TE Vfgh Erkenntnis 1980/12/3 V13/79

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Veröffentlicht am 03.12.1980
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z9
B-VG Art11 Abs1 Z4
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
StVO 1960 §43
VfGG §24 Abs1
VfGG §61a

Beachte

vgl. Kundmachung LGBl. 22/1981 am 5. Mai 1981

Leitsatz

Art139 B-VG, Individualantrag, Antragslegitimation; Verordnung der BH Vöcklabruck vom 8. Feber 1979 betreffend "Fahrverbot für Tankfahrzeuge" auf der Freileitenstraße in Vöcklabruck, keine gesetzliche Deckung der Verordnung in §43 Abs1 und 3 StVO 1960

Spruch

Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 8. Feber 1979, Z VerkR 2184-1978, betreffend "Fahrverbot für Tankfahrzeuge" auf der Freileitenstraße im Stadtgebiet von Vöcklabruck im Bereich zwischen der Gerichtsbergstraße und dem Weinbergerweg mit dem Zusatz "gilt nur für Fahrzeuge, die Flüssiggas befördern" wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Oö. Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) haben nach ihrer Darstellung im vorliegenden Antrag auf dem Gelände des Bahnhofs Vöcklabruck einen Flüssiggasumschlag betrieben, uzw. derart, daß Flüssiggas von einem Zentrallager mit Eisenbahnkesselwagen auf der Schiene nach Vöcklabruck transportiert und von dort mit Straßentankfahrzeugen dem örtlichen Bedarf zugeführt wurde. Die Manipulation am Bahnhof Vöcklabruck sei den weiteren Antragsausführungen zufolge gemäß den Erlässen des Bundesministeriums für Verkehr betreffend "Eisenbahnbehördliche Richtlinien für Flüssiggasanlagen in der Nähe einer Eisenbahn" und betreffend das "Umfüllen von Flüssiggas aus Eisenbahnkessel in Straßentankwagen", erfolgt. Die Entladestelle habe sich aus technischen Gründen auf dem Gleis 18 befunden. Zu diesem Ladegleis könne mit Straßentankfahrzeugen nur über die Freileitenstraße zu- und abgefahren werden. Seit der Aufnahme des Flüssiggasumschlages habe sich kein Zwischenfall ereignet.

2. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat nach Anhörung der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für OÖ Bezirksstelle Vöcklabruck, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für OÖ und der Stadtgemeinde Vöcklabruck (§94 f Abs1 lita StVO 1960) am 8. Feber 1979 unter

Z VerkR-2184-1978 die folgende Verordnung erlassen:

"Gemäß §43 Abs1 StVO 1960, BGBl. 159, in der derzeit geltenden Fassung, hat auf der Freileitenstraße im Stadtgebiet von Vöcklabruck im Bereich zwischen der Gerichtsbergstraße und dem Weinbergerweg ein 'Fahrverbot für Tankfahrzeuge' gemäß §52a Z7 StVO 1960 zu gelten. Das Verbot ist durch den Zusatz 'gilt nur für Fahrzeuge, die Flüssiggas befördern' einzuschränken.

Es sind die Verbotszeichen gemäß §52a Z7d StVO 1960 und die Zusatztafeln mit dem Wortlaut 'gilt nur für Fahrzeuge, die Flüssiggas befördern' durch die Stadtgemeinde Vöcklabruck bei der Kreuzung der Gerichtsbergstraße und dem Weinbergerweg mit der Freileitenstraße auf der Freileitenstraße und bei sämtlichen dazwischenliegenden Einmündungen in diese aufzustellen.

Diese Verordnung tritt mit 12. Feber 1979, 00.00 Uhr, in Kraft."

Diese Verordnung wurde durch Aufstellung von Verbotszeichen gemäß §52 lita Z7d StVO 1960 ("Fahrverbot für Tankfahrzeuge") mit der Zusatztafel "gilt nur für Fahrzeuge, die Flüssiggas befördern" am 23. Feber 1979 kundgemacht.

3. Mit dem auf Art139 B-VG gestützten Antrag begehren die ÖBB die Aufhebung der Verordnung als gesetzwidrig. Aufgrund der Verordnung dürften nun weder die Antragstellerin selbst noch ihre Kunden mit Straßentankfahrzeugen zu ihrem Flüssiggasumschlagplatz zu- und abfahren, wodurch die ÖBB Einbußen in den Frachteinnahmen erlitten. Die Verordnung ziele ausschließlich darauf ab, der Antragstellerin die Flüssiggasmanipulation am Bahnhof Vöcklabruck zu untersagen. Die Verordnung sei nicht durch §43 Abs1 StVO 1960 gedeckt. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck habe sich bei Verordnungserlassung von sachlich nicht gerechtfertigten Momenten, wie persönliches Engagement in der Person des Bezirkshauptmannes, unbegründete Anrainerbeschwerden udgl. leiten lassen.

4. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat die Zurückweisung bzw. die Abweisung des Antrages beantragt.

Die Oö. Landesregierung hat begehrt, den Antrag mangels Vorliegens der Prozeßvoraussetzungen als unzulässig zurückzuweisen, in eventu den Antrag kostenpflichtig abzuweisen.

II. Der VfGH hat zur Frage der Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der VfGH über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Anfechtungsberechtigt ist also nur der Normadressat, in dessen Rechtssphäre in einer nach Art und Ausmaß in der Verordnung eindeutig bestimmten Weise nicht bloß potentiell, sondern aktuell eingegriffen wird und dem ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der Rechtswidrigkeit nicht zur Verfügung steht (vgl. zB VfSlg. 8009/1977). Dabei ist von jenen Wirkungen der Norm auszugehen, durch die sich der Antragsteller verletzt erachtet (vgl. zB VfSlg. 8060/1977).

2. Aus dem in dieser Hinsicht unbestritten gebliebenen Parteienvorbringen ergibt sich, daß vor Erlassung der bekämpften Verordnung das mit der Eisenbahn zum Bahnhof Vöcklabruck transportierte Flüssiggas von dort mit Tankwagen weiterbefördert wurde; dies bisher nicht mit - allerdings vorhandenen - eigenen Fahrzeugen der ÖBB, sondern mit fremden Tankwagen aufgrund von Verträgen, die zwischen den ÖBB und dem Eigentümer der Tankwagen abgeschlossen wurden. Dieser Weitertransport erfolgte über die Freileitenstraße, die die einzige Verbindung zwischen dem Flüssiggasumschlagplatz und dem übrigen öffentlichen Straßennetz bildet.

Die ÖBB sind seit Erlassung der angefochtenen Verordnung daran gehindert, erfüllbare Verträge über den erwähnten Weitertransport mit Tankwageneigentümern abzuschließen oder mit ihren eigenen Fahrzeugen das Flüssiggas zu befördern. Den ÖBB wurde durch die Verordnung die Möglichkeit genommen, den Flüssiggasumschlagplatz zu erreichen und zu betreiben.

Durch die Verordnung wird sohin - im Gegensatz zu den dem hg. Beschluß VfSlg. 8060/1977 zugrundeliegenden Voraussetzungen - in die Rechtssphäre der ÖBB eingegriffen. Dieser Eingriff ist nach Art und Ausmaß eindeutig bestimmt. Bei den geschilderten Voraussetzungen ist es offenkundig, daß die Antragstellerin von der bekämpften Verordnung nicht bloß potentiell, sondern aktuell betroffen wird.

Unter den Umständen des vorliegenden Falles kann der VfGH nicht finden, daß der Antragstellerin ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung stünde, um die durch die behauptete Rechtswidrigkeit der Verordnung bewirkte Rechtsverletzung abzuwehren. Im Hinblick darauf, daß die Verordnung die Einstellung des Flüssiggasumschlagplatzes der ÖBB hervorgerufen hat, ist es anders als in dem mit Beschluß vom 13. Juni 1979 V2/78 abgeschlossenen Verfahren - den ÖBB nicht zumutbar, eine Ausnahmebewilligung im Sinne des §45 StVO 1960 zu beantragen.

3. Der Antrag ist zulässig.

III. In der Sache selbst hat der VfGH erwogen:

1. Nach §43 Abs1 litb Z2 StVO 1960 hat die Behörde für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken durch Verordnung "wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des sich bewegenden ... Verkehrs, die Lage, Widmung, ... oder Beschaffenheit der Straße oder die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes erfordert, den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen ...".

Nach §43 Abs2 litb StVO 1960 hat die Behörde "zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, wenn es zum Schutz der Bevölkerung oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist, durch Verordnung zu bestimmen, daß Straßen oder Straßenteile dauernd oder zeitweise mit allen Fahrzeugen oder mit bestimmten Fahrzeugarten oder mit bestimmten Ladungen nicht befahren werden dürfen".

2. Aus den dem VfGH vorgelegten Akten ergibt sich, daß das Gendarmeriepostenkommando Vöcklabruck am 4. Dezember 1978 der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck einen Bericht vorgelegt hat, woraus hervorgeht, daß

"a) das Umpumpen von Flüssiggas von den Waggons in die Tankfahrzeuge bei laufendem Motor der Tankfahrzeuge erfolgen muß und das Umladen häufig in den Abendstunden - oft erst nach 22.00 Uhr - durchgeführt wird;

b) der Verkehr auf der Freileitenstraße durch das Ein- und Ausfahren der Sattelfahrzeuge stark behindert wird, weil sowohl beim Ein- als auch Ausfahren aus dieser Straße mit den Sattelfahrzeugen reversiert werden muß;

c) von den beschwerdeführenden Personen - es handelt sich hauptsächlich um Familien mit Kleinkindern und Schichtarbeiter - nicht nur der Motorenlärm als störend empfunden wird, sondern auch die Gefahr einer eventuellen Explosion bei unsachgemäßer Arbeitsweise befürchtet wird".

In dem von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck angeforderten Befund und Gutachten des Leiters der Unterabteilung Maschinenbau und Elektrotechnischer Dienst des Amtes der Oö. Landesregierung vom 6. Dezember 1978 wird ua. festgestellt, daß der Abstand zwischen dem Abstellgleise für die Eisenbahnkesselwagen und dem nächsten Wohnhaus nur 25 m betrage, daß die Straßentankwagen beim Abfüllen von diesem Haus jedoch nur 7,5 m entfernt stehen und die Entfernung zur Freileitenstraße in diesem Fall nur 4,5 m betrage. An der Freileitenstraße befindet sich dem Befund zufolge in unmittelbarer Nähe der Flüssiggasabfüllstelle eine holzverarbeitende Betriebsanlage. Im Gutachten werden wegen der möglichen Feuer- und Explosionsgefahr "arge Bedenken" gegen den Abfüllbetrieb erhoben.

Anläßlich eines am 8. Jänner 1979 von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck durchgeführten Augenscheines wurde festgestellt, daß die Freileitenstraße (Gemeindestraße) durch ein dichtverbautes Siedlungsgebiet führe, und nach ihrer Lage und Widmung als Aufschließungsstraße für dieses Wohngebiet angelegt sei. Die Straße weise eine Breite für knapp zwei Fahrstreifen auf und scheine für ständigen Schwerlastverkehr nicht geeignet. Ausweichen, Umkehren und Wendeplätze seien nicht vorhanden. Die Straße werde von vielen Fußgängern (insbesondere Schülern) begangen, weil sich in der Nähe mehrere Schulen befinden.

3. Das von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck verhängte Fahrverbot für Flüssiggastankfahrzeuge auf der Freileitenstraße hat, da diese Straße die einzige Zufahrt zur Anlage der Antragstellerin ist, die Wirkung einer Betriebseinstellung. Da die Bezirkshauptmannschaft die Verordnung ua. auf die Gefährdung stützt, die vom Betrieb der Anlage, der im wesentlichen im Abfüllen von Flüssiggas besteht, ausgeht, hatte der VfGH zunächst zu untersuchen, ob der Hinweis auf "Elementarereignisse" in §43 Abs1 lita StVO oder auf "die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes" in litb der genannten Bestimmung die Behörden ermächtigt, bei Vollzug der StVO die Eignung des Standortes einer betrieblichen Anlage zu überprüfen und bei mangelnder Eignung eine Verordnung nach §43 StVO, wie etwa das gegenständliche Fahrverbot, zu erlassen und damit eine Sperre oder Verlegung der Anlage zu bewirken. Hiebei ist zu beachten, daß sich die Verordnungsermächtigung des §43 StVO auf den Kompetenztatbestand der Straßenpolizei stützt. Bei Auslegung des Tatbestandes der Straßenpolizei hat der VfGH, ungeachtet des Bundesverfassungsgesetzes, BGBl. 148/1960, mit dem lediglich eine Verschiebung der Kompetenz in Angelegenheiten der Straßenpolizei eintrat, nicht aber eine Änderung des Inhaltes des Kompetenztatbestandes vorgenommen wurde, den Begriffsinhalt der Straßenpolizei nach dem Zeitpunkt seiner Schaffung, dem 1. 10. 1925, bestimmt (vgl. VfSlg. 4349/1963 und 4381/1963). Normen betreffend Hintanhaltung von Gefährdungen oder Beeinträchtigungen, welche von betrieblichen Anlagen ausgehen, gehören aber, wie ein Vergleich der Bestimmungen der wichtigsten, am 1. 10. 1925 in Kraft stehenden straßenpolizeilichen Normen, des Bundesstraßengesetzes 1921 und der Straßenpolizeiordnung für die Bundesstraßen, BGBl. 441/1921, mit den Bestimmungen der Gewerbeordnung 1859 zeigt, nicht zum Begriffsinhalt der Straßenpolizei. So macht etwa §25 Gewerbeordnung 1859 das Erfordernis einer Betriebsanlagengenehmigung gerade von der möglichen Gefährdung oder Belästigung der Nachbarschaft durch die Anlage abhängig. Der Umstand, daß die Gewerbeordnung 1859 auf den Betrieb von Eisenbahnanlagen, zu welchen auch Einrichtungen zur Entladung von Waggons zählen, keine Anwendung findet (ArtV litl des Kundmachungspatentes), vermag am Begriffsinhalt der Straßenpolizei, der in seinem systematischen Bezug zur Gesamtrechtsordnung zu beurteilen ist, nichts zu ändern. Es enthielten aber auch die am 1. 10. 1925 in Geltung gestandenen eisenbahnrechtlichen Vorschriften Normen über die Hintanhaltung möglicher Gefährdung und Belästigung durch den Betrieb von Eisenbahnanlagen (§6 und §10 Abs1 litb der Verordnung vom 14. 9. 1854, RGBl. 238, betreffend die Erteilung von Concessionen für Privat-Eisenbahnbauten, §6 in der Fassung des Art51 des Verwaltungsentlastungsgesetzes 1925, BGBl. 277).

§43 Abs1 StVO zählt jene Umstände auf, auf welche bei Erlassung einer Verordnung Rücksicht zu nehmen ist, darunter auch die Möglichkeit des Eintrittes von Elementarereignissen sowie die "Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes". Demgemäß ist bei Erlassung einer Verordnung auch auf die besonderen Gefahren, die mit der Widmung und Beschaffenheit einer betrieblichen Anlage verbunden sind, in der Weise Bedacht zu nehmen, daß durch den Straßenverkehr möglichst keine weiteren Gefährdungsmomente für die Anlage auftreten sollen. Die an der Straße gelegenen Gebäude und Gebiete sind insofern Schutzobjekt. Der Zweck einer Verordnung nach §43 Abs1 StVO ist der Schutz vor den Gefahren des Straßenverkehrs und nicht die Beseitigung oder Minderung der typischen Gefahren einer betrieblichen Anlage. Bei Erlassung einer Verordnung haben die Straßenpolizeibehörden daher die Lage, Widmung und Beschaffenheit einer betrieblichen Anlage als Faktum hinzunehmen, dürfen aber keine Umstände schaffen, die mit deren Bestand unvereinbar sind. Andernfalls würden sie eine kompetenzwidrige Nachprüfung der der Errichtung und dem Betrieb der Anlage vorangehenden Bewilligungsakte (Baubewilligung, Betriebsanlagengenehmigung, Bewilligungen nach §§32 und 37 Eisenbahngesetz 1957 usw.) oder - im Falle einer Anlage, die ohne die erforderlichen Bewilligungen betrieben wird - eine kompetenzwidrige Vorwegnahme der Versagung der Bewilligung vornehmen. Wohl aber könnte das Faktum des Bestandes der betrieblichen Anlage bei Beurteilung der Sicherheit des Verkehrs mitberücksichtigt und eine auf dieses Faktum speziell abgestellte Verordnung erlassen werden.

Auch die Heranziehung des §43 Abs2 StVO kommt zum gleichen Ergebnis, zeigt doch gerade der Wortlaut dieser Bestimmung deutlich, daß die dort genannten Gefahren und Belästigungen jene des Straßenverkehrs und nicht solche der an der Straße gelegenen Baulichkeiten und betrieblichen Anlagen sind.

Die Erlassung einer Verordnung nach §43 StVO ist aber auch kein rechtlich zulässiges Mittel, die Beförderung gefährlicher Güter durch Kraftfahrzeuge auf Straßen schlechthin zu verhindern. Eine solche Regelung fiele unter den Kompetenztatbestand des Kraftfahrwesens und nicht der Straßenpolizei (vgl. VfSlg. 8035/1977).

Bei Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO sind die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für welche die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen. Die aufgezeigte verfassungskonforme Auslegung des §43 StVO führt zu dem Ergebnis, daß weder die von der betrieblichen Anlage der Antragstellerin noch die von der Art des transportierten Gutes ausgehenden Gefahrenmomente das dauernde Fahrverbot auf der Freileitenstraße rechtfertigen würden, soferne nicht Besonderheiten dieser Straße gegenüber anderen Straßen, auf denen auch Flüssiggas transportiert wird oder an denen auch Betriebe liegen, zu denen man mit Tankfahrzeugen zufahren muß, die Verhängung eines dauernden Fahrverbotes gebieten.

Das von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck angeführte Argument, das Umpumpen von Flüssiggas von den Waggons der Antragstellerin in die Tankfahrzeuge gefährde und belästige die Bewohner des in unmittelbarer Nähe befindlichen Siedlungsgebietes, bei unsachgemäßer Arbeitsweise bestehe sogar die Gefahr einer Explosion, ist aus den erwähnten Gründen nicht geeignet, eine Verordnung nach §43 StVO zu stützen. Auch die von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vorgelegten Unterlagen, auf Grund derer die Verordnung erlassen worden war, sind nur teilweise für die vorliegende Prüfung relevant. Die Unterlagen beziehen sich im wesentlichen auf Beschwerden und Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit dem Abfüllvorgang (zB Gutachten des Amtssachverständigen Dipl.-Ing. M., Zeitungsmeldungen, Beschwerde der E. St., etc.).

Wenngleich der VfGH die mögliche Gefährdung und Belästigung durch eine Flüssiggasabfüllanlage, die sich möglicherweise an ungeeigneter Stelle befindet (gemessen an §§47 ff. der auf Eisenbahnbetriebe nicht anwendbaren Flüssiggasverordnung, BGBl. 139/1971), nicht verkennt, so ist es für die gesetzliche Deckung einer Verordnung nach §43 StVO irrelevant, ob im konkreten Fall eine Baugenehmigung nach §32 und eine Betriebsbewilligung nach den §§35 und 37 Eisenbahngesetz 1957 erteilt wurde; es steht dem VfGH auch nicht zu, zu beurteilen, ob die Bestimmungen, nach denen sich die Bewilligung von Flüssiggasabfüllanlagen in Bahnhöfen richtet, der besonderen Gefährdung durch Flüssiggas Rechnung tragen oder allenfalls unzureichend sind.

4. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck führt aber auch Besonderheiten der Freileitenstraße gegenüber anderen Straßen an, die diese nach Ansicht der Bezirkshauptmannschaft zum Befahren mit Flüssiggastankfahrzeugen ungeeignet erscheinen läßt. So müßten die Flüssiggastankfahrzeuge beim Ein- und Ausfahren reversieren, an der Freileitenstraße befänden sich auch zwei holzverarbeitende Betriebe, die Straße werde täglich von einer großen Zahl von Schülern begangen, da sich im Nahbereich des Bahnhofes ein Schulzentrum befinde, in dem über 2.000 Kinder unterrichtet werden, die Freileitenstraße sei nach Lage und Widmung eine Aufschließungsstraße für Wohnsiedlungen, sie weise nur eine Breite von knapp zwei Fahrstreifen auf.

Der VfGH vermeinte, auf diese Argumente eingehen zu müssen und hat zu diesem Zwecke das Verfahren wiedereröffnet und Beweise aufgenommen durch Einsicht in die vorgelegten Urkunden und durch Einvernahme je eines Vertreters des Bundesministeriums für Verkehr, der Stadtgemeinde Vöcklabruck, der Firma BP Austria AG und eines Vertreters der Antragstellerin. Auf Grund dieses Beweisverfahrens nimmt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Die Abfüllanlage der Antragstellerin liegt nordöstlich des Personenbahnhofsgebäudes des Bahnhofes Vöcklabruck. Die einzige Zufahrt führt über die Freileitenstraße. Beim Einfahren und Ausfahren von der Freileitenstraße zur Entladestelle müssen große Tankfahrzeuge reversieren, da die Zufahrt zur Entladestelle mit der Freileitenstraße gegen Westen einen spitzen Winkel bildet. Ein Ausfahren aus der Freileitenstraße nach Osten ist aber nicht möglich. Die Freileitenstraße weist im Bereich des Fahrverbotes unterschiedliche Fahrbreiten auf. An der schmalsten Stelle beträgt die Fahrbreite 5,25 m, im Kreuzungsbereich mit der Entladestraße 8 m. Die Einfahrt zur Entladestelle weist ein Gefälle von ca. 5 bis 7% auf. Die Freileitenstraße führt durch Siedlungsgebiet, das ausschließlich mit Ein- und Zweifamilienhäusern bebaut ist. An der Freileitenstraße befinden sich zwei Tischlereibetriebe mit ca. 75 bzw. 15 Beschäftigten. Die Freileitenstraße mündet im Westen in die ausgebaute Pilsbacher Bezirksstraße. Nach der Pilsbacher Bezirksstraße benützen die Flüssiggastankfahrzeuge die Bahnhofstraße, welche zur Bundesstraße 1 führt. Die Bahnhofstraße führt am Bahnhofsgebäude der Antragstellerin vorbei durch dicht verbautes Siedlungsgebiet mit vier- und sechsgeschoßigen Gebäuden. Östlich des Wohngebietes liegt das Schulzentrum Wagrain, das von ca. 2.900 Schülern besucht wird. Die Autobusabfahrtsstelle befindet sich im Bereich des Bahnhofes.

Die Feststellungen über die örtlichen Gegebenheiten gründen sich im wesentlichen auf die unbedenkliche Aussage des Vertreters der Stadtgemeinde Vöcklabruck, die durch die vom Zeugen vorgelegten Pläne erhärtet wird. Hingegen fand der VfGH in den Beweisergebnissen keine hinreichende Grundlage, die Behauptung der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, daß gerade die Freileitenstraße von einer großen Zahl von Schülern begangen wird, ohne weitere Prüfung zu übernehmen. Sowohl das Schulzentrum als auch die Autobusabfahrtsstelle, die wohl von einer großen Anzahl von Schülern benützt wird, befinden sich auf der der Abfüllanlage gegenüberliegenden Seite der Bahnstraße, sodaß mit dem Verkehr in der Freileitenstraße offensichtlich nur jener Teil der Schüler in Berührung kommt, der entweder in der Freileitenstraße und den unmittelbar benachbarten Straßen wohnt oder der nach Benützung der Fußgeherunterführung westlich des Bahnhofes Vöcklabruck, der in die Gerichtsbergstraße mündet, die Freileitenstraße überqueren muß. Aus den aufgenommenen Beweisen ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Zahl der Kinder, die durch den Flüssiggastransport auf der Freileitenstraße gefährdet ist, höher ist, als die Zahl jener Kinder, die sonstwo in Österreich durch Schwertransporte auf ihren Schulwegen gefährdet ist. Gerade aber der Umstand, daß ua. wegen Gefährdung von Schülern ein Fahrverbot auf der Freileitenstraße, der einzigen Zufahrt zur Abfüllanlage, verhängt wurde, während ein solches Fahrverbot auf der Bahnhofstraße, die offensichtlich von wesentlich mehr Schülern benützt wird und an der die Siedlungsdichte noch größer ist, welcher aber die Antragstellerin und deren Kunden durch Benützung anderer Straßen ausweichen könnten, nicht verhängt wurde, zeigt deutlich, daß die Verordnung gar nicht zur Fernhaltung von Gefahren des Straßenverkehres, sondern zur Sperre der Abfüllanlage erlassen wurde. Im übrigen mußte der VfGH keine detaillierten Feststellungen über das Ausmaß der Benützung der Freileitenstraße durch Schüler treffen, da selbst bei außergewöhnlich intensiver Benützung durch Schüler kein dauerndes Fahrverbot, sondern nur ein auf die Zeiten des Unterrichtsbeginnes und Unterrichtsendes beschränktes Fahrverbot zulässig sein könnte.

Auf Grund der unbedenklichen Angaben der Vertreter der BP Austria AG und der Antragstellerin nahm der VfGH weiters als erwiesen an, daß im Jahre 1978 3.666 t Flüssiggas am Bahnhof Vöcklabruck entladen wurden. Im Jänner 1979 erfolgten 26 Tankwagenentladungen. Die Höchstzahl der Entladungen pro Arbeitstag betrug drei.

Auf Grund des Fahrverbotes auf der Freileitenstraße mußte die Antragstellerin die Flüssiggasentladung verlegen. Die Abfüllung erfolgt nun auf dem von Vöcklabruck 11 km entfernten Bahnhof Redl-Zipf. Der Bahnhof Redl-Zipf ist nicht von einem dichten Siedlungsgebiet umgeben, doch erfordert die Zustellung nach Vöcklabruck, das das Zentrum einer relativ starken Verbrauchergruppe ist, nunmehr für den Straßentransport längere Zufahrtswege. Flüssiggastransporte auf Straßen sind gefährlicher als Bahntransporte, was auch vom Vertreter der BP Austria AG, die solche Transporte durchführt, zugegeben wird.

5. Aus den Feststellungen ergibt sich, daß die Freileitenstraße Eigenschaften aufweist (geringe Fahrbreite, Lage im Siedlungsgebiet), die auch auf einen nicht unbedeutenden Teil anderer Straßen zutrifft. Ein Vergleich der Abfüllanlage am Bahnhof Vöcklabruck mit ähnlichen Abfüllanlagen in anderen Bahnhöfen zeigt, daß einige Abfüllanlagen sich in Bahnhöfen befinden, die nicht im dichtverbauten Siedlungsgebiet liegen, wie zum Beispiel der Bahnhof Redl-Zipf, sodaß diese Bahnhöfe für die Abfüllung von Flüssiggas aus Sicherheitsgründen geeigneter erscheinen mögen als der Bahnhof Vöcklabruck.

Ein solcher Vergleich kann aber nur im Verfahren auf Erteilung einer eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung (§32 Eisenbahngesetz 1957) oder Betriebsbewilligung (§37 Eisenbahngesetz 1957) von Bedeutung sein. Im vorliegenden Prüfungsfall, in dem es allein auf die Gefahr des Transportes auf der Straße ankommt, vermag der VfGH nicht zu erkennen, daß die Anfahrt von anderen Bahnhöfen zu den Kunden nicht auch durch Straßen führt, die hinsichtlich Breite und Lage im Siedlungsgebiet der Freileitenstraße vergleichbar sind, sodaß die Verlegung - mag sie auch die besonderen Gefahren bei der Abfüllung vermindern - zu keiner erhöhten Sicherheit des Transportes von Flüssiggas auf der Straße, sondern nur zur Verlegung der Gefährdung auf andere gleichartige Straßenzüge und damit auf einen anderen Personenkreis als die Benützer und Bewohner der Freileitenstraße führt.

Auch daß Tankfahrzeuge bei engen Einmündungen reversieren müssen, trifft für alle Großtransporte auf unzähligen Straßen zu. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, Gefährdungen, die durch Umkehren oder Rückwärtsfahren entstehen können, zu vermindern oder zu beseitigen, wie zB die Anbringung von Straßenspiegeln oder die Einweisung beim Rückwärtsfahren durch eine geeignete Person (§14 Abs3 StVO).

Besonderheiten der Freileitenstraße gegenüber anderen Straßen, auf denen Flüssiggastransporte stattfinden, die das Vorliegen der Voraussetzungen des §43 Abs1 und 2 begründen, sind nicht gegeben.

Die vom Abfüllvorgang im Bahnhof Vöcklabruck ausgehende Gefährdung rechtfertigt nicht die gegenständliche Art der Verordnung, nämlich die Erlassung eines dauernden Fahrverbotes für Flüssiggastankfahrzeuge auf der Freileitenstraße. Ein solches Fahrverbot für Tankfahrzeuge ist kein zulässiges Mittel, die beim Abfüllvorgang (und nur bei diesem, nicht aber beim Transport) auftretende Gefährdung der Sicherheit des Verkehrs zu beseitigen.

6. Aus den genannten Gründen ist die Verordnung gesetzwidrig und war daher aufzuheben. Welche anderen Verkehrsbeschränkungen für die Freileitenstraße allenfalls gesetzmäßig wären, war vom VfGH nicht zu untersuchen.

7. Die Verpflichtung der Oö. Landesregierung zur Kundmachung ergibt sich aus Art139 Abs5 B-VG.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Straßenpolizei, Fahrverbot, Auslegung Verfassungs-, Kompetenz Bund - Länder Straßenpolizei, Kompetenz Bund - Länder Kraftfahrwesen, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:V13.1979

Dokumentnummer

JFT_10198797_79V00013_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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