TE Vfgh Erkenntnis 2004/11/30 B491/04

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Veröffentlicht am 30.11.2004
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
BundesbahnG 1992 §1
KStG 1988 §9

Leitsatz

Gleichheitswidrige Gesetzesauslegung bei Vorschreibung von Körperschaftsteuer aufgrund Zurechnung von Einkommen an die beschwerdeführende Gesellschaft und nicht an die Österreichischen Bundesbahnen; keine sachliche Rechtfertigung für die Versagung der Eigenschaft als Organträger iSd Körperschaftsteuergesetzes hinsichtlich der ÖBB

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Anteile an der mit Gesellschaftsvertrag vom 14. Dezember 1995 gegründeten beschwerdeführenden Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die eine Werbeagentur betreibt, werden zu 100 vH von den Österreichischen Bundesbahnen (in der Folge: ÖBB) gehalten. Am 29. Dezember 1995 wurde zwischen der beschwerdeführenden Gesellschaft und den ÖBB ein Gewinn- und Verlustausschließungsvertrag (Ergebnisabführungsvertrag) geschlossen.

2. Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid des UFS, Außenstelle Wien, wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft Körperschaftsteuer für das Jahr 2002 vorgeschrieben. Nach Ansicht der belangten Behörde kämen die ÖBB nicht als Organträger iSd §9 Abs3 Körperschaftsteuergesetz, in Betracht, da sie keine Kapitalgesellschaft, d.h. eine Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung, seien. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt werden.

3. Zur Rechtslage:

3.1. Gemäß §9 Abs1 Körperschaftsteuergesetz, BGBl. 401/1988, idF BGBl. 818/1993 (in der Folge: KStG 1988), ist der steuerlich ermittelte Gewinn (Verlust) einer Organgesellschaft dem Organträger zuzurechnen, wenn zwischen diesen ein Ergebnisabführungsvertrag besteht.

§9 Abs2 und 3 KStG 1988 (letzterer in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. 532/1993) definieren die Begriffe "Organgesellschaft" und "Organträger" folgendermaßen:

"(2) Organgesellschaften sind unbeschränkt steuerpflichtige

-

Kapitalgesellschaften oder

-

Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften,

die dem Organträger nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch derart untergeordnet sind, daß sie keinen eigenen Willen haben. Die Anteile der Organgesellschaft, die die finanzielle Eingliederung bewirken, müssen unmittelbar im Eigentum des Organträgers stehen. Die Merkmale der Unterordnung müssen ab dem Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft gegeben sein.

(3) Organträger sind unbeschränkt steuerpflichtige

-

Kapitalgesellschaften,

-

Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften,

-

Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit im Sinne des Versicherungsaufsichtsgesetzes oder

-

Kreditinstitute im Sinne des Bankwesengesetzes, wenn sie Körperschaften sind,

die die Merkmale der Überordnung im Sinne des Abs2 erfüllen. Organgesellschaften können Organträger sein."

3.2. Mit §1 Abs1 des Bundesgesetzes zur Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Österreichischen Bundesbahnen, BGBl. 825/1992 (in der Folge: BundesbahnG 1992), wurde der bisherige Wirtschaftskörper ÖBB als Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit eingerichtet und die subsidiäre Anwendbarkeit der Bestimmungen des Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung, RGBl. Nr. 58/1906, in der jeweils geltenden Fassung normiert.

Des Weiteren sieht §6 BundesbahnG 1992 vor, dass der Vorstand die ÖBB aus eigener Verantwortung unter Berücksichtigung des Eigentümers, der Arbeitnehmer sowie des öffentlichen Interesses zu leiten hat.

Nach §12 Abs1 BundesbahnG 1992 obliegt es dem Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, den ÖBB im Interesse der Durchsetzung verkehrspolitischer Grundsätze allgemeine Weisungen zu erteilen. In Fällen höherer Gewalt ist der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr ermächtigt, den ÖBB Weisungen zu erteilen (Abs2 leg.cit.).

4. Nach Auffassung der beschwerdeführenden Gesellschaft hat die belangte Behörde dem Gesetz dadurch einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt, dass sie den ÖBB die Eigenschaft eines Organträgers abgesprochen hat. §9 KStG 1988 schränke den Kreis der Kapitalgesellschaften nicht auf die AG und GmbH ein. Die Frage, ob die ÖBB als Kapitalgesellschaft iSd §9 Abs3 KStG 1988 zu qualifizieren seien, sei vielmehr grundrechtlicher Natur. Es gehe um die Frage, ob die Nichtanerkennung der Organschaft mit den ÖBB als Organträger mit dem Gleichheitssatz vereinbar sei. Das wäre nur dann der Fall, wenn die ÖBB gegenüber den als Kapitalgesellschaften anzuerkennenden Rechtsformen der AG und GmbH relevante Unterschiede aufweisen würden. Dies sei jedoch nicht der Fall (die Beschwerde begründet dies ausführlich an Hand einer Analyse der Regelungen des BundesbahnG 1992).

Die Beschwerde kommt zu dem Ergebnis, dass die ÖBB strukturell eine Mittelstellung zwischen AG und GmbH einnehmen. Weiters würden für die ÖBB die gleichen Regeln für die Rechnungslegung wie für die AG und GmbH gelten. Auch die gesellschaftsrechtlichen Organisationsvorgaben des BundesbahnG 1992 seien denen für Kapitalgesellschaften sehr ähnlich, wobei materielle Satzungsregelungen im Falle der ÖBB in Gesetzesform erfolgten, was sich aus der Einrichtung der ÖBB unmittelbar durch das Gesetz ergebe, nicht aber eine abweichende Behandlung der ÖBB in der Frage der Organträgerschaft rechtfertige. Es sei auch bei früheren Ausgliederungen von Bundeseinrichtungen in Aktiengesellschaften eine ähnliche gesetzliche Regelungstechnik angewandt worden - etwa bei der Post oder Telekom Austria -, ohne dass dies Zweifel an der Rechtsform der ausgegliederten Unternehmen als AG erweckt habe.

Ebenso wenig könnten die in §12 Abs1 und 2 BundesbahnG 1992 verankerten Ausnahmen zum - gemeinschaftsrechtlich gebotenen - Prinzip der Weisungsfreiheit des ÖBB-Vorstandes (§6 Abs1 BundesbahnG 1992) eine Versagung der Gleichbehandlung der ÖBB mit einer Kapitalgesellschaft rechtfertigen. Einerseits sehe §70 Abs1 AktG das Prinzip der Weisungsfreiheit ebenfalls für die AG vor, andererseits sei in §20 Abs1 GmbHG ein umfassendes Weisungsrecht der Gesellschafter normiert. Das im Einzelfall dem Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie zukommende Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand der ÖBB sei daher eine Mittellösung zwischen der für die AG bzw. die GmbH getroffenen Regelung. Daher gehe das Argument der belangten Behörde, die ÖBB würden das Organschaftsmerkmal der Überordnung auf Grund der in §12 Abs1 und 2 BundesbahnG 1992 normierten Weisungsgebundenheit nicht erfüllen, ins Leere, da der Vorstand der ÖBB in geringerem Maße Weisungen unterworfen sei als der Vorstand einer GmbH, die gem. §20 GmbHG in allen Belangen Weisungen der Gesellschafter unterlägen. Abgesehen davon wäre nach §9 KStG 1988 eine Organschaft sogar dann nicht ausgeschlossen, wenn der Organträger selbst in einem Unterordnungsverhältnis stehe.

Auch die Bestimmungen des BundesbahnG 1992, die in Umsetzung der RL 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft, Abl. 1991 L 237, S 25, erfolgten, dienten der Anpassung der Struktur von Eisenbahnunternehmen an Handelsgesellschaften und könnten eine Nichtanerkennung der ÖBB als Organträger nicht rechtfertigen.

Auch der Verfassungsgerichtshof habe es in seinem Erkenntnis VfSlg. 16.223/2001 betreffend die Körperschaftsteuer-Befreiung der ÖBB abgelehnt, in den Unterschieden der ÖBB von der Rechtsform der AG oder GmbH eine sachliche Rechtfertigung für die Steuerbefreiung zu erblicken.

Sollte die Ansicht der belangten Behörde dennoch im Gesetz Deckung finden, so wäre die Festlegung des Kreises der möglichen Organträger in §9 Abs3 KStG 1988 selbst gleichheitswidrig.

5. Der UFS, Außenstelle Wien, legte innerhalb der gesetzten Frist die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt.

5.1. Die belangte Behörde bringt vor, dass §9 Abs3 KStG 1988 an das Zivilrecht anknüpfe und daher nur unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften - d.h. die AG und die GmbH - Organträger seien.

Zum Argument der strukturellen Ähnlichkeit der ÖBB mit einer AG oder GmbH führt die belangte Behörde aus, dass die ÖBB selbst in dem zum hg. Erk. VfSlg. 16.223/2001 geführten Verfahren zur Frage ihrer Rechtsform behauptet hätten, dass sie sich durch die besonderen Eingriffs- und Aufsichtbefugnisse der zuständigen Bundesministerin wesentlich von typischen Körperschaftsteuersubjekten in der Rechtsform einer GmbH oder AG unterschieden. Im zitierten Erkenntnis, das die Verfassungswidrigkeit der Befreiung von der Körperschaftsteuer der ÖBB gem. §5 Z1 KStG 1988 behandelt habe, sei vom Verfassungsgerichtshof jedoch nicht auf die Frage der Rechtsform einzugehen gewesen, weil die gleichartige Leistungserbringung gegenüber anderen Transportunternehmen letztlich zur Aufhebung der Steuerbefreiung der ÖBB wegen Gleichheitswidrigkeit geführt habe.

Auch die Bundesregierung habe bereits im Verfahren zu VfSlg. 15.673/1999 - in dem der Verfassungsgerichtshof aussprach, dass die Befreiung der ÖBB von der Mindestkörperschaftsteuer gem. §24 Abs4 KStG 1988 trotz subsidiärer Anwendbarkeit des GmbHG nicht gleichheitswidrig sei - die Auffassung vertreten, dass die ÖBB keine Kapitalgesellschaft, sondern eine "Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit" sei, die sich auf einen Gesetzesbeschluss gründe und deren Organisationsform sich von jener anderer juristischer Personen privaten Rechts unterscheide.

Sowohl die ÖBB selbst als auch die Bundesregierung seien daher bisher der Meinung gewesen, dass die Weisungs- und Aufsichtsrechte des zuständigen Bundesministers ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu einer AG oder GmbH darstellten. Nach Auffassung der belangten Behörde schließen diese Rechte eine Organträgerschaft der ÖBB aus, da das für die Organschaft wesentliche Element der organisatorischen Eingliederung nur vorliege, wenn "die tatsächliche Geschäftsführung der untergeordneten Gesellschaft dem Willen der übergeordneten entspricht ...".

5.2. Darauf replizierte die beschwerdeführende Gesellschaft.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 10.413/1985, 11.072/1986) liegt eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz dann vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides Willkür geübt hat.

1.2. §9 KStG 1988 knüpft die Rechtsfolgen einer Organschaft (Zurechnung des Einkommens des Organs zum Organträger mit der Möglichkeit eines Verlustausgleiches) an verschiedene persönliche und sachliche Voraussetzungen. Als Organträger kommen danach - unter der Voraussetzung der unbeschränkten Steuerpflicht - (lediglich) in Betracht: Kapitalgesellschaften, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und Kreditinstitute im Sinne des Bankwesengesetzes, wenn sie Körperschaften sind. Letzteres hat offenbar zur Konsequenz, dass im Bankenbereich im Ergebnis eine Einschränkung auf bestimmte Arten von juristischen Personen als Organträger nicht vorgesehen ist (vgl. auch Bauer/Quantschnigg/Schellmann/Werilly, Die Körperschaftsteuer, Band I, Wien, §9 Rz 7 und 7.1).

In den Materialien zur KStG-Novelle 1972, mit der die sog. Vollorganschaft im Körperschaftsteuergesetz - allerdings im Hinblick auf die Organträgereigenschaft unter Beschränkung auf Kapitalgesellschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit - gesetzlich verankert wurde, finden sich folgende Erläuterungen:

"Vollorganschaften sollen so wie bisher nur zwischen unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung) anerkannt werden. Bei Kapitalgesellschaften erscheint die Organschaftsregelung wirtschaftlich geboten, um eine volle mehrfache steuerliche Erfassung der Gewinne zweier oder mehrerer Kapitalgesellschaften, die wirtschaftlich als eine Einheit anzusehen sind, zu vermeiden" (475 BlgNR, 13. GP, 4).

Mit dem 2. AbgÄG 1977, BGBl. 645, wurde der Kreis der möglichen Organträger vor allem um bestimmte (Gruppen von) Kreditunternehmungen erweitert (Kreditgenossenschaften, Sparkassen, Landes-Hypothekenbanken, Österr. Postsparkasse). Die Materialien begründen dies mit der gesetzlichen Neuordnung auf dem Gebiet des Kreditwesens, die der Entwicklung der einzelnen Kreditunternehmungen zu Universalbankunternehmungen Rechnung trage. "Die vom Abbau der Abgabenbegünstigungen bei der Körperschaft-, Gewerbe- und Vermögensteuer betroffenen Unternehmungen sollen auf der anderen Seite in den Anwendungsbereich der Rechtsinstitute der Vollorganschaft ... und des Schachtelprivilegs ... einbezogen werden" (626 BlgNR, 14. GP, 12).

In das KStG 1988, BGBl. 401, wurde die Organschaftsregelung im Wesentlichen unverändert übernommen.

1.3. Im hg. Erkenntnis VfSlg. 16.223/2001 hat der Gerichtshof unter Verweis auf das die Befreiungsbestimmung des §8 Z1 KommStG betreffende Erkenntnis VfSlg. 14.805/1997 die Befreiung der ÖBB von der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht für gleichheitswidrig erachtet und §5 Z1 KStG 1988 als verfassungswidrig aufgehoben. Er hat dabei darauf hingewiesen, dass eine solche Befreiung allenfalls für die Infrastrukturleistungen der ÖBB gerechtfertigt sein möge, keinesfalls aber für ihre übrigen Unternehmensbereiche, da die ÖBB im Unternehmensbereich "Absatz" in gleicher Weise wie andere Unternehmungen im öffentlichen Interesse liegende Verkehrsleistungen erbrächten. Der Gerichtshof hat damals vor allem in der Behauptung der ÖBB, ihre Befreiung von der KSt-Pflicht bewirke keine spürbare Wettbewerbsverzerrung gegenüber anderen Unternehmen, kein taugliches Argument gegen die Gleichheitswidrigkeit gesehen.

Vor diesem Hintergrund müsste es aber auch als gleichheitswidrig angesehen werden, wenn dem §9 KStG 1988 in der Tat der Inhalt beigemessen werden müsste, dass die ÖBB als Organträger grundsätzlich nicht in Betracht kommen. Wenn es auf der einen Seite sachlich nicht gerechtfertigt ist, die ÖBB im Hinblick auf die Wettbewerbssituation im Bereich des Transportgewerbes von der unbeschränkten KSt-Pflicht zu befreien, dann kann es - wenn dafür nicht besondere Gründe sprechen - auf der anderen Seite auch nicht sachlich gerechtfertigt sein, sie von einer Regelung auszuschließen, die der Gesetzgeber für "wirtschaftlich geboten [gehalten hat], um eine volle mehrfache steuerliche Erfassung der Gewinne zweier oder mehrerer Kapitalgesellschaften, die wirtschaftlich als eine Einheit anzusehen sind, zu vermeiden" (s. die oben zitierten Materialien zur KStG-Novelle 1972). Dem entspricht es, dass praktisch alle körperschaftsteuerpflichtigen Gebilde, für die die Eigenschaft als Organträger Bedeutung haben kann, vom Gesetzgeber in den Anwendungsbereich des §9 KStG 1988 einbezogen worden sind.

Beachtlich ist auch, dass - wie erwähnt - der Steuergesetzgeber im Kreditsektor die Entwicklung der Kreditinstitute (außerhalb der Rechtsform der Kapitalgesellschaft) zu Universalbanken zum Anlass genommen hat, um begünstigende Sonderregelungen zu beseitigen, diese Kreditinstitute aber dann - konsequenterweise - in den Anwendungsbereich der bisher den Kapitalgesellschaften vorbehaltenen Institute der Organschaft und des Schachtelprivilegs einbezogen hat. Nicht anders ist aber die Entwicklung im Bereich der ÖBB verlaufen. Ein sachlicher Grund, den ÖBB die Eigenschaft als Organträger zu versagen, ist im Hinblick auf ihre nach Aufhebung des §5 Z1 KStG 1988 gegebene körperschaftsteuerrechtliche Stellung einerseits, Sinn und Zweck des Instituts der Vollorganschaft andererseits nicht zu sehen. Bei einer solchen Situation bedürfte es besonderer sachlicher Gründe, um die ÖBB als Organträger auszuschließen. Solche sind jedoch nicht erkennbar. Der Umstand, dass dem Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr unter bestimmten Voraussetzungen ein Weisungsrecht zusteht, kann dabei schon deswegen keine Rolle spielen, weil dieses Weisungsrecht aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen nicht so weit gehen darf, dass die Unabhängigkeit der Gesellschaft beeinträchtigt wird, und im Übrigen Weisungsrechte der Gesellschafter dem Recht der Kapitalgesellschaft keineswegs fremd sind.

1.4. Der Gesetzestext zwingt zu diesem verfassungsrechtlich bedenklichen Auslegungsergebnis nicht: Das Gesetz spricht schlechthin von Kapitalgesellschaften, ohne bestimmte Rechtsformen zu nennen. In der gesellschaftsrechtlichen Literatur werden Kapitalgesellschaften als von ihren Mitgliedern losgelöste Körperschaften beschrieben, die ein Eigenleben als juristische Person besitzen, das durch ihre Organe gestaltet wird (Drittorganschaft). Als eigentümlich wird betrachtet, dass die Gesellschaft Eigentümerin des Unternehmens und nur sie Schuldnerin ihrer Gläubiger ist, ihre Gesellschafter diesen gegenüber hingegen idR nicht haften, und dass ein starres, durch Erhaltungsvorschriften gesichertes Gesellschaftskapital existiert (Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriss des österr. Gesellschaftsrechts5, Wien 1990, 36). Als Kapitalgesellschaften bezeichnen diese Autoren (a.a.O.) die AG, die GmbH und die wenigen noch bestehenden Aktienvereine nach dem Vereinspatent 1852. Unter diesem Aspekt bestehen aber keine Bedenken, Rechtsvorschriften des Steuerrechts, die sich auf "Kapitalgesellschaften" beziehen, auf eine Gesellschaft anzuwenden, der vom Gesetzgeber eigene Rechtspersönlichkeit verliehen ist, die nach dem Prinzip der Drittorganschaft geführt wird, ein starres Grundkapital besitzt und auf die die Bestimmungen des GmbH-Gesetzes sinngemäß anzuwenden sind.

1.5. Das hg. Erkenntnis VfSlg. 15.673/1999 steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Dort hat der Gerichtshof die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Mindestkörperschaftsteuer (die nur Kapitalgesellschaften auferlegt ist) auf die ÖBB (für den Fall ihrer Steuerpflicht) zwar verneint, dies aber deswegen, weil hinter der Mindeststeuer das Motiv des Gesetzgebers stehe, auf die Wahl der Rechtsform für ein Unternehmen Einfluss zu nehmen, und die Mindeststeuer daher eine Wahlmöglichkeit zwischen der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und einer anderen Unternehmensform voraussetze (was eine Beschränkung auf Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung nahe lege). Für dieses Auslegungsergebnis spricht im Übrigen, dass §24 Abs4 Z1 KStG 1988 im Zusammenhang mit der Mindeststeuer auf die gesetzliche Mindesthöhe des Grund- oder Stammkapitals verweist und dabei ausdrücklich (nur) §7 AktG und §6 GmbHG zitiert. Es liegt auf der Hand, dass sich aus einer Beschränkung der Mindeststeuer auf Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung nicht notwendig etwas für die Interpretation des Begriffs Kapitalgesellschaft im Zusammenhang mit einer Organschaftsregelung ergibt.

2. Die belangte Behörde hat der Vorschrift des §9 Abs3,

1. Spiegelstrich, KStG 1988 den Inhalt entnommen, dass die ÖBB nicht als Kapitalgesellschaft im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind, somit als Organträger grundsätzlich nicht in Betracht kommen. Sie hat daher das von der beschwerdeführenden Gesellschaft erzielte Einkommen dieser und nicht den ÖBB zugerechnet. Damit hat sie dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer iHv € 360,-- und Eingabengebühr iHv € 180,-- enthalten.

IV. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Bundesbahnen, Körperschaftsteuer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B491.2004

Dokumentnummer

JFT_09958870_04B00491_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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