TE Vfgh Erkenntnis 1982/2/27 B551/77, B552/77

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Veröffentlicht am 27.02.1982
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
AgrBehG §7
AVG §66 Abs2
AVG §69

Leitsatz

AVG 1950; Erlassung eines Wiederaufnahmebescheides - Rechtsfolgen; keine Bedenken gegen §66 Abs2; Entzug des gesetzlichen Richters durch bloße Bescheidbehebung nach §66 Abs2

Spruch

1. Die Beschwerde gegen das Erk. des Landesagrarsenates beim Amt der Stmk. Landesregierung vom 14. Juni 1977, GZ 8-LAS 263 K 39/14-1977, wird zurückgewiesen.

Der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, wird abgewiesen.

2. Die Beschwerdeführer sind durch das Erk. des Landesagrarsenates beim Amt der Stmk. Landesregierung vom 14. Juni 1977, GZ 8-LAS 263

K 39/15-1977, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In dem im Jahre 1972 eingeleiteten Zusammenlegungsverfahren bezüglich des Zusammenlegungsgebietes Mooskirchen hat die Agrarbezirksbehörde Graz mit Bescheid vom 10. Feber 1976 ua. gemäß §29 Abs1 und 3 Zusammenlegungsgesetz LGBl. 32/1971 die vorläufige Übernahme der abgesteckten Grundabfindungen, darunter der Grundabfindungen 278/a-d der Beschwerdeführer, sowie die Auszahlung der mit gesondertem Bescheid zu bemessenden vorläufigen Geldausgleiche iS des §15 Abs6 leg. cit. angeordnet. Die von den Beschwerdeführern dagegen erhobene Berufung ist vom Landesagrarsenat beim Amt der Stmk. Landesregierung mit Erk. vom 10. Juni 1976 als unzulässig zurückgewiesen worden.

In Erledigung einer Aufsichtsbeschwerde (darüber, daß eine größere Anzahl auf dem früheren Besitzkomplex der Beschwerdeführer befindlicher älterer hochstämmiger Obstbäume, deren Früchte besonders verwertbar seien, sich auf Grund der Neueinteilung außerhalb der Grundabfindungen 278/a-d befänden) wurde mit Erk. des LAS vom 27. September 1976, GZ 8-LAS 263 K 39/6-1976, gemäß §68 Abs3 AVG 1950 in Verbindung mit §1 AgrVG 1950 "der Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz vom 10. Feber 1976, GZ 3 M 227/691-1976, betreffend die Anordnung der vorläufigen Übernahme der Grundabfindungen 278/a-d der Beschwerdeführer insoweit abgeändert, als diese Anordnung auf vorläufige Übernahme aufgehoben wird"; weiters wurde im Spruch dieses Erk. angeordnet, daß die Agrarbezirksbehörde Graz einen neuen Bescheid zu erlassen haben wird.

Einzige Adressaten dieses Erk. sind die Beschwerdeführer.

Die Agrarbezirksbehörde Graz hat sodann mit Bescheid vom 8. März 1977 die Grundabfindungen neu eingeteilt und deren vorläufige Übernahme angeordnet. Der Bescheid erfaßt die im Erk. des Landesagrarsenates vom 27. September 1976 angeführten Grundabfindungen 278/a-d, aber auch andere Grundabfindungen. Adressaten des Bescheides sind die Beschwerdeführer und die anderen von der Neueinteilung betroffenen Parteien. Gegen den Bescheid der Agrarbezirksbehörde haben die Nachbarn der Beschwerdeführer berufen.

2. Nach mündlichen Verhandlungen über die Berufung mit den Parteien am 10. Mai und am 14. Juni 1977 (diesmal an Ort und Stelle) ergingen folgende Entscheidungen des Landesagrarsenates beim Amt der Stmk.

Landesregierung:

a) Mit Erk. vom 14. Juni 1977, GZ 8-LAS 263 K 39/14-1977, wurde "hinsichtlich des mit Erk. des LAS vom 27. September 1976, GZ 8-LAS 263 K 39/6-1976, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens (Aufsichtsbeschwerde von K. und A. K. gegen die Anordnung der vorläufigen Übernahme hinsichtlich der Grundabfindungen 278/a-d) gemäß 69 Abs3 AVG 1950 in Verbindung mit §1 AgrVG 1950 von Amts wegen die Wiederaufnahme verfügt".

Das Erk. ist an dieselben Parteien adressiert wie der Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz vom 8. März 1977. Es wurde diesen am 11. Oktober 1977 zugestellt.

b) Mit Erk. vom 14. Juni 1977, GZ 8-LAS 263 K 39/15-1977, wurde auf Grund der Berufung der Nachbarn der Beschwerdeführer "der Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz vom 8. März 1977, GZ 3 M 227/1039-1977, gemäß §66 Abs2 AVG 1950 in Verbindung mit §1 AgrVG 1950 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Agrarbezirksbehörde Graz verwiesen".

In der Begründung ist ausgeführt, der LAS habe mit gleichzeitig erlassenem Erk. (vorstehender Pkt. 2.a) hinsichtlich des mit Erk. vom 27. Dezember (richtig September) 1976 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens von Amts wegen die Wiederaufnahme verfügt. Dadurch sei auch das letztgenannte Erk. außer Kraft getreten. Somit entbehre aber auch der Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz vom 8. März 1977, mit welchem die seinerzeitige Anordnung der vorläufigen Übernahme im Zusammenlegungsverfahren Mooskirchen abgeändert worden sei, einer Grundlage, weshalb dieser zu beheben gewesen sei. Der LAS sei auf Grund der Ortsverhandlung zur Auffassung gelangt, daß die Abfindungen einiger Grundeigentümer gegenüber dem Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz vom 8. März 1977 unverändert zu bleiben hätten, wodurch sich die Abfindungen der Besitzer K. (d.s. die Beschwerdeführer) und der Berufungswerber geringfügig ändern würden. Diesbezüglich werde von der Agrarbezirksbehörde Graz ein neuer Bescheid zu erlassen sein, dessen Grundlage der seinerzeitige Bescheid dieser Behörde vom 10. Feber 1976, mit dem die vorläufige Übernahme angeordnet worden sei, zu bilden habe.

Auch dieses Erk. ist an dieselben Parteien adressiert wie der Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz vom 8. März 1977. Es wurde am 10. November 1977 zugestellt.

3. Gegen die beiden Erk. des LAS vom 14. Juni 1977 richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insbesondere des Rechtes auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erk., allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift aber nicht erstattet.

In der Beschwerde wird - auf das Wesentliche zusammengefaßt - ausgeführt:

Durch das Grundrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter werde die verfassungsmäßige Zuständigkeit geschützt; auch schwere Verfahrensmängel verletzten dieses Recht. In dem die Wiederaufnahme verfügenden Erk. ON 14 gehe der Landesagrarsenat auf Grundbesitz ein, der nicht im Zusammenlegungsgebiet liege. Gemäß §2 Abs2 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 (idF BGBl. 78/1967) seien Gegenstand der Zusammenlegung und damit der Zuständigkeit der Agrarbehörde nur alle im Zusammenlegungsgebiet liegenden Grundstücke. Die Flurverfassungsnovelle 1977, BGBl. 390/1977, normiere ausdrücklich (§2 Abs3), daß während des Verfahrens mit Bescheid Grundstücke in das Zusammenlegungsgebiet einbezogen oder aus dem Zusammenlegungsgebiet ausgeschieden werden könnten. Der vom LAS angeführte Obstgarten sei nicht mit Bescheid einbezogen worden. Erwägungen, Schlußfolgerungen und Feststellungen, die sich auf diesen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Agrarbehörde liegenden Grund beziehen, seien ausgeschlossen. "Die Zuständigkeit des LAS für diese Obstbäume bzw. des außerhalb des Zusammenlegungsgebietes liegenden Obstgartens, ist nicht gegeben und ist daher schon aus diesem Grunde das Grundrecht verletzt". Gemäß §69 AVG sei eine Wiederaufnahme nur dann möglich, wenn ein Verfahren durch Bescheid abgeschlossen erscheint. Die Aufsichtsbeschwerde der Beschwerdeführer sei zum Anlaß genommen worden, gemäß 68 Abs3 AVG die im ersten Verfahrensgang ergangene Übernahmsordnung aufzuheben. Das Aufsichtsbeschwerdeverfahren möge abgeschlossen erscheinen, im Verfahren über die von Amts wegen erfolgte Behebung des Bescheides könne nicht von einem abgeschlossenen Verfahren die Rede sein. Die Behebung des Bescheides der Agrarbezirksbehörde Graz vom 10. Feber 1976 habe zu einem Verfahren in der ersten Instanz unter Anhörung sämtlicher Parteien geführt. Gegen den am 8. März 1977 im zweiten Rechtsgang ergangenen Bescheid sei das Berufungsverfahren der Nachbarn anhängig. "Über diese Berufung hatte der LAS zu entscheiden und besteht im Agrarverfahren bei Berufungen kein Neuerungsverbot oder bei Schluß der Verhandlung 1. Instanz Eventualmaxime. Wenn tatsächlich neue Tatsachen aufgetreten sind, so waren diese durch die Berufung oder durch Parteianträge während der Berufungsverhandlung wahrzunehmen, ohne daß es einer Wiederaufnahme des nicht durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens bedurft hätte." Die Wiederaufnahme sei daher unzulässig gewesen, die belangte Behörde habe eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr gemäß §69 Abs1 iVm mit Abs3 AVG 1950 nicht zugekommen sei.

Seit der Nov. BGBl. 30/1976 zum Flurverfassungs-Grundsatzgesetz sei die Berufung gegen die Anordnung der vorläufigen Übernahme zulässig. Der "VGH" habe die Verfahrensanordnungen des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes als unmittelbar anwendbares Bundesrecht angesehen. Mit der Nov. BGBl. 390/1977 sei §11 neuerlich geändert und die Anordnung der vorläufigen Übernahme unter gewissen Voraussetzungen für möglich erklärt worden. Die Agrarbezirksbehörde Graz habe sich mit Bescheid vom 8. März 1977 bemüht, dem Grundsatz des Zusammenlegungsverfahrens Rechnung zu tragen, Flächen mit besonderem Wert, und als solche seien Obstgärten anzusehen, wiederum dem ursprünglichen Besitzer zuzuteilen. Ausdrücklich werde in der Begründung dieses Bescheides festgestellt, daß wirtschaftliche Nachteile für die durch diese Maßnahme betroffenen Grundeigentümer nicht gegeben seien. Im angefochtenen Erk. ON 15 bringe der LAS vor, daß die Berufungswerber behauptet hätten, keine Möglichkeit gehabt zu haben, auf das Verfahren (über die Aufsichtsbeschwerde der Beschwerdeführer) Einfluß zu nehmen. Diese Behauptung der Berufungswerber sei aktenwidrig. Die Tatbestände des §11 Abs1 Z1 bis 5 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes (idF BGBl. 390/1977) würden von den Berufungswerbern nicht bestritten. Der LAS verweise darauf, daß sich die Abfindungen der Besitzer K. (d.s. die Beschwerdeführer) und G. (d.s. die Berufungswerber) geringfügig ändern würden. Er verlasse damit auch die Entscheidungsgrundlage des §11 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes idF BGBl. 390/1977 und nehme eine Zuständigkeit in Anspruch, die ihm nicht zukomme.

Vorsichtshalber werde aber vorgebracht, daß die Berufung der Berufungswerber G. "mangels Bekämpfung der Voraussetzungen der vorläufigen Übernahme zurückzuweisen gewesen wäre. Das Land Stmk. hat noch keine Ausführungsnormen zum Grundsatzgesetz erlassen und die Berufung über die vorläufige Übernahme geregelt. Es ist daher nach dem Grundsatzgesetz vorzugehen und war die Berufung der Wirtschaftsbesitzer G. nicht geeignet, die vorläufige Übernahme, die von der Agrarbezirksbehörde Graz am 8. März 1977 angeordnet wurde, umzustoßen".

Da durch die vorläufige Übernahme in das Eigentumsrecht der Beschwerdeführer eingegriffen werde und insbesondere Flächen mit besonderem Wert, nämlich ein Obstgarten, betroffen seien, werde "durch die von der belangten Behörde angewendeten Normen" das Eigentumsrecht der Beschwerdeführer verletzt. Die denkunmögliche Anwendung der §§69 AVG bzw. 2 und 11 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz stehe einem gesetzlosen Vorgehen gleich. "Eigentumsrückgriffe" dürften aber nur auf Grund des Gesetzes begangen werden.

II. Der VfGH hat erwogen:

A) Zur Beschwerde gegen das Erk. GZ 8-LAS 263 K 39/14-1977:

Dieses die Wiederaufnahme des mit Erk. des LAS vom 27. September 1976 abgeschlossenen Verfahrens verfügende Erk. wurde den betroffenen Parteien, darunter den Beschwerdeführern, am 11. Oktober 1977 zugestellt. Die Beschwerde wurde am 22. Dezember 1977 zur Post gegeben.

Die Beschwerde war daher wegen Versäumung der sechswöchigen Beschwerdefrist (§82 Abs1 VerfGG 1953 idF BGBl. 311/1976) zurückzuweisen.

Der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, war abzuweisen, da eine solche Abtretung der Beschwerde gemäß Art144 Abs2 B-VG idF BGBl. 302/1975 (in Zusammenhalt mit ArtIV BVG BGBl. 350/1981) nur für den Fall vorgesehen ist, daß der VfGH in der Sache selbst ein abweisendes Erk. fällt, nicht aber für den Fall der Zurückweisung der Beschwerde aus einem formalrechtlichen Grund.

B) Zur Beschwerde gegen das Erk. GZ 8-LAS 263 K 39/15-1977:

1. Dieses Erk. des LAS ist den betroffenen Parteien am 10. November 1977 zugestellt worden. Die am 22. Dezember 1977 zur Post gegebene Beschwerde ist daher rechtzeitig erhoben worden.

Der Instanzenzug ist erschöpft, da gegen das den Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz vom 8. März 1977 gemäß §66 Abs2 AVG 1950 behebende und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Agrarbezirksbehörde Graz verweisende Erk. eine Berufung an den Obersten Agrarsenat nicht zulässig ist; für die Zulässigkeit einer Berufung gegen ein Erk. des LAS an den OAS nach den Bestimmungen des §7 Agrarbehördengesetz 1950 idF BGBl. 476/1974 kommt es nämlich ausschließlich darauf an, ob der materielle Inhalt der zweitinstanzlichen Entscheidung vom materiellen Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung abweicht (VfSlg. 7923/1976, vgl. auch VfSlg. 8555/1979).

2. Mit dem vorstehend (in Pkt. II.A) genannten Erk. (Bescheid) Subzahl 39/14 wurde rechtskräftig die Wiederaufnahme des mit Erk. (Bescheid) vom 27. September 1976 abgeschlossenen aufsichtsbehördlichen Verfahrens (das die Aufhebung der ursprünglichen Anordnung der vorläufigen Übernahme bezüglich der Grundabfindungen 278/a-d der Beschwerdeführer zum Gegenstand hatte) verfügt. Mit Erlassung eines solchen Wiederaufnahmebescheides ist nach der Rechtsprechung beider Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes (VwSlg. Anh. 60/1954, 9277 A/1977, VfSlg. 4359/1963) der das vorangegangene Verfahren abschließende Bescheid - hier das genannte Erk. vom 27. September 1976 - außer Kraft getreten.

Damit ist die durch dieses außer Kraft getretene Erk. gemäß §68 Abs3 AVG 1950 ausgesprochene Aufhebung der ursprünglichen, mit Bescheid vom 10. Feber 1976 vorgenommene Anordnung der vorläufigen Übernahme der Grundabfindungen 278/a-d der Beschwerdeführer und auch die in dem außer Kraft getretenen Erk. enthaltene Anordnung an die Agrarbezirksbehörde Graz, einen neuen Bescheid zu erlassen, beseitigt. Die Beseitigung der Aufhebung eines Bescheides hat aber das Wiederaufleben des aufgehobenen Bescheides zur Folge; das Verfahren ist in das Stadium vor der Erlassung des außer Kraft getretenen Erk. zurückgetreten (vgl. VwSlg. 5294 A/1960, S 418). Damit ist die Rechtsgrundlage für die mit Bescheid vom 8. März 1977 vorgenommene Neueinteilung der Grundabfindungen und neuerliche Anordnung deren vorläufiger Übernahme weggefallen.

Mit dem angefochtenen Erk. Subzahl 39/15 wurde auf Grund der Berufung der Nachbarn der Beschwerdeführer gegen den Bescheid vom 8. März 1977 dieser Bescheid gemäß §66 Abs2 AVG 1950 behoben.

Der Behebungsbescheid gemäß §66 Abs2 AVG 1950 ist ein rein verfahrensrechtlicher Bescheid (vgl. VwSlg. 5653 A/1961, 5934 A/1963), der die bisherige materielle Rechtslage unberührt läßt, und nach der ständigen Rechtsprechung in ein anderes verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht als in das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht eingreifen kann (zB VfSlg. 3779/1960, S 377; 7555/1975, S 362; jeweils mit Hinweisen auf Vorjudikatur).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen §66 Abs2 AVG 1950 bestehen nicht (VfSlg. 3636/1959, S 408).

Daß der mit Berufung gegen den Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz angerufene Landesagrarsenat zur Entscheidung über die Berufung zuständig war, ergibt sich aus nachstehender Überlegung: Der VfGH hat mit Erk. VfSlg. 7154/1973 die landesgesetzliche Bestimmung des §29 Abs6 Zusammenlegungsgesetz, LGBl. 32/1971, die eine Berufung gegen die Anordnung nach Abs1 dieser Gesetzesstelle ausschloß, als verfassungswidrig aufgehoben. Der Bundesgesetzgeber hat - auf Grundlage des durch das BVG BGBl. 302/1975 neu gefaßten Art12 Abs2 B-VG - den eine Berufung gegen die Anordnung der vorläufigen Übernahme und Auszahlung ausschließenden §11 Abs3 des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1951 idF BGBl. 78/1967 - der keine grundsatzgesetzliche Anordnung, sondern eine unmittelbar anwendbare bundesgesetzliche Vorschrift darstellte (vgl. VfSlg. 7154/1973, S 170) - mit Wirkung vom 1. Juli 1976 aufgehoben und auch bei der Neufassung des §11 durch die am 1. September 1977 in Kraft getretene Flurverfassungsnovelle 1977 einen Berufungsausschluß nicht vorgesehen.

War somit die belangte Behörde zwar zur Entscheidung über die Berufung gegen den Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz zuständig, so hat sie durch die getroffene Entscheidung doch einen verfassungsrechtlich relevanten Fehler begangen. Auf dem Boden der von ihr selbst verfügten - und durch Verstreichen der Beschwerdefrist nunmehr auch unanfechtbar gewordenen - Wiederaufnahme des Verfahrens hätte sie beachten müssen, daß der Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz vom 10. Feber 1976 wieder wirksam geworden ist und daß die Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 8. März 1977 weggefallen ist. Sie hätte daher in der Berufungsentscheidung den angefochtenen Bescheid vom 8. März 1977 aufzuheben gehabt und nicht nach §66 Abs2 AVG 1950 vorgehen dürfen.

Der VfGH hat zwar im Erk. VfSlg. 8153/1977, S 204, ausgeführt, daß eine Entscheidung der Berufungsbehörde nach §66 Abs2 AVG 1950 in der Regel nicht eine der Verneinung ihrer Zuständigkeit gleichkommende Verweigerung einer Sachentscheidung darstellt; dies könnte nur der Fall sein, wenn ganz besondere Umstände vorliegen.

Solche liegen hier vor. Führt die Wiederaufnahme eines mit einem aufhebenden Bescheid abgeschlossenen Verfahrens - wie hier - zum Wiederaufleben des aufgehobenen erstinstanzlichen Bescheides, ist es ausgeschlossen, im Verfahren über die Berufung gegen den auf Grund der früheren Aufhebung erlassenen neuen erstinstanzlichen Bescheid diesen nicht zu beseitigen, sondern durch bloße Behebung nach §66 Abs2 AVG 1950 den Weg zur Erlassung eines neuerlichen erstinstanzlichen Bescheides neben dem wiederaufgelebten erstinstanzlichen Bescheid zu eröffnen.

Es hat daher die - zwar an sich zur Berufungsentscheidung zuständige - belangte Behörde durch ihre Entscheidung nach §66 Abs2 AVG 1950 den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

3. Der angefochtene Bescheid war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Schlagworte

Agrarbehörden, Agrarverfahren, Berufung, Verwaltungsverfahren, Wiederaufnahme, Bescheid verfahrensrechtlicher, Abänderung und Behebung von amtswegen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B551.1977

Dokumentnummer

JFT_10179773_77B00551_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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