RS Vfgh 1990/10/8 B123/90, B426/90

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Veröffentlicht am 08.10.1990
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt B-VG Art144 Abs1 / Legitimation StGG Art5 BVG Umweltschutz Verordnung der Oö Landesregierung, LGBl Nr 78/1989. Nachtfahrverbot für LKW über 7.5 t für bestimmte Bundesstraßen und Landesstraßen Verordnung der Sbg Landesregierung, LGBl Nr 98/1989. Nachtfahrverbot für LKW über 7.5 t auf bestimmten Bundesstraßenstrecken Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, BGBl Nr 528/1989. Nachtfahrverbot für LKW über 7.5 t auf bestimmten Autobahnen StVO 1960 §43 Abs2 StVO 1960 §45 Abs2a

Leitsatz

Legitimation zur Anfechtung einer beschränkten straßenpolizeilichen Ausnahmebewilligung; keine denkunmögliche oder willkürliche Erteilung einer solchen Ausnahmebewilligung vom Nachtfahrverbot; keine Verfassungswidrigkeit der Nachtfahrverbotsverordnungen des Bundes und der Länder Oberösterreich und Salzburg in Hinblick auf das Eigentumsrecht und das Gleichheitsrecht; Nachtfahrverbot als im Allgemeininteresse liegende Eigentumsbeschränkung; sachliche Rechtfertigung eines Nachtfahrverbots für bestimmte LKW aufgrund der Notwendigkeit des Schutzes der Bevölkerung vor Lärmbelästigung; keine Verletzung des Vertrauensschutzes; sachliche Rechtfertigung geringfügiger Abweichungen in den Nachtfahrverbotsverordnungen; keine Gesetzwidrigkeit des Nachtfahrverbots; Vorrang des Interesses der Bevölkerung an der Fernhaltung von Lärmbelästigungen vor dem Interesse des Verkehrs an einer ungehinderten Benutzung der "Transitrouten" in der Nacht; kein Verstoß gegen die Einheitlichkeit des Wirtschaftsgebietes

Rechtssatz

Legitimation gegeben.

Beschränkungen und Belastungen, die einer straßenpolizeilichen Ausnahmebewilligung von der Behörde beigefügt wurden, können nur dadurch angefochten werden, daß die Ausnahmebewilligung selbst, mit der jene Beschränkungen eine untrennbare Einheit bilden, bekämpft wird.

Keine denkunmögliche Erteilung einer beschränkten Ausnahmebewilligung vom Nachtfahrverbot gemäß §45 Abs2a StVO 1960.

Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechtes liegt sohin nicht vor, zumal bloß wirtschaftliche Chancen, deren Entzug die Beschwerdeführer rügen, als solche vom verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz nicht umfaßt sind.

Die belangten Behörden haben die vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bescheide unter Anwendung des §45 Abs2a StVO erlassen, weil sie im Umfang der bewilligten Ausnahme vom Nachtfahrverbot ein erhebliches öffentliches Interesse daran annahmen. Daß in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Voraussetzungen, wonach der Bewilligungswerber glaubhaft machen muß, "daß die Fahrt weder durch organisatorische Maßnahmen noch durch die Wahl eines anderen Verkehrsmittels vermieden werden kann", diese Ausnahmebewilligungen nicht im vollen, von den beschwerdeführenden Gesellschaften begehrten Umfang erteilt wurden, läßt das Handeln der Behörde jedenfalls nicht als willkürlich erscheinen.

Daß die belangten Behörden die Ausnahmebewilligungen lediglich für Straßen ihres Bundeslandes erteilten, ist nicht nur nicht gleichheitswidrig, sondern eine notwendige Folge ihrer jeweils auf den Bereich eines Bundeslandes beschränkten örtlichen Zuständigkeit.

Keine Verfassungswidrigkeit der Nachtfahrverbotsverordnungen des Bundes und der Länder Oberösterreich und Salzburg im Hinblick auf das Eigentumsrecht.

Selbst wenn in einem Nachtfahrverbot eine Eigentumsbeschränkung für die Benutzer der Straße erblickt wird, liegt diese im Hinblick auf die in §43 Abs2 StVO genannten Voraussetzungen im überwiegenden öffentlichen Interesse (sofern gegenüber dem Lärmschutz als mit dem Nachtfahrverbot angestrebten Zweck die Bedeutung der Verkehrsbeziehungen und Verkehrserfordernisse, auf die gemäß dem letzten Satz des §43 Abs2 StVO Bedacht zu nehmen ist, zurücktritt; vgl. auch VfSlg. 8086/1977). Da im "Allgemeininteresse" liegende Eigentumsbeschränkungen jedenfalls verfassungsrechtlich zulässig sind (vgl. nur VfSlg. 9911/1983), ist gegen die in Rede stehenden Nachtfahrverbote jedenfalls aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts einzuwenden, wenn sie den durch §43 Abs2 StVO genannten Voraussetzungen genügen.

Keine Verfassungswidrigkeit der Nachtfahrverbotsverordnungen des Bundes und der Länder Oberösterreich und Salzburg im Hinblick auf das Gleichheitsrecht.

Daß durch straßenpolizeiliche Regelungen Standort- und damit Wettbewerbsvorteile für verschiedene Straßenbenutzer entstehen können, ist offenkundig. Derartige Vor- oder Nachteile sind jedoch vom Standpunkt des Gleichheitssatzes aus unbedenklich, sofern die Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote in ihrer jeweiligen örtlichen Dimension sachlich gerechtfertigt sind.

Der Verfassungsgerichtshof vermeint, daß der Schutz der Bevölkerung vor Lärmbelästigungen in der Nacht entlang den in den Nachtfahrverbotsverordnungen aufgezählten Straßen und Straßenstrecken ein im Sinne des Gleichheitssatzes hinlänglicher sachlicher Grund für die Erlassung der Nachtfahrverbotsverordnungen ist; dies auch im Hinblick auf das BVG Umweltschutz.

Der Verfassungsgerichtshof kann auch nicht finden, daß durch die Nachtfahrverbote ein gleichheitswidriger, weil sachlich nicht gerechtfertigter Eingriff dadurch erfolgt wäre, daß wirtschaftliche Investitionen frustriert wurden, die im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage von Unternehmern getätigt wurden.

Ein durch straßenpolizeiliche Regelungen bewirkter Eingriff in Rechtspositionen, (auf die vertrauend Straßenbenützer erhebliche wirtschaftliche Investitionen - etwa durch Anschaffung bestimmter Lastkraftwagen - tätigten) wäre nur dann eine Verletzung des Gleichheitssatzes, wenn dadurch eine weitere Nutzung oder wirtschaftliche Verwertung der betreffenden Investitionen überhaupt oder weitgehend unmöglich gemacht würde. Selbst ein derartiges Nutzungsverbot könnte jedoch sachlich gerechtfertigt werden, wenn seine faktischen Auswirkungen durch entsprechende Übergangsvorschriften gemildert würden oder wenn der Vertrauensschutz zurücktreten muß, um einer neu gewonnenen Einsicht in eine besondere, für die Allgemeinheit unmittelbar zu erwartende Gefahr, die den sofortigen Eingriff in die Rechtsposition rechtfertigt, Rechnung zu tragen.

Die Abweichungen in den Ausnahmevorschriften der Nachtfahrverbotsverordnungen der belangten Landesregierungen sind aus der eigenständigen Regelungsbefugnis der verordnungserlassenden Behörden im Verein mit den örtlichen Besonderheiten zu rechtfertigen.

Keine Gesetzwidrigkeit der Nachtfahrverbotsverordnungen des Bundes und der Länder Oberösterreich und Salzburg im Hinblick auf §43 Abs2 StVO.

Wie den vom Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr sowie von der Oberösterreichischen und der Salzburger Landesregierung vorgelegten Verordnungsakten zu entnehmen ist, wurde vor Erlassung der Nachtfahrverbotsverordnungen ein umfangreiches Anhörungs- und Ermittlungsverfahren durchgeführt.

Der "Besonderheit des starken Durchzugsverkehrs, vor allem durch Lastkraftfahrzeuge kann auf bestimmten Straßen durch Nachtfahrverbote Rechnung getragen werden" (siehe VfSlg. 11493/1987). Mit der Zeitdauer der Nachtfahrverbote (von 22.00 bis 5.00 Uhr) wird auf bereits bestehende Nachtfahrverbote in Österreich sowie im Ausland Rücksicht genommen. Keinen Bedenken kann es begegnen, wenn im Hinblick auf die extreme Lärmbelastung der entlang der (vom Nachtfahrverbot betroffenen) Straßen lebenden Bevölkerung dieses Verbot mit sofortiger Rechtswirkung, - sohin ohne Übergangsvorschriften - , ausgesprochen wurde.

Insgesamt meint sohin der Verfassungsgerichtshof, daß der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr sowie die Salzburger und die Oberösterreichische Landesregierung den diesen Behörden zustehenden Beurteilungsspielraum im Zuge der notwendigen Interessenabwägung (vgl. VfSlg. 8086/1977, S. 436 f.) nicht überschritten haben, wenn sie dem Interesse der Bevölkerung an der Fernhaltung von Belästigungen durch Lärm den Vorrang vor den Interessen des Verkehrs an einer ungehinderten Benutzung der sogenannten "Transitrouten" in der Nacht eingeräumt haben.

Ein auf §43 Abs2 StVO gestütztes Nachtfahrverbot verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Einheitlichkeit des Wirtschaftsgebietes gemäß Art4 B-VG (siehe VfSlg. 11493/1987).

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Straßenpolizei, Nachtfahrverbot, Eigentumsrecht Schutzumfang, Eigentumseingriff, Eigentumsbeschränkung, Umweltschutz, öffentliches Interesse, Interessenabwägung, Vertrauensschutz, Bescheid Trennbarkeit, Verordnungserlassung (Zuständigkeit), Behördenzuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B123.1990

Dokumentnummer

JFR_10098992_90B00123_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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