RS Vfgh 1989/9/27 G6/89, G21/89, G22/89, G23/89, G30/89, G67/89

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Veröffentlicht am 27.09.1989
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Index

L3 Finanzrecht
L3703 Lustbarkeitsabgabe, Vergnügungssteuer

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Rechtspolitik - Exzeß
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung
B-VG Art15 Abs9
B-VG Art82 Abs1
B-VG Art91
B-VG Art92
B-VG Art97 Abs2
Wr VergnügungssteuerG 1963 §35

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §35 des Wr. VergnügungssteuerG 1963 idF der Vergnügungssteuergesetznovellen 1976 und 1981 wegen Verstoßes gegen Art91 B-VG und Art7 Abs1 B-VG; unterhalb der Schöffengerichtsbarkeit liegender Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit von verfassungswegen vorgegeben; Verpflichtung des Landesgesetzgebers, für die Verhängung schwerwiegender Strafen die Zuständigkeit der Strafgerichte vorzusehen; Verstoß gegen das Gleichheitsgebot durch exzessives Mißverhältnis zwischen dem unter Strafsanktion gestellten Verhalten und der Höhe der Geldstrafe

Rechtssatz

§35 des VergnügungssteuerG für Wien 1963, LGBl. 11, idF der VergnügungssteuerG-Novelle 1976, LGBl. 37, und der VergnügungssteuerG-Novelle 1981, LGBl. 16, war verfassungswidrig.

Der Bundesverfassungsgesetzgeber geht von einem dreistufigen organisatorischen Aufbau der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit aus. Aus dieser Organisationsstruktur der Strafgerichtsbarkeit ist jedenfalls ableitbar, daß die Zuweisung eines durchaus erheblichen Teilbereichs der Strafsachen an die Strafgerichtsbarkeit von Verfassungs wegen vorausgesetzt wird.

Diesen Grenzziehungen liegt die Vorstellung eines (auch) nach den Strafdrohungen klassifizierbaren strafrechtlichen Systems zugrunde. Bezeichnend hiefür ist nicht zuletzt die in den bezogenen Verfassungsvorschriften getroffene, für ein solches strafrechtliches System geradezu typische Wortwahl (wie etwa Verbrechen, Vergehen, Maß der zu verhängenden Strafe).

Der einfache Bundesgesetzgeber hat im Rahmen des Art91 B-VG eine verhältnismäßig weite rechtspolitische Gestaltungsfreiheit (auch) in der Richtung, welchem Vollzugsbereich er die Ahndung einer bestimmten strafbaren Handlung zuweist. Wenn die strafbare Handlung aber wegen der vom Bundesgesetzgeber bewerteten hohen Sozialschädlichkeit mit einer schwerwiegenden Strafe bedroht ist, so ist der Bundesgesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten, mit der Ahndung dieser strafbaren Handlung die (wegen ihrer Unabhängigkeit hiezu besonders qualifizierten) Organe der Strafgerichtsbarkeit zu betrauen.

Eine strafbare Handlung gehört diesem Bereich jedenfalls dann zu, wenn die angedrohte Strafe vor dem Hintergrund des in der Strafrechtsordnung enthaltenen, unterhalb der Grenze zur Schöffengerichtsbarkeit liegenden Systems von Strafen unterschiedlicher Höhe als für den Bestraften besonders empfindlich einzustufen ist. Dazu ist jedenfalls nach der umfassenden Strafrechtsreform durch die Erlassung des Strafgesetzbuchs im Jahre 1974 auch Geldstrafen zu zählen.

Sieht sich der Landesgesetzgeber (in einer Angelegenheit, in der ihm dem Regelungsinhalt nach sonst die Kompetenz zukäme) im Hinblick auf die nach seiner Wertung gegebene hohe Sozialschädlichkeit eines Verhaltens veranlaßt, zu dessen Hintanhaltung eine schwerwiegende, in den strafrechtlichen Kernbereich fallende Strafdrohung festzulegen, so betritt er damit notwendig das Gebiet des Strafrechts, was ihm nur aufgrund und nach Maßgabe des Art15 Abs9 B-VG gestattet ist. Der Landesgesetzgeber hat demnach in einem solchen Fall die Zuständigkeit des Strafgerichtes vorzusehen.

Die hier beschriebene Lage des Landesgesetzgebers ist durch den Grundsatz des Art82 Abs1 B-VG mitbestimmt, demzufolge alle Gerichtsbarkeit vom Bund ausgeht.

Die derart vorgenommene Begründung einer gerichtlichen Zuständigkeit bedarf keiner Zustimmung nach Art97 Abs2 B-VG.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seinem Erk. VfSlg. 8934/1980, welches eine vom Landesgesetzgeber an eine strafgerichtliche Verurteilung geknüpfte administrativrechtliche Rechtsfolge betraf, aus dem Gleichheitsgebot den Grundgedanken abgeleitet, daß eine derartige Regelung bei zusammenschauender Betrachtung des (der strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde gelegten) Verhaltens und der vom Landesgesetzgeber vorgesehenen Rechtsfolge sachlich begründbar sein muß (im gleichen Sinn auch VfSlg. 10512/1985). Dieses Sachlichkeitsgebot hat der Gerichtshof insbesondere in seinen die Strafe des Verfalls (der Einziehung) unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes wertenden Gesetzesprüfungserkenntnissen VfSlg. 9901/1983, 10597/1985 und 10904/1986 bekräftigt. Der Verfassungsgerichtshof hat es als unzulässig angesehen, daß der Verfall als absolute Strafdrohung unabhängig vom Grad des Verschuldens und unabhängig von der Höhe des durch das Finanzvergehen bewirkten Schadens (etwa der Abgabenverkürzung) vorgesehen ist (VfSlg. 9901/1983), daß eine Regelung offenbar ein exzessives Mißverhältnis zwischen der Höhe der Strafe des Verfalls und dem Wert einer den Gegenstand der strafbaren Handlung bildenden Ware nach ihrem System in sich schließt (VfSlg. 10597/1985) oder daß eine Regelung nach ihrem System ein exzessives Mißverhältnis zwischen der Höhe der Strafe der Einziehung einerseits und dem Grad des Verschuldens und der Höhe des verursachten Schadens andererseits einschließt (VfSlg. 10904/1986).

An dieser Rechtsprechung hält der Gerichtshof fest. Das in den bezogenen Gesetzesprüfungssachen umschriebene Sachlichkeitsgebot verpönt in gleicher Weise den Fall, in dem ein exzessives Mißverhältnis zwischen dem unter Strafsanktion gestellten Verhalten und der als primäre Rechtsfolge vorgesehenen Geldstrafe gegeben ist.

Legt der Gesetzgeber die Obergrenze der Strafe für die - auch bloß fahrlässig begangene - Verkürzung einer Abgabe mit dem Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages fest, so bewirkt er hiedurch in zweierlei Hinsicht ein extremes Mißverhältnis zwischen dem Gewicht der strafbaren Handlung und der Sanktion: Einerseits führt eine solcherart festgelegte Obergrenze zu Strafdrohungen in einer betragsmäßigen Höhe, die mit den hergebrachten, der Rechtsordnung immanenten Zwecken der Verwaltungsstrafe nicht mehr vereinbar sind (hier die bei einem aus dem Verkürzungsbetrag von 96.000 S errechnete mögliche Höchststrafe von 2,880.000 S), was sich durch sachbezogene strafrechtspolitische Argumente schlechthin nicht mehr erklären läßt.

Extremes Mißverhältnis zwischen dem Gewicht der strafbaren Handlung und der Sanktion durch Festlegung einer Obergrenze der Strafe für die - auch bloß fahrlässig begangene - Verkürzung einer Abgabe mit dem Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages in §35

Wr. VergnügungssteuerG 1963.

(Anlaßfälle: E v 03.10.89, B744/87, E v 13.10.89, B1013/87 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide)

Entscheidungstexte

Schlagworte

Vergnügungssteuer, Verwaltungsstrafrecht, Strafbemessung, Strafgerichtsbarkeit (Kernbereich), Finanzstrafrecht, Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Kompetenz Bund - Länder / Strafrechtswesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G6.1989

Dokumentnummer

JFR_10109073_89G00006_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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