TE Vfgh Erkenntnis 1980/5/8 V14/80

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Veröffentlicht am 08.05.1980
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Index

32 Steuerrecht
32/07 Stempel- und Rechtsgebühren, Stempelmarken

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs6 zweiter Satz
BAO §22, §22 Abs2
BGBlG 1972 §2 Abs1 litf
Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom 17.06.77 AÖFV 174/1977
GebührenG 1957 §16, §16 Abs2
GebührenG 1957 §33 TP 19 idF BGBl 668/1976

Beachte

vgl. Kundmachung BGBl. 301/1980 am 10. Juli 1980; s. Anlaßfälle VfSlg. 8843/1980

Leitsatz

Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom 17. Juni 1977, Z 110750/2-IV/11/77, AÖFV 174/1977, betreffend Beurkundung gebührenpflichtiger Rechtsgeschäfte im Ausland, gesetzwidrig

Spruch

Der Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom 17. Juni 1977, Z 110750/2-IV/11/77, AÖFV 174/1977, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Der aufgehobene Erlaß ist auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden.

Der Bundesminister für Finanzen ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Beim VfGH sind zu den Zahlen B84/79 und B255 - 266/79 Verfahren gegen im Instanzenzug ergangene Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. anhängig, mit denen in Anwendung des §16 Abs2 des Gebührengesetzes 1957 und des §22 der Bundesabgabenordnung (künftig: BAO) Rechtsgeschäftsgebühren gem. §33 TP19 des Gebührengesetzes 1957 idF der Nov. BGBl. 668/1976 (künftig: GebG) für Kreditverträge vorgeschrieben wurden, welche im Ausland beurkundet und weder in Urschrift noch in beglaubigter Abschrift in das Inland eingebracht wurden.

2. Bei der Beratung über die Beschwerden sind Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des vorläufig als Rechtsverordnung bewerteten Erlasses des Bundesministers für Finanzen vom 17. Juni 1977, Z 110750/2-IV/11/77, AÖFV 174/1977, entstanden.

Der VfGH hat daher beschlossen, aus Anlaß der erwähnten Beschwerden von Amts wegen nach Art139 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit dieses Erlasses einzuleiten.

Der VfGH hat die entstandenen Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des in Prüfung gezogenen Erlasses im Einleitungsbeschluß im wesentlichen wie folgt umschrieben:

a) Die in dem Erlaß verwendete Diktion veranlaßte den VfGH zu der vorläufigen Annahme, daß es sich hiebei nicht nur um eine unverbindliche Orientierung nachgeordneter Organe über die Rechtslage handelt.

Diese Annahme fuße in wiederholt im Erlaß verwendeten gebietenden

Formulierungen wie zB "... jedenfalls dann ..." im 6. Abs. des Erlasses oder "... wird besonders darauf zu achten sein, ob

nicht ..." im 7. Abs. des Erlasses. Auch die Diktion des auf §22 BAO bezugnehmenden Satzes "waren für die Urkundenerrichtung im Ausland nicht vorherrschende Gründe der zivilrechtlichen Rechtsgestaltung, sondern die Umgehung der Gebührenpflicht maßgeblich, dann handelt es sich um einen Anwendungsfall des §22 BAO", scheine eine normative Anordnung zu enthalten, welche über eine bloße Feststellung der Gesetzeslage hinausgehe. Der verwendete Wortlaut spreche auch dagegen, daß es sich um eine bloß unverbindliche Meinungseröffnung handle. Auch im letzten Absatz des in Prüfung gezogenen Erlasses werde in befehlender Form ausgesagt "so wird das Finanzamt ... zu prüfen haben ...".

Gegen die Annahme einer Unverbindlichkeit spreche auch, daß eine in Steuererlässen üblicherweise verwendete Einleitung, welche in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise klarstelle, daß keine Rechtsverordnung vorliege, in dem in Prüfung gezogenen Erlaß nicht enthalten sei.

Da der Erlaß auch die Rechtslage für die Allgemeinheit gestaltend zu verändern schien, ging der VfGH von der vorläufigen Annahme aus, daß er infolge seines unmittelbar die Allgemeinheit bindenden Inhaltes als Rechtsverordnung zu qualifizieren sei.

b) Für diesen Fall hatte der VfGH das Bedenken, daß der in Prüfung gezogene Erlaß als Rechtsverordnung eines Bundesministers der Kundmachung im Bundesgesetzblatt bedurft hätte. Der VfGH hatte daher das Bedenken, daß der Erlaß mangels entsprechender Kundmachung mit Gesetzwidrigkeit belastet sei.

c) Der VfGH hatte das weitere Bedenken, daß der in Prüfung gezogene Erlaß auch inhaltlich mit Gesetzwidrigkeit belastet sei.

§16 Abs2 GebG regle die Gebührenpflicht für Urkunden, die im Ausland errichtet werden.

Mit dem Erlaß werde bestimmt, daß es sich um einen Anwendungsfall des §22 BAO handle, wenn für die Errichtung einer Urkunde im Ausland nicht vorherrschende Gründe der zivilrechtlichen Rechtsgestaltung, sondern die Umgehung der Gebührenpflicht maßgeblich waren. Der VfGH hatte das Bedenken, daß §22 BAO, der bestimmt, daß durch Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes die Abgabepflicht nicht umgangen oder gemindert werden kann, keine Deckung für eine Anordnung dieses Inhaltes biete. Ebensowenig wie die Unterlassung einer Urkundenerrichtung zwecks Vermeidung des Entstehens einer Gebührenpflicht ein Mißbrauch iS des §22 BAO sein könne, scheine der alleinige Umstand, daß die Urkundenerrichtung ausschließlich deshalb im Ausland erfolgte, um das Entstehen einer Gebühr zu vermeiden, einen Anwendungsfall des §22 BAO zu bilden. Der VfGH hatte das Bedenken, daß sowohl eine Auslegung nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn des §22 BAO, ebenso aber auch jede andere Auslegungsmethode eine Anwendung dieser Bestimmung iS des in Prüfung gezogenen Erlasses auf die Gebührenpflicht von Urkunden, die im Ausland errichtet worden sind, ausschließe.

d) Der VfGH ging schließlich davon aus, daß der Erlaß im Hinblick auf seine Fassung untrennbaren Inhaltes sei.

3. Der zur Vertretung des in Prüfung gezogenen Erlasses berufene Bundesminister für Finanzen hat eine Äußerung erstattet, in welcher er im wesentlichen ausführte:

a) Gehe man davon aus, daß eine Rechtsverordnung ein verwaltungsbehördlicher Willensakt ist, durch den der Verordnungsgeber nicht nur seine nachgeordneten Verwaltungsorgane, sondern ganz allgemein die Rechtsunterworfenen durch normative Anordnungen binden wolle, dann sollte nicht unterstellt werden, daß in Kenntnis der seit vielen Jahren vom VfGH vertretenen und mit dem VwGH im Widerspruch stehenden Ansicht zum Problem der nicht gehörig kundgemachten Rechtsverordnungen der Verordnungsgeber in Vollziehung der Abgabengesetze noch immer Anordnungen, die in normativer Weise die Allgemeinheit binden sollen, in Form von Erlässen nur im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung abdrucke. Im Zweifel sei grundsätzlich davon auszugehen, daß sich auch ein Verordnungsgeber gesetzmäßig und nicht gesetzwidrig verhalte.

Betrachte man aus dieser Sicht den in Prüfung gezogenen Erlaß, dann sei er seinem gesamten äußeren Erscheinungsbild nach keine Rechtsverordnung. Der Erlaß bediene sich nur in einem einzigen Absatz zweifelsfrei der Sprache eines normativen Befehls, indem er im viertletzten Absatz die Finanzlandesdirektion zu Kontrollmitteilungen anweise. Bereits im zweiten Absatz werde mit den Worten "dementsprechend entsteht nach ho. Ansicht" unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß der Erlaß keine Befehle erteile. Gleiches gelte für die zentrale Frage des Erlasses, nämlich für die Frage der Anwendbarkeit des §22 BAO im Falle einer nur aus Gründen der Gebührenumgehung vorgenommenen Auslandsbeurkundung. Wenn im drittletzten Absatz des Erlasses die Bestimmung des §22 BAO "in Erinnerung" gebracht werde, dann fehle dieser Aussage jede rechtsgestaltende Kraft. Daß im Erlaß aufgezeigt werde, welche Folgen sich aus der Anwendung des §22 BAO im Bereich des Gebührengesetzes bei mißbräuchlicher Auslandsbeurkundung zwangsläufig ergeben, sei rechtsbelehrend und nicht rechtsgestaltend, schon gar nicht rechtsändernd. "Da die Finanzverwaltung seit jeher übereinstimmend der Ansicht war und es mit oder ohne dem in Prüfung gezogenen Erlaß auch weiterhin sein wird, daß eine mißbräuchliche Auslandsbeurkundung ein vom Gesetzgeber verpöntes Verhalten ist, bestand aus der Sicht der Verwaltungspraxis überhaupt kein Anlaß für eine die nachgeordneten Organe bindende Verwaltungsvorschrift." Eine solche sei nur erforderlich, um eine einheitliche Verwaltungspraxis sicherzustellen, wenn die nachgeordneten Organe unrichtige oder widersprüchliche Rechtsansichten vertreten. Dafür, daß mit dem Erlaß eine Rechtsverordnung erlassen hätte werden sollen, habe nicht der geringste Anlaß bestanden. "Da überdies alle rechtlich denkenden Normadressaten, und das ist erkennbar die überwiegende Mehrheit, nicht darüber im Zweifel sind, daß eine nur aus Gründen der Gebührenumgehung durchgeführte Auslandsbeurkundung das Entstehen der Gebührenschuld nicht verhindern kann, bedurfte es auch keiner die Allgemeinheit bindenden Rechtsverordnung." Aus dem Verwaltungsakt gehe hervor, daß der in Prüfung gezogene Erlaß nicht die nachgeordneten Organe oder die Rechtsunterworfenen normativ binden sollte, sondern nur deshalb erlassen worden sei, damit die Kreditinstitute jene wenigen Kunden und deren Rechtsberater, die in einer Gebührenumgehung ein legales Verhalten sehen wollen, darauf hinweisen können, daß die Ansicht der Kreditinstitute über die Unzulässigkeit einer solchen Vorgangsweise mit der Ansicht der Finanzverwaltung übereinstimme.

Sollten diese Argumente nicht überzeugen, daß der in Prüfung gezogene Erlaß keine Rechtsverordnung ist, dann müsse auch die Frage geprüft werden, ob der Erlaß inhaltlich überhaupt eine Rechtsverordnung sein könne. Wenn nämlich der vom Gesetz gezogene Ermächtigungsbereich, in dem die Verwaltungsorgane Rechtsakte setzen können, so eng gezogen sei, daß er nur eine einzige gesetzmäßige Entscheidung zulasse und im vorliegenden Fall die Frage, ob eine nur aus Gründen der Gebührenumgehung vorgenommene Auslandsbeurkundung eines Rechtsgeschäftes ein mit allen sich daraus zwingend ergebenden Folgen verpönter Mißbrauch gem §22 BAO sei, dann könne ein Erlaß, der sich mit dieser Frage auseinandersetze, nur eine richtige oder falsche Ansicht wiedergeben. Sei die Ansicht richtig, weil sie mit der Gesetzeslage vollständig übereinstimme, dann könne schon aus der Natur der Sache keine Rechtsverordnung vorliegen.

Sei die im Erlaß vertretene Ansicht aber falsch, dann liege eine rechtsändernde Verordnung und aus diesem Grunde gesetzwidrige Verordnung vor.

Im übrigen dürfe, wie schon angedeutet, darauf hingewiesen werden, daß der Frage, ob der Erlaß als Rechtsverordnung nur deshalb aufzuheben wäre, weil er nicht gehörig kundgemacht sei, im Bereich der Finanzverwaltung insofern keine Bedeutung zukomme, weil die Finanzbehörden auch nach einer allfälligen Aufhebung aus formellen Gründen ohne den in Prüfung gezogenen Erlaß mißbräuchliche Auslandsbeurkundungen als gebührenpflichtig behandeln werden.

b) Zur Frage der Gesetzesumgehung im Zusammenhang mit der Auslegung von Gesetzen habe Gschnitzer unter Berufung auf die Judikatur des OGH in Klang, 2. Auflage, IV/1, S 185, treffend Stellung genommen, indem er ausführte, daß die Gesetzesumgehung alt sei, aber auch heute noch in Kreisen blühe, die das Recht nur für eine Reihe von formalen Sätzen halten, die man nur verbal beobachten müsse. Solchen Formalismus dürfe die Rechtsordnung nicht dulden. Sache der Auslegung sei es, den Zweck des Gesetzes festzustellen. Was gegen diesen Zweck verstößt, unterliege dem Gesetz, auch wenn dessen Ausdrucksweise zu eng wäre.

Wenn der VfGH die Ansicht vertrete, daß eine Urkundenerrichtung, die ausdrücklich deshalb im Ausland erfolge, um das Entstehen einer Gebühr zu vermeiden, ebenso wie die Unterlassung einer Urkundenerrichtung zwecks Vermeidung des Entstehens einer Gebührenpflicht keinen Mißbrauch iS des §22 BAO bilden könne, so könne diese Ansicht nicht geteilt werden. Nach Ansicht des Bundesministeriums würden hiedurch zwei nicht vergleichbare Kriterien einander gleichgestellt. Werde, aus welchen Gründen immer, über ein Rechtsgeschäft keine Urkunde errichtet, so sei der Vorgang gebührenrechtlich völlig irrelevant. Durch die Beurkundung werde ein Rechtsgeschäft grundsätzlich gebührenrechtlich bedeutsam, jedenfalls gebührenbar. Es sei daher nicht zwingend, daß das, was für die nicht beurkundeten Rechtsgeschäfte rechtens sei, auch für nur im Ausland beurkundete Rechtsgeschäfte rechtens sein müsse.

Ein Gesetzgeber könne bei Schaffung einer gesetzlichen Norm nur von den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten ausgehen, wie sie im Zeitpunkt der Gesetzgebung als Regelfall in Erscheinung treten. Dem Gesetzgeber sei es dabei allerdings in Verfolgung rechtspolitischer, verfassungskonformer Ziele nicht verwehrt, eine gesetzliche Regelung in sachlicher Weise so zu gestalten, daß damit eine von ihm beabsichtigte Änderung bestehender Verhältnisse bewirkt werde. Da Rechtsgeschäfte bei Schaffung des Gebührengesetzes 1946 keiner Abgabe unterlagen, habe auch kein Anlaß bestanden, den Abschluß oder die Beurkundung von Rechtsgeschäften allein aus gebührenrechtlichen Gründen im Ausland vorzunehmen. Der Gesetzgeber des Gebührengesetzes 1946 habe somit davon ausgehen können, daß im Regelfall Rechtsgeschäfte ohne Auslandsbeziehung im Inland und umgekehrt Rechtsgeschäfte ohne Inlandsbeziehung im Ausland abgeschlossen werden. Dem Gesetzgeber seien aufgrund dieser Gegebenheiten mehrere sachliche Lösungsmöglichkeiten offengestanden. Wenn der Gesetzgeber im Gebührengesetz die Gebührenschuld bei allen im Ausland beurkundeten Rechtsgeschäften erst dann entstehen ließ, wenn die Urkunde in das Inland gebracht wird, dann lasse dies in keiner Weise den Schluß zu, daß der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen sei, daß im Regelfall Rechtsgeschäfte ohne Auslandsbeziehung im Inland und umgekehrt Rechtsgeschäfte ohne Inlandsbeziehung im Ausland abgeschlossen und beurkundet werden, sondern daß er sich von der wirklichkeitsfremden Überlegung habe leiten lassen, daß ein Rechtsgeschäft mit ausschließlicher Inlandsbeziehung in persönlicher und sachlicher Hinsicht aus irgendeinem anderen Grund als dem der Abgabenumgehung im Ausland abgeschlossenen oder auch nur beurkundet werden könnte.

Neben dem Regelfall, wonach inlandsbezogene Rechtsgeschäfte grundsätzlich im Inland abgeschlossen und beurkundet werden und daher jedenfalls schon mit der Beurkundung gebührenpflichtig sein sollten, konnte der Gesetzgeber nicht übersehen, daß bei Rechtsgeschäften, selbst wenn sie überwiegend inlandsbezogen seien, irgendein vernünftiger rechtlicher oder wirtschaftlicher Anknüpfungspunkt dafür entscheidend sein könnte, diese Rechtsgeschäfte im Ausland abzuschließen oder zu beurkunden.

Im Interesse einer abgabenrechtlichen Gleichbehandlung hätten auch diese Fälle gebührenrechtlich erfaßt werden müssen. Diesfalls könnte aber nicht die außerhalb Österreichs erfolgte Urkundenerrichtung maßgeblich sein, sondern das Einbringen der Urkunde in das Inland unter bestimmten rechtserheblichen, die Inlandsbezogenheit charakterisierenden Umständen. Nur so könne §16 Abs2 GebG sinnvoll verstanden werden.

Die Spekulation, der Gesetzgeber hätte mit der Regelung des §16 Abs2 GebG bewußt in Kauf genommen, daß jedes, aus welchem Grunde auch immer, im Ausland beurkundete Rechtsgeschäfte so lange in keinem Fall erfaßbar sei, bis die Urkunde unter bestimmten rechtserheblichen Umständen in das Inland gebracht werde, sei verfehlt, weil bereits im damaligen Zeitpunkt die im Abgabenrecht allgemein gültige Bestimmung des §6 StAnpG über den Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes in Geltung gestanden sei und der Gesetzgeber eine außerhalb des Regelfalles liegende Steuerumgehung bei der Schaffung einer abgabengesetzlichen Norm, also auch bei Schaffung des Gebührengesetzes, außer Betracht lassen konnte und mußte.

Eine solche denkunmögliche Gesetzesanwendung wäre aber gegeben, wenn §16 Abs2 GebG nicht der Ansicht des Bundesministeriums für Finanzen entsprechend, sondern als legale Möglichkeit einer Gesetzesumgehung verstanden werde. Im letzteren Falle hätte der Gesetzgeber wissentlich in Kauf genommen, daß eine Beurkundung von Rechtsgeschäften mit ausschließlicher Inlandsbeziehung im Ausland nur solchen Personen möglich ist, die entweder in Grenznähe wohnen oder bei denen die aufgrund der ohnehin niederen Gebührensätze in Relation zum Geschäftswert niedere Gebühr im Einzelfall so hoch ist, daß sich nach Abzug der Kosten der Auslandsbeurkundung noch ein finanzieller Vorteil ergibt. Es sei die Ansicht jedoch unhaltbar, daß der Gesetzgeber mit der Regelung des §16 Abs2 GebG nur einigen wenigen Personen die Möglichkeit geben habe wollen, die Gebührenbelastung zu vermeiden.

Sollte §16 Abs2 GebG nur in der Weise auszulegen sein, daß die Beurkundung eines Rechtsgeschäftes mit ausschließlicher Inlandsbezogenheit im Ausland auch dann kein Mißbrauch iS des §22 BAO sei, wenn die Auslandsbeurkundung allein zur Vermeidung der Gebühr erfolge, dann hätte sich der Gesetzgeber nach Ansicht des Bundesministeriums für Finanzen von unsachlichen Erwägungen leiten lassen, sodaß die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung aus der Sicht des Gleichheitssatzes in Frage gestellt wäre.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH dürfe einer Gesetzesstelle kein Inhalt unterstellt werden, der - hätte ihn das Gesetz - die Bestimmung verfassungswidrig erscheinen lasse, obgleich eine andere Auslegung in Betracht komme, die das Gesetz nicht mit Verfassungswidrigkeit belaste.

Der VfGH verneine die Anwendbarkeit des §22 BAO im Gebührenrecht nicht grundsätzlich. Er bestätige damit die ständige Rechtsprechung des VwGH und die überwiegende Literatur. Der VfGH habe nur ganz allgemein seine Bedenken zum Ausdruck gebracht, daß jede Auslegung des §22 BAO eine Anwendung dieser Bestimmung iS des in Prüfung gezogenen Erlasses auf die Gebührenpflicht von Urkunden, die im Ausland errichtet worden sind, ausschließe. Damit berufe sich der VfGH lediglich darauf, daß seiner Ansicht nach der alleinige Umstand, daß die Urkundenerrichtung ausschließlich deshalb im Ausland erfolgte, um das Entstehen der Gebührenpflicht zu vermeiden, ebensowenig wie die Unterlassung einer Urkundenerrichtung überhaupt zwecks Vermeidung der Gebührenpflicht einen Anwendungsfall des §22 BAO bilden könne. Sollte der VfGH, wenn dies auch nicht ausdrücklich dargetan worden sei, die Ansicht vertreten, in der Wahl des Ortes könne grundsätzlich kein Mißbrauch von bürgerlich-rechtlichen Formen und Gestaltungsmöglichkeiten gelegen sein, so werde darauf verwiesen, daß die BAO selbst keinen näheren Hinweis gebe, was unter Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes zu verstehen sei. Es bleibe daher der Auslegung nach den Grundsätzen des §6 ABGB überlassen, diesen Begriff zu umschreiben. Richtungsweisend hiefür erscheine §1 ABGB, welcher umschreibe, in welchem Bereich die Privatpersonen ihre Rechte und Pflichten untereinander ihren Vorstellungen entsprechend frei gestalten können. In diesem Bereich lägen auch die Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes. Da unter dem Begriff "Formen und Gestaltungsmöglichkeiten" sowohl die äußere als auch die innere Form der zivilrechtlichen Gestaltung zu verstehen sei, sei in die Betrachtung des §22 BAO alles einzubeziehen, was die Parteien im konkreten Fall im Rahmen der ihnen gesetzlich offenstehenden Möglichkeiten zur Regelung ihrer privaten Rechtsverhältnisse tatsächlich unternehmen. Dazu gehöre auch die Wahl des Ortes des Vertragsabschlusses und der Beurkundung.

Wer im Ausland Rechtsgeschäfte abschließe oder beurkunde, handle immer im Geltungsbereich des internationalen Privatrechtes, weil nunmehr in jedem Falle, gleichgültig zu welchem Ergebnis man komme, immer erst aufgrund dieser Normen entschieden werden könne, welches Recht bei Beurteilung der getroffenen Vereinbarung zur Anwendung komme. Daraus ergebe sich aber zwingend, daß die Entscheidung der Parteien, ein Rechtsgeschäft im Inland oder Ausland abzuschließen, ein sehr wesentliches zivilrechtliches Gestaltungselement darstelle. Sei die Entscheidung, ein Rechtsgeschäft im Inland oder im Ausland abzuschließen und zu beurkunden, ein zivilrechtliches Gestaltungselement, so sei dieser Umstand bei der Beurteilung eines zwischen Inländern im Ausland abgeschlossenen und beurkundeten, ausschließlich inlandswirksamen Rechtsgeschäftes in die Betrachtung des §22 BAO mit einzuschließen.

c) Der VfGH gehe schließlich auch zu Unrecht davon aus, daß der in Prüfung gezogene Erlaß in den Beschwerdefällen angewendet worden sei. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich die Abgabenbehörden in den in den Beschwerdefällen getroffenen Entscheidungen auf ihn berufen hätten. Tatsache sei aber, daß dies in keinem Fall zutreffe, sondern alle Entscheidungen auf das Gesetz zurückgeführt werden.

Auch die Annahme des VfGH, daß der in Prüfung gezogene Erlaß im Hinblick auf seine Fassung untrennbaren Inhaltes sei, halte einer Prüfung nicht stand. Der Erlaß bestehe aus einem materiell-rechtlichen und einem organisatorischen Teil, wobei der materiell-rechtliche Teil in seiner Gesamtheit nach Ansicht des Bundesministeriums für Finanzen nur eine unverbindliche, mit dem gesetzlichen Ermächtigungsbereich deckungsgleiche Rechtsdarstellung enthalte, während nur der organisatorische Teil die Unterbehörden bindende Anordnungen zum Austausch von Kontrollmitteilungen treffe. Nur im organisatorischen Teil und auch nur dann, wenn man die Ansicht vertrete, daß durch die angeordneten organisatorischen Maßnahmen Rechte und Pflichten der Allgemeinheit unmittelbar berührt würden, könnte eine Rechtsverordnung erblickt werden, die aber keineswegs mit den übrigen Erlaßausführungen untrennbaren Inhaltes sei.

II. Der VfGH hat zur Frage der Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsverfahrens erwogen:

1. Der VfGH ist im Einleitungsbeschluß vorläufig von der Annahme ausgegangen, daß der in Prüfung gezogene Erlaß als Rechtsverordnung zu werten ist.

2. Der Bundesminister für Finanzen hält dieser Ansicht entgegen, daß sich schon aus der sprachlichen Fassung des Erlasses ergebe, daß diesem rechtsbelehrender Charakter, nicht aber rechtsgestaltender oder rechtsändernder Inhalt zukomme. Dies ergebe sich schon daraus, daß sich im Erlaß nur ein einziges Mal eine bindende Anordnung an die Finanzlandesdirektionen zum Austausch von Kontrollmitteilungen finde; hiebei handle es sich jedoch um eine rein organisatorische Anordnung, wodurch Rechte und Pflichten der Allgemeinheit nicht berührt würden. Im Zweifel sei das Vorliegen einer Rechtsverordnung jedoch schon deshalb zu verneinen, weil grundsätzlich davon auszugehen sei, daß sich auch ein Verordnungsgeber gesetzmäßig und nicht dadurch gesetzwidrig verhalte, daß er die Allgemeinheit bindende Anordnungen nur im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung abdrucke. Das Vorliegen einer Rechtsverordnung sei, falls diese Argumente nicht überzeugen, daß der in Prüfung gezogene Erlaß keine Rechtsverordnung ist, letztlich von einer inhaltlichen Prüfung abhängig. Sei nämlich die im Erlaß vertretene Ansicht richtig, weil sie mit der Gesetzeslage vollständig übereinstimme, dann könne schon aus der Natur der Sache keine Rechtsverordnung vorliegen.

3. a) Was die sprachliche Fassung des Erlasses betrifft, gesteht der VfGH dem Bundesminister für Finanzen zu, daß eine isolierte Betrachtung einzelner Abschnitte des Erlasses zu keiner zweifelsfreien Beurteilung führt, ob der Erlaß als Rechtsverordnung zu qualifizieren ist. Entgegen der Auffassung des Bundesministers führt dies jedoch nicht dazu, daß aus diesem Grunde der Charakter des Erlasses als Rechtsverordnung zu verneinen ist, weil einem Verordnungsgeber im Zweifel ein gesetzeskonformes Verhalten zugebilligt werden müsse. Eine solche Regel würde den Normunterworfenen mit der Unsicherheit über die Rechtslage belasten. Ergibt sich aus der sprachlichen Fassung eines Erlasses nicht mit Sicherheit, ob einem Erlaß der Charakter einer Rechtsverordnung zukommt, so muß aus dem Sinn, der ihm innewohnt, erschlossen werden, wie er zu beurteilen ist.

Aus dem in Prüfung gezogenen Erlaß ist nunmehr offenkundig zu ersehen, daß ein erheblicher Teil der Ausführungen ausschließlich dem Zwecke dient, durch allgemeine Darstellungen der Rechtslage und der Rechtsprechung den eigentlichen Sinn des Erlasses zu untermauern. Dieser findet sich, nach einer Anweisung an die Finanzlandesdirektionen, für Kontrollmitteilungen über alle bekanntwerdenden Fälle einer Beurkundung im Ausland vorzusorgen, in welchem Zusammenhang §22 BAO in Erinnerung gerufen wird, in folgenden Erlaßstellen:

Waren für die Urkundenerrichtung im Ausland nicht vorherrschende Gründe der zivilrechtlichen Rechtsgestaltung, sondern die Umgehung der Gebührenpflicht maßgeblich, dann handelt es sich um einen Anwendungsfall des §22 BAO ... Bei einer Gebührenumgehung durch Mißbrauch der zivilrechtlich angemessenen Beurkundungsform im Wege einer Urkundenerrichtung im Ausland werden somit die Gebühren so zu erheben sein, als ob die Urkunde im Inland errichtet worden wäre ...

Sind in Fällen einer Gebührenumgehung durch Urkundenerrichtung im Ausland die Gebühren auf Grund dieser Beurkundung so zu entrichten, als ob die Urkunde im Inland errichtet worden wäre bzw. ist unabhängig von einer im Ausland errichteten Urkunde die Gebühr aufgrund einer inländischen Beurkundung zu erheben, so wird das Finanzamt bei nicht oder nicht rechtzeitiger Gebührenanzeige zu prüfen haben, ob nicht neben der nach §9 Abs2 GebG zwingend zu erhebenden Gebührenerhöhung auch eine Gebührenerhöhung nach §9 Abs3 GebG bis zum Zweifachen der verkürzten Gebühr zu erheben ist.

Der Erlaß ist an Verwaltungsbehörden gerichtet, die nicht individuell, sondern generell umschrieben sind. Der Erlaß gilt auch nicht nur für einen konkreten bestimmten Einzelfall, sondern für jeden Fall einer Beurkundung im Ausland. Wenn auch im Erlaß die Wendung gebraucht wird, die Bestimmung des §22 werde "in Erinnerung gebracht", so ändert dies nichts daran, daß das, was in Erinnerung gerufen wird, so umschrieben ist, daß es eine Anordnung an die Unterbehörden enthält, ist §22 BAO in diesem Sinne anzuwenden. Was sprachlich "in Erinnerung gebracht" wird, wird damit zur Norm, die dem Staatsbürger die Möglichkeit nimmt, ihr mit Erfolg entgegenzutreten. Dem Erlaß ist auch keineswegs mit der hiefür erforderlichen Deutlichkeit zu entnehmen, daß er eine solche normative Bindung nicht bewirkt (VfSlg. 6946/1972).

Daß der Erlaß an die Allgemeinheit gerichtet ist, ergibt sich aus dem Erlaß schon durch die Anordnung, daß das Verhalten von Normunterworfenen, welches nach Inhalt desselben eine Gebührenumgehung bildet, durch Gebührenerhöhung gem. §9 Abs2 GebG zwingend, allenfalls zusätzlich nach Abs3 leg. cit. zu pönalisieren ist. Der Umstand, daß die Norm in die Form einer Anordnung an die Behörde gekleidet ist, unterscheidet sie nicht von in gleicher Weise ergangenen imperativen Gesetzesbestimmungen. Die normative Verknüpfung einer Sanktion mit einer unterlassenen oder nur verspäteten Gebührenanzeige bei einer nach dem Inhalt des Erlasses verpönten Beurkundung im Ausland zeigt, daß es sich um Bestimmungen handelt, die an die Allgemeinheit gerichtet sind.

b) Der Bundesminister für Finanzen vertritt in seiner Äußerung schließlich die Ansicht, daß der Erlaß keine Rechtsverordnung sei, da er "mit der Gesetzeslage vollständig übereinstimme"; die Beurkundung im Ausland stelle einen Anwendungsfall des §22 BAO dar, wenn für die Urkundenerrichtung im Ausland nicht vorherrschende Gründe der zivilrechtlichen Gestaltung, sondern die Umgehung der Gebührenpflicht maßgebend gewesen sei.

Der VfGH ist nicht dieser Ansicht.

Der in Prüfung stehende Erlaß trifft - wie sich aus folgendem ergibt - eine von der Gesetzeslage abweichende Regelung. Die im gegenständlichen Prüfungsfall maßgebende gesetzliche Bestimmung des §16 Abs1 und 2 GebG lautet:

(1) Die Gebührenschuld entsteht, wenn die Urkunde über das Rechtsgeschäft im Inland errichtet wird,

1. bei zweiseitig verbindlichen Rechtsgeschäften,

a) wenn die Urkunde von den Vertragsteilen unterzeichnet wird, im Zeitpunkte der Unterzeichnung;

b) wenn die Urkunde von einem Vertragsteil unterzeichnet wird, im Zeitpunkte der Aushändigung (Übersendung) der Urkunde an den anderen Vertragsteil oder an dessen Vertreter oder an einen Dritten;

2. bei einseitig verbindlichen Rechtsgeschäften,

a) wenn die Urkunde nur von dem unterzeichnet wird, der sich verbindet, im Zeitpunkte der Aushändigung (Übersendung) der Urkunde an den Berechtigten oder dessen Vertreter;

b) wenn die Urkunde auch von dem Berechtigten unterzeichnet wird, im Zeitpunkte der Unterzeichnung.

(2) Wenn über ein Rechtsgeschäft eine Urkunde im Ausland errichtet wurde, entsteht die Gebührenschuld, sobald die über das Rechtsgeschäft errichtete Urkunde in einer Urschrift oder in beglaubigter Abschrift in das Inland eingebracht wird und daselbst

a) das Rechtsgeschäft Rechtswirksamkeit haben soll oder

b) eine durch die Urkunde übernommene Verbindlichkeit erfüllt oder auf Grundlage dieser Urkunde eine andere rechtsverbindliche Handlung im Inlande vorgenommen wird oder

c) von der Urkunde ein amtlicher Gebrauch gemacht wird.

Die in §33 GebG aufgezählten Rechtsgeschäfte unterliegen somit der Gebühr nur dann, wenn über sie eine Urkunde im Inland errichtet wurde. Die Beurkundung derartiger Rechtsgeschäfte im Ausland schließt hingegen nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes die Gebührenpflicht aus, falls die Urkunde nicht im Original oder beglaubigter Abschrift in das Inland verbracht wird und eine der weiteren Voraussetzungen des §16 Abs2 lita bis c GebG zutrifft.

Demgegenüber ordnet der Erlaß an, daß ein Anwendungsfall des §22 BAO vorliege, wenn für die Urkundenerrichtung im Ausland nicht vorherrschende Gründe der zivilrechtlichen Rechtsgestaltung, sondern die Umgehung der Gebührenpflicht maßgeblich waren.

§22 BAO lautet:

(1) Durch Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes kann die Abgabepflicht nicht umgangen oder gemindert werden.

(2) Liegt ein Mißbrauch (Abs1) vor, so sind die Abgaben so zu erheben, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wären.

Der Bundesminister für Finanzen meint in seiner Äußerung, man könne §16 Abs2 GebG nicht unterstellen, eine legale Möglichkeit der Gesetzesumgehung zu eröffnen. Der Bundesminister für Finanzen zieht offenbar aus dem Umstand, daß Vertragsparteien einen ausländischen Beurkundungsort allein deshalb wählen, um die Gebührenpflicht zu vermeiden, den Schluß, daß dies eine Umgehungshandlung darstelle.

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß nicht jede Vermeidung eines Abgabentatbestandes, mögen dem Verhalten auch ausschließlich Überlegungen der Abgabenersparnis zugrunde gelegen haben, einen Fall des Mißbrauches iS des §22 BAO darstellt. Bei der Unterscheidung zwischen zulässiger Abgabenvermeidung einerseits und mißbräuchlicher Gesetzesumgehung andererseits ist zu beachten, daß §22 BAO selbst wieder nur ein Sonderfall der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist, was sich schon aus dem zweiten Absatz des §22 BAO ergibt. Der Mißbrauchstatbestand des §22 BAO konkretisiert die wirtschaftliche Betrachtungsweise (in diesem Sinne auch Frotz - Hügel - Popp, Kommentar zum GebG, Anm. B I 2c zu §§15 - 88; Gassner, Interpretation und Anwendung der Steuergesetze, S 72, und Hügel, Gebührenrecht:

Vertragsbeurkundung im Ausland und Kreditkontenauszüge, JBl. 1977, S 635). Mißbrauch iS des §22 BAO ist anzunehmen, wenn das Gesetz wirtschaftliche Vorgänge, Tatsachen und Verhältnisse in einer ihnen entsprechenden Gestalt einer Abgabe unterwirft, zur Umgehung der Abgabe aber ihnen nicht entsprechende ungewöhnliche Rechtsformen gewählt oder ungewöhnliche Rechtsgeschäfte geschlossen werden (Reeger - Stoll, Kommentar zur BAO, S 114). Voraussetzung der Anwendung des §22 BAO ist daher, daß der maßgebende Abgabentatbestand überhaupt einen wirtschaftlichen Vorgang der Abgabe unterzieht, der nur äußerlich in den von den Parteien gewählten Rechtsformen und Gestaltungen in Erscheinung tritt. Ist das aber nicht der Fall, so ist ein Blick hinter diese Form auf die dahinterliegenden wirtschaftlichen Vorgänge, wie dies §22 Abs2 BAO anordnet, nach dem für die Gebührenpflicht maßgebenden Abgabentatbestand gar nicht zulässig. Der VfGH hat bereits ausgesprochen, daß im Bereich der Gebühren und Verkehrssteuern zwar die wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht schlechthin ausgeschlossen ist, sofern nämlich der Gesetzgeber selbst an wirtschaftliche Merkmale anknüpft (vgl. VfSlg. 8575/1979, auch Erk. vom 8. 5. 1980, G 1, 2, 16 - 25/80, betreffend Aufhebung des Abs1 der TP8 und des Abs1 der TP19 des §33 GebG). Im §16 GebG differenziert nun der Gesetzgeber zwischen der Errichtung einer Urkunde über ein Rechtsgeschäft im Inland und der Errichtung im Ausland, somit nach rein formalen und nicht nach wirtschaftlichen Merkmalen, sodaß schon aus diesem Grunde eine Anwendung des §22 BAO ausscheidet. Der VfGH vermag sich auch nicht der Ansicht des Bundesministers für Finanzen anzuschließen, daß die Wahl des Beurkundungsortes eine "Gestaltungsmöglichkeit des bürgerlichen Rechtes" iS des §22 BAO sei. §22 BAO bezieht sich, wie die im Abs2 angeordnete Sicht auf "wirtschaftliche Vorgänge, Tatsachen und Verhältnisse" zeigt, auf die inhaltliche Gestaltung des Rechtsverhältnisses und nicht auf den Beurkundungsort. Würde man tatsächlich der Ansicht des Bundesministers für Finanzen folgen, daß unter "Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes" nicht nur die inhaltliche Gestaltung gemeint sei, so wäre auch der bloß mündliche Abschluß eines Rechtsgeschäftes ein Mißbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes, wenn derartige Rechtsgeschäfte üblicherweise schriftlich abgeschlossen werden. Dies kann ernstlich nicht vertreten werden.

Der VfGH ist daher der Ansicht, daß das für die Gebührenpflicht maßgebende Tatbestandselement der Urkundenerrichtung im Inland schon nach dem Wortlaut des §16 Abs1 GebG die Anwendung des §22 BAO ausschließt, selbst wenn das Gesetz eine detaillierte Regelung über die Beurkundung im Ausland gar nicht enthielte. Der Wortlaut des §16 Abs2 GebG verstärkt die bisher dargelegten Argumente. Lita des Abs2 (Rechtswirksamkeit des Rechtsgeschäftes im Inland) zeigt nämlich, daß der Gesetzgeber davon ausgeht, daß es Beurkundungen von Rechtsgeschäften im Ausland gibt, die teilweise oder sogar ausschließlich Rechtswirkungen im Inland haben, ohne daß sie der Gebühr unterliegen. Auch bei Beschlußfassung über die Nov. 1976 zum GebG wurde die Gebührenpflicht von im Ausland errichteten Urkunden, selbst mit ausschließlicher Rechtswirksamkeit im Inland, vom weiteren Erfordernis der Verbringung der Auslandsurkunde im Original oder in beglaubigter Abschrift in das Inland abhängig gemacht. Die Heranziehung des §22 BAO würde aber nicht nur §16 Abs2 GebG, sondern auch die Fiktionen der Inlandsbeurkundung, wie sie in §33 TP8 Abs4 und TP16 Abs2 vorgesehen sind, weitgehend inhaltsleer machen.

Wenn sich der Gesetzgeber des Gebührengesetzes - auch bei Beschlußfassung über die Nov. 1976 - für eine formelle Anknüpfung des Gebührentatbestandes an den Beurkundungsort im Inland statt für eine Anknüpfung an die wirtschaftlichen Beziehungen des Rechtsgeschäftes zum Inland entschied, also wirtschaftliche Merkmale der Differenzierung vermied, so gab er damit offensichtlich der einfacheren und klareren Handhabbarkeit des Gesetzes und damit auch der Rechtssicherheit den Vorzug und nahm die seit vielen Jahren bekannte Praxis der Gebührenvermeidung durch Abschluß im Ausland in Kauf.

Es ergibt sich daher, daß der in Prüfung gezogene Erlaß eine die Gesetzeslage verändernde Regelung trifft, die sich nach dem Inhalt des Erlasses an die Allgemeinheit wendet. Der Erlaß ist daher eine Rechtsverordnung (vgl. VfGH 13. 10. 1979 V28/79, 15. 10. 1979 V23/78, V17/79, 16. 10. 1979 V8/79).

4. Dem Bundesminister kann auch nicht gefolgt werden, wenn er vermeint, der Erlaß wäre in den Beschwerdefällen nicht angewendet worden, da die angefochtenen Bescheide sich nicht auf ihn berufen. Der Erlaß war nämlich von den belangten Behörden bei Erlassung der angefochtenen Bescheide anzuwenden; bei der Entscheidung über die vorliegenden Beschwerden hat auch der VfGH den in Prüfung stehenden Erlaß anzuwenden.

Der Bundesminister geht aber auch von einer falschen Voraussetzung aus, wenn er vermeint, der Erlaß sei trennbaren Inhaltes, weil dieser aus einem organisatorischen, die Unterbehörden bindenden, und einem materiell-rechtlichen unverbindlichen Teil bestehe. Da, wie dargelegt, dem materiell-rechtlichen Teil des Erlasses verbindliche Wirkung zukommt und die organisatorischen Anordnungen nur dazu dienen, die materiellrechtlichen Bestimmungen durchzusetzen, ist der Erlaß auch untrennbaren Inhaltes.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

III. In der Sache selbst hat der VfGH erwogen:

1. Zur inhaltlichen Gesetzwidrigkeit des Erlasses genügt es, auf das unter II.3.b) Gesagte zu verweisen. Was nach Anordnung des Erlasses als Umgehung der Gebührenpflicht und damit als Anwendungsfall des §22 BAO zu gelten hat, ist nach §16 Abs2 GebG ein vom Gesetz vorgesehener Fall der Gebührenvermeidung; der Erlaß macht damit gebührenfreie Sachverhalte gebührenpflichtig.

Hieraus erweist sich der in Prüfung stehende Erlaß inhaltlich als gesetzwidrig.

2. Die in Prüfung stehende Regelung hätte als Rechtsverordnung eines Bundesministers gem. §2 Abs1 litf des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1972, BGBl. 293, im Bundesgesetzblatt kundgemacht werden müssen. Eine solche Kundmachung ist nicht erfolgt. Der in Prüfung stehende Erlaß ist auch aus diesem Grunde gesetzwidrig.

3. Der Erlaß war demnach aufzuheben.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Präjudizialität, Verordnung, RechtsV, VerwaltungsV, Verordnung Kundmachung, VfGH / Aufhebung Wirkung, Finanzverfahren, Gebühr (GebG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:V14.1980

Dokumentnummer

JFT_10199492_80V00014_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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