RS Vfgh 2005/11/2 B475/05

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 02.11.2005
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art6 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art7, Art14
RAO §9 Abs1, §10 Abs1, §19 Abs1
StPO §39 Abs3

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt aufgrund der Annahme einer standesrechtlich untersagten Doppelvertretung als Strafverteidiger sowie wegen Berufspflichtenverletzungen in Folge Verzögerungen bei Prozesshandlungen und nicht ordnungsgemäßer Abrechnung; Anwendbarkeit von RAO und Standesrecht auf den die Rechtsanwaltschaft wirklich ausübenden Beschwerdeführer auch bei Tätigkeit als Strafverteidiger; keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit durch repressive Maßnahmen

Rechtssatz

Keine Willkür, ausreichendes Ermittlungsverfahren; keine Verletzung des Klarheitsgebotes des Art7 EMRK.

Die belangte Behörde stützte sich auf §10 Abs1 RAO. Sie führte aus, dass sich ein Mandant des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien leugnend verantwortet habe, während der andere geständig gewesen sei und seinen Mitangeklagten schwer belastet habe. Daher sei eine Doppelvertretung vorgelegen. Der belangten Behörde kann in ihrer Ansicht aus - verfassungsrechtlicher Sicht - nicht entgegengetreten werden.

Die belangte Behörde hat sich bei der Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers als Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes auch im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Interpretation des §10 Abs1 RAO für den Beschwerdeführer erkennbar sein musste, nämlich dass er sich einer Bestrafung aussetzt.

Der belangten Behörde kann weiters nicht entgegengetreten werden, wenn sie annimmt, dass die Betreibung einer Wiederaufnahme eines Strafverfahrens fast ein halbes Jahr nach Übernahme des Auftrags und die Stellung eines Antrags auf bedingte Entlassung aus der Haft mehr als ein halbes Jahr nach Vorliegen der Voraussetzungen nicht den vom Gesetz geforderten Eifer in der Vertretung zeigen. Wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend ausführt, beinhaltet der Begriff "Eifer" (iSd §9 Abs1 RAO) ein gewisses Aktivwerden, dem ein Untätigsein während mehrerer Monate nicht entspricht.

Keine denkunmögliche Auslegung des §19 Abs1 RAO dahingehend, dass die Übergabe von Einzelbelegen nicht dem Begriff "verrechnen" iSd §19 Abs1 RAO entspricht.

Keine Verletzung des Art6 EMRK, des Art14 EMRK und Art7 B-VG.

Da (in die Verteidigerliste gemäß §39 Abs3 StPO eingetragene) sogenannte "Nur-Verteidiger" im Vergleich zu "die Rechtsanwaltschaft wirklich ausübenden" Rechtsanwälten nicht zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten befugt sind, liegen unterschiedliche Berechtigungen vor, die eine unterschiedliche Betrachtungsweise rechtfertigen. Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen "die Rechtsanwaltschaft wirklich ausübenden" Rechtsanwalt, somit sind die RAO und ihr Standesrecht auf ihn anwendbar.

Repressive Maßnahmen, etwa die disziplinäre Behandlung wegen Verletzung von Standespflichten, verletzen nicht das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht gemäß Art6 StGG.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, Strafprozeßrecht, Verteidigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B475.2005

Dokumentnummer

JFR_09948898_05B00475_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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