RS Vfgh 1997/12/12 B3113/96, B3760/96

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 12.12.1997
beobachten
merken

Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art117 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
Richtlinien des Rates vom 19.12.94. 94/80/EG, und 13.05.96. 96/30/EG, betreffend das Kommunalwahlrecht von Unionsbürgern
Wr GemeindewahlO 1996 §16
EG-Vertrag Art8b

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses von EU-Bürgern vom Kommunalwahlrecht in Wien; kein verfassungsgesetzlich gewährleisteter Anspruch von Unionsbürgern auf das aktive und passive Wahlrecht bei Gemeinderatswahlen; keine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Schaffung einer anspruchsbegründenden Regelung über das Wahlrecht von Unionsbürgern in anderen Mitgliedstaaten im österreichischen (Verfassungs)Recht; keine Verpflichtung Österreichs zur Ausführung der erst nach dem EU-Beitritt Österreichs inkraftgetretenen EG-Kommunalwahlrichtlinie

Rechtssatz

Der Verfassungsgesetzgeber wollte mit der Neufassung des Art117 Abs2 B-VG in der B-VG-Novelle 1994 bloß dem Regelungsbedarf entsprechen, der sich im Hinblick auf den (künftigen) Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und das damit verbundene Wirksamwerden der Kommunalwahlrichtlinie ergeben würde.

Es war nicht beabsichtigt, von Bundesverfassungs wegen einen unmittelbaren Anspruch der Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf Teilnahme an der Wahl des Gemeinderates, und zwar auch in Wien, zu schaffen.

Das aktive und passive Kommunalwahlrecht der Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bedarf nicht notwendigerweise einer anspruchsbegründenden Regelung im österreichischen (Verfassungs-)Recht. Dem Grunde nach ist dieser Anspruch nämlich schon in Art8b Abs1 erster Satz EG-Vertrag bzw. in der EG-Kommunalwahlrichtlinie, insbesondere in deren Art3, vorgesehen.

Die EG-Kommunalwahlrichtlinie 94/80/EG ist nicht am 01.01.95, sondern am 20.01.95, somit erst nach Inkrafttreten (des Art117 Abs2 idF) der B-VG-Novelle 1994, in Kraft getreten.

Österreich konnte also schon im Hinblick darauf am 01.01.95 keinesfalls verpflichtet sein, diese Richtlinie auszuführen und vorzusehen, daß auch Unionsbürgern, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, das Wahlrecht zum Gemeinderat - im allgemeinen und in Wien im besonderen - zukommt.

Erst die Richtlinie 96/30/EG enthält eine auf Österreich bezugnehmende Regelung, derzufolge als "lokale Gebietskörperschaft der Grundstufe" die "Gemeinden, Bezirke in der Stadt Wien" festgelegt sind.

Die am 01.01.95 bestehende Gemeinschaftsrechtslage, die - aus der Sicht der vorliegenden Beschwerdefälle - in ihren Einzelheiten zu beurteilen, nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes ist, gibt keinen Anlaß anzunehmen, der Bundesverfassungsgesetzgeber habe mit der B-VG-Novelle 1994 für Unionsbürger, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Teilnahme an den Wahlen zum Gemeinderat auch in Wien schaffen wollen, um einer im genannten Zeitpunkt etwa bestandenen gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung zu genügen.

Art117 Abs2 vierter Satz B-VG ist vielmehr allein dahingehend zu verstehen, daß es sich dabei um eine bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung des Landesgesetzgebers handelt, - abweichend vom ersten Satz dieser Bestimmung, wonach für das Wahlrecht zum Gemeinderat das Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft besteht - Regelungen betreffend das aktive und passive Wahlrecht von Unionsbürgern, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, auch bei der Wahl des Gemeinderates zu erlassen. Dagegen wird mit Art117 Abs2 vierter Satz B-VG kein verfassungsgesetzlich gewährleisteter Anspruch dieser Personen geschaffen, mit dem eine landesgesetzliche Regelung, die solches nicht vorsieht, im Widerspruch stehen könnte.

Keine Verfassungswidrigkeit der Regelung des §16 Wr GemeindewahlO 1996.

Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes ist nur zu entscheiden, ob ein Beschwerdeführer in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde. Welche Fragen der Gerichtshof zu beantworten hat, richtet sich ausschließlich nach den für seine Aufgabe maßgeblichen Vorschriften (EuGH Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251 ff; 53/79 Damiani, Slg. 1980, 273 ff, 281 und 209-213/84 Asjes, Slg. 1986, 1425 ff, 1460) und damit nach dem Inhalt der in Betracht kommenden Grundrechte (VfGH 26.06.97, B877/96). Die vom Beschwerdeführer in dem zu B3760/96 protokollierten Verfahren aufgeworfene Frage, ob die Richtlinie des Rates vom 13.05.96, 96/30/EG, betreffend das Kommunalwahlrecht von Unionsbürgern, mit dem Prinzip der Gleichbehandlung aller Unionsbürger in Einklang zu bringen ist, fällt - aus der Sicht der vorliegenden Beschwerdefälle - nicht darunter.

Entscheidungstexte

Schlagworte

EU-Recht, EU-Recht Richtlinie, Wahlen, Wahlrecht aktives, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B3113.1996

Dokumentnummer

JFR_10028788_96B03113_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten