TE Vfgh Erkenntnis 1989/9/28 B577/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.1989
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art144 Abs3
StGG Art12 / Versammlungsrecht
MRK Art11 Abs2
VersammlungsG §6

Leitsatz

Untersagung der beabsichtigten Durchführung einer Versammlung auf der Brenner-Autobahn wegen des zu erwartenden weiträumigen Zusammenbruchs des Straßenverkehrs; zutreffende Interessenabwägung im Sinne des Art11 Abs2 MRK; keine Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Mag. H M zeigte am 16. Juni 1987 der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck die beabsichtigte Durchführung einer Versammlung auf der Brenner-Autobahn an; die Versammlung sollte auf beiden Richtungsfahrbahnen im Bereich der Autobahnauffahrt und -abfahrt Innsbruck-Süd am 19. Juni 1987 in der Zeit von 14.00 bis 20.00 Uhr stattfinden. Mit der Versammlung sollte gegen den - immer weiter ansteigenden - LKW-Transitverkehr durch Tirol protestiert werden, der unerträgliche Belastungen für Mensch und Natur mit sich bringe und die Lebensgrundlagen zerstöre; es sollten geeignete Maßnahmen dagegen gefordert werden.

b) Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck untersagte mit Bescheid vom 17. Juni 1987 unter Bezugnahme auf §6 Versammlungsgesetz 1953 (VersG) diese Versammlung.

Der Bescheid geht vom Ergebnis eines Ermittlungsverfahrens aus, das in der Begründung wie folgt geschildert wird:

"Am 15.6.1987 wurde im Rahmen des von Frau Mag. U angezeigten Vorhabens - ident praktisch mit der angezeigten Versammlung des Obgenannten - und des daraufhin aufgenommenen Ermittlungsverfahrens folgendes erhoben:

Seitens der Verkehrsabteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung wurden größte Bedenken gegen die Durchführung einer Versammlung auf der Autobahn vorgebracht. Wegen des zu erwartenden starken Verkehrsaufkommens aus Anlaß des beginnenden Sommerreiseverkehrs und bedingt durch den Feiertag am 18.6.1987 ist ein Zusammenbruch des Verkehrs nicht nur im Großraum Innsbruck sondern auch in ganz Tirol zu befürchten. Eine Umleitung des Autobahnverkehrs auf die Brennerbundesstraße ist unmöglich, da die Brennerbundesstraße in der Hauptreisezeit auch bei intaktem Autobahnverkehr bereits völlig ausgelastet ist.

Seitens der Brenner Autobahn AG, dem Straßenerhalter der Autobahn im Bereich des Versammlungsplatzes, wurde erklärt, daß einer Benützung der Autobahn zum Zwecke der Abhaltung einer Versammlung zu keinem Zeitpunkt zugestimmt werde. Herrn Mag. M wurden am 16.6.1987 im Rahmen des Parteiengehörs die Argumente der Behörde zur Kenntnis gebracht. Herr Mag. M war jedoch nicht bereit, die Versammlung abzusagen, da er glaubt, daß eine Blockade der Autobahn nunmehr das einzige Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele sei."

c) Die dagegen von Mag. M erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 11. August 1987 als unbegründet abgewiesen.

d) Der Bundesminister für Inneres (BMI) gab der gegen diesen Berufungsbescheid von Mag. M erhobenen Berufung mit Bescheid vom 31. März 1989 nicht Folge.

Die wesentlichsten Ausführungen in der Begründung dieses Bescheides lauten:

"Es ist den im gegenständlichen versammlungsrechtlichen Verfahren in erster und in zweiter Instanz tätig gewesenen Behörden darin zuzustimmen, daß die bei Verwirklichung des Demonstrationsvorhabens als unvermeidlich zu erwarten gewesene schwere Verkehrsbeeinträchtigung als im Hinblick auf ihre Folgen unzumutbare Verletzung von Interessen nicht nur tausender Verkehrsteilnehmer, sondern auch der Wohnbevölkerung in einem weit über den Bereich der Brennerautobahn hinausreichenden Gebiet angesehen werden mußte. Daraus war die Gefährdung des öffentlichen Wohles und durchaus auch der öffentlichen Sicherheit im Sinne des §6 Versammlungsgesetz 1953 abzuleiten.

Auch die zur Wahrung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit vorgenommene Interessenabwägung mußte unter den gegebenen Umständen zuungunsten der Versammlungsveranstalter ausgehen. Die bekämpfte Entscheidung steht überdies im Einklang mit Artikel 11 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, weil die Einschränkung des Versammlungsrechtes im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung und ferner zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erfolgte.

Das Bundesministerium für Inneres betont im gegebenen Zusammenhang ganz besonders, daß grundsätzlich dem Anliegen Betroffener, ehestmögliche und möglichst wirksame Abhilfe gegen die menschliche Gesundheit und auch die Umwelt bedrohende Auswirkungen des Kraftfahrzeugverkehrs in Tirol zu erreichen, jedes Verständnis entgegenzubringen ist. Anderseits stellt gerade der internationale Transitverkehr durch Tirol ein Problem dar, das durch - immer wieder in der Öffentlichkeit geforderte - Maßnahmen der Tiroler Landesregierung oder auch der Bundesregierung allein, d.h. ohne Einvernehmen mit den Anrainerstaaten, sicherlich nicht kurzfristig und vor allem nicht dauerhaft gelöst werden kann. Umso weniger können Demonstrationsaktionen auf öffentlichen Straßen, die den Zweck einer Störung oder Behinderung des Fahrzeugverkehrs haben, zu einer Lösung führen, weil davon jeweils nur ein Teil der Benützer der in Betracht kommenden Verkehrswege betroffen sein kann und nicht zuletzt auch weil behinderte Fahrzeuginsassen sich durch solche Vorgangsweise kaum vom weiteren (rechtmäßigen) Befahren dieser Straßen abhalten lassen werden."

2. Gegen diesen (drittinstanzlichen) Bescheid des BMI wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde des Mag. H M, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Versammlungsfreiheit und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

Der Beschwerdeführer macht - zusammengefaßt - geltend, die Behörde habe es unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, welche konkreten Umstände die Annahme rechtfertigten, daß die Abhaltung der Versammlung die öffentliche Sicherheit und das öffentliche Wohl gefährden würde. Der Verkehr im Großraum Innsbruck wäre bei Abhaltung der Versammlung nicht völlig zusammengebrochen; in erster Linie wäre nur der LKW-Transitverkehr betroffen gewesen. Es wäre möglich gewesen, durch geeignete (Verkehrs-)Maßnahmen die Beeinträchtigung der Verkehrsteilnehmer auf ein erträgliches Maß zu beschränken. Die Behörde wäre verpflichtet gewesen, "die staatliche Schutzpflicht der Versammlungsfreiheit" wahrzunehmen, umso mehr, als die Ziele der Versammlung im Interesse des öffentlichen Wohles gelegen gewesen seien. Weite Kreise der Bevölkerung akzeptierten den Ist-Zustand, gegen den sich die Versammlung richten wollte, nicht mehr. Der Behörde sei es verwehrt gewesen, zu beurteilen, ob die Demonstration zielführend gewesen wäre. Die von der Behörde vorgenommene Interessenabwägung sei verfehlt.

Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes erblickt der Beschwerdeführer darin, daß die Behörde im Jahr 1980 eine - noch dazu nicht angezeigte - als Versammlung zu wertende stundenlange Blockade der Brenner-Autobahn durch LKW nicht untersagt und auch nicht aufgelöst habe.

3. Der BMI als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde begehrt.

Darauf replizierte der Beschwerdeführer.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfGH 1.10.1988 B1068/88 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur) ist jede Verletzung des VersG, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG und Art11 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das Gesetz unrichtig angewendet wurde.

b) Gemäß §6 VersG sind Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde (§16 VersG) - bescheidmäßig - zu untersagen.

Die Behörde ist hiezu jedoch nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der im Art11 Abs2 MRK genannten Gründen notwendig ist. Die Behörde hat, wenn sie eine Untersagung der Versammlung in Betracht zieht, die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die im Art11 Abs2 MRK aufgezählten öffentlichen Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen (vgl. VfSlg. 10443/85); so hat sie abzuwägen, ob die mit der Versammlung verbundenen Beeinträchtigungen (etwa die Sperre des Straßenverkehrs) im Interesse der Versammlungsfreiheit von der Öffentlichkeit hinzunehmen sind oder nicht (vgl. VfGH 1.10.1988 B1068/88). Die Behörde hat ihre (Prognose-)Entscheidung aufgrund konkret festgestellter, objektiv erfaßbarer Umstände zu treffen (vgl. zB VfSlg. 5087/1965, 6530/1971, 6850/1972, 8610/1979; VfGH 1.10.1988 B1068/88).

2. Der angefochtene Bescheid wird damit begründet, daß die Abhaltung der angezeigten Versammlung das öffentliche Wohl und die öffentliche Sicherheit gefährden würde. Die Behörde nahm - entgegen den Beschwerdebehauptungen - aufgrund ausreichender Sachverhaltsfeststellungen an, die mehrstündige Blockade einer der wichtigsten österreichischen Straßenverkehrsverbindungen würde einen weiträumigen Zusammenbruch des Straßenverkehrs bewirken (s.o. I.1.b); eine Umleitung des Autobahnverkehrs auf die Brenner-Bundesstraße sei ausgeschlossen. Diesen Feststellungen kann nicht entgegengetreten werden; sie liegen nach den gegebenen geographischen Verhältnissen geradezu auf der Hand.

Die Behörde hat - ausgehend von diesem Sachverhalt - auch eine zutreffende Interessenabwägung iS der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (s. II.1.b) vorgenommen. Die im Art11 Abs2 MRK erwähnten Schutzgüter der Aufrechterhaltung der Ordnung und des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer erforderten unter den geschilderten Umständen die Untersagung der beabsichtigten Versammlung; die zu befürchtende unvermeidbare, weiträumige, lange währende, extreme Störung des Staßenverkehrs ließ derart gravierende Belästigungen und auch sicherheitsgefährdende Beeinträchtigungen zahlreicher unbeteiligter Personen erwarten, daß auch bei voller Berücksichtigung des - im öffentlichen Interesse gelegenen - Zieles der beabsichtigten Versammlung die gebotene Interessenabwägung zuungunsten der Versammlungsveranstalter ausfallen mußte.

Unerheblich ist, ob die Behörde vorher oder nachher gegen eine Autobahnblockade eingeschritten ist oder nicht. Abgesehen davon, daß dieser Vorgang mit der in Rede stehenden beabsichtigten Versammlung nur eingeschränkt vergleichbar ist, gibt ein allfälliges Fehlverhalten der Behörde in einem Fall keinen Anspruch auf ein rechtswidriges Vorgehen in einem anderen, ähnlich gelagerten Fall (vgl. zB VfSlg. 9169/1981).

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt wurde.

3. Im Hinblick darauf, daß die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften verfassungsrechtlich unbedenklich sind und daß der bekämpfte Bescheid dem Gesetz entspricht, ist die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ausgeschlossen (vgl. zB VfSlg. 9103/1981; VfGH 1.10.1988 B1068/88).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof konnte deshalb nicht Folge gegeben werden, weil das Versammlungswesen seine Regelung im gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz geltenden Art12 StGG findet, weshalb - da jede Rechtsverletzung auf diesem Gebiet unmittelbar die Verfassung trifft - für die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes kein Raum bleibt (zB VfSlg. 9783/1983).

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

Versammlungsrecht, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Abtretung, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B577.1989

Dokumentnummer

JFT_10109072_89B00577_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten