TE Vfgh Erkenntnis 1980/3/11 B180/77

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Veröffentlicht am 11.03.1980
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
KFG 1967 §102 Abs2
VStG §35 litc

Leitsatz

Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit; gesetzmäßige Festnehmung nach §35 litc VStG 1950

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen folgendes vorgebracht:

Der Beschwerdeführer sei am 7. April 1977 um etwa 9 Uhr vormittags mit einem auf seine Firma zugelassenen Kraftfahrzeug (Kennzeichen W ...) auf der Simmeringer Hauptstraße stadteinwärts gefahren. Wegen Nichtbeachtung eines Vorranges sei er von Sicherheitswachebeamten angehalten worden, die über ihn eine Organstrafverfügung verhängt hätten.

Hiebei sei auch beanstandet worden, daß die vordere Kennzeichentafel schlecht lesbar sei. Es sei dem Beschwerdeführer der Auftrag erteilt worden, das vordere Kennzeichen zu reinigen.

Da der Beschwerdeführer kein Reinigungsmaterial bei sich gehabt habe, habe er die Tafel bei der nächsten BP-Tankstelle, die nur einige hundert Meter entfernt gewesen sei, reinigen lassen wollen. Als er etwa 50 m von der ersten Anhaltestelle (wo die Bestrafung mit dem Organmandat bzw. die Aufforderung zur Reinigung der Tafel erfolgt sei) entfernt gewesen sei, wäre er neuerlich angehalten und trotz seines Hinweises, daß er die Tafel ja in der unmittelbar daneben liegenden Tankstelle reinigen lassen wolle, ohne Abmahnung festgenommen und auf das Kommissariat XI, Simmering, überstellt worden.

b) Der Beschwerdeführer beantragt die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch die Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden sei.

2. a) Die belangte Behörde beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde und bringt zum Sachverhalt im wesentlichen vor, daß die Entfernung zwischen den Anhalteorten in Wahrheit zirka 480 m betrage. Der Beschwerdeführer habe nach der bei der ersten Anhaltung ergangenen Aufforderung in einer für die Beamten wahrnehmbaren Weise begonnen, nach einem Reinigungsmittel zu suchen. Bei der zweiten Anhaltung habe der Beamte den Eindruck gewonnen, daß der Beschwerdeführer nur gewartet habe, bis der Funkwagen außer Sicht sei, um dann mit kaum lesbarem Kennzeichen weiterzufahren.

Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer am zweiten Anhaltungsort nochmals aufgefordert worden, das Kennzeichen zu reinigen. Da er darauf bestanden habe, bis zur nächsten Tankstelle mit verschmutztem Kennzeichen weiterzufahren, sei er um 9 Uhr festgenommen und mit dem Funkwagen zum Bezirkspolizeikommissariat Simmering gebracht worden; nach seiner Einvernahme sei er um 9.40 Uhr wieder entlassen worden.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Bei der vor dem VfGH durchgeführten mündlichen Verhandlung wurden die Sicherheitswachebeamten, von denen die Amtshandlungen gegenüber dem Beschwerdeführer vorgenommen wurden, als Zeugen und der Beschwerdeführer als Partei einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, daß ihm die Weiterfahrt mit verschmutztem Kennzeichen bis zur nächsten Tankstelle nach der Aufforderung zur Reinigung zumindest schlüssig gestattet worden sei, wohingegen einer der Zeugen ausschloß, daß dem Beschwerdeführer die Weiterfahrt ohne sofortige Reinigung der Kennzeichentafel zugestanden worden sei. Außerdem gab der Beschwerdeführer an, nicht nach einem Reinigungsmittel gesucht zu haben, sondern sofort weitergefahren zu sein.

2. Die Festnahme des Beschwerdeführers ist ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangener Verwaltungsakt iS des Art144 Abs1 B-VG. Die dagegen erhobene Beschwerde ist, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig.

3. a) Aufgrund des Vorbringens in der Beschwerde und in der Gegenschrift sowie aufgrund der übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers und der Zeugen in der mündlichen Verhandlung steht fest, daß von den Sicherheitswachebeamten anläßlich der Anhaltung des Beschwerdeführers wegen der Nichtbeachtung des Vorranges festgestellt wurde, daß die vordere Kennzeichentafel des vom Beschwerdeführer gelenkten Kraftfahrzeuges infolge Verschmutzung schlecht lesbar war. Unbestritten ist, daß von den Sicherheitswachebeamten bei der ersten Anhaltung an den Beschwerdeführer die Aufforderung gerichtet wurde, die Reinigung der Kennzeichentafel sofort vorzunehmen. Des weiteren steht fest, daß die Verwendung des Fahrzeuges mit der noch nicht gereinigten und daher schlecht lesbaren vorderen Kennzeichentafel den Anlaß zur zweiten Anhaltung des Beschwerdeführers durch die Sicherheitswachebeamten gebildet hat.

b) Der VfGH nimmt aufgrund der Aussagen der Sicherheitswachebeamten in der mündlichen Verhandlung als erwiesen an, daß dem Beschwerdeführer die Weiterfahrt mit verschmutzter Kennzeichentafel - sei es auch nur bis zur nächsten Tankstelle, um sie dort reinigen zu lassen - nicht gestattet wurde. Der gegenteiligen Behauptung des Beschwerdeführers vermag der VfGH vor allem deshalb nicht zu folgen, weil dieser bei seiner Einvernahme im Bezirkspolizeikommissariat unmittelbar nach der Festnahme lediglich Wert auf die Feststellung gelegt hat, daß er zur nächsten Tankstelle fahren wollte, und in keiner Weise von ihm auf eine Gestattung dieser Weiterfahrt durch die Sicherheitswachebeamten hingewiesen worden ist.

Bei diesem Sachverhalt war auf das übrige Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen; insb. konnte eine Prüfung der Fragen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich mit der Suche nach einem Reinigungsmittel begonnen oder lediglich gewartet hat, bis die Sicherheitswachebeamten außer Sicht waren, und ob er bei der zweiten Anhaltung tatsächlich nochmals abgemahnt oder sofort festgenommen worden war, unterbleiben.

4. a) Sohin ist der Beschwerdeführer bei der ersten Anhaltung wegen einer Verwaltungsübertretung nach §102 Abs2 KFG 1967 auf frischer Tat betreten worden. Durch die - ihm nicht gestattete - Fortsetzung der Fahrt mit ungereinigter Kennzeichentafel hat er in der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens verharrt; auch dabei ist er auf frischer Tat betreten worden.

Der VfGH sieht in der bei der ersten Anhaltung vorgenommenen Untersagung einer Fortsetzung der Fahrt ohne Reinigung der Kennzeichentafel eine Abmahnung iS des §35 litc VStG 1950.

b) Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch §35 litc VStG 1950. Nach dieser Bestimmung dürfen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zwecke ihrer Vorführung vor die Behörde ua. dann festnehmen, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen versucht.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit des §35 litc VStG 1950 sind aus Anlaß dieser Beschwerde keine Bedenken hervorgekommen.

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, waren die Voraussetzungen für die Festnahme des Beschwerdeführers nach §35 litc VStG 1950 gegeben. Der Beschwerdeführer ist demnach durch die vorgenommene Festnehmung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden.

5. Weil die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes gleichfalls nicht stattgefunden hat, war bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlage die Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B180.1977

Dokumentnummer

JFT_10199689_77B00180_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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