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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / PrüfungsmaßstabLeitsatz
Untersagung der beabsichtigten Durchführung einer Versammlung auf der Brenner-Autobahn wegen des zu erwartenden weiträumigen Zusammenbruchs des Straßenverkehrs; zutreffende Interessenabwägung im Sinne des Art11 Abs2 MRK; keine Verletzung im Recht auf VersammlungsfreiheitRechtssatz
Untersagung einer Versammlung ("Autobahnblockade", Brenner).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfGH 01.10.1988 B1068/88 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur) ist jede Verletzung des VersammlungsG, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG und Art11 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das Gesetz unrichtig angewendet wurde.
Die Behörde nahm aufgrund ausreichender Sachverhaltsfeststellungen an, die mehrstündige Blockade einer der wichtigsten österreichischen Straßenverkehrsverbindungen würde einen weiträumigen Zusammenbruch des Straßenverkehrs bewirken; eine Umleitung des Autobahnverkehrs auf die Brenner-Bundesstraße sei ausgeschlossen. Diesen Feststellungen kann nicht entgegengetreten werden; sie liegen nach den gegebenen geographischen Verhältnissen geradezu auf der Hand.
Die Behörde ist zur Untersagung einer Versammlung gemäß §6 VersammlungsG jedoch nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der im Art11 Abs2 MRK genannten Gründen notwendig ist. Die Behörde hat, wenn sie eine Untersagung der Versammlung in Betracht zieht, die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die im Art11 Abs2 MRK aufgezählten öffentlichen Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen (vgl. VfSlg. 10443/85); so hat sie abzuwägen, ob die mit der Versammlung verbundenen Beeinträchtigungen (etwa die Sperre des Straßenverkehrs) im Interesse der Versammlungsfreiheit von der Öffentlichkeit hinzunehmen sind oder nicht (vgl. VfGH 01.10.1988 B1068/88). Die Behörde hat ihre (Prognose-)Entscheidung aufgrund konkret festgestellter, objektiv erfaßbarer Umstände zu treffen (vgl. zB VfSlg. 5087/1965, 6530/1971, 6850/1972, 8610/1979; VfGH 01.10.1988 B1068/88).
Die Behörde hat - ausgehend von diesem Sachverhalt - auch eine zutreffende Interessenabwägung iS der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes vorgenommen. Die im Art11 Abs2 MRK erwähnten Schutzgüter der Aufrechterhaltung der Ordnung und des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer erforderten unter den geschilderten Umständen die Untersagung der beabsichtigten Versammlung; die zu befürchtende unvermeidbare, weiträumige, lange währende, extreme Störung des Straßenverkehrs ließ derart gravierende Belästigungen und auch sicherheitsgefährdende Beeinträchtigungen zahlreicher unbeteiligter Personen erwarten, daß auch bei voller Berücksichtigung des - im öffentlichen Interesse gelegenen - Zieles der beabsichtigten Versammlung die gebotene Interessenabwägung zuungunsten der Versammlungsveranstalter ausfallen mußte.
Unerheblich ist, ob die Behörde vorher oder nachher gegen eine Autobahnblockade eingeschritten ist oder nicht. Abgesehen davon, daß dieser Vorgang mit der in Rede stehenden beabsichtigten Versammlung nur eingeschränkt vergleichbar ist, gibt ein allfälliges Fehlverhalten der Behörde in einem Fall keinen Anspruch auf ein rechtswidriges Vorgehen in einem anderen, ähnlich gelagerten Fall (vgl. zB VfSlg. 9169/1981).
Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof konnte deshalb nicht Folge gegeben werden, weil das Versammlungswesen seine Regelung im gemäß Art149 Abs1 B-VG als VerfassungsG geltenden Art12 StGG findet, weshalb - da jede Rechtsverletzung auf diesem Gebiet unmittelbar die Verfassung trifft - für die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes kein Raum bleibt (zB VfSlg. 9783/1983).
Schlagworte
Versammlungsrecht, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Abtretung, InteressenabwägungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B577.1989Dokumentnummer
JFR_10109072_89B00577_01