TE Vfgh Beschluss 2008/9/25 B1744/06

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.2008
beobachten
merken

Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967, Führerscheingesetz

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
FührerscheinG §30a
KFG 1967 §106 Abs1b
VStG §21 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerde gegen eine als Aufhebung deserstinstanzlichen Straferkenntnisses und Einstellung desVerwaltungsstrafverfahrens zu wertende Stattgabe der Berufung mitAbsehen von der Strafe ohne Ermahnung mangels Beschwer; Verpflichtungzur Löschung einer bereits erfolgten Vormerkung imFührerscheinregister

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel

vom 21. März 2006 wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von € 60,- verhängt, weil er am 14. September 2005 in St. Johann in Tirol gegen die Vorschrift des §106

Abs1b Kraftfahrgesetz 1967 (im Folgenden: KFG 1967) verstoßen habe. Er habe auf einem Sitz, der mit einem Sicherheitsgurt ausgerüstet gewesen sei, ein Kind befördert, das unter 12 Jahre alt und kleiner als 150 cm gewesen sei, und nicht dafür gesorgt, dass das Kind mit einer geeigneten Rückhalteeinrichtung gesichert gewesen sei.

2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (im Folgenden: UVS) vom 27. Juli 2006 insofern Folge gegeben, als gemäß §21 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im Folgenden: VStG) von der Verhängung einer Strafe abgesehen wurde.

3. In der Beschwerde wird eine Verletzung der Art7 und 83 Abs2 B-VG sowie des Art6 EMRK behauptet. Die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel habe dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass sie mit Rechtskraft des Straferkenntnisses eine Vormerkung im Führerscheinregister durchzuführen habe, weil nach §30a Führerscheingesetz (im Folgenden: FSG) die Verhängung einer Strafe nicht gefordert und eine Einstellung des Verfahrens durch den UVS nicht erfolgt sei.

Der Beschwerdeführer behauptet, die Eintragung einer Vormerkung im Führerscheinregister könne nur über das Straferkenntnis bekämpft werden und entfalle nur, wenn das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt werde. Da bei Anwendung des §21 VStG kein Rechtsanspruch auf Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens bestehe, habe die belangte Behörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit zu einer Sachentscheidung abgelehnt. Der Beschwerdeführer regt die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich des §30a FSG an. Begründend führt er aus, dass diese Bestimmung die Eintragung einer Vormerkung ins Führerscheinregister "automatisch" mit Rechtskraft des Straferkenntnisses vorsehe. Darüber hinaus schaffe der Ausnahmetatbestand des §106 Abs1c KFG 1967 eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

5. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst hat auf Einladung des Verfassungsgerichtshofes eine Stellungnahme abgegeben, in der es den Ausführungen in der Beschwerde entgegentritt.

II. Zur Rechtslage:

§21 VStG, BGBl. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I 65/2002, lautet:

"Absehen von der Strafe

§21. (1) Die Behörde kann ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Sie kann den Beschuldigten jedoch gleichzeitig unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnen, sofern dies erforderlich ist, um den Beschuldigten von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.

(1a) Die Behörde kann von der Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens absehen, wenn die Verfolgung aussichtslos erscheint oder der hiefür erforderliche Aufwand in einem Missverhältnis zum Grad und zur Bedeutung der in der Verwaltungsübertretung liegenden Verletzung öffentlicher Interessen steht.

(1b) Unter den in Abs1 genannten Voraussetzungen können die Verwaltungsbehörden von der Erstattung einer Anzeige absehen.

(2) Unter den in Abs1 angeführten Voraussetzungen können die Organe der öffentlichen Aufsicht von der Verhängung einer Organstrafverfügung oder von der Erstattung einer Anzeige absehen; sie können den Täter in solchen Fällen in geeigneter Weise auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens aufmerksam machen."

§§30a und 30b FSG, BGBl. 120/1997, in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung BGBl. I 15/2005, lauteten auszugsweise:

"Vormerksystem - Maßnahmen gegen Risikolenker

Vormerksystem

§30a. (1) Hat ein Kraftfahrzeuglenker eines der in Abs2 angeführten Delikte begangen, so ist unabhängig von einer verhängten Verwaltungsstrafe, einer etwaigen Entziehung der Lenkberechtigung oder sonstiger angeordneter Maßnahmen eine Vormerkung im Örtlichen Führerscheinregister einzutragen. Die Vormerkung ist auch dann einzutragen, wenn das in Abs2 genannte Delikt den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht. Für die Vornahme der Eintragung ist die Rechtskraft des gerichtlichen oder des Verwaltungsstrafverfahrens abzuwarten. Die Eintragung der Vormerkung ist von der das Verwaltungsstrafverfahren führenden Behörde, im Fall einer gerichtlichen Verurteilung von der Behörde des Hauptwohnsitzes vorzunehmen und gilt ab dem Zeitpunkt der Deliktsetzung. Der Lenker ist über die Eintragung und den sich daraus möglicherweise ergebenden Folgen durch einen Hinweis im erstinstanzlichen Strafbescheid zu informieren.

(2) Folgende Delikte sind gemäß Abs1 vorzumerken:

1. Übertretungen des §14 Abs8;

2. Übertretungen des §20 Abs5;

3. Übertretungen des §21 Abs3;

4.

Übertretungen des §9 Abs2 oder §38 Abs4 dritter Satz StVO, wenn Fußgänger, die Schutzwege vorschriftsmäßig benützen, gefährdet werden;

5.

Übertretungen des §18 Abs1 StVO, sofern die Übertretung mit technischen Messgeräten festgestellt wurde und der zeitliche Sicherheitsabstand 0,2 Sekunden oder mehr aber weniger als 0,4 Sekunden betragen hat;

6.

Übertretungen des §19 Abs7 i.V.m. Abs4 StVO, wenn der Vorrangverletzung die Nichtbeachtung eines Vorschriftszeichens gem. §52 litc Z24 StVO zu Grunde liegt und dadurch die Lenker anderer Fahrzeuge zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken ihrer Fahrzeuge genötigt werden;

7.

Übertretungen des §38 Abs5 StVO, wenn dadurch Lenker von Fahrzeugen, für die gem. §38 Abs4 StVO auf Grund grünen Lichts "freie Fahrt" gilt, zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken ihrer Fahrzeuge genötigt werden;

8.

Übertretungen des §46 Abs4 litd StVO unter Verwendung mehrspuriger Kraftfahrzeuge, wenn damit eine Behinderung von Einsatzfahrzeugen, Fahrzeugen des Straßendienstes, der Straßenaufsicht oder des Pannendienstes verbunden ist;

9.

Übertretungen des §52 lita Z7e StVO in Tunnelanlagen;

10.

Übertretungen der Verordnung der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie über Beschränkungen für Beförderungseinheiten mit gefährlichen Gütern beim Befahren von Autobahntunneln, BGBl. II Nr. 395/2001;

11.

Übertretungen des §16 Abs2 lite und f und §19 Abs1 erster Satz der Eisenbahn-Kreuzungsverordnung 1961, BGBl. Nr. 2/1961 idF BGBl. Nr. 123/1988;

12.

Übertretungen des §102 Abs1 KFG 1967, wenn ein Fahrzeug gelenkt wird, dessen technischer Zustand oder dessen nicht entsprechend gesicherte Beladung eine Gefährdung der Verkehrssicherheit darstellt, sofern die technischen Mängel oder die nicht entsprechend gesicherte Beladung dem Lenker vor Fahrtantritt auffallen hätten müssen;

              13.              Übertretungen des §106 Abs1a und 1b KFG 1967.

(3) - (4) (...)

(5) Wenn sich ergibt, dass eine Vormerkung gemäß Abs1 zu Unrecht erfolgte, so ist diese Eintragung unverzüglich zu löschen.

Besondere Maßnahmen

§30b. (1) Unbeschadet einer etwaigen Entziehung der Lenkberechtigung ist eine besondere Maßnahme gemäß Abs3 anzuordnen:

1.

wenn zwei oder mehrere der im §30a Abs2 genannten Delikte in Tateinheit (§30a Abs3) begangen werden oder

2.

anlässlich einer zweiten zu berücksichtigenden Vormerkung (§30a Abs4) wegen eines der in §30a Abs2 genannten Delikte, sofern wegen des ersten Deliktes nicht bereits eine Maßnahme gemäß Z1 angeordnet wurde.

(2) Von der Anordnung einer besonderen Maßnahme ist jedoch Abstand zu nehmen, wenn

1.

die Voraussetzungen des §7 Abs3 Z14 oder 15 vorliegen oder

2.

eine Nachschulung gemäß §4 Abs3 angeordnet wird oder

3.

eine begleitende Maßnahme gemäß §24 Abs3 angeordnet wird.

(3) Als besondere Maßnahmen kommen die Teilnahme an

1.

Nachschulungen gemäß der Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie über verkehrspsychologische Nachschulungen (Nachschulungsverordnung - FSG-NV), BGBl. II Nr. 357/2002,

2.

Perfektionsfahrten gemäß §13a der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr über die Durchführung des Führerscheingesetzes (Führerscheingesetz-Durchführungsverordnung - FSG-DV), BGBl. II Nr. 320 idF BGBl. II Nr. 223/2004,

3.

das Fahrsicherheitstraining gemäß §13b der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr über die Durchführung des Führerscheingesetzes (Führerscheingesetz-Durchführungsverordnung - FSG-DV), BGBl. II Nr. 320 idF BGBl. II Nr. 223/2004,

4.

Vorträgen oder Seminaren über geeignete Ladungssicherungsmaßnahmen oder

5.

Unterweisungen in lebensrettenden Sofortmaßnahmen gemäß §6 der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr über die Durchführung des Führerscheingesetzes

(Führerscheingesetz-Durchführungsverordnung - FSG-DV), BGBl. II Nr. 320 idF BGBl. II Nr. 223/2004 in Betracht. Die zu absolvierende Maßnahme ist von der Behörde festzusetzen, wobei darauf Bedacht zu nehmen ist, dass die Maßnahme geeignet ist, im Wesentlichen den Unrechtsgehalt der gesetzten Delikte aufzuarbeiten. Es ist jene Maßnahme zu wählen, die für den Betroffenen am besten geeignet ist, sich mit seinem Fehlverhalten auseinanderzusetzen, sich die Gefahren im Straßenverkehr bewusst zu machen und durch entsprechende Bewusstseinsbildung, auch im Hinblick auf die Notwendigkeit einer unfallvermeidenden defensiven Fahrweise und die fahrphysikalischen Grenzen beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges, einen Rückfall in weitere Verkehrsverstöße zu vermeiden.

(4) - (6) (...)"

III. Die Beschwerde ist unzulässig:

1. Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Beschwerdelegitimation nach Art144 Abs1 B-VG nur dann gegeben ist, wenn durch den bekämpften Bescheid irgendein subjektives Recht des Beschwerdeführers verletzt worden sein kann, das heißt, wenn die bescheidmäßigen Anordnungen oder Feststellungen die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers berühren, der Bescheid demgemäß subjektive Rechte begründet (verändert) oder feststellt (vgl. zB VfSlg. 17.840/2006).

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wird der Berufung des Beschwerdeführers Folge gegeben und gemäß §21 Abs1 VStG von der Verhängung einer Strafe abgesehen. Der Verfassungsgerichtshof deutet diesen Spruch dahingehend, dass das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 21. März 2006 aufgehoben und das Verfahren eingestellt wurde:

Nach dem Konzept des §21 Abs1 VStG ist ein "Absehen von der Strafe", sofern dabei nicht eine Ermahnung verhängt wird, ein formloser Akt, der ohne weiteres Verfahren und ohne Erlassung eines Bescheides zu setzen ist. Ein solcher Akt darf keinen Schuldspruch enthalten.

Wird - wie im vorliegenden Fall - einer Berufung gegen ein Straferkenntnis, in der die Einstellung des Verfahrens beantragt wurde, ausdrücklich "Folge gegeben" und ohne Ermahnung von der Verhängung einer Strafe abgesehen, so muss dies daher als Aufhebung nicht nur der Strafe, sondern auch des Schuldspruchs gedeutet werden. Eine solche Entscheidung ist daher als Aufhebung des gesamten erstinstanzlichen Straferkenntnisses und im Ergebnis als Einstellung des Strafverfahrens zu werten.

Eine Einstellung des Strafverfahrens schließt eine Vormerkung im Führerscheinregister gemäß §30a Abs1 FSG aus. Eine bereits erfolgte Eintragung im Führerscheinregister ist daher gemäß §30a Abs5 FSG zu löschen.

3. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert, weshalb seine Beschwerde mangels Legitimation zurückzuweisen war.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Beschwer, Kraftfahrrecht, Lenkerberechtigung,Lenkberechtigung, Führerschein, Vormerksystem, Verwaltungsstrafrecht,Strafbemessung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:B1744.2006

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten