehbarkeit des Gesetzes vor dem Hintergrund seines eindeutigen Zweckes (vgl. zur iSd Art18 Abs1 und 2 B-VG hinreichenden Bestimmtheit des diesbezüglich dem Oö. Natur- und Landschaftsschutzgesetz 2001 durchaus vergleichbaren Oö. Naturschutzgesetzes 1964 VfSlg. 8209/1977) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Da die Angelegenheit auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 VfGG).

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Beschwerdeführer nur zum Teil durchgedrungen ist (vgl. VfSlg. 17.644/2005). Im zugesprochenen Betrag sind € 180,-- an USt und eine Eingabengebühr gem. §17a VfGG von € 180,-- enthalten.

Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs4 erster Satz bzw. Abs3 Z1 VfGG).

Schlagworte

Verfahrensdauer überlange, Entscheidung in angemessener Zeit,Ersatzbescheid, Landschaftsschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:B304.2007

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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