RS Vfgh 2002/10/2 B762/98

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Veröffentlicht am 02.10.2002
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art87 Abs3
B-VG Art144 Abs2
B-VG Art147 Abs6, Abs7
VfGG §7 Abs1, Abs2
VfGG §31
VfGG §19 Abs3 Z1

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags betreffend die erfolgte Ablehnung einer Beschwerdebehandlung in der sogenannten "Kleinen Besetzung" wegen unrichtiger Zusammensetzung; reduzierte Besetzung zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichtshofes vom Verfassungsgesetzgeber akzeptiert; Anforderungen des Grundsatzes des Verfahrens vor dem gesetzlichen Richter auf die Besetzung des VfGH nur beschränkt übertragbar; Ladung sämtlicher Mitglieder und Übermittlung aller Entscheidungsentwürfe und -unterlagen auch in den in reduzierter Besetzung zur Erledigung gelangenden Fällen

Rechtssatz

Die Sicherung der jederzeitigen und anhaltenden Funktionsfähigkeit des (im gezielten Gegensatz zum Berufsrichtertum auf dem Zusammenwirken von Angehörigen verschiedener Rechtsberufe beruhenden) Verfassungsgerichtshofes stellt gleichsam ein der Bundesverfassung immanentes Gebot dar. Diesem Gebot wurde vorrangig stets durch Vorschriften über eine reduzierte Besetzung der Richterbank Rechnung getragen. Der Verfassungsgesetzgeber akzeptierte einerseits die in mehreren Novellen enthaltenen diesbezüglichen einfachgesetzlichen Regelungen ohne jeglichen Vorbehalt; andererseits schuf er im Interesse der Funktionsfähigkeit des Gerichtshofes zu dessen weiteren Entlastung (durch zwei Verfassungsnovellen - BGBl 350/1981 sowie BGBl 296/1984) die Möglichkeit, die Behandlung bestimmter Beschwerden abzulehnen.

Die Bestimmungen des mit "B. Gerichtsbarkeit" überschriebenen Abschnittes des B-VG können für den Bereich der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, so insbesondere für den Verfassungsgerichtshof, nur dann und insoweit herangezogen werden, als deren Anwendung entweder ausdrücklich angeordnet ist oder der verfassungsrechtlich geregelten besonderen Aufgabenstellung dieser Gerichtshöfe entspricht. Dies ist ua für das in Art83 B-VG festgelegte Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zu beachten. Weder Art147 Abs6 B-VG (der sich auf die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofes bezieht und - bloß - bestimmte Gesetzesstellen des Abschnittes "B. Gerichtsbarkeit" - darunter jedoch eben nicht Art83 - für anwendbar erklärt) noch eine andere Verfassungsvorschrift bietet einen Anhaltspunkt dafür, daß die in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Anforderungen, welche der Grundsatz des Verfahrens vor dem gesetzlichen Richter an die Gesetzgebung und Vollziehung bezüglich der personalen Zusammensetzung eines Kollegiums stellt, auf die Besetzung der Richterbank des - wie in diesem Zusammenhang erinnernd festgehalten sei: 14 Mitglieder und 6 Ersatzmitglieder umfassenden - Verfassungsgerichtshofes ohne Bedachtnahme auf die bestehenden Unterschiede übertragbar wären. Dies gilt entsprechend auch für die Kriterien, gemäß denen jene Angelegenheiten, für die ein niedrigeres Besetzungsquorum hinreicht, von den übrigen abzugrenzen sind.

Daß das in Art87 Abs3 B-VG für die "Gerichtsbarkeit" vorgesehene Prinzip der festen Geschäftsverteilung für die verfassungsgerichtliche Entscheidungstätigkeit ohne Belang ist, folgt schon aus der bundesverfassungsrechtlichen Einrichtung des Verfassungsgerichtshofes als einheitlicher Spruchkörper, der jede anfallende Rechtssache in Plenarbesetzung entscheiden kann, wenngleich er dazu nicht in jedem Fall verpflichtet ist.

Ein (nicht durch die Ladung von Ersatzmitgliedern auszugleichendes) Fernbleiben eines geladenen Mitglieds ist bei entsprechender Sicherstellung des (gemäß dem Vorschlag des im Einvernehmen mit dem Präsidenten vorgehenden Referenten) nach der Art des Falles in Betracht kommenden, niedrigeren Quorums - da durch §7 Abs2 VfGG gesetzlich begründet - in jeder Beziehung gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang ist auf die vom Verfassungsgerichtshof geübte Praxis der Zusammensetzung des Gerichtshofes bei Vorliegen der Voraussetzungen des (iVm §19 zu verstehenden) §7 Abs2 VfGG und den Umstand hinzuweisen, daß die Ladung auch zu diesen Sitzungen an sämtliche Mitglieder ergeht, denen auch alle Entscheidungsentwürfe und -unterlagen übermittelt werden. Abgesehen von jenen in reduzierter Besetzung zur Erledigung gelangenden Fällen, für die das Verfassungsgerichtshofgesetz ausdrücklich Einstimmigkeit für die Beschlußfassung festlegt (§31 letzter Satz VfGG iVm §19 Abs3 Z1 und Abs4 Z1 VfGG), ist es ständige Gepflogenheit, nach dem (ursprünglichen, aber sodann nicht mehr aufrechterhaltenen) Antrag des Referenten zur nichtöffentlichen Entscheidung in einer Besetzung gemäß §7 Abs2 VfGG vorgesehene Rechtssachen iSd §19 Abs3 bis Abs5 auf Verlangen auch nur eines einzigen Mitgliedes in voller Besetzung des Gerichtshofes zu behandeln. Wird ein derartiges Verlangen nicht gestellt, so kommt darin implizit die Zustimmung zu der vom Referenten angestrebten Beschlußfassung in nicht voller Besetzung (vgl §7 Abs1 VfGG) zum Ausdruck.

Entscheidungstexte

  • B 762/98
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 02.10.2002 B 762/98

Schlagworte

VfGH / Beschlußerfordernisse, VfGH / Organisation, VfGH / Zusammensetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B762.1998

Dokumentnummer

JFR_09978998_98B00762_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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