TE Vfgh Beschluss 2004/6/28 B633/04

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Veröffentlicht am 28.06.2004
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art132
B-VG Art138 Abs1 litb
B-VG Art144 Abs1 / Säumnis
FremdenG 1997 §72
VfGG §46
ZPO §64 Abs1 lita

Leitsatz

Zurückweisung einer gegen die Untätigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates bei Erlassung von Ersatzbescheiden nach aufhebenden Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes gerichteten "Säumnisbeschwerde" mangels Zuständigkeit des VfGH; kein Vorliegen eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen VfGH und VwGH; Abweisung des Verfahrenshilfeantrags als aussichtslos

Spruch

I. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

III. Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1.1. Über den Einschreiter, einen Staatsangehörigen von Gambia, wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 15.9.1999 die Schubhaft verhängt.

Mit Bescheid vom 29.11.1999 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im Folgenden: UVS) die vom Einschreiter gegen seine Anhaltung in Schubhaft gemäß §72 Fremdengesetz 1997 (im Folgenden: FrG) erhobene Beschwerde insoweit ab, als sie die Anhaltung in Schubhaft von 15.9.1999 bis 15.11.1999 betraf, erklärte die Anhaltung in Schubhaft vom 16.11.1999 bis zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung für rechtswidrig und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

1.2. Gegen die weitere Anhaltung in Schubhaft seit 30.11.1999 erhob der Einschreiter am 20.1.2000 Beschwerde gemäß §72 FrG an den UVS, der sie mit Bescheid vom 26.1.2000 wegen entschiedener Sache zurückwies.

Am 31.1.2000 erhob der Einschreiter gegen die fortgesetzte Anhaltung seit 16.1.2000, in eventu seit 26.1.2000, Beschwerde gemäß §72 FrG, die der UVS mit Bescheid vom 7.2.2000 als unbegründet abwies.

Gegen die fortgesetzte Anhaltung in Schubhaft seit 7.2.2000 erhob der Einschreiter am 11.2.2000 Beschwerde gemäß §72 FrG, die der UVS mit Bescheid vom 14.2.2000 wegen entschiedener Sache zurückwies.

1.3. Die (zurückweisenden) Bescheide des UVS vom 26.1.2000 und vom 14.2.2000 hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg. 16.079/2001 wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf.

Der (abweisende) Bescheid des UVS vom 7.2.2000 wurde mit Erkenntnis VfSlg. 16.080/2001 wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander aufgehoben.

Die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes wurden dem UVS am 10.4.2001 zugestellt.

1.4. Am 11.10.2001 erhob der Einschreiter drei Säumnisbeschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, in denen er die Verletzung der Entscheidungspflicht durch den UVS geltend machte.

Mit Verfügungen jeweils vom 22.10.2001 forderte der Verwaltungsgerichtshof den UVS gemäß §36 Abs2 VwGG auf, binnen drei Monaten die versäumten Bescheide nachzuholen und dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder bekannt zu geben, weshalb eine Säumnis nicht vorliege. Der UVS legte dem Verwaltungsgerichtshof die Verwaltungsakten vor; die Bescheide wurden nicht nachgeholt.

Mit Erkenntnis vom 5.9.2002 wies der Verwaltungsgerichtshof die zu Zl. 2001/02/0209 protokollierte Säumnisbeschwerde insoweit ab, als es sich um die Anhaltung in Schubhaft von 1.12.1999 bis 17.1.2000 handelte, und gab der Beschwerde insoweit Folge, als er die Fortsetzung der Anhaltung in Schubhaft ab 18.1.2000 bis zur Entlassung aus der Schubhaft am 18.2.2000 als rechtswidrig feststellte.

Mit unter einem ergangenem Beschluss wies der Verwaltungsgerichtshof die zu den Zlen. 2001/02/0210 und 2001/02/0211 protokollierten Säumnisbeschwerden als unzulässig zurück:

Die Entscheidungen des UVS über die Beschwerden des Einschreiters vom 20.1.2000, 31.1.2000 und 11.2.2000 seien mit der Wirkung "ex tunc" aus dem Rechtsbestand ausgeschieden, weshalb über die angefochtene Fortsetzung der Schubhaft von 1.12.1999 bis zur Entlassung aus der Schubhaft am 18.2.2000 noch nicht entschieden worden sei. Gemäß §73 Abs4 FrG habe der UVS, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Da sich der Einschreiter zum Zeitpunkt der Erhebung aller Beschwerden gegen die Fortsetzung der Schubhaft noch in Schubhaft befunden habe, aber keine (noch dem Rechtsbestand angehörende) Entscheidung des UVS darüber vorliege, seien die Beschwerden vom 31.1.2000 und vom 11.2.2000 nicht als eigenständige Beschwerden zu werten, sondern als Ergänzungen zur (ersten) Beschwerde vom 20.1.2000, weil es sich bei der Fortsetzung der Schubhaft ab dem ersten in der Beschwerde geltend gemachten Datum (1.12.1999) bis zur Entscheidung des UVS bzw. bis zur Enthaftung um den gleichen Beschwerdegegenstand handle. Nach Beendigung der Schubhaft sei nun im Rahmen der (insgesamt) geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden; die Beschwerden seien als Einheit zu sehen. Da somit nur eine einheitliche Beschwerde an den UVS vorliege, sei auch nur eine Säumnis der belangten Behörde gegeben, weshalb auch nur die Erhebung einer Säumnisbeschwerde zulässig sei, nämlich jener, die die Verletzung der Entscheidungspflicht über den gesamten Zeitraum der Fortsetzung der Anhaltung in Schubhaft beinhalte (das sei die zu Zl. 2001/02/0209 protokollierte). Die beiden anderen Säumnisbeschwerden seien daher mangels Säumnis der belangten Behörde als unzulässig zurückzuweisen.

2. Mit am 12.5.2004 eingelangtem Schriftsatz erhebt der Einschreiter nunmehr "Säumnisbeschwerde" an den Verfassungsgerichtshof und bringt vor, dass der UVS über die Beschwerden vom 31.1.2000 und vom 11.2.2000 nach wie vor nicht entschieden habe; durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 5.9.2002 sei das Entscheidungsinteresse des Einschreiters nur in der Sache weggefallen, nicht jedoch im Kostenpunkt.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof diese Säumnisbeschwerde zurückweisen sollte, stellt der Einschreiter gemäß Art138 Abs1 litb B-VG iVm. §46 VfGG den Antrag auf Entscheidung des "solchermaßen entstandenen" negativen Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verwaltungs- und dem Verfassungsgerichtshof und führt näher aus, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Zurückweisung der beiden Säumnisbeschwerden "in mehrfacher Hinsicht unzutreffend" sei.

Weiters beantragt der Einschreiter die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 lita ZPO.

II. 1. Die an den Verfassungsgerichtshof gerichtete "Säumnisbeschwerde" wendet sich ausschließlich gegen ein Untätigbleiben des UVS.

Weder Art144 B-VG noch eine andere - dem Art132 B-VG vergleichbare - bundesverfassungsrechtliche Vorschrift beruft den Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung über Anträge, mit denen die Verletzung der Entscheidungspflicht einer Behörde geltend gemacht wird (vgl. zB VfSlg. 8817/1980, 10.799/1986; VfGH 16.3.1995, B2693/94; 14.6.1995, B754/95).

Die "Säumnisbeschwerde" war daher zurückzuweisen.

2. Der Einschreiter hat mit demselben Schriftsatz "für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof mangels gesetzlicher Grundlage und damit wegen Fehlens seiner Zuständigkeit die […] Säumnisbeschwerde zurückweisen sollte", den Antrag auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verwaltungs- und dem Verfassungsgerichtshof gestellt.

Gemäß Art138 Abs1 litb B-VG iVm. §46 Abs1 VfGG besteht ein vom Verfassungsgerichtshof zu entscheidender verneinender Kompetenzkonflikt ua. dann, wenn der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof ihre Zuständigkeit in derselben Sache verneint haben, obwohl einer der beiden Gerichtshöfe zuständig gewesen wäre.

Verneint der Verwaltungsgerichtshof aber seine Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache nicht schlechthin, sondern weist er die Beschwerde etwa mangels Legitimation, mangels Parteieigenschaft oder wegen entschiedener Sache zurück, so sind die Voraussetzungen eines negativen Kompetenzkonfliktes nicht gegeben (vgl. VfSlg. 14.497/1996 mwN).

Im vorliegenden Fall hat der Verwaltungsgerichtshof die beiden Beschwerden des Antragstellers nicht aus dem Grund der Unzuständigkeit zurückgewiesen, sondern mangels Säumnis der im Säumnisbeschwerdeverfahren belangten Behörde, da er die drei gemäß §72 FrG an den UVS gerichteten Beschwerden als Einheit wertete, über die nur eine Entscheidung zu ergehen habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Zuständigkeit zur Entscheidung über diese Beschwerden somit nicht schlechthin verneint, weshalb der behauptete negative Kompetenzkonflikt schon deshalb nicht vorliegt.

Der Antrag war daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

3. Da somit die vom Einschreiter beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof offenbar aussichtslos erscheint, musste sein unter einem mit der "Säumnisbeschwerde" und dem Antrag auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung als unbegründet abgewiesen werden (§63 Abs1 ZPO iVm. §35 Abs1 VfGG).

4. Diese Beschlüsse konnten gemäß §72 Abs1 ZPO iVm. §35 VfGG bzw. §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Verwaltungsgerichtshof, Säumnisbeschwerde, VfGH / Kompetenzkonflikt, VfGH / Verfahrenshilfe, VfGH / Zuständigkeit, Eventualantrag, Ersatzbescheid

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B633.2004

Dokumentnummer

JFT_09959372_04B00633_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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