RS Vfgh 2002/9/28 G286/01

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Veröffentlicht am 28.09.2002
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Index

37 Geld-, Währungs-und Kreditrecht
37/02 Kreditwesen

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
StGG Art5
AktienG §225c
BankwesenG §102a Abs4
UmwandlungsG §2 Abs3

Leitsatz

Eingriff ins Eigentumsrecht durch die im Bankwesengesetz vorgesehene zwangsweise Einziehung von Partizipationskapital durch Kreditinstitute; keine Rechtfertigung dieses dem Unternehmen zukommenden Sonderopfers durch das öffentliche Interesse an der Bereinigung der Kapitalstruktur der Kreditinstitute; keine Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung nicht börsenotierter und börsenotierter Partizipationsscheine im Hinblick auf die Möglichkeit der Überprüfung der - bei börsenotierten Partizipationsscheinen ausschließlich am Börsekurs orientierten - Abfindung; Schlechterstellung der Inhaber börsenotierter Partizipationsscheine infolge gerichtlicher Überprüfungsmöglichkeit nur der individuell bemessenen Abfindung nicht börsenotierter Partizipationsscheine

Rechtssatz

Zulässigkeit des Antrags des Obersten Gerichtshofes auf Aufhebung von Teilen des §102a Abs4 BankwesenG; Präjudizialität; Antrag nicht zu weit gefasst.

Obwohl das Gesetz bei börsenotiertem Partizipationskapital keine Überprüfung der Barabfindung durch das Gericht vorsieht, begehrten die Antragsteller die gerichtliche Überprüfung des Abfindungsbetrags iSd §225c AktienG und forderten eine zusätzliche Ausgleichszahlung je Partizipationsschein. Da das Erstgericht und das Rekursgericht den Antrag unter Hinweis auf die gesetzlichen Regelungen, insbesondere §102a Abs4 BankwesenG, abwiesen und die Antragsteller mit dem Revisionsrekurs die Aufhebung der Rekursentscheidung anstreben, ist davon auszugehen, daß der OGH bei der Entscheidung über den Revisionsrekurs §102a Abs4 BankwesenG anzuwenden haben wird.

Eine zu weite Fassung des Antrages (im Gegensatz zu einem zu eng gefaßten - siehe hiezu E v 20.06.01, G99/00) macht diesen nicht unzulässig, sondern führt allenfalls zu einer teilweisen Zurückweisung. Richtig ist allerdings, daß der nach Aufhebung verbleibende Teil des §102a Abs4 dritter Satz BankwesenG sprachlich fehlerhaft ist. Der Verfassungsgerichtshof geht jedoch - mit dem OGH - davon aus, daß der Sinn des verbleibenden Satzes - daß nämlich dem Partizipanten jedenfalls eine angemessene Barabfindung zu gewähren ist - auch bei dieser sprachlich mangelhaften Fassung erkennbar ist, so daß der verbleibende Teil nicht unverständlich wird.

Aufhebung des zweiten Satzes und der Wortfolge "Ist das Partizipationskapital nicht börsenotiert," im dritten Satz des §102a Abs4 BankwesenG idF BGBl I 123/1999.

In der durch das Gesetz ermöglichten zwangsweisen Einziehung des Partizipationskapitals iSd §102a BankwesenG ist ein Eingriff in das Eigentum iSd Art5 StGG zu erblicken, wird dadurch doch dem bisherigen Partizipanten ein vermögenswertes Privatrecht entzogen, um daran - im Ergebnis - Rechte Dritter, nämlich des einziehenden Kreditinstituts bzw dessen Anteilseigner, zu begründen.

Der Gesetzgeber - auch wenn dem Zeichner von Partizipationsscheinen eine Unternehmensbeteiligung auf Dauer in Aussicht gestellt wurde - darf es als im öffentlichen Interesse liegend betrachten, die Kapitalstruktur bei Kreditinstituten auch in rechtlicher Hinsicht zu bereinigen. Dieser Umstand kann aber nicht eine Einziehung rechtfertigen, bei der die bisherigen Partizipanten in ihren Vermögensrechten verkürzt werden, hätte dies doch zur Konsequenz, daß sie ein Sonderopfer auf sich zu nehmen hätten, das ausschließlich dem Unternehmen bzw dessen Gesellschaftern zugute käme.

Durch §102a Abs4 BankwesenG iVm §2 Abs3 des UmwandlungsG ist für die nicht börsenotierten Partizipationsscheine eine Regelung getroffen, die die Ausmessung einer für den individuellen Fall als angemessen anzusehenden Barabfindung vorsieht und deren gerichtliche Überprüfung ermöglicht, während im Fall börsenotierter Partizipationsscheine die Abfindung sich ausschließlich am tatsächlichen durchschnittlichen Börsekurs eines bestimmten Zeitraums orientiert.

Nun ist der Umstand der Börsenotierung eines Partizipationsscheins von vornherein nicht geeignet, für den Fall der Einziehung von Partizipationskapital inhaltlich unterschiedliche Abfindungsregelungen zu rechtfertigen.

Wenn der Gesetzgeber bei börsenotierten Partizipationsscheinen offenbar aus auf der Hand liegenden Vereinfachungsgründen auf den Börsekurs abstellt, so ist dagegen schon deswegen nichts einzuwenden, weil der Börsekurs jedenfalls aus der Sicht des Partizipanten ein Indiz für den Verkehrswert seiner Beteiligung - und damit für eine angemessene Abfindung - darstellt, dem der Gesetzgeber angesichts der methodischen Problematik, der Kompliziertheit und Kostspieligkeit individueller Unternehmensbewertungen durchaus Bedeutung für die Abfindungsbemessung zumessen darf.

Bedenken erweckt aber in dem hier zu beurteilenden Fall der Umstand, daß die Entscheidung über den Zeitpunkt der Einziehung des Partizipationskapitals von den Organen des betreffenden Kreditinstituts getroffen wird, von den Partizipanten nicht beeinflußbar ist und daß vor diesem Hintergrund die Berücksichtigung des Börsekurses bloß der letzten 20 Tage vor der Beschlußfassung zur Folge haben kann, daß eine Abfindung gewährt wird, die deutlich unter jenem Wert liegt, der auf der Basis einer Unternehmensbewertung als angemessen anzusehen wäre. Eine solche Situation ist bei den Inhabern nicht börsenotierter Scheine durch das Gesetz ausgeschlossen, weil diese die Angemessenheit der angebotenen Abfindung unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften des §2 Abs3 UmwandlungsG und §225c Abs1 und Abs2 AktienG gerichtlich überprüfen lassen können. Ist aber die realistische Möglichkeit gegeben, daß der durchschnittliche Börsekurs der letzten 20 Tage zu einer unangemessen niedrigen Abfindung führt, so müßte der Gesetzgeber, auch um eine unsachliche Schlechterstellung gegenüber den Inhabern nicht börsenotierter Partizipationsscheine zu vermeiden, den Inhabern börsenotierter Scheine (ebenfalls) das Recht einräumen, die Angemessenheit ihrer Abfindung überprüfen zu lassen.

Keine verfassungskonforme Auslegung iS einer gerichtlichen Kontrollmöglichkeit.

Die Aufhebung der vom OGH angegriffenen Wortfolge ermöglicht aber - anders als die geltende Fassung - auch bei börsenotierten Partizipationsscheinen eine gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit einer Abfindung zum Börsekurs.

Keine Fristsetzung.

Der Verfassungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, dem Antrag der Bundesregierung zu folgen und eine Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Wortfolgen zu bestimmen. Mit dieser Aufhebung wird nämlich nur das Ergebnis verwirklicht, das nach Ansicht der Bundesregierung bereits jetzt besteht, nämlich daß auch die Inhaber börsenotierter Partizipationsscheine die Angemessenheit ihrer Abfindung überprüfen lassen können. Da der nach Aufhebung verbleibende Rest der Bestimmung nicht daran hindert, nach wie vor zunächst auf den Börsekurs als angemessene Barabfindung abzustellen, besteht für eine Fristsetzung kein Anlaß.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Börsewesen, Kreditwesen, Bankwesen, Handelsrecht, Eigentumseingriff, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Aufhebung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G286.2001

Dokumentnummer

JFR_09979072_01G00286_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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