RS Vfgh 1993/9/29 B1033/90

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Veröffentlicht am 29.09.1993
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Index

1L1 Gemeinderecht
L1030 Gemeindestruktur

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
Nö KStrVG 1971 §3 Abs8 Z5
VfGG §82 Abs1
ABGB §1025

Leitsatz

Beschwerdelegitimation ehemaliger Mitglieder des Gemeinderates,jedoch nicht des Vertreters eines bereits verstorbenen ehemaligenGemeinderatsmitgliedes einer von einer Gemeindezusammenlegungbetroffenen Gemeinde gegen die Zusammenlegung; rechtzeitigeBeschwerdeerhebung gegen den den Beschwerdeführern inhaltlichbekannten Bescheid; kein Beginn des Fristenlaufes aufgrund nichterfolgter Zustellung des angefochtenen Bescheides; keineVerletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch dieZusammenlegung; keine Unsachlichkeit der Prognoseentscheidung desJahres 1971 über die Verbesserung der Gemeindestruktur durch diefragliche Zusammenlegung im Hinblick auf die negativeBevölkerungsprognose und die Infrastruktur sowie sonstigestrukturelle Gegebenheiten trotz ablehnender Haltung derBevölkerung

Rechtssatz

Beschwerdelegitimation ehemaliger Mitglieder des Gemeinderates einer von einer Gemeindezusammenlegung betroffenen Gemeinde.

In der mit dem angefochtenen Bescheid explizit erfolgten Bestellung provisorischer Gemeindeorgane (anstelle der bisherigen Gemeindeorgane) liegt die implizite Feststellung, daß ua. die Beschwerdeführer ihre Funktion als Mitglieder des Gemeinderates der aufgelösten Marktgemeinde Messern verloren haben. Diese Feststellung hat, obgleich der Funktionsverlust bereits ex lege eingetreten ist, normative Wirkung.

Keine Beschwerdelegitimation des Vertreters eines bereits verstorbenen ehemaligen Mitglieds des Gemeinderates einer von einer Gemeindezusammenlegung betroffenen Gemeinde.

Die Bestimmung des §1025 ABGB, wonach im Falle des Todes des Gewaltgebers für den Gewalthaber in gewissen Fällen die Pflicht besteht, ein angefangenes Geschäft fortzusetzen, kommt hier schon deshalb nicht zum Tragen, weil es sich beim Recht auf Ausübung des Gemeinderatsmandates um ein höchstpersönliches Recht handelt, in das niemand eintreten kann.

Der angefochtene Bescheid wurde den Beschwerdeführern zwar - zumindest inhaltlich - bekannt. Es findet sich in den Verwaltungsakten aber kein Nachweis dafür, daß er ihnen rechtmäßig zugestellt oder mündlich verkündet worden wäre.

Aus diesem Grund wurde die sechswöchige Beschwerdefrist des §82 Abs1 VfGG nicht in Gang gesetzt. Die Beschwerde wurde somit rechtzeitig eingebracht, ohne daß untersucht zu werden braucht, wann den Beschwerdeführern der angefochtene Bescheid zur Kenntnis gelangt ist.

Für die Beurteilung des angefochtenen Bescheides betreffend die Zusammenlegung zweier Gemeinden ist im gegebenen Zusammenhang nur wesentlich, ob die ihn tragende Bestimmung des Nö KStrVG 1971 verfassungsmäßig war, nicht aber auch, ob das zitierte Gesetz über die Gliederung des Landes Niederösterreich in Gemeinden verfassungsmäßig ist.

Bei Untersuchung der Frage, ob das Nö KStrVG 1971 verfassungsmäßig war, ist ausschließlich der Zeitpunkt seiner Erlassung maßgebend.

Der Gesetzgeber mußte damals die künftige Entwicklung, so insbesondere die Folgen der Gemeindevereinigung abschätzen. Bei Beurteilung durch den Verfassungsgerichtshof, ob diese Prognoseentscheidung vor dem Gleichheitsgebot bestehen kann, ist also vom Jahr 1971 auszugehen, sohin nur auf jene Auswirkungen der Gemeindevereinigung abzustellen, die seinerzeit vom Gesetzgeber bei Abwägung aller maßgebenden Umstände erwartet werden durften. Die tatsächliche Entwicklung kann allenfalls eines der Kriterien bei Lösung der Frage sein, ob die damals getroffene Prognose vertretbar war oder nicht.

Die Zusammenlegung einer Kleingemeinde mit weniger als 1000 Einwohnern mit einer anderen Gemeinde ist in der Regel sachlich.

Die Prognose, daß durch die Schaffung größerer Gemeinden im allgemeinen die Gemeindestruktur in Zukunft verbessert wird, ist jedenfalls im Jahre 1971 begründet gewesen.

Abweisung der Beschwerde gegen die Vereinigung der Gemeinden Messern (570 Einwohner) und Irnfritz (1110 Einwohner) gemäß §3 Abs8 Z5 Nö KStrVG 1971.

Von Verfassungs wegen war gegen die Vereinigung grundsätzlich nichts einzuwenden, selbst wenn die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gemeinde dies nicht geradezu erzwungen haben mag.

Die Bevölkerungsprognose 1971 war für das Gebiet beider Gemeinden negativ.

Es hat sich aber auch nicht ergeben, daß Umstände, mit denen der Gesetzgeber des Jahres 1971 rechnen mußte, dagegen sprachen, die Marktgemeinde Messern mit der Gemeinde Irnfritz zusammenzulegen. Gleichartige Infrastruktur, keine besonderen geographischen Verhältnisse.

Auch bei einem Absehen von der Vereinigung der beiden Gemeinden wäre die Errichtung jeweils einer eigenen Kanalisationsanlage für jedes Gemeindegebiet unumgänglich gewesen.

Zulässigkeit struktureller Unterschiede.

Der Gesetzgeber konnte von der Erfahrung ausgehen, daß auf Grund der technischen Entwicklung (insbesondere wegen der vermehrten Verwendung von Auto und Telephon auch im ländlichen Raum) die Kommunikation in den letzten Jahren wesentlich verbessert wurde und daher Entfernungen eine bedeutend geringere Rolle als bis dahin spielten.

Keine erheblichen Unterschiede.

Die Vereinigung mit der Gemeinde Irnfritz lag deshalb näher als eine Vereinigung mit der - vom Ortszentrum der ehemaligen Marktgemeinde Messern etwa gleich weit entfernten - Gemeinde Brunn an der Wild, weil sich in Irnfritz zwei auch für die ehemalige Marktgemeinde Messern in Betracht kommende Einrichtungen, nämlich die Hauptschule und der Gendarmerieposten, befanden.

Die von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte historische Bedeutung der Marktgemeinde Messern, insbesondere als Marktort, konnte für den Gesetzgeber, der von den Verhältnissen im Jahre 1971 auszugehen hatte, kein Hindernis gegen die Vereinigung mit der Nachbargemeinde bilden.

Bei der Lösung der hier allein maßgeblichen Frage, ob diese Prognose im Jahre 1971 vertretbar war, kommt unter den geschilderten Gegebenheiten der Tatsache, daß die Bevölkerung der Marktgemeinde Messern zum Zeitpunkt der Vereinigung mit der Gemeinde Irnfritz nahezu einmütig gegen diese Maßnahme eingestellt war, keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Es kann nicht von einem anhaltenden Widerstand der Bevölkerung gegen die Vereinigung der Gemeinden gesprochen werden, die als ein Indiz für die Unsachlichkeit dieser Maßnahme zu werten wäre.

Der Beschwerdevorwurf, die von den Organen der neuen Marktgemeinde Irnfritz verfolgte Politik habe sich zum Nachteil der Bewohner des Gebietes der ehemaligen Marktgemeinde Messern ausgewirkt, ist im gegebenen Zusammenhang rechtlich unerheblich. Dies gilt auch für das Vorbringen der Beschwerdeführer, daß die Marktgemeinde Messern im Jahre 1971 schuldenfrei gewesen sei.

Keine Unsachlichkeit der Vereinigung aufgrund des Weiterbestehens anderer Kleingemeinden.

Wenn die Vorteile, die der Gesetzgeber im Jahre 1971 aus der Vereinigung dieser Gemeinden erwarten durfte, nicht oder nicht im erwarteten Ausmaß eingetreten sein sollten, so könnte dies für den Landesgesetzgeber oder den Verordnungsgeber (§9 der Nö GdO 1973) allenfalls Anlaß bieten, die Kommunalstruktur neuerlich zu ändern, würde aber nicht bewirken, daß die Prognoseentscheidung des Jahres 1971 als unsachlich zu bezeichnen wäre.

(siehe hiezu auch VfSlg. 11372/1987, VfSlg. 11858/1988).

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Gemeinderat, Rechte höchstpersönliche,Zivilrecht, Rechts- und Handlungsfähigkeit, VfGH / Fristen,VfGH / Bescheid, VfGH / Prüfungsmaßstab, Bescheiderlassung,Gemeinderecht Zusammenlegung, Rechtsnachfolger,Kommunalstrukturverbesserung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B1033.1990

Zuletzt aktualisiert am

13.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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