TE Vfgh Erkenntnis 1981/10/22 G48/81, V20/81

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Veröffentlicht am 22.10.1981
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 erster Satz
B-VG Art139 Abs4
B-VG Art139 Abs5 / Fristsetzung
AKHB Art4 Abs1 litc idF BGBl 605/1980
KFG 1967 §60 Abs2 Z3 lita idF BGBl 285/1971

Beachte

vgl. Kundmachung BGBl. 549 und 550/1981 am 22. Dezember 1981

Leitsatz

KFG 1967; §60 Abs2 Z3 lita verstößt gegen Art18 Abs2 B-VG; AKHB; Art4 Abs1 litc dieser Verordnung entbehrt nach Aufhebung des §60 Abs2 Z3 litc KFG 1967 der erforderlichen gesetzlichen Deckung

Spruch

I. §60 Abs2 Z3 lita des Kraftfahrgesetzes 1967, BGBl. Nr. 267, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 285/1971 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 20. Oktober 1982 in Kraft.

Frühere Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

II. Art4 Abs1 litc der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Festsetzung von Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, BGBl. Nr. 401/1967, Absatzbezeichnung in der Fassung der Verordnung BGBl. Nr. 605/1980, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 20. Oktober 1982 in Kraft.

Der Bundesminister für Finanzen ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Oberste Gerichtshof beantragt, "Art4 litc AKHB als gesetzwidrig und allenfalls §60 Abs2 Z3 lita KFG als verfassungswidrig aufzuheben".

1. Bei diesem Gerichtshof ist zu 7 Ob 24/81 ein Revisionsverfahren anhängig, in dem die bei einem Verkehrsunfall verletzte Ehegattin des schuldtragenden Lenkers und Versicherungsnehmers den Ersatz ihres Schadens begehrt, das beklagte Versicherungsunternehmen aber den Haftungsausschluß nach Art4 litc der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (AKHB) einwendet. Nach dieser Bestimmung (sie steht seit der Nov. BGBl. 605/1980 mit unverändertem Wortlaut in Art4 Ab s. 1 litc) sind von der Versicherung Ersatzansprüche ausgeschlossen,

"die aus der Verletzung oder der Tötung von Angehörigen des ersatzpflichtigen Versicherungsnehmers oder der ersatzpflichtigen mitversicherten Personen entstehen, denen sie zur Zeit des Schadensereignisses kraft Gesetzes unterhaltspflichtig sind und Unterhalt gewähren; diese Regelung gilt auch für Sachschäden, die diese Angehörigen treffen".

Die Gerichte erster und zweiter Instanz haben das Klagebegehren unter Hinweis auf diese Bestimmung abgewiesen. Nach Darstellung des Obersten Gerichtshofes wird auf Grund der Feststellungen von einer zumindest teilweisen Unterhaltsgewährung durch den Ehegatten der Klägerin auszugehen sein.

Art4 (Abs1) litc AKHB stützt sich auf §60 Abs2 Z3 lita des KraftfahrG 1967 in der Fassung BGBl. 285/1971 (KFG). Diese Gesetzesbestimmung lautet im Zusammenhang (der angefochtene Teil hervorgehoben):

"Versicherungsbedingungen und Tarif

§60. (1) Die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (§59 Abs1) muß nach allgemein verbindlichen Versicherungsbedingungen und einem festgesetzten Tarif (Abs2) abgeschlossen sein. Auf Vereinbarungen, die von diesen Versicherungsbedingungen zum Nachteil geschädigter Dritter abweichen, kann sich der Versicherer nicht berufen.

(2) Die Versicherungsbedingungen und der Tarif (Abs1) sind für die Zukunft unter Bedachtnahme auf die Betriebsgrundlagen und die durchschnittlichen Betriebsergebnisse der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung einschließlich der auf die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung entfallenden betriebswirtschaftlich gerechtfertigten Verwaltungskosten der Versicherer durch Verordnung festzusetzen. Bei der Gestaltung des Prämiensystems sind insbesondere auch die Interessen der Versicherungsnehmer in volkswirtschaftlich angemessener Weise zu berücksichtigen. Die Festsetzung erfolgt nach Maßgabe der jeweils bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse im Hinblick auf die im §59 Abs3 angeführten Versicherungssummen für die einzelnen Arten der Fahrzeuge und deren Verwendungsbestimmung, wobei folgendes zu gelten hat:

1. Bei der Festsetzung der Versicherungsbedingungen darf von den Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes 1958 nicht zum Nachteil der Versicherten und geschädigter Dritter abgewichen werden.

2. Durch die Versicherung muß die gesetzliche Haftpflicht des Eigentümers, des Halters und der Personen, die mit Willen des Halters beim Betrieb des Fahrzeuges tätig sind oder mit Willen des Halters mit dem Fahrzeug befördert werden, gedeckt sein.

3. Aus der Versicherung können ausgeschlossen werden Ersatzansprüche

a) von Angehörigen des Versicherten, denen er zur Zeit des Unfalles kraft Gesetzes unterhaltspflichtig ist und Unterhalt gewährt,

b) ...

4. Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt, können bestimmt werden

a) ...

5. Die Versicherungsbedingungen können Vereinbarungen vorsehen, nach welchen

a) ...

(3) Werden Versicherungsbedingungen oder ein Tarif festgesetzt, so gelten sie auch für die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits bestehenden Versicherungsverträge."

2. Zur Begründung seines Antrages verweist der Oberste Gerichtshof auf den Beschluß des VfGH vom 15. 3. 1978, V3/77-11, womit aus Anlaß eines Verordnungsprüfungsverfahrens zu §4 litc AKHB von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §60 Abs2 Z3 lita KFG eingeleitet worden war (G66/78; das Gesetzesprüfungsverfahren wurde in der Folge wegen Zurückziehung des Verordnungsprüfungsantrages eingestellt). Im Hinblick auf die in diesem Beschluß geäußerten Bedenken könne nicht mehr von einer verfassungsrechtlich unbedenklichen gesetzlichen Deckung des Art4 litc AKHB ausgegangen werden.

Dem vom Obersten Gerichtshof bezogenen Beschluß des VfGH vom 15. März 1978 - veröffentlicht in ZVR 1979/71 - lag ein Verordnungsprüfungsverfahren auf Antrag eines Versicherungsunternehmens zugrunde, das die mangelnde Übereinstimmung des Haftungsausschlusses in Art4 litc AKHB mit dem genannten Ermächtigungstatbestand des KFG rügte (V3/77). Der Bundesminister für Finanzen hatte die Verordnung mit der Begründung verteidigt, wenn es dem Verordnungsgeber freistehe, von der gesetzlichen Ermächtigung überhaupt nicht Gebrauch zu machen, könne es nicht gesetzwidrig sein, wenn sie nicht zur Gänze ausgenützt werde. Die damit aufgeworfene Fragestellung hatte beim VfGH Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Gesetzesbestimmung im Hinblick auf das Gebot der zureichenden Vorausbestimmung der beabsichtigten Regelung im Gesetz (Art18 B-VG) und das Gleichheitsgebot (Art7 B-VG) erweckt.

Wörtlich heißt es dazu im Beschluß des VfGH in bezug auf Art18 B-VG:

"a) Mit Erk. Sammlung 5175/1965 hat der VfGH einige Worte in §54 des Kraftfahrgesetzes 1955 wegen Verstoßes gegen Art18 B-VG aufgehoben. Nach dieser Bestimmung - dem Vorläufer des §60 KFG 1967 - war die Versicherung nach dem vom Bundesminister für Finanzen genehmigten oder angeordneten Geschäftsplan abzuschließen und bei Genehmigung oder Anordnung dieses Geschäftsplanes auf die Betriebsgrundlagen der Versicherungsunternehmungen, auf die Bedürfnisse des Kraftfahrzeugverkehres und auf die Interessen der Versicherungsnehmer und der Versicherungsunternehmen Bedacht zu nehmen. Darin erblickte der Gerichtshof nur den Hinweis auf verschiedene, zum Teil entgegengesetzte Interessen, der die wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung nicht enthielte. In Wahrheit überlasse das Gesetz dem Verordnungsgeber die Gestaltung der Versicherungsbedingungen, ohne ihn in einer bestimmten Richtung zu binden.

Es scheint, daß §60 Abs2 KFG 1967 die Verordnung in dieser Hinsicht ebensowenig determiniert. Der erste Satz dieser Bestimmung verweist nur auf die Betriebsgrundlagen und die durchschnittlichen Betriebsergebnisse. Ziffer 1 und 2 enthielten durch die Verweisungen auf das Versicherungsvertragsgesetz und die gesetzliche Haftpflicht wohl auch für die Versicherungsbedingungen zureichende Kriterien. In Z3 (wie im übrigen auch in Z4 und 5) sind aber abweichende Gestaltungen zugelassen und nur ihrem möglichen Inhalt nach aufgezählt, ohne daß sich dieser Aufzählung anscheinend entnehmen läßt, unter welchen Umständen ein solcher Ausschluß ganz oder auch nur teilweise erfolgen darf. Der VfGH kann vorläufig nicht finden, daß die im ersten Satz des Abs2 genannten Betriebsgrundlagen und -ergebnisse auch nur den geringsten Anhaltspunkt dafür abgeben, ob und von welcher dieser Möglichkeiten Gebrauch gemacht werden soll.

Nach dem Inhalt der vorgesehenen Klauseln - insbesondere in bezug auf den zu prüfenden Ausschluß von Ersatzansprüchen Angehöriger - kann der Gerichtshof auch nicht davon ausgehen, daß es sich dabei um nebensächliche, gleichsam bloß technische Einzelheiten eines Vertragsverhältnisses handeln würde, für die sich aus dem allgemeinen Zweck der Kfz-Haftpflichtversicherung etwas ableiten ließe.

b) Der VfGH hat im jüngst ergangenen Erk. G44, V32, 33/77 vom 17. Dezember 1977, im Hinblick auf die Änderung der Tarifgestaltung durch Einführung eines neuen Prämiensystems ('Bonus-Malus') die dort vorgetragenen Bedenken gegen §60 Abs2 und 3 KFG 1967 nicht geteilt. Er hat dabei neuerlich ausgesprochen, daß der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber die Feststellung der sich ändernden volks- und betriebswirtschaftlichen Umstände und sonstigen Faktoren überlassen könne, von denen nach dem Gesetz der Inhalt der Verordnung abhängt. An dieser Auffassung hält der VfGH für den Tarif und die mit der Tarifgestaltung unmittelbar zusammenhängenden Versicherungsbedingungen fest.

Es scheint jedoch, daß diese Gründe für die Versicherungsbedingungen nicht allgemein zutreffen. Insbesondere vermag der Gerichtshof nicht zu sehen, welche sich möglicherweise rasch ändernden Umstände wirtschaftlicher Art eine unverzügliche Anpassung von Versicherungsbedingungen etwa erfordern könnten. Da die im zweiten Satz des §60 Abs2 KFG 1967 genannten Gesichtspunkte nur für die Gestaltung des Prämiensystems heranzuziehen sind, die im dritten Satz angezogenen wirtschaftlichen Verhältnisse aber einen unmittelbaren Zusammenhang mit Ausschlußklauseln, Obliegenheiten oder sonstigen besonderen Vereinbarungen vermissen zu lassen scheinen, kommt der Gerichtshof vorläufig zur Ansicht, daß die gesetzliche Deckung solchen Verordnungsinhalten ebenso fehlt wie im früheren §54 KFG 1955.";

und in bezug auf Art7 B-VG

"Darüber hinaus scheint §60 Abs2 Z3 lita KFG 1967 auch gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen. Es scheint nicht nur an sachlichen Gründen dafür zu fehlen, daß der Ausschluß der Versicherung von der tatsächlichen Unterhaltsgewährung abhängig gemacht wird. Der Gerichtshof kann vielmehr eine Rechtfertigung für den vollständigen Ausschluß von Ansprüchen Angehöriger vorläufig überhaupt nicht erkennen. Insbesondere scheint weder der Verdacht eines arglistigen Zusammenspiels zwischen dem Versicherten und seinen Angehörigen auszureichen noch die These geeignet zu sein, daß der Schaden des einen Unterhalt beziehenden Angehörigen zugleich ein Schaden des Versicherten selbst sei."

Diese Bedenken sind also in diesem Verfahren die Bedenken des antragstellenden Gerichtshofes.

Im Hinblick auf die Begründung des Antrages geht der VfGH davon aus, daß der Oberste Gerichtshof sowohl die Gesetzmäßigkeit des Art4 litc AKHB als auch die Verfassungsmäßigkeit des §60 Abs2 Z3 lita KFG in Zweifel zieht und die Verwendung des Wortes "allenfalls" im Tenor seines Anfechtungsbeschlusses lediglich darauf zurückzuführen ist, daß es für den antragstellenden Gerichtshof auf die Aufhebung der Verordnung und nicht auf die Aufhebung des Gesetzes ankommt, daß ihm aber bewußt ist, daß die begehrte Aufhebung der Verordnung die Aufhebung des Gesetzes voraussetzt.

II. Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren sind zulässig.

Das Verfahren hat nichts ergeben, was die Meinung des antragstellenden Gerichtshofes, er habe in dem bei ihm anhängigen Verfahren Art4 litc AKHB anzuwenden, denkunmöglich erscheinen ließe. Bei seiner vorläufigen Beurteilung der Gesetzmäßigkeit dieser Verordnungsbestimmung hat er sodann auch §60 Abs2 Z3 lita KFG anzuwenden.

III. Die gegen §60 Abs2 Z3 lita KFG unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Bestimmtheit vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken treffen zu. Diese Bestimmung verstößt gegen Art18 Abs2 B-VG.

1. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung ist bereits im Erk. vom 17. Dezember 1977, VfSlg. 8212/1977, unter dem Blickwinkel der Bestimmungen zur Einführung des sogenannten "Bonus-Malus-Systems" durch die Verordnungen BGBl. 379 und 380/1977 erörtert worden. Diese Bestimmungen haben sowohl die AKHB wie auch die Tarifverordnung geändert; die Änderung der AKHB hatte die Auswirkungen des Schadensverlaufes auf die Prämie (Art15) und eine damit zusammenhängende Frage der Schadensanzeige (Art8 Abs3), die Änderung der Tarifverordnung die Neugestaltung des Prämiensystems betroffen.

Zur Verteidigung des Gesetzes hatte die Bundesregierung in jenem Verfahren im wesentlichen nachstehenden (in VfSlg. 8212/1977 S 463 ff. vollständig wiedergegebenen) Gedankengang unterbreitet:

Zum ersten Satz des §60 Abs2:

"... Es liegt auf der Hand, daß diese Bestimmung sich in erster Linie auf den Tarif, und zwar auf die Festsetzung der Prämienbeträge bezieht. Daraus ergibt sich, daß die Prämieneinnahmen und die zu erwartenden Leistungsverpflichtungen der Versicherer zueinander in einem solchen Verhältnis zu stehen haben, daß weder den Versicherern ungerechtfertigt hohe Gewinne erwachsen, noch daß sie infolge zu niedriger Prämie in einer die Interessen der Versicherer und der geschädigten Dritten beeinträchtigenden Weise in Zahlungsschwierigkeiten geraten oder Einnahmen aus anderen Versicherungszweigen zum Schaden der betreffenden Versicherungsnehmer zur Deckung heranziehen müssen. ..."

Zum zweiten Satz des §60 Abs2:

"Über die Gestaltung des Prämiensystems bestimmt der §60 Abs2 zweiter Satz KFG 1967, daß insbesondere auch die Interessen der Versicherungsnehmer in volkswirtschaftlich angemessener Weise zu berücksichtigen sind.

Die Interessen der Versicherungsnehmer bestehen in diesem Zusammenhang darin, daß sie bei der Prämienbemessung entsprechend dem Risiko, das sie für den Versicherer darstellen, eingestuft werden. In einer Massenversicherung wie der KFZ-Haftpflichtversicherung kann darauf nicht durch Einzeleinschätzung jedes Risikos, sondern nur durch die Schaffung von mehr oder minder reich differenzierten Gruppen von Versicherungsnehmern, eben durch das Prämiensystem, Bedacht genommen werden.

Je nach den Unterschieden, die sich zwischen Risken und Riskengruppen zeigen, kann es wirtschaftlich angemessen erscheinen, innerhalb bestimmter Differenzierungskriterien, wie der Art und des Verwendungszwecks der Kraftfahrzeuge, neue Unterscheidungen zu schaffen oder bestehende zu beseitigen, aber auch, neue Differenzierungskriterien einzuführen. Wenn sich etwa ergibt, daß über einen längeren Zeitraum schadenfrei bleibende Versicherungsnehmer durch eine nicht nach dem Schadenverlauf differenzierte Prämie unverhältnismäßig belastet werden, wird, wie der genannte Bericht des Handelsausschusses ausführt, 'die Begünstigung eines schadenfreien Fahrens durch Einführung eines Bonus' volkswirtschaftlich angemessen erscheinen.

Hinsichtlich der Einschätzung der Risken und Riskengruppen ist, soweit dies nach der Natur der Sache möglich ist, das im §60 Abs2 erster Satz KFG 1967 aufgestellte Gebot der Bedachtnahme auf die Betriebsgrundlagen und die durchschnittlichen Betriebsergebnisse zu beachten."

Insbesondere zur Frage der Versicherungsbedingungen:

"Für die allgemeinen Versicherungsbedingungen gilt, wiederum dem Bericht des Handelsausschusses folgend, daß für deren Gestaltung das Schwergewicht auf den Z1 bis 5 des §60 Abs2 KFG 1967 liegt. Diese Bestimmungen legen fest, daß ...

Hinzu kommt, daß sich auch in diesem Zusammenhang die vom §60 Abs2 erster Satz KFG gebotene Bedachtnahme auf die Betriebsgrundlagen und die durchschnittlichen Betriebsergebnisse auswirkt. Es ist selbstverständlich und kann auch dem §60 Abs2 dritter Satz KFG 1967 (Festsetzung 'nach Maßgabe der jeweils bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse') entnommen werden, daß auf die für die Versicherungsnehmer zumutbare wirtschaftliche Belastung durch die KFZ-Haftpflichtversicherung Rücksicht genommen werden muß. Daraus können sich a priori bestimmte Schranken für die Festsetzung der Prämienbeträge ergeben. Es ist dann im Rahmen der Versicherungsbedingungen dafür zu sorgen, daß die Leistungsverpflichtungen der Versicherer ihrerseits sich in solchen Grenzen halten, daß ein wirtschaftlich vertretbares Ergebnis der KFG-Haftpflichtversicherung erwartet werden kann."

Unter dem Eindruck dieser Argumentation sah sich der VfGH nicht bestimmt, aus Anlaß des genannten Verordnungsprüfungsverfahrens von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten. Mit Blick auf den Inhalt der ihm zur Prüfung vorgelegten Verordnungsbestimmungen sprach er vielmehr aus, alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung könnten aus §60 Abs2 KFG 1967 ersehen werden. Hänge der Verordnungsinhalt nach dem Willen des Gesetzgebers von sich ändernden Faktoren, etwa von volks- und betriebswirtschaftlichen Umständen ab, so könne es der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber überlassen, diese Umstände festzustellen und sich daran bei Erlassung der Verordnung zu orientieren.

2. An die Begründung des Erk. VfSlg. 8212/1977 knüpfen nun die Bedenken an, die bereits im Verordnungsprüfungsverfahren V3/77 entstanden sind und der antragstellende Gerichtshof im vorliegenden Verfahren übernommen hat. Sieht man nämlich nicht auf solche Versicherungsbedingungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gestaltung des Prämiensystems stehen, so erweisen sich die im Vorerkenntnis angestellten Überlegungen hier nicht als überzeugend. Insbesondere kann der Ausschluß von Ersatzansprüchen nicht in der gleichen Weise von volks- und betriebswirtschaftlichen Entwicklungen abhängen wie der Tarif und das Prämiensystem. Andererseits sind die vorgesehenen Ausschlüsse - insbesondere der Ausschluß von Ansprüchen Angehöriger - für Zweck und Wirkung der Haftpflichtversicherung von so zentraler Bedeutung, daß die entscheidenden Gesichtspunkte auch nicht als bloß technische Einzelheiten des Vertragsverhältnisses aus den allgemeinen Zwecken der Haftpflichtversicherung abgeleitet werden können.

Zu diesen Bedenken führt die Bundesregierung nunmehr aus:

"Nach Auffassung der Bundesregierung ist davon auszugehen, daß die Festsetzung oder das Unterbleiben der Festsetzung des Ausschlusses von Ersatzansprüchen von Angehörigen des Versicherten durch die Verordnung über die Festsetzung der Versicherungsbedingungen an den im §60 Abs2 dritter Satz angeführten Kriterien zu messen ist (vgl. im Gesetzestext die Konjunktion 'wobei' vor der Aufzählung) ...; bei den Versicherungsbedingungen steht die Wahrung der Interessen der Versicherten und Geschädigten Dritten im Vordergrund; es ist jedoch auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Versicherungsunternehmungen, die durch den Tarif und seine Grundlagen bestimmt sind, Rücksicht zu nehmen.

§60 Abs2 KFG 1967 bildet eine einheitliche Verordnungsermächtigung. Bejaht man die einleitenden Sätze der Verordnungsermächtigung als ausreichend determiniert (vgl. hiezu das dg. Erk. G44/77), so ist damit wohl auch die zureichende Determinierung der einzelnen Verordnungsbestandteile ausgesprochen. Die Z1 - 5 des §60 Abs2 können für sich allein ja nicht bestehen; sie sind mit den Einleitungssätzen dieses Absatzes rechtlich verbunden.

Es liegt somit nach Auffassung der Bundesregierung eine ausreichende gesetzliche Determinierung vor, wenn der Verordnungsgeber den Ausschluß von Ersatzansprüchen des Versicherten nach Maßgabe der jeweils bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse zu normieren hat. Es ist bei der Festsetzung von Versicherungsbedingungen auf die für die Versicherungsnehmer zumutbare wirtschaftliche Belastung durch die KFZ-Haftpflichtversicherung Rücksicht zu nehmen. Um eine für den einzelnen Versicherungsnehmer vertretbare Prämie, deren Höhe sich unter anderem auch nach den Betriebsergebnissen der KFZ-Haftpflichtversicherung richtet, festsetzen zu können, ist im Rahmen der Versicherungsbedingungen dafür Sorge zu tragen, daß sich die Leistungsverpflichtungen der Versicherer in solchen Grenzen halten, daß ein wirtschaftlich vertretbares Ergebnis der KFZ-Haftpflichtversicherung erwartet werden kann. Der Verordnungsgeber hat bei der Festsetzung von Ausschlüssen aus der KFZ-Haftpflichtversicherung, insbesondere auch der Ersatzansprüche von Angehörigen der Versicherten, insofern auf sich möglicherweise ändernde Umstände wirtschaftlicher Art Bedacht zu nehmen, als etwa positive Betriebsergebnisse der Haftpflichtversicherung anstelle einer Prämienreduktion eine Ausdehnung der Leistungsverpflichtungen der Versicherer in wirtschaftlich vertretbarem Ausmaß gerechtfertigt erscheinen lassen können."

3. Dieser Argumentation der Bundesregierung kann sich der VfGH jedoch nicht anschließen. Gewiß besteht zwischen dem Umfang des zu versichernden Risikos und der Höhe der Prämien ein enger Zusammenhang. Die Lösung der überaus folgenschweren und zudem rechtspolitisch heiklen Frage indessen, ob und in welchem Verhältnis der erforderliche wirtschaftliche Ausgleich über die Prämiengestaltung oder über die Umschreibung des Risikos erfolgen soll, kann dem §60 Abs2 KFG weder allein noch im Zusammenhang mit anderen Bestimmungen des KFG entnommen werden. Überlegungen der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit können sie auch gar nicht entscheiden. Insbesondere gibt es praktisch keine absolute Obergrenze der Belastung der Versicherungsnehmer, die den Ausschluß des Versicherungsschutzes für gewisse Personengruppen mit der nötigen Deutlichkeit fordern würde (ganz abgesehen davon, daß es in Wahrheit eben nicht um den Ausschluß, sondern im Gegenteil um die gänzliche oder teilweise Aufhebung dieses Ausschlusses und daher um eine deutliche Untergrenze gehen müßte). Dazu bedarf es vielmehr einer Grundsatzentscheidung über den Umfang der Haftpflichtversicherung.

Wie die Ausführungen der Bundesregierung im Verfahren zu VfSlg. 8212/1977 vor Augen führen, beruhen die von §60 Abs2 geforderten betriebs- und volkswirtschaftlichen Überlegungen auf der gesetzlichen Umschreibung des Risikos als einem Ausgangs- und Fixpunkt des Versicherungssystems. Gerade wenn die sehr wichtige Frage der Gestaltung des Prämiensystems und des Tarifs der Verwaltung überlassen bleiben sollen, muß der Gesetzgeber das zu versichernde Risiko zumindest in den wesentlichen Zügen selbst umschreiben. Zu diesen wesentlichen Zügen gehört nach Auffassung des VfGH aber auch die Frage, ob und in welchem Ausmaß die Angehörigen des Versicherungsnehmers mit ihren Schadenersatzansprüchen vom Versicherungsschutz erfaßt sein sollen. Denn einerseits ist der Versicherungsschutz für diese Personengruppe unter Umständen von geradezu existenzieller Bedeutung, andererseits sein Ausschluß aus sehr verschiedenen Erwägungen denkbar und daher rechtspolitisch überaus heikel (s. dazu Fenyves, Angehörigenklausel im Interessenwiderstreit, Die Versicherungsrundschau 1976, 353 ff.; mit weiteren Angaben). Eine Notwendigkeit kurzfristiger, an möglicherweise rasch wechselnden Umständen orientierter Änderungen ist in diesem Bereich hingegen nicht zu erkennen. Der Gesetzgeber mag sich bei der nötigen Umschreibung wohl auf die Angabe der maßgeblichen Gesichtspunkte beschränken, nach welchen sich die Behörde bei Festlegung der Versicherungsbedingungen zu richten hat, er darf sich dabei aber nicht damit begnügen, ganz allgemein auf die betriebswirtschaftliche Lage der Versicherer, die Interessen der Versicherungsnehmer und die jeweils bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse hinzuweisen.

Nach §54 KFG 1955 war bei Genehmigung oder Anordnung des Geschäftsplanes (Allgemeine Versicherungsbedingungen und Tarif) auf die Betriebsgrundlagen der Versicherungsunternehmen, auf die Bedürfnisse des Kraftfahrverkehrs und auf die Interessen der Versicherungsnehmer und der Versicherungsunternehmen Bedacht zu nehmen. Diese Kriterien hielt der VfGH im Erk. VfSlg. 5175/1965 für zu unbestimmt (Anlaß der Gesetzesprüfung war die Anordnung der Leistungsfreiheit bei Alkoholmißbrauch und bei unzulässiger Personenbeförderung gewesen). Damit überlasse das Gesetz dem Verordnungsgeber, den Inhalt der allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherung frei zu gestalten, ohne ihn in einer bestimmten Richtung zu binden. Dieser Vorwurf ist auch gegen §60 KFG 1967 begründet, soweit es um eine Frage vom Gewicht, der Tragweite und der rechtspolitischen Empfindlichkeit geht wie den Ausschluß von Ansprüchen Angehöriger. Für die Entscheidung dieser Frage enthält das neue Gesetz ebensowenig Anhaltspunkte wie das alte.

§60 Abs2 Z3 lita KFG ist daher wegen Verstoßes gegen Art18 B-VG aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis hält der VfGH eine weitere Prüfung anhand des Gleichheitssatzes und eine Auseinandersetzung mit der von der Bundesregierung zu den einschlägigen Bedenken vorgetragenen These von der wirtschaftlichen Einheit des Versicherungsnehmers und seiner Angehörigen nicht für erforderlich. Er hält es angesichts der Vielschichtigkeit dieser Frage vorrangig für die Sache des Gesetzgebers, in Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Problemen unter Abwägung der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten die Entscheidung über einen allfälligen Ausschluß zu treffen, und sieht seine eigene Rolle in dieser Sache auf eine nachprüfende Kontrolle dieser Entscheidung beschränkt.

IV. Die Verfassungswidrigkeit der tragenden Gesetzesbestimmung hat die Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Art4 litc AKHB zur Folge. Die Verordnungsbestimmung entbehrt der erforderlichen gesetzlichen Deckung.

Daß Art4 AKHB in der jetzt geltenden Fassung ein zweiter Absatz angefügt wurde und die in Rede stehende Bestimmung daher nunmehr die Bezeichnung "Abs1 litc" trägt, hat an ihrer Identität nichts geändert. Es ist folglich nicht etwa nur festzustellen, daß Art4 litc AKHB vor der Nov. BGBl. 605/1980 gesetzwidrig war, sondern Art4 Abs1 litc AKHB als gesetzwidrig aufzuheben.

V. Die Aussprüche über das Inkrafttreten der Aufhebung des Gesetzes und die Kundmachungspflicht des Bundeskanzlers stützen sich auf Abs5, der Ausspruch über die Wirksamkeit früherer gesetzlicher Bestimmungen auf Abs6 des Art140 B-VG, die Aussprüche über das Inkrafttreten der Aufhebung der Verordnung und die Kundmachungspflicht des Bundesministers für Finanzen als zuständiger oberster Behörde des Bundes auf Abs5 des Art139 B-VG. Die Notwendigkeit gesetzlicher Vorkehrungen sieht der Gerichtshof darin, daß nicht bis zur allfälligen gesetzlichen Regelung der Materie wegen des Wegfalls der Verordnungsermächtigung möglicherweise bloß vorübergehend eine andere Rechtslage entsteht, als der Gesetzgeber schließlich haben will.

Schlagworte

Kraftfahrrecht, Haftpflichtversicherung (Kfz), VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:G48.1981

Dokumentnummer

JFT_10188978_81G00048_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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