RS Vfgh 1997/10/10 V17/97, V18/97, V19/97, V20/97, V21/97, V22/97, V23/97, V24/97, V25/97, V26/97, V

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Veröffentlicht am 10.10.1997
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0015 Unabhängiger Verwaltungssenat

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art87 Abs3
B-VG Art89 Abs3
B-VG Art129a Abs3
B-VG Art129b Abs2
B-VG Art129b Abs5
B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litb
B-VG Art139 Abs5 / Fristsetzung
B-VG Art139 Abs6 zweiter Satz
Geschäftsverteilung 1997 UVS Wien
Wr UVS-G §12 Abs8
VStG §51c
AVG §67a

Leitsatz

Aufhebung der Geschäftsverteilung 1997 des UVS Wien infolge Erlassung der Verordnung von einem unzuständigen Organ mangels Erfüllung der im Wr UVS-G geforderten Voraussetzung für die Ermächtigung des Präsidenten zur Erlassung der Geschäftsverteilung an Stelle des Geschäftsverteilungsausschusses; Geschäftsverteilung als zuständigkeitsbegründender Verwaltungsakt und Rechtsverordnung mit Mindestmaß an Publizität taugliches Anfechtungsobjekt im Normenkontrollverfahren; einzelne Mitglieder des UVS bzw eine Kammer zur Anfechtung der anzuwendenden Geschäftsverteilung legitimiert; Ausdehnung der Anlaßfallwirkung

Rechtssatz

Die UVS sind bei Besorgung der ihnen verfassungsgesetzlich zukommenden Aufgaben weisungsfreie "Verwaltungsbehörden" iSd B-VG. Die von einem (Teil)Organ eines UVS erlassene Geschäftsverteilung ist daher ein Verwaltungsakt.

Der dem Art87 Abs3 B-VG nachgebildete Art129b Abs2 zweiter Satz B-VG statuiert auch für die UVS den "Grundsatz der festen Geschäftsverteilung". Unter dem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter iS des Art83 Abs2 B-VG ist nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ganz allgemein ein "auf den Schutz und die Wahrung der gesetzlich begründeten Behördenzuständigkeit" gerichtetes Recht (VfSlg. 2536/1953) zu verstehen. Im Geltungsbereich des verfassungsgesetzlich geregelten Prinzips der festen Geschäftsverteilung bedeutet diese Garantie auch das Recht auf eine Entscheidung durch den gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter. In diesem Sinne handelt es sich bei der Geschäftsverteilung um eine - zuständigkeitsbegründende - Rechtsvorschrift.

Die Geschäftsverteilung eines UVS ist als eine - von einer Verwaltungsbehörde erlassene - generell-abstrakte Norm und daher als Rechtsverordnung zu qualifizieren.

Mindestmaß an Publizität der Rechtsvorschrift durch Auflage in der Einlaufstelle des UVS und Zustellung an sämtliche Mitglieder.

Der UVS Wien hat bei seinen Entscheidungen über jene bei ihm anhängigen Rechtssachen, die den Anlaß für die vorliegenden Verordnungsprüfungsanträge geboten haben, die Geschäftsverteilung 1997 anzuwenden. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist sohin insoweit gemäß Art129a Abs3 iVm Art89 Abs2 und 3 sowie Art139 Abs1 B-VG jedenfalls zulässig. Im Hinblick auf das Ergebnis des Verfahrens (Aufhebung der ganzen Verordnung) und die daraus gezogene Schlußfolgerung erübrigt sich eine nähere Abgrenzung des präjudiziellen Teiles der Verordnung.

Gemäß Art129b Abs5 B-VG entscheiden die UVS nach dem das Verfahren vor den UVS regelnden Bundesgesetz (s. §67a AVG und §51c VStG) durch mehrere oder durch einzelne Mitglieder. Für die hier in Betracht kommenden Rechtssachen ist danach die Zuständigkeit eines einzelnen Mitgliedes, in einem Fall einer Kammer des UVS vorgesehen. Daher kommt jeweils auch diesem Mitglied bzw. dieser Kammer namens des UVS die Legitimation zur Anfechtung der dabei anwendbaren Geschäftsverteilung zu.

Der Verfassungsgerichtshof hegt aus der Sicht des hier zu beurteilenden Falles gegen §12 Abs8 zweiter Satz Wr UVS-G insoferne keine verfassungsrechtlichen Bedenken, als die Verfassung nicht ausschließt, daß die Geschäftsverteilung des UVS durch dessen Präsidenten erlassen wird.

Die vom Präsidenten des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien erlassene Geschäftsverteilung für 1997, UVS - GV/5/96, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

In der Sitzung des Geschäftsverteilungsausschusses am 03.01.97 fand sich für den Antrag des vorsitzführenden Präsidenten keine Stimme (Entwurf "Diskussionsgrundlage 31.12.1996"). Über den Antrag des Mag. Z., den zu unterstützen sich schon vorab sechs weitere - stimmberechtigte - Mitglieder des Geschäftsverteilungsausschusses schriftlich bereit erklärt hatten, ließ der Vorsitzende dagegen nicht abstimmen. Vielmehr erließ er noch am 03.01.97 unter Berufung auf §12 Abs8 Wr UVS-G mit Wirksamkeit von eben diesem Tag die - nunmehr angefochtene - Geschäftsverteilung für 1997, die inhaltlich dem oben erwähnten Entwurf "Diskussionsgrundlage 31.12.1996" entspricht.

Angesichts dieser Sachlage war es schon im Hinblick auf §12 Abs8 zweiter Satz Wr UVS-G - d.h., ohne daß untersucht werden müßte, ob im vorliegenden Fall überhaupt sämtliche Tatbestandselemente des §12 Abs8 erster Satz Wr UVS-G verwirklicht waren - offenkundig gesetzwidrig, wenn der Präsident des UVS an Stelle des Geschäftsverteilungsausschusses die Geschäftsverteilung für 1997 erlassen hat.

Wenn es aber somit im vorliegenden Fall an der von §12 Abs8 zweiter Satz Wr UVS-G geforderten Voraussetzung für die Ermächtigung des Präsidenten, an Stelle des Geschäftsverteilungsausschusses die Geschäftsverteilung für 1997 zu erlassen, mangelte, dann ist diese Verordnung von einem unzuständigen Organ erlassen worden.

Unter Bedachtnahme auf weitere bei ihm anhängige Prüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, von der ihm gemäß Art139 Abs6 zweiter Satz B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und die Anlaßfallwirkung auch für die im Spruch näher bezeichneten, beim UVS anhängigen Verfahren herbeizuführen. Eine weitere Behandlung dieser Anträge erübrigt sich folglich.

Die Fristsetzung soll die Erlassung einer für den Rest des Jahres 1997 geltenden Geschäftsverteilung ermöglichen, die insbesondere den gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeit zur Erlassung einer solchen Verordnung Rechnung trägt. Dies gilt insbesondere für die Anlaßfälle, für die eine Neuregelung im Hinblick auf Art139 Abs6 B-VG unerläßlich ist, selbst wenn dabei dem aus Art129b Abs2 B-VG erfließenden Erfordernis, daß die Geschäfte auf die Mitglieder der Unabhängigen Verwaltungssenate im voraus zu verteilen sind, nicht Rechnung getragen werden kann.

(Quasianlaßfälle B239/97 ua, B1860/97, beide E v 24.02.98, B1559/97, B2401/97, beide E v 02.03.98, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Prüfungsgegenstand, Unabhängiger Verwaltungssenat, Verordnungsbegriff, Verordnung, RechtsV, VerwaltungsV, Verordnungserlassung, Gericht Organisation, Behördenzuständigkeit, Kundmachung Verordnung, Verordnung Kundmachung, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Legitimation, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:V17.1997

Dokumentnummer

JFR_10028990_97V00017_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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