RS Vfgh 2003/10/4 G53/03 ua - G106/03, G29/04, G35/04

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Veröffentlicht am 04.10.2003
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art14b Abs6
B-VG Art112
B-VG Art116 Abs2
B-VG Art118 Abs2
B-VG Art118 Abs4
B-VG Art118 Abs5
BG BGBl I 99/2002 Art4 (Verfassungsbestimmung betr Nachprüfungsverfahren hinsichtlich oberster Organe der Vollziehung iSd Art19 Abs1 B-VG)
Wr LandesvergabeG §12 Abs1 Z1
Wr LandesvergabeG §95
Richtlinie des Rates vom 25.02.92. 92/13/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber in bestimmten Sektoren (zB Wasser) Energie. Verkehr.
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- und Bauaufträge
Stmk VergabeG 1998 §12 Abs1 Z1
Sbg LandesvergabeG §1 Abs1 Z1
Oö VergabeG §2 Abs1 Z2

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der im Wiener Landesvergabegesetz vorgesehenen Nachprüfung von Vergabeentscheidungen der Gemeinde Wien durch den Vergabekontrollsenat (VKS) als Landesorgan; Unzulässigkeit der Einrichtung eines Rechtsmittels in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches an ein Verwaltungsorgan außerhalb der Gemeinde; Gemeinderat verfassungsgesetzlich als oberstes Organ der Gemeinde eingerichtet; doppelte Bindung des Gesetzgebers bei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht; Konvalidation der geprüften Bestimmung mit Erlassung einer verfassungsrechtlichen Sonderregelung

Rechtssatz

Die Wortfolge "oder Gemeinde" in §12 Abs1 Z1 Wr LandesvergabeG, LBGl 36/1995, idF LGBl 50/2000 war bis zum Ablauf des 31.08.02 verfassungswidrig.

Die Bestimmung beruft den VKS zur Kontrolle von (Vergabe-)Entscheidungen der Gemeinde Wien, die von dieser gemäß Art112 iVm Art116 Abs2 und Art118 Abs2 B-VG im eigenen Wirkungsbereich getroffen werden.

Aus Art118 Abs4 B-VG, der gemäß Art112 B-VG auch für Wien gilt, ergibt sich, dass die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches von der Gemeinde "unter Ausschluß eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen" sind (vgl VfSlg 16320/2001).

Es ist im Verfahren unbestritten geblieben, dass der VKS als Landesorgan eingerichtet wurde (vgl §95 Wr LandesvergabeG).

Die rechtliche Möglichkeit, Vergabeentscheidungen der Gemeinde Wien beim VKS, einem Landesorgan, anzufechten, bildet die Einrichtung eines Rechtsmittels an ein Verwaltungsorgan "außerhalb der Gemeinde". Sie stand damit bis zum 01.09.02 im Widerspruch zu Art118 Abs4 B-VG.

Die geschilderte Zuständigkeit verstieß aber bis zum genannten Zeitpunkt auch gegen Art118 Abs5 B-VG, demzufolge der Gemeinderat das oberste Organ der Gemeinde zu sein hat (VfSlg 13304/1992). Es war daher verfassungswidrig, Vergabeentscheidungen, die von der Gemeinde Wien im eigenen Wirkungsbereich getroffen wurden, von einem nicht dem Gemeinderat verantwortlichen Organ, dem VKS, (außerhalb eines hier von vornherein nicht in Betracht kommenden aufsichtsbehördlichen Verfahrens) überprüfen und u.U. für nichtig erklären zu lassen.

Die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Einrichtung eines besonderen Anforderungen genügenden Nachprüfungsverfahrens (vgl die Rechtsmittelrichtlinien 89/665/EWG bzw 92/13/EWG) wird nicht dadurch inhibiert, dass der Verfassungsgerichtshof die Bestimmungen des Art118 Abs4 B-VG über den verfassungsgesetzlichen Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde und des Art118 Abs5 B-VG, der zufolge der Gemeinderat verfassungsgesetzlich als oberstes Organ der Gemeinde eingerichtet ist, anwendet; vielmehr bedurfte im Hinblick auf den Grundsatz doppelter rechtlicher Bindung des Gesetzgebers (vgl VfSlg 15106/1989, 15683/1999 ua) eine den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechende gesetzliche Regelung eines - inzwischen auch erfolgten - Tätigwerdens des Verfassungsgesetzgebers.

Die als verfassungswidrig erkannte Gesetzesbestimmung ist hinsichtlich der Nachprüfung von Vergabeentscheidungen der Gemeinde Wien als Auftraggeber durch den nach dem 1. Hauptstück des 4. Teiles des Wr LandesvergabeG eingerichteten VKS konvalidiert, weil der Bundesverfassungsgesetzgeber mit Art4 Abs1 des BG BGBl I 99/2002 (für den Zeitraum vom 01.09. bis 31.12.02) bzw. mit Art14b Abs6 B-VG (ab 01.01.03) eine entsprechende Sonderregelung erlassen hat.

(Anlassfall B1095/01, E v 04.10.03, Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; ebenso: Quasi-Anlässfalle B116/01, E v 08.10.03, B348/02, E v 25.11.03).

Ebenso: G106/03, E v 25.11.03, hinsichtlich §12 Abs1 Z1 Stmk VergabeG 1998; G29/04, E v 27.09.04, hinsichtlich der Wortfolge "die Gemeinden," in §1 Abs1 Z1 Sbg LandesvergabeG; G35/04, E v 16.10.04, hinsichtlich §2 Abs1 Z2 Oö VergabeG - Vergabekontrolle durch die hier nicht als Aufsichtsbehörde einschreitende Oö Landesregierung mit Instanzenzug an den UVS (Anlassfall B685/02, E v 16.10.04).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Bundeshauptstadt Wien, EU-Recht Richtlinie, Sanierung, Gemeinderecht, Gemeinderat, Wirkungsbereich eigener, Wirtschaftsverwaltung (Gemeinde), Oberste Organe der Vollziehung, Vergabewesen, Verwaltungsverfahren, Zuständigkeit, Instanzenzug, Rechtsschutz, Aufsichtsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G53.2003

Dokumentnummer

JFR_09968996_03G00053_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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