RS Vfgh 1997/6/16 G364/96

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Veröffentlicht am 16.06.1997
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Index

66 Sozialversicherung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
BSVG §2 Abs1 Z1
BG BGBl 678/1991 ArtIII Abs1

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Rückwirkung einer Regelung des BSVG betreffend den Ausschluß des Gegenbeweises für die gesetzliche Vermutung der forstwirtschaftlichen Nutzung von Waldgrundstücken bezüglich länger als einen Monat von der Meldung des der Vermutung widersprechenden Sachverhaltes zurückliegender Zeiten; gravierender Eingriff in die Rechtsposition der von der materiellen Rückwirkung Betroffenen; keine sachliche Rechtfertigung für eine rückwirkende Gesetzesänderung; Aufhebung der die Rückwirkung bewirkenden Übergangsbestimmung einer Novelle zum BSVG zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage ausreichend

Rechtssatz

§2 Abs1 Z1 letzter Satz BSVG idF BGBl. 678/1991 kann für sich alleine keine rückwirkende Kraft entfalten. Die materielle Rückwirkung dieser Bestimmung ergibt sich aber aus dem Zusammenhalt mit der Übergangsbestimmung des ArtIII Abs1 des BG BGBl. 678/1991. Eine verfassungskonforme Auslegung ist angesichts der klaren und unmißverständlichen Absicht des historischen Gesetzgebers und dem Wortlaut des ArtIII Abs1 nicht möglich.

Rückwirkende Gesetzesänderungen, die die Rechtsposition der Rechtsunterworfenen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, sind im Lichte des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebotes nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig (mit Judikaturhinweisen). Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Gesetzesänderungen sind die Gravität des Eingriffs sowie das Gewicht der für diesen sprechenden Gründe maßgeblich.

ArtIII Abs1 des BG BGBl. 678/1991 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

§2 Abs1 Z1 letzter Satz BSVG idF BGBl. 678/1991 wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Die in Prüfung gezogenen Regelungen gelten auch für jene Fälle, in denen eine Meldung über das Nichtbestehen eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes nicht erfolgte, obwohl vor dem 01.01.92 eine solche "negative" Meldepflicht (Brachmeldepflicht) nicht bestanden hat. Die Regelungen bewirken, daß in den Fällen, in denen eine Meldung gemäß §16 BSVG nach dem 01.01.92 erfolgt, den Betroffenen abgesehen von der Zeit, die nicht länger als einen Monat vor der Meldung zurückliegt, für die vor diesem Zeitpunkt liegenden Zeiten entweder rückwirkend die Beweislast zugewiesen wird oder ihnen die Möglichkeit eines Beweises dafür, daß ihr Grundstück nicht land(forst)wirtschaftlich genutzt wurde, schlechthin genommen wird. Die Rechtsposition derer, die vor dem 01.01.92 keinen Grund gehabt haben, einen Nachweis dafür zu erbringen, daß ihre Grundstücke nicht land(forst)wirtschaftlich genutzt wurden, wird somit, da das Bestehen einer Pflichtversicherung aufgrund der in Prüfung gezogenen Regelungen auch rückwirkend für Zeiten vor dem 01.01.92 festgestellt werden kann, mit Wirkung für die Vergangenheit entscheidend verschlechtert. Sachliche Gründe, die eine rückwirkende Gesetzesänderung rechtfertigen, sind im Gesetzesprüfungsverfahren weder vorgebracht worden noch sind solche dem Verfassungsgerichtshof erkennbar.

Zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage ist es jedoch ausreichend, die Übergangsbestimmung des ArtIII Abs1 BG BGBl. 678/1991 als verfassungswidrig aufzuheben. Bei Aufhebung dieser Bestimmung kann §2 Abs1 Z1 letzter Satz BSVG idF BGBl. 678/1991 verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, daß diese Bestimmung nur auf jene Sachverhalte anzuwenden ist, die nach ihrem Inkrafttreten am 01.01.92 verwirklicht wurden.

(Anlaßfall B1471/95, E v 16.06.97, Aufhebung des angefochtenen Bescheides).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Rückwirkung, Übergangsbestimmung, Sozialversicherung, Pflichtversicherung, VfGH / Verwerfungsumfang, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:G364.1996

Dokumentnummer

JFR_10029384_96G00364_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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