RS Vfgh 2004/6/14 A17/03

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Veröffentlicht am 14.06.2004
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Index

20 Privatrecht allgemein
20/05 Wohn- und Mietrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art137 / sonstige zulässige Klagen
B-VG Art137 / sonstige Klagen
EMRK Art8
EG Art39
MietrechtsG §30 Abs2 Z6
VfGG §41

Leitsatz

Abweisung einer Staatshaftungsklage auf Ersatz der Verfahrenskosten im Zusammenhang mit mietrechtlichen Kündigungsverfahren wegen Nichtvorlage einer Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechtes an den EuGH durch die Gerichte; Zuständigkeit des VfGH angesichts der Zurechnung einer allfälligen Vorlagepflicht an den OGH auch in Fällen einer - im Übrigen unzulässigen - außerordentlichen Revision; kein qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht, etwa die Arbeitnehmerfreizügigkeit, durch Entscheidungen betreffend die Kündigung eines Nutzungsvertrags mangels eines dringenden Wohnbedürfnisses des im Ausland tätigen Klägers an einer Zweitwohnung

Rechtssatz

Die klagende Partei macht - alternativ zur behaupteten Fehlleistung des OGH - auch eine staatshaftungsbegründende Untätigkeit des Gesetzgebers mit der Begründung geltend, dass dieser den §30 Abs2 Z6 MietrechtsG als gemeinschaftswidrig hätte aufheben müssen. Selbst wenn diese Behauptung zuträfe, wäre die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen, da die Gerichte - und in letzter Instanz der OGH - diese Vorschrift im Falle ihrer Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht hätten anwenden dürfen (vgl VfSlg 16107/2001 sowie VfGH 07.10.03, A11/01). Der Kläger macht also auch in diesem Punkt in Wahrheit sogenanntes Vollzugsunrecht geltend.

Das behauptete Fehlverhalten liegt nach dem Vorbringen des Klägers in der Nichtvorlage einer Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts an den EuGH. Ein solches Fehlverhalten wäre jenem Organ zuzurechnen, das die Vorlagepflicht trifft. Unter der Annahme, dass das behauptete Fehlverhalten zuträfe, wäre im vorliegenden Fall der OGH, der über einen außerordentlichen Revisionsrekurs zu entscheiden hatte, vorlagepflichtig gewesen.

Erklärt das Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist, so hat der OGH dennoch die Möglichkeit, die allenfalls erhobene (außerordentliche) Revision ungeachtet des Ausspruches des Berufungsgerichts zuzulassen (§508a Abs2 ZPO). Es besteht also auch für den OGH (wie im Fall Lyckeskog, vgl EuGH v 04.06.02, C-99/00) die Möglichkeit, einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht durch Zulassung der außerordentlichen Revision zu vermeiden, sodass iSd Rechtsprechung des EuGH eine allfällige Verletzung des Gemeinschaftsrechts dem OGH zuzurechnen wäre. Gibt er selbst keine Begründung ab, warum er Gemeinschaftsrecht nicht für vorrangig anwendbar hält, und weist er eine außerordentliche Revision ohne Begründung zurück (§510 Abs3 ZPO), so schließt er sich implizit den Begründungen des Berufungsgerichtes an.

Das Verhalten des OGH ist auch im Rahmen der sogenannten Staatshaftung nur aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen (und unanfechtbar gewordenen) Sachverhaltsfeststellungen zu beurteilen.

Dass die Einflussnahme der Parteien auf die Gerichts- oder Behördenzuständigkeit etwa durch bestimmtes Vorbringen, die Auswahl des Rechtstitels für den behaupteten Anspruch, Vereinbarungen (zB. Gerichtsstandsvereinbarungen oder Schiedsgerichtsvereinbarungen, Wahl des Erfüllungsortes), die Festlegung des Streitwertes, die Auswahl unter mehreren möglichen Gerichtsständen oder faktisches Verhalten, das sich auf den Zuständigkeitstatbestand auswirkt, nicht Art83 Abs2 B-VG widerspricht, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass diese Bestimmung ein gesetzlich gewährleistetes Recht der Verfahrensparteien enthält, aber keine Verpflichtung der Parteien, alles zu unterlassen, was die Zuständigkeit "beeinflussen" könnte.

Auch bewirkt das Verfahren vor dem EGMR keine Streitanhängigkeit, da der im dortigen Verfahren geltend gemachte Anspruch auf einem anderen (engeren) Rechtsgrund beruht als der Staatshaftungsanspruch.

Gemäß den Feststellungen des LG Feldkirch im Urteil vom 11.07.00 haben der Kläger und seine Frau seit vielen Jahren ihren wirtschaftlichen und familiären Mittelpunkt in Frankfurt, wo die Ehefrau des Klägers berufstätig ist. Es ist daher völlig unerfindlich, wie das Privat- und Familienleben des Klägers (Art8 EMRK) verletzt sein könnte, bloß weil er eine Zweitwohnung in Bregenz aufgeben muss.

Es bleibt nach den Ausführungen der Klage unklar, weshalb jemand, der seinen Wohnsitz und Mittelpunkt seiner Lebensinteressen im Ausland hat, iSd Art39 EG diskriminiert sein soll, wenn die den Mieter bzw. Genossenschafter begünstigenden gesetzlichen Kündigungsbestimmungen auf seinen Fall nicht zutreffen und er es auch verabsäumt hat, für ihn noch günstigere Vertragsbestimmungen zu vereinbaren.

Das Nichtaufgreifen dieser Fragen durch das Landesgericht Feldkirch - und implizit der Übernahme dessen Begründung durch den Obersten Gerichtshof - bietet jedenfalls keinen Anhaltspunkt dafür, dass der OGH einen qualifizierten Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht begangen hat. Der Kläger vermag weder eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts anzugeben, die ein entsprechendes "Maß an Klarheit und Präzision" aufweist, oder gar eine Entscheidung des EuGH zu nennen, aus der ein derartiger Verstoß zu schließen wäre.

Keine konkreten Ausführungen zum behaupteten Widerspruch eines weiteren Beschlusses des OGH zum Gemeinschaftsrecht (Zurückweisung der außerordentlichen Revision infolge Unzulässigkeit einer Oppositionsklage im Fall eines vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung abgeschlossenen Exekutionsverfahrens).

Kostenzuspruch an den beklagten Bund.

Der in der Gegenschrift geltend gemachte Vorlage- und Schriftsatzaufwand war nicht zuzusprechen, weil für die Erstattung der Gegenschrift kein Rechtsbeistand hinzugezogen wurde und die Finanzprokuratur erst in der Verhandlung für die beklagte Partei eingeschritten ist (vgl VfSlg 10103/1984, 13640/1993, 16023/2000 uvm). Da die öffentliche mündliche Verhandlung die Dauer von einer Stunde nicht überschritten hat, war auch deren Verrichtung durch die Finanzprokuratur lediglich in diesem Ausmaß zu honorieren.

Entscheidungstexte

Schlagworte

EU-Recht Vorabentscheidung, EU-Recht, Mietenrecht, Staatshaftung, VfGH / Klagen, VfGH / Kosten, VfGH / Zuständigkeit, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:A17.2003

Dokumentnummer

JFR_09959386_03A00017_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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