RS Vfgh 1996/12/10 G84/96, G104/96, G145/96, G174/96, G175/96, G194/96, G214/96, G276/96, G279/96, G

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Veröffentlicht am 10.12.1996
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z6
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art89 Abs2
B-VG Art97 Abs2
B-VG Art139 Abs3
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3
StGG Art6 Abs1 / Liegenschaftserwerb
Tir GVG 1993
Tir GVG 1993 §14 Abs1 und Abs2
VStG §31 Abs1 und Abs2
Tir LandesO 1989 Art38 Abs7
VfGG §62 Abs1 zweiter Satz

Leitsatz

Verletzung des Rechts auf Freiheit des Liegenschaftsverkehrs durch das generelle Verbot des Erwerbes von Freizeitwohnsitzen in ganz Tirol nach dem Tir GVG 1993 ohne Rücksicht auf regionale Differenzen; Zulässigkeit der Beschränkung der Liegenschaftsverkehrsfreiheit durch den Gesetzgeber nur unter gewissen Bedingungen; Feststellung der Verfassungswidrigkeit des gesamten Tir GVG 1993 infolge Kundmachung ohne neuerliche Beschlußfassung durch den Landtag trotz Verweigerung der Zustimmung der Bundesregierung zur Mitwirkung von Bundesorganen an der Vollziehung; Zurückweisung der Anträge des UVS hinsichtlich der Tir GVG-Nov 1991 und des Tir GVG 1993 zur Gänze mangels Darlegung der Bedenken im einzelnen; Verfassungskonformität der die (verfassungs-)gesetzliche Grundlage der anzuwendenden Bestimmungen bildenden Regelung der Tir LandesO 1989

Rechtssatz

Zwar ist zuzugestehen, daß es von vorneherein ausgeschlossen ist, daß der UVS Art38 Abs7 Tir LandesO 1989 sensu stricto "anzuwenden" hätte. Diese Bestimmung ordnet an, daß dann, wenn ein Gesetzesbeschluß (des Landtages) der Zustimmung der Bundesregierung (im Sinne des Art97 Abs2 B-VG) bedarf, dieser Gesetzesbeschluß nur kundgemacht werden darf, wenn die Zustimmung erteilt wurde oder als erteilt gilt. "Anzuwenden" in einem spezifischen Sinne hat diese Verfassungsvorschrift das zur Kundmachung berufene Organ, also der Landeshauptmann.

Demgegenüber sind auch solche Regelungen im Sinne des Art89 Abs2 B-VG präjudiziell, die die (verfassungs-)gesetzliche Grundlage der im engeren Sinne "anzuwendenden" Bestimmungen bilden (vgl. VfSlg. 13.236/1992).

Der antragstellende UVS geht - offenkundig denkmöglich - vom Vorliegen von Dauerdelikten aus, sodaß weiters denkmöglich davon ausgegangen werden kann, daß eine Verfolgungsverjährung auszuschließen ist. Die Frist ist nämlich in vertretbarer Weise erst von jenem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat (zweiter Satz des §31 Abs2 VStG). Demgemäß vermag die seitens der Tiroler Landesregierung ins Spiel gebrachte Fristberechnung (6 Monate (im Sinne des ersten Satzes des §31 Abs2 VStG) nach Inkrafttreten der Tir GVG-Nov 1991) zumindest nicht mehr Plausibilität für sich beanspruchen als die Annahme des antragstellenden UVS.

Zurückweisung der Anträge des UVS, soweit sie sich auf die Tir GVG-Nov 1991 und das Tir GVG 1993 zur Gänze beziehen.

Ein Gesetzesprüfungsantrag, der sich gegen ein Gesetz seinem ganzen Inhalte nach wendet, muß auch Darlegungen enthalten, daß alle Regelungen im Anlaßfall anzuwenden seien, und Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit aller Bestimmungen des Gesetzes vortragen. Die Voraussetzungen des Art139 Abs3 bzw. des Art140 Abs3 B-VG jedoch sind nur von Amts wegen wahrzunehmen.

Im übrigen ist hinsichtlich der ganzen Tir GVG-Nov 1991 res iudicata eingetreten (vgl. E v 28.09.96, G50/96 ua).

Der weitere Vorwurf der Tiroler Landesregierung, die Anträge des UVS seien schon deshalb unzulässig, weil sie sich im wesentlichen mit einem Hinweis auf den Prüfungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes zu B266/94 begnügten, sind nicht begründet. Denn die Bedenken gegen die zu B266/94 in Prüfung gezogenen (und als verfassungswidrig erkannten) und gegen die nunmehr bekämpften Rechtsvorschriften sind offenkundig gleichartig und können ohne weiteres zur Gänze als Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der nunmehr bekämpften Rechtsvorschriften übertragen werden. Die Vorgangsweise des UVS entspricht sohin den Kriterien, die §62 Abs1, zweiter Satz, VfGG vorgibt.

Abweisung der Anträge auf Aufhebung des Art38 Abs7 Tir LandesO 1989.

Wie der Verfassungsgerichtshof im E v 28.09.96, G50/96 ua., ausgeführt hat, regelt Art38 Abs7 Tir LandesO 1989 im Rahmen der den Ländern zukommenden relativen Verfassungsautonomie in bundesverfassungsrechtlich unbedenklicher Weise, daß ein Gesetzesbeschluß des Tiroler Landtages nicht kundgemacht werden darf, wenn eine im Sinne des Art97 Abs2, erster Satz, B-VG erforderliche Zustimmung nicht erteilt wurde.

Die lediglich am historischen Sinn orientierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Grundrecht auf Freiheit des Liegenschaftsverkehrs ist im Hinblick darauf, daß der Inhalt des Begriffes "Grundverkehr" durch die B-VG-Nov 1992, BGBl. 276, geändert wurde, nicht beizubehalten.

Art6 StGG enthält zwar hinsichtlich der Freiheit des Liegenschaftsverkehrs keinen Gesetzesvorbehalt.

Die Befugnis der Länder, im Rahmen ihrer Kompetenz (s Art10 Abs1 Z 6 B-VG idF der B-VG-Nov 1992 iVm der Generalklausel des Art15 Abs1 B-VG) gesetzliche Regelungen zu erlassen, die in die Freiheit des Liegenschaftsverkehrs eingreifen, ist aber keine unbeschränkte. Vielmehr darf ein solches Gesetz, wie schon in VfSlg. 5150/1965 dargetan, keinen Inhalt haben, der den Wesensgehalt der Liegenschaftsverkehrsfreiheit aushöhlt. Im Sinne der nunmehr ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu unter einem ausdrücklichen Vorbehalt stehenden Grundrechten ist dem Gesetzgeber eine Beschränkung der Liegenschaftsverkehrsfreiheit nur unter jenen Bedingungen erlaubt, wie sie für das durch Art5 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gelten. Der Gesetzgeber kann danach verfassungsrechtlich einwandfreie Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unversehrtheit des Eigentums berührt oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt und soweit die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt und nicht unverhältnismäßig ist.

§14 Abs1 und Abs2 Tir GVG 1993 (betreffend das Verbot des Erwerbes von Freizeitwohnsitzen) bewirken einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit des Liegenschaftsverkehrs. Im Grunde vermag sich dieser Eingriff zwar auf wesentliche öffentliche Interessen zu stützen, er überschreitet aber die dem Gesetzgeber gesetzten Schranken, weil er bei seinen Maßnahmen nicht regional (oder in sonst geeigneter Weise) differenziert, der Eingriff mithin überschießend ist.

Feststellung der Verfassungswidrigkeit des (gesamten) Tir GVG 1993, LGBl 82/1993, infolge Kundmachung ohne neuerliche Beschlußfassung durch den Landtag trotz Verweigerung der Zustimmung der Bundesregierung zur Mitwirkung von Bundesorganen an der Vollziehung (vgl E v 28.11.96, G195/96 ua).

(Anlaßfall: B1522/95, E v 10.12.96; Quasianlaßfälle: B2396/95, E v 10.12.96, B2476/95, B2495/95, B2502/95, alle E v 11.12.96, B2354/95, E v 23.01.97 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide).

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Verwaltungsstrafrecht, Verjährung, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Feststellung Wirkung, VfGH / Bedenken, Liegenschaftserwerbsfreiheit, Grundrechte, Gesetzesvorbehalt, Grundverkehrsrecht, Wohnsitz Freizeit-, Kompetenz Bund - Länder Grundverkehr, Rechtskraft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G84.1996

Dokumentnummer

JFR_10038790_96G00084_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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