RS Vfgh 2000/11/29 B1735/00

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Veröffentlicht am 29.11.2000
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Index

L3 Finanzrecht
L3400 Abgabenordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art139 Abs6 zweiter Satz
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
EG-Vertrag Art93
F-VG 1948 §7 Abs5
F-VG 1948 §8 Abs1
Mehrwertsteuerrichtlinie des Rates vom 17.05.77. 77/388/EWG Art33
Verbrauchsteuerrichtlinie des Rates vom 25.02.92. 92/12/EWG Art3 Abs2
WAO §185 Abs3
WAO §185 Abs4
WAO-Nov LGBl 9/2000 ArtII

Leitsatz

Abweisung einer Beschwerde gegen die Verweigerung der Rückzahlung entrichteter Getränkesteuer nach einem Urteil des EuGH betreffend Feststellung des Widerspruchs einer Steuer auf alkoholische Getränke zur Verbrauchsteuerrichtlinie; Unbedenklichkeit der durch eine Novelle zur WAO geschaffenen Regelung über eine "Rückzahlungssperre" für die vom Abgabepflichtigen auf Letztverbraucher überwälzten Abgaben; Anknüpfen an einen derartigen Überwälzungsvorgang nicht zu unbestimmt oder unsachlich; keine Gemeinschaftsrechtwidrigkeit der Regelung; keine Bedenken gegen die Ausnahme der - die Anlaßfallwirkung für eine vom VfGH als rechtswidrig erkannte Abgabenvorschrift genießenden - Abgabepflichtigen von der Rückzahlungssperre; keine Bedenken gegen die Rückwirkung der Regelung im Hinblick auf den Vertrauensschutz

Rechtssatz

Zuständigkeit des Landesgesetzgebers zur Erlassung des §185 Abs3 WAO idF LGBl 9/2000 hinsichtlich der Getränkesteuer.

Vorschriften des Inhaltes, daß bereits entrichtete Abgaben trotz rückwirkenden Wegfalles ihrer Rechtsgrundlage nur unter bestimmten Bedingungen erstattet werden, sind Vorschriften des materiellen Steuerrechts, zu deren Erlassung der Landesgesetzgeber auf Grund des §8 Abs1 F-VG 1948 im sachlichen Geltungsbereich dieser Norm zuständig ist. Diese Zuständigkeit erstreckt sich auch auf Abgaben, die den Gemeinden durch eine bundesgesetzliche Ermächtigung nach §7 Abs5 F-VG 1948 in das freie Beschlußrecht übertragen worden sind, ist doch eine Einschränkung der vom Bund übertragenen Besteuerungsberechtigung mit einer solchen Regelung gewiß nicht verbunden.

Keine Bedenken gegen §185 Abs3 WAO idF LGBl 9/2000 betreffend eine "Rückzahlungssperre" für die vom Abgabepflichtigen auf Letztverbraucher überwälzten Abgaben (vorliegendenfalls hins. Getränkesteuer); Regelung nicht zu unbestimmt oder unsachlich.

Die Überwälzung einer Abgabe durch den gesetzlich bestimmten Steuerschuldner auf einen anderen - den wirtschaftlichen Steuerträger - bildet das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden großen Gruppen der direkten und der indirekten Steuern. Der Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen kommt im Hinblick auf die speziell für indirekte Steuern getroffenen primär- und sekundärrechtlichen Regelungen des Gemeinschaftsrechtes erhebliche rechtliche Bedeutung zu (vgl. Art93 EG-Vertrag, Art33 der 6. Mehrwertsteuerrichtlinie, Art3 Abs2 der Verbrauchsteuerrichtlinie, Urteil des EuGH vom 09.03.00, Rs. C-437/97).

Vor dem Hintergrund der Gemeinschaftsrechtslage kann der Gerichtshof der Beschwerde daher nicht folgen, wenn sie Überwälzungsvorgänge als rechtlich irrelevant bezeichnet und die Anknüpfung des Gesetzgebers an solche Überwälzungsvorgänge für zu unbestimmt bzw. für unsachlich hält.

Bei der Getränkesteuer handelt es sich um eine indirekte Steuer, bei der der Gesetzgeber davon ausgegangen ist (und davon ausgehen durfte), daß sie typischerweise in den Preis von bestimmten Waren eingeht, somit auf den Letztverbraucher überwälzt wird.

Bei einer solchen Steuer erscheinen aber gesetzliche Regelungen, die im Fall der Aufhebung der gesetzlichen Grundlagen (dem Wegfall des Rechtsgrundes) die Erstattung von Steuern von dem Umstand abhängig machen, ob der an sich Erstattungsberechtigte die Steuer auch tatsächlich im Einzelfall getragen hat, nicht von vornherein unsachlich und demgemäß verfassungsrechtlich bedenklich. War es den Abgabepflichtigen möglich, eine - später rückwirkend als rechtswidrig eingestufte - Abgabe auf die Letztverbraucher zu überwälzen, so steht es im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers, die Erstattung solcher Abgaben auszuschließen, würde ein solcher Abgabepflichtiger doch andernfalls offenbar einen Betrag erstattet erhalten, den er selbst gar nicht getragen hat.

Eine offensichtliche (und daher allenfalls verfassungsrechtlich bedenkliche) Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ist der Norm nicht anzulasten. In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der EuGH vielmehr wiederholt ausgesprochen, daß der Schutz der in diesem Bereich von der Gemeinschaftsrechtsordnung gewährleisteten Rechte es nicht erfordere, zu Unrecht erhobene Abgaben unter Bedingungen zurückzuerstatten, die zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Berechtigten führen würden (mit Hinweisen auf die Judikatur des EuGH).

Daß es im vorliegenden Fall generell ausgeschlossen wäre, die Frage zu beurteilen, ob im Einzelfall eine Überwälzung stattgefunden hat, bzw. daß dem Abgabepflichtigen in diesem Zusammenhang unzumutbare bzw. offenkundig gemeinschaftsrechtswidrige Beweislasten auferlegt würden, kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden. §185 WAO enthält keine speziellen Aussagen zur Behauptungs- oder Feststellungslast bzw. zu den zulässigen Beweismitteln oder zur Beweiswürdigung. Maßgebend ist somit das allgemeine Verfahrensrecht.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist nichts gegen die Regelung des §185 Abs4 WAO idF LGBl 9/2000 einzuwenden, die von der Rückzahlungssperre jene Abgabepflichtigen ausnimmt, soweit ihnen die Anlaßfallwirkung für eine vom Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig erkannte Abgabenvorschrift zukommt.

Daß der Landesgesetzgeber die Regelungen des Art140 Abs7 bzw. Art139 Abs6 B-VG zur Anlaßfallwirkung in diesem Fall zum Anknüpfungspunkt einer differenzierenden Regelung nimmt, erscheint dem Verfassungsgerichtshof nicht unsachlich und daher verfassungsrechtlich unbedenklich.

Keine unsachliche Schlechterstellung jener Steuerpflichtigen, bei denen keine anderen Abgabenschuldigkeiten vorhanden sind, zu deren Tilgung Steuergutschriften verwendet werden können.

Der Wortlaut des §185 Abs3 WAO schließt eine Interpretation nicht aus, die die Rückzahlungssperre auch auf die Verrechnung von Gutschriften zur Tilgung anderer Abgabenschuldigkeiten ausdehnt.

Keine verfassungswidrige Schlechterstellung derjenigen Getränkesteuerschuldner, die die Abgabe entrichtet haben, gegenüber denjenigen, die keine Zahlung geleistet haben (aber offenbar zu leisten gehabt hätten).

Wurde Getränkesteuer für alkoholische Getränke bereits überwälzt, jedoch entgegen der innerstaatlichen Rechtslage nicht entrichtet, so sieht §185 Abs3 WAO in Satz 2 vor, daß die Abgabenbehörde eine derart überwälzte Abgabe mit gesondertem Bescheid vorzuschreiben hat. Gegen eine solche Regelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Keine Bedenken gegen ArtII der WAO-Novelle, LGBl 9/2000, wonach die "Rückzahlungssperre" des §185 Abs3 WAO auch auf vor der Kundmachung dieses Gesetzes entstandene Steuerschuldverhältnisse anzuwenden ist.

Der EuGH billigte den erhebungsberechtigten Gemeinden in gewissem Maße ein berechtigtes Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage (und in die Verfügungsmöglichkeit über die auf Grund dieser Rechtslage erzielten Steuereinnahmen) zu und wollte sie deswegen vor den finanziellen Konsequenzen einer vollständigen Rückerstattung der Getränkesteuer schützen (vgl. Urteil des EuGH vom 09.03.00, RS. C-437/97).

Dem - allenfalls rechtlich geschützten - Vertrauen der die Getränkesteuerfestsetzungen bekämpfenden Steuerpflichtigen auf bedingungslose Erstattung der Getränkesteuer stand daher im Falle der Feststellung ihrer Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ein rechtlich geschütztes Vertrauen der Gemeinden auf die Gemeinschaftskonformität der Getränkesteuer und die Verfügungsmöglichkeit über die daraus erzielten Abgabenerträge gegenüber. Unter diesen Umständen kann der Gerichtshof nicht finden, daß die Verfügung einer Rückzahlungssperre auch für Fälle, bei denen die Steuerschuld vor der Kundmachung des Gesetzes entstanden ist, verfassungswidrig wäre. Bei Abwägung des Ausmaßes des Eingriffes einerseits und des Gewichtes der für die Rückwirkung sprechenden Gründe (die in der Entscheidung des EuGH eindrücklich dargelegt werden) andererseits scheint es dem Verfassungsgerichtshof vor dem Hintergrund des konkreten Falles nämlich nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber den letzteren die größere Bedeutung beilegt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

EU-Recht, EU-Recht Richtlinie, Finanzverfassung, Abgabenwesen, Abgaben Gemeinde-, Finanzverfahren, Rückzahlung Finanzverfahren, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Getränkesteuer, Vertrauensschutz, Rückwirkung, VfGH / Anlaßverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B1735.2000

Dokumentnummer

JFR_09998871_00B01735_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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