TE Vfgh Erkenntnis 1981/5/15 G4/80, G6/80

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Veröffentlicht am 15.05.1981
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
IESG §1 Abs1
IESG §17 Abs1

Leitsatz

Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz, BGBl. 324/1977; §17 Abs1 ist einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich

Spruch

Den Anträgen wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Beim VwGH ist ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien anhängig, mit dem ein Antrag auf Zuerkennung eines Anspruches nach dem Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz - IESG, BGBl. 324/1977, mit der Begründung abgewiesen worden war, daß gemäß §17 Abs1 IESG dieses Bundesgesetz erstmals anzuwenden sei, wenn der Konkurs über das Vermögen des Arbeitgebers nach dem 31. 12. 1975 eröffnet und am 31. Dezember 1977 noch nicht abgeschlossen worden sei. Im vorliegenden Fall sei der Konkurs aber schon mit Beschluß vom 19. August 1977 gemäß §166 Abs2 Konkursordnung, RGBl. 337/1914 (KO), aufgehoben worden.

b) Beim VwGH ist ferner ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landesarbeitsamtes OÖ anhängig, mit dem ein Antrag auf Zuerkennung eines Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld nach dem IESG abgelehnt worden war. Die Ablehnung wurde damit begründet, daß §17 Abs1 IESG auf den formalen Abschluß des Ausgleichsverfahrens nach der Ausgleichsordnung abstelle. Nach dieser könne ein Ausgleichsverfahren durch Aufhebung (§55 Ausgleichsordnung, RGBl. 337/1914 - AO), oder Einstellung (§56 AO), enden. Der in §17 Abs1 IESG verwendete Begriff 'abgeschlossen' umfasse diese beiden Endigungsgründe. Da das hier in Rede stehende Ausgleichsverfahren am 27. Juni 1977 gemäß §55 Abs2 AO aufgehoben worden sei, sei die Anwendung des IESG nicht möglich.

2. Aus Anlaß der in Punkt I.1. angeführten Beschwerden stellt der VwGH gemäß Art140 B-VG (unter A38/79 im Verfahren nach Punkt I.1. litb, protokolliert unter G6/80, und unter A39/79 im Verfahren nach Punkt I.1. lita, protokolliert unter G4/80) den Antrag, im §17 Abs1 IESG die Worte "und am 31. Dezember 1977 noch nicht abgeschlossen" als verfassungswidrig aufzuheben.

Der VfGH hat die Verfahren gemäß §§187 und 404 ZPO iVm §35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie im wesentlichen darauf hinweist, daß die beiden Fälle "Konkurseröffnung" und "Abweisung eines Antrages auf Eröffnung eines Konkurses mangels hinreichenden Vermögens" im IESG verfahrensmäßig verschieden geregelt seien; es sei folgerichtig, daß dieses System auch für den zeitlichen Anwendungsbereich der Übergangsbestimmung verwirklicht sei. Im Falle der Durchführung eines Konkursverfahrens sehe das Gesetz vor, daß die Ansprüche gegen den Arbeitgeber an den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds übergingen; ein solcher Übergang sei im Anwendungsbereich der Übergangsbestimmung nur dort möglich, wo ein Konkursverfahren noch nicht abgeschlossen sei. In den anderen Fällen sei die Institution des Insolvenz-Ausfallgeldes für diesen Fall nicht mehr voll rückwirkend anwendbar, da ein Regreß mangels vorhandener Konkursmasse nicht mehr in Betracht komme. Anders gestalte sich die Rückwirkung im Falle der Abweisung eines Antrages auf Eröffnung eines Konkurses mangels hinreichenden Vermögens, da dort der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds die Befriedigung der Ansprüche endgültig übernehme.

Des weiteren werde mit der Übergangsregelung die Absicht verfolgt, den betroffenen Arbeitnehmern die sozialen Vorteile des IESG zu einem möglichst frühen Zeitpunkt angedeihen zu lassen. Bei Anlegung einer Durchschnittsbetrachtung könne der Gesetzgeber davon ausgehen, daß in jenen Fällen, in denen es nicht einmal mehr zu einer Konkurseröffnung komme, die Lage der betroffenen Arbeitnehmer besonders kritisch sei. In den Fällen, wo ein Konkursverfahren durchgeführt werde, sei jedoch anzunehmen, daß die Arbeitnehmer offenbar wenigstens hinsichtlich von Teilen ihrer Ansprüche befriedigt worden seien, sodaß diese Arbeitnehmer zunächst wesentlich bessergestellt wären als jene, deren soziale Härtesituation nunmehr durch die spezielle Übergangsregelung gebessert werde.

Abschließend stellt die Bundesregierung den Antrag, die vom VwGH zur Aufhebung beantragten Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

4. a) §1 Abs1 IESG in der hier maßgebenden Stammfassung lautet:

"Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld haben Arbeitnehmer, ehemalige Arbeitnehmer sowie ihre Hinterbliebenen (Anspruchsberechtigte) für die nach Abs2 gesicherten Ansprüche, wenn über das Vermögen ihres Arbeitgebers (ehemaligen Arbeitgebers) im Inland der Konkurs eröffnet wird. Der Konkurseröffnung stehen gleich:

1. die Eröffnung des Ausgleichsverfahrens,

2. die Anordnung der Geschäftsaufsicht,

3. die Abweisung eines Antrages auf Eröffnung eines Konkurses mangels hinreichenden Vermögens."

b) §17 Abs1 IESG lautet:

"Dieses Bundesgesetz ist erstmals anzuwenden, wenn der Konkurs über das Vermögen des Arbeitgebers (ehemaligen Arbeitgebers) nach dem 31. Dezember 1975 eröffnet und am 31. Dezember 1977 noch nicht abgeschlossen worden ist. §1 Abs1 Z1 bis 3 gelten entsprechend."

II. Der VfGH hat über die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsantrages erwogen:

Der VwGH ist der Ansicht, daß er bei der Fällung der Entscheidung in den bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahren die Worte "und am 31. Dezember 1977 noch nicht abgeschlossen" anzuwenden habe.

Es sind keine Umstände hervorgekommen, nach denen diese Annahme des VwGH offenkundig nicht zuträfe.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist der Gesetzesprüfungsantrag zulässig.

III. In der Sache selbst hat der VfGH erwogen:

1. In dem unter A38/79 gestellten Antrag führt der VwGH folgendes aus:

"... §17 Abs1 IESG bezieht sich nicht nur auf das Konkursverfahren, das Ausgleichsverfahren und die Geschäftsaufsicht, sondern - wie die ausdrückliche Anordnung, daß §1 Abs1 unter anderem Z3 leg. cit. entsprechend gilt, zeigt - auch auf die Abweisung eines Antrages auf Eröffnung eines Konkurses mangels hinreichenden Vermögens. Wurde über das Vermögen des (ehemaligen) Arbeitgebers nach dem 31. Dezember 1975 ein Insolvenzverfahren eröffnet, so hat der (ehemalige) Arbeitnehmer den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld nur dann, wenn dieses Verfahren 'am 31. Dezember 1977 noch nicht abgeschlossen' war. Das bedeutet, daß z.B. der (ehemalige) Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld hat, wenn der Konkurs zwar nach dem 31. Dezember 1975 eröffnet, dann aber, weil im Laufe des Konkursverfahrens hervorkam, daß das Vermögen zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens nicht hinreicht, dieser Konkurs noch vor dem 31. Dezember 1977 wieder aufgehoben wurde.

Wurde dagegen der Antrag, über das Vermögen des (ehemaligen) Arbeitgebers den Konkurs zu eröffnen, mangels hinreichenden Vermögens in der Zeit zwischen dem 31. Dezember 1975 und dem 31. Dezember 1977 abgewiesen - bei der Abweisung eines Antrages auf Eröffnung eines Konkurses mangels hinreichenden Vermögens gibt es weder eine 'Eröffnung' noch einen 'Abschluß' -, so hat der (ehemalige) Arbeitnehmer schon allein zufolge dieser Abweisung den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld. ... Dieses unterschiedliche Ergebnis, je nachdem, ob das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Antrag, den Konkurs zu eröffnen, mangels hinreichenden Vermögens abgewiesen wurde, führt gegen die Anwendung der im Spruch bezeichneten Gesetzesstelle aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit, insbesondere wegen Verletzung des Gleichheitssatzes, zu Bedenken."

Im Antrag A39/79 hat der VwGH auf die Ausführungen im Antrag A38/79 verwiesen.

2. Nach §1 Abs1 IESG haben Arbeitnehmer (und - hier nicht maßgebend - ihnen gleichgestellte Personen) unter bestimmten Voraussetzungen im Falle der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen ihres Arbeitgebers Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld. Der Konkurseröffnung steht nach §1 Abs1 Z3 IESG ua. die Abweisung eines Antrages auf Eröffnung eines Konkurses mangels hinreichenden Vermögens (§73 KO) gleich.

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber alle Fälle der Konkurseröffnung über das Vermögen eines Arbeitgebers und den Fall der Abweisung eines Konkurseröffnungsantrages mangels hinreichenden Vermögens erfaßt, wobei es auf die tatsächliche Durchführung eines Konkursverfahrens nicht mehr ankommt: Schon die bloße Eröffnung des Konkurses bzw. die Abweisung des darauf gerichteten Antrages mangels hinreichenden Vermögens begründet bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen einen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld. Es spielt demnach für die Gewährung dieser Leistung keine Rolle, ob ein Konkurs durchgeführt wurde, ob er aufgehoben wurde, weil im Laufe des Verfahrens hervorgekommen ist, daß das Vermögen zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens nicht hinreicht (§166 Abs2 KO) oder ob er - allenfalls auch erst im Instanzenzug - mangels hinreichenden Vermögens nicht eröffnet wurde.

Gemäß §17 Abs1 IESG ist dieses Bundesgesetz auf solche Fälle der Konkurseröffnung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes (nach §18 Abs1 IESG der 1. Jänner 1978) anzuwenden, in denen der Konkurs über das Vermögen des Arbeitgebers (ehemaligen Arbeitgebers) bereits nach dem 31. Dezember 1975 eröffnet worden ist; es darf jedoch der Konkurs am 31. Dezember 1977 noch nicht abgeschlossen worden sein. Nach den Ausführungen in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des IESG (464 BlgNR XIV. GP) war diese Regelung schon deshalb notwendig, weil andernfalls zu befürchten war, daß die Eröffnung von Insolvenzverfahren nur deshalb hinausgezögert werde, um die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld zu begründen. Eine solche Verzögerung der Eröffnung von Insolvenzverfahren steht jedoch den berechtigten Bestrebungen entgegen, die eheste Eröffnung solcher Verfahren sicherzustellen.

Da nach dem zweiten Satz des §17 Abs1 IESG §1 Abs1 Z1 bis 3 entsprechend gelten, ist das Gesetz ua. auch auf die Fälle einer Abweisung eines Antrages auf Eröffnung eines Konkurses mangels hinreichenden Vermögens anzuwenden. Abgeschlossen kann jedoch nur ein eröffneter Konkurs werden. Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes kann sich das Erfordernis, wonach das Verfahren am 31. Dezember 1977 noch nicht abgeschlossen worden sein darf, nicht auf Fälle der Abweisung eines Konkurseröffnungsantrages beziehen. Dieses Erfordernis kann jedoch in diesen Fällen auch deshalb nicht in Betracht kommen, weil sonst ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld nur dann entstehen würde, wenn die Abweisung des Konkurseröffnungsantrages nach dem 31. Dezember 1977 erfolgte; dann wäre jedoch die Zitierung des §1 Abs1 Z3 in der Übergangsregelung sinnlos.

Für die Behandlung von Fällen, in denen während der Zeit vom 1. Jänner 1976 bis 31. Dezember 1977 ein Konkurs zwar eröffnet, aber nach §166 Abs2 KO aufgehoben wurde, weil im Laufe des Konkursverfahrens hervorgekommen ist, daß das Vermögen zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens nicht hinreicht, enthält §17 Abs1 IESG keine ausdrückliche Regelung. Gemäß §1 Abs1 leg. cit. entsteht jedoch auch in diesen Fällen ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld, weil das Gesetz nur auf die Eröffnung, nicht jedoch auf den Abschluß des Konkurses abstellt.

Nach Ansicht des VwGH (Punkt III.1.) und auch der Bundesregierung (Punkt I.3.) gelte in den angeführten, von der Übergangsregelung des §17 Abs1 IESG erfaßten Fällen etwas anderes, weil es dort auch auf den Abschluß des Konkurses ankomme. Eine Auslegung dieser Regelung, wonach das IESG auf Fälle anzuwenden wäre, in denen während der Zeit vom 1. Jänner 1976 bis 31. Dezember 1977 ein Antrag auf Eröffnung des Konkurses mangels hinreichenden Vermögens abgewiesen wurde, wogegen die Anwendung des Gesetzes während des gleichen Zeitraumes für Fälle ausgeschlossen wäre, in denen ein Konkurs zwar eröffnet, dann aber aufgehoben wurde, weil hervorgekommen ist, daß das Vermögen zur Deckung der Kosten des Verfahrens nicht hinreicht, könnte unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes bedenklich sein.

Eine solche Auslegung ist nach dem Wortlaut des Gesetzes aber nicht zwingend. Die Lage des Arbeitnehmers ist nach Aufhebung des Konkurses dieselbe wie nach der Ablehnung des Antrages auf Eröffnung des Konkurses. Wie den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des IESG zu entnehmen ist, hat es der Gesetzgeber im Falle der Zahlungsunfähigkeit (Überschuldung) des Arbeitgebers für unerläßlich gehalten, diese umfassende gesetzliche Sicherung zu schaffen; Anknüpfungspunkt dieser Regelung ist daher die wirtschaftliche Situation, wie sie für den betroffenen Arbeitnehmer durch die Illiquidität seines Arbeitgebers entsteht. Aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes läßt sich der Schluß ableiten, daß ein Anspruch im Falle der nach dem 31. Dezember 1975 erfolgten Konkursaufhebung gemäß §166 Abs2 KO ebenso eintreten soll wie bei der Abweisung mangels hinreichenden Vermögens.

Weil der Wortlaut auch einer solchen Auslegung nicht entgegensteht, ist für den Zeitraum vom 1. Jänner 1976 bis zum 31. Dezember 1977 das IESG auf Fälle, in denen ein Antrag, über das Vermögen des Arbeitgebers (ehemaligen Arbeitgebers) den Konkurs zu eröffnen, mangels hinreichenden Vermögens abgewiesen wird, in gleicher Weise anzuwenden wie auf solche Fälle, in denen ein eröffneter Konkurs aufgehoben wird, weil im Laufe des Konkursverfahrens hervorgekommen ist, daß das Vermögen zur Deckung der Kosten des Verfahrens nicht hinreicht.

Eine solche Auslegung ist nach dem Gebot einer verfassungskonformen Interpretation der vom VwGH angenommenen Auslegung vorzuziehen.

Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die weiteren Bedenken des VwGH einzugehen, da auch sie von der unzutreffenden Annahme ausgehen, daß die genannten Fälle durch §17 Abs1 IESG verschieden geregelt werden.

Den Anträgen des VwGH auf Aufhebung dieser Worte war daher nicht stattzugeben.

Schlagworte

Arbeitsrecht, Kündigungs- und Entlassungsschutz, Entgeltfortzahlung, Insolvenzrecht, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:G4.1980

Dokumentnummer

JFT_10189485_80G00004_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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