RS Vfgh 1996/6/18 G1355/95, V158/95

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Veröffentlicht am 18.06.1996
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz lita
AVG §8
GewO 1994 §69a
GewO 1994 §74 ff
GewO 1994 §77
GewO 1994 §356
GewO 1994 §359b
Verordnung des BMfwA BGBl 850/1994 betr Bezeichnung von Arten von Betriebsanlagen für das vereinfachte Genehmigungsverfahren

Leitsatz

Teilweise Zurückweisung eines Verordnungsprüfungsantrags mangels Präjudizialität trotz der Ermächtigung des Verfassungsgerichtshofes zur Aufhebung einer Verordnung zur Gänze bei Fehlen der gesetzlichen Grundlage; keine Verfassungswidrigkeit der Regelung eines vereinfachten Verfahrens zur Genehmigung bestimmter Betriebsanlagen durch Feststellungsbescheid der Gewerbebehörde hinsichtlich des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen; keine formalgesetzliche Delegation aufgrund hinreichender Determinierung der Kriterien für die Erlassung einer Verordnung zur Bezeichnung bestimmter dem vereinfachten Verfahren unterliegender Anlagentypen; ausreichende Einzelfallbezogenheit dennoch aufgrund gebotener Interessenabwägung gegeben; keine Verletzung des Gleichheitssatzes aufgrund mangelnder Parteistellung der Nachbarn im vereinfachten Verfahren mit Rücksicht auf den Zweck der Verfahrensbeschleunigung; keine Gesetzwidrigkeit der Aufnahme von Gastgewerbebetrieben mit bis zu 200 Plätzen in den Katalog der dem vereinfachten Verfahren unterliegenden Betriebsanlagen

Rechtssatz

Da nur ein Teil der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der Arten von Betriebsanlagen bezeichnet werden, die dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu unterziehen sind, BGBl. 850/1994, für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes präjudiziell ist, ist der Verordnungsprüfungsantrag, soweit damit die Aufhebung der Verordnung BGBl 850/1994, zur Gänze, also über die Z1 ihres §1 hinaus begehrt wird, im Sinne des Art139 Abs1 B-VG unzulässig. Der Antrag ist insoweit zurückzuweisen. Daran kann auch die verfassungsrechtliche Ermächtigung des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art139 Abs3 B-VG nichts ändern, eine Verordnung zur Gänze aufzuheben, wenn er zur Auffassung gelangt, daß diese - insgesamt - der gesetzlichen Grundlage entbehrt (vgl. VfSlg. 10429/1985; 12869/1991).

Keine formalgesetzliche Delegation in §359b Abs2 GewO 1994.

Mangels eines in §359b GewO 1994 vorgesehenen Feststellungsantrages des Genehmigungswerbers hat dieser auch keinen Anspruch auf Erlassung eines derartigen Feststellungsbescheides.

Da auch bei den sogenannten "Bagatellfällen" nach den Z1 und 2 des §359b Abs1 GewO 1994 der Schutz der gemäß §74 Abs2 leg.cit. wahrzunehmenden Interessen geboten ist und als Maßstab für die "erforderlichenfalls" zu erteilenden Aufträge nur die Kriterien des §77 GewO 1994 in Betracht kommen, macht es weder für die Genehmigungspflicht einer Betriebsanlage gemäß den §74 ff GewO 1994 noch für deren Genehmigungsfähigkeit gemäß §77 GewO 1994 einen Unterschied, ob ein "normales" Betriebsanlagengenehmigungsverfahren unter Beachtung des §356 GewO 1994 oder ob das vereinfachte Verfahren nach §359b GewO 1994 stattfindet. Dadurch, daß Abs2 des §359b GewO 1994 anordnet, auch die durch Verordnung ihrer Art nach bezeichneten Betriebsanlagen im Einzelfall dem vereinfachten Verfahren gemäß dem Abs1 des §359b GewO 1994, - gegen den der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegt -, zu unterziehen, bleibt auch die Genehmigungsfähigkeit dieser Betriebsanlagen nach Maßgabe des §77 GewO 1994 Gegenstand des Verfahrens.

Die notwendige Einzelfallbezogenheit des gemäß dem Abs2 des §359b GewO 1994 durchzuführenden Genehmigungsverfahrens wird nicht nur daraus ersichtlich, daß auch in vereinfachten Verfahren gemäß §359b Abs2 GewO 1994 auf Grund des darin enthaltenen Verweises auf den Abs1 dieser Bestimmung "erforderlichenfalls Aufträge zum Schutz der gemäß §74 Abs2 wahrzunehmenden Interessen zu erteilen" sind; sondern auch die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen der Gesetzgeber Arten von Betriebsanlagen für ein vereinfachtes Verfahren vom Verordnungsgeber bezeichnen läßt, machen deutlich, daß mit der Aufnahme einer Betriebsanlagentype in die Verordnung noch keine zwingende "Errichtungs- und Betriebsgarantie" verbunden ist.

§359b Abs2 GewO 1994 widerspricht nicht dem Legalitätsprinzip des Art18 Abs2 B-VG.

Wenn es dem Gesetzgeber möglich ist, in pauschalierender Betrachtungsweise Betriebsanlagen etwa anhand des Ausmaßes der der Betriebsanlage zur Verfügung stehenden Betriebsfläche und der elektrischen Anschlußleistung der in der Anlage verwendeten Maschinen und Geräte in einer, unter dem Aspekte des Art18 Abs1 B-VG nicht zu beanstandenden, abstrakten Weise in Anbetracht der von diesen zu erwartenden Emissionen als genehmigungsfähig zu werten, so bleibt es ihm auch unter dem Aspekt des Art18 Abs2 B-VG unbenommen, durch Verordnung Arten von Betriebsanlagen bezeichnen zu lassen, bei denen kraft Verwaltungserfahrung und sachverständiger Meinung die gleiche Situation einer im Regelfall tolerierbaren Emissionsbelastung zu erwarten ist.

Der Gesetzgeber ist auch in Ansehung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Legalitätsprinzips keineswegs verhalten, ganz allgemein bei Verordnungsermächtigungen "Vorschriften über die Vorgangsweise zur Gewinnung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage vorzusehen". Der Umfang des Schutzes der gemäß §74 Abs2 GewO 1994 wahrzunehmenden Interessen ist in systematischer Zusammenschau mit den Genehmigungserfordernissen des §77 GewO 1994 zu verstehen und bildet die vorgeschriebene Vermeidung von Belastungen der Umwelt nach §69a GewO 1994 einen wesentlichen Determinierungsfaktor für zahlreiche weitere, in dieser Vorschrift genannte Verordnungsermächtigungen.

Keine Verletzung des Gleichheitssatzes.

Ob und wieweit der Gesetzgeber Personen rechtlichen Schutz gewährt, die durch den einer anderen Person gegenüber ergangenen verwaltungsbehördlichen Bescheid, insbesondere auch durch eine dieser Person erteilte Bewilligung, in ihren Interessen betroffen sind, ist seiner Gestaltungsfreiheit anheim gegeben. Diese ist verfassungsrechtlich lediglich dadurch begrenzt, daß das die Parteirechte bestimmende Gesetz dem aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot unterliegt (VfSlg. 8279/1978, 11934/1988, 12240/1989).

Wenn es nach ihrer Konfiguration bestimm- und bezeichenbare Betriebsanlagen gibt, die sich im Regelfall wegen der von ihnen zu erwartenden geringfügigen Emissionen als genehmigungsfähig erwiesen haben, so ist es angesichts des legitimen Zieles der Verwaltungsvereinfachung nicht zu beanstanden, wenn für derartige Betriebsanlagen die Genehmigung in einem vereinfachten Verfahren vorgesehen ist.

Auch bei den abstrakt kraft Bezeichnung in einer Verordnung nach §359b Abs2 GewO 1994 dem vereinfachten Verfahren gemäß §359b Abs1 GewO 1994 unterliegenden Betriebsanlagen kann auf Grund der konkreten örtlichen Verhältnisse im Einzelfall auch ohne Durchführung des Verfahrens nach §356 GewO 1994 die Genehmigung verweigert werden.

Ist es an sich sachlich gerechtfertigt, in Fällen, in denen die Genehmigungsfähigkeit von Anlagen die Regel bildet, zum Zwecke der Abkürzung des Verwaltungsverfahrens dieses dadurch zu vereinfachen, daß den Nachbarn dabei keine subjektiven öffentlichen Rechte eingeräumt werden, wiewohl die Behörde verpflichtet ist, die auch den (faktischen) Interessen der Nachbarn dienenden öffentlichen Interessen von Amts wegen wahrzunehmen, so muß es auch sachlich gerechtfertigt sein, dieses vereinfachte Verfahren (ohne Beteiligung der Nachbarn als Parteien) zur Genehmigung von Betriebsanlagen zu verwenden, deren Art vom Verordnungsgeber auf Grund der Voraussetzungen des §359b Abs2 GewO 1994 in gesetzmäßiger Weise bezeichnet wurde.

Für die gesetzliche Regelung des §359b Abs2 GewO 1994 ist davon auszugehen, daß damit in sachlich gerechtfertigter Weise eine Erweiterung des Kreises der Betriebsanlagen erfolgte, die dem vereinfachten Verfahren gemäß §359b Abs1 GewO 1994 zu unterziehen sind. Daß eine Beteiligung der Nachbarn als Parteien gemäß §8 AVG im vereinfachten Verfahren nicht vorgesehen ist, verletzt mit Rücksicht auf den Zweck der Verfahrensbeschleunigung angesichts der regelmäßigen Genehmigungsfähigkeit der betreffenden Betriebsanlagen nicht den Gleichheitssatz.

Keine Gesetzwidrigkeit des §1 Z1 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der Arten von Betriebsanlagen bezeichnet werden, die dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu unterziehen sind, BGBl. 850/1994.

Der Gesetzgeber hat für die Erlassung von Verordnungen nach §359b Abs2 GewO 1994 weder besondere Verfahrensvorschriften getroffen, noch bestimmte Entscheidungsgrundlagen für die Erlassung einer Verordnung nach §359b Abs2 GewO 1994 verlangt; er ist auch verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, für die Erlassung von Verordnungen, - abgesehen von deren Kundmachung -, derartige Regelungen zu treffen.

Der Verfassungsgerichtshof vermeint angesichts des Umstandes, daß die Bezeichnung einer Betriebsanlagenart durch Verordnung nach §359b Abs2 GewO 1994 die Verwaltungsbehörde nicht der Aufgabe enthebt, bei Genehmigung einer konkreten Anlage das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §359b Abs1 iVm. §77 GewO 1994 zu prüfen, daß dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten nicht entgegenzutreten ist, wenn er Betriebsanlagen zur Ausübung des Gastgewerbes unter den Voraussetzungen des §1 Z1 der Verordnung BGBl. 850/1994 für die Durchführung des vereinfachten Verfahrens bezeichnete.

Kein Zweifel kann bestehen, daß die Zahl der Verabreichungsplätze bei Gastgewerbebetrieben einen tauglichen Indikator für das Maß der vom Betrieb zu erwartenden Emissionen bildet. Ferner erscheint es notwendig, schon aus Gründen einer strikten Abgrenzung der zulässigerweise dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu unterziehenden Anlagen die betreffenden Arten von Anlagen möglichst genau zu bezeichnen, um Verfahrensfehler zu vermeiden. Gegen den vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten in der Z1 des §1 seiner Verordnung BGBl. 850/1994 gewählten Grenzwert von 200 Verabreichungsplätzen ist daher nichts einzuwenden, zumal im Verordnungsprüfungsverfahren nichts hervorgekommen ist, was gegen die Annahme spricht, daß bei gastgewerblichen Betriebsanlagen dieser Größe im Regelfall "die gemäß §74 Abs2 wahrzunehmenden Interessen hinreichend geschützt und Belastungen der Umwelt (§69a) vermieden werden" (§359b Abs2 GewO 1994).

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Präjudizialität, Betriebsanlage, Umweltschutz, Parteistellung, Rechtsschutz, Gewerberecht Verfahren, Parteistellung Gewerberecht, Feststellungsbescheid, Verwaltungsökonomie, Legalitätsprinzip, Determinierungsgebot, Verordnungserlassung (Verfahren)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G1355.1995

Dokumentnummer

JFR_10039382_95G01355_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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