RS Vfgh 2002/3/1 A6/01

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Veröffentlicht am 01.03.2002
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30 Finanzverfassung, Finanzausgleich
30/02 Finanzausgleich

Norm

B-VG Art137 / Klage zw Gebietsk
B-VG Art15a
BG BGBl I 29/2000
EG Art104
FAG 1997 §15 Abs3 Z2 idF BGBl I 29/2000
F-VG 1948 §4
Österreichischer Stabilitätspakt, BGBl I 101/1999
Österreichischer Stabilitätspakt, BGBl I 101/1999 Art4 Abs5 litb

Leitsatz

Abweisung der Klage einer Gemeinde gegen den Bund wegen Entfalls von Einnahmen aus der gemeindeeigenen Getränkesteuer infolge Änderung des FAG 1997 nach Aufhebung der Getränkesteuer als gemeinschaftsrechtswidrig durch ein Urteil des EuGH; kein Anspruch der klagenden Partei auf Ausgleichszahlungen oder Schadenersatz; Österreichischer Stabilitätspakt nur für Zurechnung von Defizitquoten und allfälligen Sanktionslasten maßgeblich; kein Widerspruch der "Getränkesteuer-Ersatzlösung" gegen das F-VG 1948; geeigneter und nach sachlichen Gesichtspunkten gestalteter Ausgleich für die entfallene Getränkesteuer

Rechtssatz

Zulässigkeit der Klage einer Gemeinde gegen den Bund wegen Entfalls der gemeindeeigenen Getränkesteuer.

Das Klagebegehren betrifft einen vermögensrechtlichen Anspruch gegen den Bund (in der Klage fälschlich als "Republik Österreich" bezeichnet), dessen Wurzel im öffentlichen Recht, nämlich im F-VG 1948 und im sog. Österreichischen Stabilitätspakt, liegt. Der Anspruch ist nicht im ordentlichen Rechtsweg auszutragen, aber auch nicht durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen (VfSlg. 14.168/1995 mwN; vgl. auch Art3 BVG über Ermächtigungen des Österreichischen Gemeindebundes und des Österreichischen Städtebundes, BGBl I 61/1998).

Bei dem sog. Österreichischen Stabilitätspakt, BGBl I 101/1999, handelt es sich um eine Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden betreffend die Koordination der Haushaltsführung, auf die gemäß Art2 Abs1 des BVG über Ermächtigungen des Österreichischen Gemeindebundes und des Österreichischen Städtebundes, BGBl I 61/1998, die für Vereinbarungen gemäß Art15a Abs1 B-VG geltenden Vorschriften anzuwenden sind. Gemeinschaftsrechtlicher Hintergrund dieser Vereinbarung sind die Verpflichtungen, die sich für die öffentlichen Haushalte in Österreich aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 17.06.97 für die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion ergeben.

Der Stabilitätspakt enthält Bestimmungen über eine gemeinsame Haushaltskoordinierung, die mittelfristige Ausrichtung der Haushaltsführung, die Erstellung der Stabilitätsprogramme und insbesondere auch die Aufteilung der Defizitquoten und allfälliger Sanktionslasten zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden.

Der aus der Verhängung finanzieller Sanktionen gemäß Art104 Abs11 EG resultierende Aufwand ist von Bund, Ländern und Gemeinden anteilig zu tragen. Die Aufteilung auf den Bund einerseits, Länder und Gemeinden andererseits erfolgt an Hand der tatsächlichen Haushaltsergebnisse, somit nach dem Prinzip der individuellen Verantwortung. Für die Gemeinden eines Landes hingegen gilt, daß sie die Überschreitung gemeinsam zu verantworten haben ("Solidarhaftung"). Für den Fall, daß der Ertrag einer ausschließlichen Abgabe (ausschließliche Landes- oder Gemeindeabgabe) durch ein Urteil eines Höchstgerichtes vermindert wird, sieht der Stabilitätspakt (vgl Art4 Abs5 litb) vor, daß der Bund "über geeignete Vorschläge der betroffenen Gebietskörperschaften" rechtliche Rahmenbedingungen für ausschließliche Abgaben der betroffenen Gebietskörperschaften schaffen wird, die bundesweit einen möglichst weitgehenden Ersatz für die Abgabenminderung schaffen.

Dies hat aber nur etwas mit der Verteilung allfälliger Sanktionslasten zu tun.

Abweisung der Klage einer Gemeinde gegen den Bund wegen Entfalls der gemeindeeigenen Getränkesteuer infolge Änderung des FAG 1997 durch das BG BGBl I 29/2000 (Entfall des freien Beschlußrechtes der Gemeinde zur Ausschreibung von Getränkesteuer) nach Aufhebung der Getränkesteuer als gemeinschaftsrechtswidrig durch Urteil des EuGH vom 09.03.2000, Rs C-437/97.

Der Entfall einer ausschließlichen Abgabe als Folge eines Höchstgerichtsurteils kann im Zusammenhang mit dem Österreichischen Stabilitätspakt Konsequenzen nur für die Zurechnung von Defizitquoten und allfälligen Sanktionslasten haben.

Selbst wenn es zuträfe, daß die betroffenen Gebietskörperschaften geeignete Vorschläge für ausschließliche Abgaben vorgelegt hätten und der Bund sie nicht oder nur unvollkommen umgesetzt hätte, könnte die klagende Partei darauf höchstens den Anspruch stützen, daß die bei ihr durch den Entfall der Getränkesteuer bewirkte Defiziterhöhung für Zwecke einer Verteilung allfälliger Sanktionslasten nicht von ihr allein, sondern von sämtlichen Gebietskörperschaften getragen werden muß. Die Bestimmungen des Stabilitätspaktes können der klagenden Partei hingegen weder einen Anspruch auf Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen für ausschließliche Abgaben noch einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen oder Schadenersatz wegen entfallender Getränkesteuereinnahmen vermitteln.

Kein Widerspruch der "Getränkesteuer-Ersatzlösung" des BG BGBl I 29/2000 zu §4 F-VG 1948.

Da die getroffene Lösung (Einvernehmen zwischen dem Bund und den zur Vertretung der Gemeinden berufenen Verbänden; einvernehmliche Übernahme auch in das FAG 2001; weitgehender Ersatz des Einnahmen-Ausfalls) nicht nur konsentiert zustande kam, sondern auch inhaltlich geeignet ist, einen nach sachlichen Gesichtspunkten gestalteten Ausgleich für die entfallende Getränkesteuer herbeizuführen, kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden, daß die beklagte Partei ihre aus §4 F-VG 1948 abzuleitenden Verpflichtungen verletzt hat.

(vgl auch A7/01, E v 01.03.02).

Entscheidungstexte

  • A 6/01
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 01.03.2002 A 6/01

Schlagworte

EU-Recht, Finanzverfassung, Abgabenwesen, Abgaben Gemeinde-, Finanzausgleich, Getränkesteuer, VfGH / Klagen, Vereinbarungen nach Art15a B-VG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:A6.2001

Dokumentnummer

JFR_09979699_01A00006_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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