TE Vfgh Erkenntnis 1980/12/16 B100/80

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Veröffentlicht am 16.12.1980
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Staatsangehörigkeit
B-VG Art83 Abs2
MRK Art5
MRK Art6, Art6 Abs2
StGG Art6 Abs1
StGG Art8
AVG §66 Abs4
FremdenpolizeiG §3 Abs1
VfGG §88

Leitsatz

Fremdenpolizeigesetz, keine Bedenken gegen §3 Abs1 und Abs2 litb, kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine Verletzung der persönlichen Freiheit

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsbürger. Er ist im Jahre 1971 in das Bundesgebiet eingereist.

Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz hat mit Bescheid vom 5. September 1979 über den Beschwerdeführer gemäß §3 Abs1 iVm §4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954 (FrPG), ein bis zum 31. Dezember 1985 befristetes Aufenthaltsverbot für das Gebiet der Republik Österreich erlassen. Dieser Bescheid wurde im wesentlichen wie folgt begründet: Der Beschwerdeführer habe in der Nacht vom 26. auf 27. März 1979 in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) nahe der österreichischen Staatsgrenze einige türkische Staatsangehörige in sein Kraftfahrzeug aufgenommen und innerhalb der BRD weitertransportiert; diese Personen seien kurz zuvor illegal von Österreich in die BRD gekommen. Der illegale Grenzübertritt ausländischer Staatsangehöriger und das daran zeitlich anschließende Verhalten des Beschwerdeführers laufe den öffentlichen Interessen zuwider und stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar. Nach dem Österreichisch-Deutschen Schubabkommen vom 19. Juli 1961, BGBl. 227, Abschnitt A Abs3a, sei Österreich nämlich verpflichtet, Personen, die ohne Erlaubnis aus dem Gebiet der Republik Österreich in das Gebiet der BRD eingereist sind, formlos zu übernehmen. Dies habe zur Folge, daß Österreich die Außerlandschaffung dieser Personen durchzuführen habe und gegebenenfalls die Abschiebungskosten aus öffentlichen Mitteln bestritten werden müßten.

b) Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vbg. hat mit Bescheid vom 28. Jänner 1980 der gegen den zitierten Bescheid vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung keine Folge gegeben und den Bescheid der ersten Instanz mit der Maßgabe bestätigt, daß es im Spruch zu lauten hat: "... gemäß §3 Abs1 und §3 Abs2 litb Fremdenpolizeigesetz ...".

Der Berufungsbescheid bezieht sich auf zwei gegen den Beschwerdeführer ergangene Strafurteile, nämlich auf das Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 15. März 1974 (mit dem der Beschwerdeführer wegen Übertretung des §411 StG zu einer Geldstrafe von S 500,-, im Nichteinbringungsfall zu zwei Tagen Arrest, deshalb verurteilt wurde, weil er seine Lebensgefährtin im Verlaufe einer Auseinandersetzung verletzt hatte) und auf das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 4. Mai 1976 (mit dem der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach §107 Abs1 StGB zu 80 Tagessätzen von S 100,- deshalb verurteilt wurde, weil er einen Landsmann mit einem Messer bedroht und ihn dadurch in Furcht und Unruhe versetzt hatte; die Strafe wurde unter Setzung einer Probezeit bedingt auf drei Jahre ausgesprochen).

In der Begründung dieses Berufungsbescheides heißt es sodann, die Bezirkshauptmannschaft Bregenz habe diese beiden gerichtlichen Verurteilungen zum Anlaß genommen, den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 20. Mai 1976 darauf aufmerksam zu machen, daß er bei weiteren Verstößen gegen die österreichische Rechtsordnung mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für die Republik Österreich zu rechnen habe.

Im angefochtenen Bescheid wird weiters dargetan, weshalb die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vbg. die Angaben des Berufungswerbers (des Beschwerdeführers dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens), er habe keine "Schleppertätigkeit" ausgeübt, für unglaubwürdig hält. Er sei zwar nicht wegen Anstiftung zur Begehung von Übertretungen nach §2 Abs1 iVm §15 Abs1 lita des Grenzkontrollgesetzes 1969, BGBl. 423, bestraft worden, jedoch sei zu seinen Ausführungen, ein Aufenthaltsverbot könne deshalb auf diesen Sachverhalt nicht gestützt werden, zu bemerken: Wenn die Bezirkshauptmannschaft Bregenz im Jahre 1976 wegen der erwähnten gerichtlichen Verurteilungen dem Berufungswerber lediglich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angedroht habe, so sei die Sicherheitsdirektion doch der Ansicht, daß bereits diese beiden Rechtsbrüche die Bezirkshauptmannschaft Bregenz zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes berechtigt hätten. Die Androhung des Aufenthaltsverbotes habe sich dann auch als zu schwaches Mittel erwiesen, um den Berufungswerber von weiteren Rechtsbrüchen abzuhalten. Die Sicherheitsdirektion habe bei Fällung der Ermessensentscheidung iS des §3 FrPG stets das Gesamtverhalten des Fremden heranzuziehen. Unter diesem Gesichtspunkt müsse auch die Tatsache berücksichtigt werden, daß der Berufungswerber in der BRD wegen Verdachtes der Schleppertätigkeit angehalten und in der Folge des Landes verwiesen worden sei. Wenn er auch in Österreich wegen dieser Tätigkeit nicht bestraft wurde, so werde doch durch diesen Vorfall das Bild, das sich die Berufungsbehörde (die Sicherheitsdirektion) von dem Fremden gemacht hat, komplettiert. Die Berufungsbehörde könne sich daher den Ausführungen der Behörde I. Instanz anschließen, wenn diese anführe, daß der illegale Grenzübertritt ausländischer Staatsangehöriger sowohl öffentlichen Interessen zuwiderlaufe als auch eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Darüberhinaus bringe ein solcher Grenzübertritt beträchtliche finanzielle Belastungen für die Republik Österreich mit sich. In der Regel müßten derartige Personen auf Kosten der Republik Österreich in ihr Heimatland, teilweise sogar mit Flugzeugen, abgeschoben werden. Der Aufenthalt von Personen, die auf diese Weise illegale Grenzüberschreitungen unterstützten, widerspreche somit den öffentlichen Interessen. Das aus den geschilderten objektiven Erkenntnissen resultierende Interesse an der Außerlandschaffung des Fremden sei in Ausübung des der Behörde eingeräumten freien Ermessens höher gewertet worden als das in der Berufung vorgebrachte persönliche Interesse des Fremden an einem weiteren Aufenthalt in Österreich.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vbg. wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

3. Die belangte Behörde, vertreten durch die Finanzprokuratur, hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Beschwerde zurück-, in eventu abzuweisen und ihr Kosten zuzusprechen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Alle Prozeßvoraussetzungen sind gegeben. Die Beschwerde ist zulässig.

Wenngleich die belangte Behörde primär begehrt, die Beschwerde zurückzuweisen, beschränkt sie sich darauf, darzutun, weshalb ihrer Meinung nach das in der Beschwerde gerügte Verhalten der Behörde nicht in die Verfassungsrechtssphäre des Beschwerdeführers reiche. Damit wird aber nicht die Zulässigkeit der Beschwerde bestritten, sondern behauptet, daß verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte durch den angefochtenen Bescheid nicht verletzt worden seien.

2. a) Der angefochtene Bescheid stützt sich auf §3 Abs1 und Abs2 litb FrPG.

Diese Bestimmungen lauten:

"§3 (1) Gegen Fremde, deren Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet oder anderen öffentlichen Interessen zuwiderläuft, kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden.

(2) Insbesondere kann ein Aufenthaltsverbot gegen Fremde erlassen werden,

a) ...

b) die aus anderen Gründen von einem in- oder ausländischen Gericht rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden oder sonst von einem inländischen Gericht oder einer inländischen Verwaltungsbehörde mehr als einmal aus Gewinnsucht oder aus anderen unehrenhaften Motiven begangener Handlungen wegen bestraft worden sind;

..."

b) Der VfGH hat aus der Sicht dieses Beschwerdefalles gegen diese Gesetzesbestimmungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. VfSlg. 8611/1979, 8607/1979, 8792/1980).

3. Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, daß der angefochtene Bescheid gegen die in Art6 Abs2 MRK verankerte Unschuldsvermutung verstoße. Der Beschwerdeführer sei nicht wegen Übertretung nach §2 Abs1 des Grenzkontrollgesetzes 1969, BGBl. 423, bestraft worden. Es sei Verfolgungsverjährung eingetreten, sodaß es der belangten Behörde verwehrt gewesen sei, die im Zusammenhang mit dieser "Schleppertätigkeit" stehende strafbare Handlung zur Grundlage eines Aufenthaltsverbotes zu nehmen.

Diese Rüge des Beschwerdeführers geht ins Leere: Die Behörde ist davon ausgegangen, daß die vom Beschwerdeführer in der BRD ausgeübte Tätigkeit ihn als einen Fremden habe erkennen lassen, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde und finanziellen Interessen der Republik Österreich zuwiderlaufe, weshalb die Voraussetzungen des §3 Abs1 FrPG für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes vorlägen. Diese von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang angewendete Gesetzesbestimmung knüpft an kein strafbares Verhalten an, sodaß Art6 Abs2 MRK überhaupt nicht zum Tragen kommen kann.

Ob die dem Beschwerdeführer angelastete "Schleppertätigkeit" für sich allein oder im Zusammenhang mit den beiden rechtskräftigen Gerichtsstrafen die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen, war unter dem Gesichtspunkt des Art6 Abs2 MRK nicht zu beurteilen.

4. Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein; dies aus mehreren Gründen.

a) Der Beschwerdeführer behauptet zunächst, in diesem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht deshalb verletzt worden zu sein, weil der erstinstanzliche Bescheid nicht vom Bezirkshauptmann von Bregenz persönlich, sondern von einem anderen Beamten der Bezirkshauptmannschaft unterfertigt worden sei.

Die Prämisse, von der der Beschwerdeführer hier ausgeht, trifft nicht zu. Es besteht nämlich keine Anordnung, wonach Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Bregenz von deren Leiter persönlich unterfertigt werden müssen (s. §7 des Vbg. Bezirksverwaltungsgesetzes, LGBl. 1/1976).

b) Im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung des Art83 Abs2 B-VG macht der Beschwerdeführer weiters geltend, daß das Verfahren mangelhaft geblieben sei.

Hiezu genügt es, auf die ständige Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8727/1980) zu verweisen, wonach etwa vorgekommene verfahrensrechtliche Mängel die Zuständigkeit der Behörde zu einer Sachentscheidung nicht berühren.

c) Schließlich behauptet der Beschwerdeführer, das zuletzt erwähnte verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht werde dann verletzt, wenn die Berufungsbehörde einen anderen Sachverhalt zum Gegenstand ihrer Entscheidung macht als die Behörde I. Instanz. Ein solcher Fall liege hier - so meint der Beschwerdeführer - vor.

Träfe diese Behauptung zu, wäre der Beschwerdeführer tatsächlich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden (vgl. zB VfSlg. 5694/1968, 6128/1970 und 6416/1971): Nach §66 Abs4 AVG hat die Behörde - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - immer "in der Sache" selbst zu entscheiden; sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. "Sache" iS des ersten Satzes des Abs4 ist hiebei für die Berufungsbehörde die Angelegenheit, die den Inhalt des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat (vgl. zB VwGH 13. 11. 1979 Z 1967/77, ZfVB 1980/5/1752). Entschiede die Berufungsbehörde über eine andere Sache, wäre sie hiefür unzuständig und würde das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzen.

Dieser Fall liegt aber hier nicht vor. "Sache" (Gegenstand) des erstinstanzlichen Bescheides war die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer. Die belangte Behörde hat nur - nachdem sie dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte - die Begründung für diese Maßnahme geändert. Hiezu war sie nach §66 Abs4 letzter Satz AVG zuständig.

5. Auch die Behauptung des Beschwerdeführers, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein, trifft nicht zu: Art8 StGG, das Gesetz vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutz der persönlichen Freiheit und Art5 MRK gewähren nur Schutz vor gesetzwidriger Festnahme und gesetzwidrigem Halten in Haft. Sie stehen mit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen Fremde aber in keinem Zusammenhang (vgl. zB VfSlg. 7608/1975 und VfSlg. 8815/1980).

6. Schließlich macht der Beschwerdeführer noch eine Verletzung des Art6 Abs1 MRK (Recht auf ein faires Verfahren) und des Art6 Abs3 litd MRK (Recht auf Einvernahme von Entlastungszeugen) geltend.

Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 7608/1975 dargetan, Art6 MRK gewährleiste nur das Recht, daß über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage von einem Tribunal in einem bestimmten Verfahren entschieden wird. Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Fremden stelle aber keine zivil- oder strafrechtliche Angelegenheit dar; Art6 MRK beziehe sich daher nicht auf das zu einer derartigen behördlichen Maßnahme führende Verfahren. Der Beschwerdeführer trägt nichts vor, was dazu angetan wäre, den VfGH von dieser Rechtsprechung abzubringen.

7. Der Beschwerdeführer ist sohin in den von ihm geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt worden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wäre. Insbesondere kann er nicht im Gleichheitsrecht verletzt worden sein, da dieses Recht nur österreichischen Staatsbürgern, nicht aber auch Fremden - der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft - gewährleistet ist (vgl. zB VfSlg. 8784/1980). Er ist auch nicht im Recht auf Aufenthaltsfreiheit verletzt worden (vgl. hiezu zB VfSlg. 8611/1979, 8607/1979).

Wie oben unter II.2.b ausgeführt wurde, hat der VfGH gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Beschwerdeführer ist daher auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde war also abzuweisen.

Schlagworte

Fremdenpolizei, Aufenthaltsverbot, Verwaltungsverfahren, Berufung, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B100.1980

Dokumentnummer

JFT_10198784_80B00100_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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