TE Vfgh Erkenntnis 2004/9/28 B430/04

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Veröffentlicht am 28.09.2004
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
DSt 1990 §26, §33

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter in einem Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt; keine unrichtige Zusammensetzung des Disziplinarsenates; keine Ausübung des Ablehnungsrechtes hinsichtlich einzelner Mitglieder durch den Beschwerdeführer selbst

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Innsbruck. Mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 21. November 2002 wurde er schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, dass er am 7. August 2001 beim Landesgericht Innsbruck eine Klage gegen eine GmbH einbrachte, obwohl er diese GmbH gleichzeitig in einem anderen Verfahren vor dem Landesgericht Innsbruck als Mandantin vertreten hatte und das Vertretungsverhältnis erst am 8. November 2001 beendete. Er wurde deswegen zu einer Geldstrafe von € 1.500,-

verurteilt und zum Ersatz der Verfahrenskosten verpflichtet.

Aufgrund seiner gegen dieses Disziplinarerkenntnis erhobenen Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK) wurde der Strafausspruch mit Erkenntnis vom 24. November 2003 in einen schriftlichen Verweis abgeändert.

2. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt.

3. Die OBDK hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 8731/1980, 10022/1984, 11350/1987).

1.2. Eine Kollegialbehörde ist auch dann unrichtig zusammengesetzt, wenn der zur Ablehnung von Mitgliedern der Behörde berechtigten Partei die Ausübung dieses Rechtes dadurch unmöglich gemacht wird, dass ihr die zur Entscheidung berufenen Mitglieder der Kollegialbehörde nicht bekannt gegeben werden; gesetzlicher Richter ist in Fällen dieser Art nämlich die Behörde, deren Besetzung der Partei bekannt gegeben und gegen welche ein Ablehnungsantrag nicht erhoben oder zu Unrecht erhoben worden ist (VfSlg. 3406/1958, 7037/1973, 12957/1991). Diese Überlegung trifft auch dann zu, wenn der zur Ablehnung berechtigten Partei nicht alle an der Entscheidung beteiligten Kommissionsmitglieder bekannt gegeben worden sind (VfSlg. 7360/1974, 8904/1980).

1.3. Da der administrative Instanzenzug als Einheit aufzufassen ist, wird das Recht auf den gesetzlichen Richter auch dann verletzt, wenn in unterer Instanz eine unrichtig zusammengesetzte Kollegialbehörde eingeschritten ist und dies von der belangten Behörde nicht wahrgenommen wurde (vgl. zB VfSlg. 5700/1968, 7605/1975, 9599/1983, 11677/1988, 12957/1991).

2. Gemäß §15 Abs1 DSt 1990 hat der Disziplinarrat in Senaten zu verhandeln und zu entscheiden, die aus einem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern bestehen. Nach §33 leg. cit. sind dem Disziplinarbeschuldigten mit der Ladung die Namen der nach der Geschäftsverteilung berufenen Mitglieder des Senats mitzuteilen. Der Disziplinarbeschuldigte hat das Recht, binnen einer Woche nach Zustellung der Ladung ohne Angabe von Gründen zwei Mitglieder durch Ablehnung von der Teilnahme an der Verhandlung auszuschließen. Geltend zu machen ist dieses Recht bei der ersten Ladung oder bei geänderter Senatszusammensetzung hinsichtlich neuer Senatsmitglieder (§33 Abs2 letzter Satz DSt 1990).

3.1. Dem Beschwerdeführer wurden in der Ladung zur mündlichen Disziplinarverhandlung am 21. November 2002 vom Disziplinarrat der Tiroler Rechtsanwaltskammer folgende in Betracht kommende Mitglieder und Ersatzmitglieder für die Verhandlung bekannt gegeben:

Als Vorsitzender:       Dr. G. H.

Als Senatsmitglieder:   Dr. A. F.

                        Dr. C. W.

                        Dr. C. M.

                        Dr. H. S.

Als Ersatzmitglieder:   Dr. P. B.

                        Dr. C. G.

                        Dr. F. H.

Mit Schriftsatz vom 4. November 2002 lehnte der Disziplinarbeschuldigte die Senatsmitglieder Dr. A. F. und Dr. H. S gemäß §33 DSt 1990 ab.

Das Ersatzmitglied Dr. F. H. teilte dem Präsidenten des Disziplinarrats mit, dass es an der Verhandlung wegen Unabkömmlichkeit nicht teilnehmen könne.

Am 7. November 2002 erging per Fax die Mitteilung an den Disziplinarbeschuldigten, dass anstelle der gemäß §33 DSt 1990 abgelehnten Senatsmitglieder Dr. A. F. und Dr. H. S. die Ersatzmitglieder Dr. P. B und Dr. C. G. - nun als Senatsmitglieder - an der Verhandlung teilnehmen werden. Darüber hinaus wurde ihm mitgeteilt, daß das Ersatzmitglied Dr. F. H. verhindert ist. Als neue Ersatzmitglieder wurden Dr. R. E. P., Dr. E. M. P. und Dr. R. S. namhaft gemacht.

Am 8. November 2002 teilte das Senatsmitglied Dr. C. G. dem Disziplinarrat mit, dass es an der Verhandlung nicht teilnehmen könne. Dem Disziplinarbeschuldigten wurde dies nicht bekannt gegeben.

An der Verhandlung nahmen folgende Mitglieder des Disziplinarrats teil:

als Vorsitzende:        Dr. G. H.

als Senatsmitglieder:   Dr. E. M. P.

Dr. C. M.

Dr. P. B.

Dr. R. E. P.

3.2. Die Verhandlungsniederschrift enthält folgende Wiedergabe der Erörterungen zur Frage der Zusammensetzung des Senates:

"Festgestellt wird, dass der Disziplinarbeschuldigte hinsichtlich [Dr. H. S.] und [Dr. A. F.] von seinem Ablehnungsrecht Gebrauch gemacht hat. Diese Mitglieder sind nicht Mitglieder des Senates.

Weiters gibt der Vorsitzende bekannt, dass ihm unmittelbar vor der Verhandlung das Senatsmitglied Dr. C. W. mitgeteilt hat, dass er inzwischen vom Gericht in einem Prozess zum Prozesskurator zu Gunsten der Firma P. bestellt wurde, sodass er in dieser Sache ausgeschlossen ist. Anstelle von Dr. C. W. ist Dr. E. M. P. Mitglied des Senats."

Davon, dass auch Dr. C. G. verhindert war, wurde dem Disziplinarbeschuldigten auch in der mündlichen Verhandlung nichts mitgeteilt.

3.3. Die hier maßgebliche Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wegen unrichtiger Zusammensetzung einer Kollegialbehörde stellt darauf ab, ob es der Partei unmöglich gemacht wurde, ihr Ablehnungsrecht auszuüben (vgl. VfSlg. 15846/2000).

Dieser Fall ist hier nicht eingetreten. Dem Beschwerdeführer wurde die voraussichtliche Zusammensetzung des Disziplinarsenats - einschließlich der für den Fall einer Verhinderung von Senatsmitgliedern vorgesehenen Ersatzmitglieder - mit Telefax vom 7. November 2002 mitgeteilt. An der Verhandlung und an der Entscheidung des Disziplinarrats hat kein Mitglied teilgenommen, welches der Disziplinarbeschuldigte nicht gemäß §33 DSt 1990 oder gemäß §26 DSt 1990 hätte ablehnen können. Der Umstand, dass dem Beschwerdeführer die Verhinderung des Dr. C. G. nicht eigens zur Kenntnis gebracht wurde, ist unbeachtlich, weil der Beschwerdeführer sein Ablehnungsrecht hinsichtlich des Ersatzmitgliedes ausüben konnte, zumal ihm die Namen der Ersatzmitglieder mitgeteilt worden sind. Er hat gegen die Mitwirkung des (ihm bekannt gegebenen) Ersatzmitglieds weder einen Ablehnungsantrag eingebracht, noch ein entsprechendes Vorbringen in der Berufung erstattet. Die Ausübung seines Ablehnungsrechts wurde daher nicht von der Behörde verhindert, sondern von ihm selbst unterlassen (vgl. - zur unterlassenen Ablehnung von [Ersatz-]Mitgliedern der OBDK VfSlg. 13298/1992).

4. Die behauptete Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter hat somit nicht stattgefunden.

5. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in Rechten verletzt wurde.

6. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

7. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Kollegialbehörde, Behördenzusammensetzung, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B430.2004

Dokumentnummer

JFT_09959072_04B00430_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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