TE Vfgh Erkenntnis 1983/12/13 B615/82

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Veröffentlicht am 13.12.1983
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
FinStrG §58 Abs2
FinStrG §65 Abs1 lita
FinStrG §140 Abs4
FinStrG §150 Abs3
FinStrG §164

Leitsatz

FinStrG; zur Einbringungsstelle eines Rechtsmittels gemäß §150 Abs3; Entzug des gesetzlichen Richters durch Zurückweisung einer verfahrensrechtlich zulässigen Berufung

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Erk. des Spruchsenats beim Finanzamt Linz (Senat II) als Organ des Finanzamtes Vöcklabruck als Finanzstrafbehörde erster Instanz vom 3. Feber 1982, Z 186/1981, wurde A W des Finanzvergehens nach §33 Abs1 FinStrG, BGBl. Nr. 129/1958, schuldig gesprochen und hiefür gemäß §33 Abs5 FinStrG zu einer Geldstrafe in der Höhe von 30000 S, im Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen, und gemäß §185 FinStrG zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.

1.2.1. Die von A W dagegen eingebrachte Berufung wies das Finanzamt Vöcklabruck als Finanzstrafbehörde erster Instanz mit Bescheid vom 19. Juli 1982, Z 186/81, als verspätet zurück.

1.2.2. Begründend wurde ua. ausgeführt:

"Die Berufung vom 14. Juli 1982 wurde an diesem Tage an das Finanzamt Linz eingeschrieben zur Post gegeben. Laut Eingangsstempel des Finanzamtes Linz ist die Berufung dort am 15. Juli 1982 eingelangt. Beim Finanzamt Vöcklabruck ist die Berufung am 19. Juli 1982 eingelangt. Das Straferkenntnis wurde dem Beschuldigten laut postamtlichem Zustellnachweis am 16. Juni 1982 zugestellt.

Gemäß §150 Abs2 FinStrG beträgt die Rechtsmittelfrist einen Monat. Gemäß §150 Abs3 FinStrG ist das Rechtsmittel bei der Behörde einzubringen, die das angefochtene Erk. erlassen hat. Die Einbringung bei einer anderen Stelle gilt nur dann als rechtzeitig, wenn das Rechtsmittel noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist der Behörde, welche die angefochtene Entscheidung erlassen hat, zukommt.

Das angefochtene Straferkenntnis wurde vom Spruchsenat beim Finanzamt Linz als Organ des Finanzamtes Vöcklabruck als Finanzstrafbehörde erster Instanz erlassen. Der Spruchsenat ist keine eigene Behörde, sondern Organ der zuständigen Finanzstrafbehörde (s. §65 Abs1 FinStrG). Der Spruchsenat wurde, wie auch aus dem Kopf des Straferkenntnisses zu sehen ist, nicht als Organ des Finanzamtes Linz, sondern als Organ des Finanzamtes Vöcklabruck tätig. Behörde, die das angefochtene Straferkenntnis erlassen hat, ist daher das Finanzamt Vöcklabruck. Gemäß §150 Abs3 FinStrG war die Berufung beim Finanzamt Vöcklabruck einzubringen. Tatsächlich wurde die Berufung aber beim Finanzamt Linz eingebracht. Es kommt daher §150 Abs3 FinStrG zur Anwendung, wonach die Berufung nur dann als rechtzeitig eingebracht gilt, wenn sie noch innerhalb der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Finanzamt einlangt. Die Gefahr der Weiterleitung geht somit zu Lasten des Berufungswerbers.

Da das Straferkenntnis dem Beschuldigten am 16. Juni 1982 zugestellt wurde, endet die Rechtsmittelfrist am 16. Juli 1982. Die vom Finanzamt Linz weitergeleitete Berufung ist beim Finanzamt Vöcklabruck am 19. Juli 1982 und somit erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingelangt. ..."

1.3.1. A W ergriff gegen diesen Bescheid das Rechtsmittel der Beschwerde, das mit Beschwerdeentscheidung der Finanzlandesdirektion für OÖ als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom 18. Oktober 1982, Z 968/1-2/B-1982, als unbegründet abgewiesen wurde.

1.3.2. In den Gründen dieser Beschwerdeentscheidung heißt es ua.:

"... Nach §150 Abs3 FinStrG ist ein Rechtsmittel bei der Behörde einzubringen, die das angefochtene Erk. erlassen hat. Die Einbringung bei einer anderen Stelle gilt, sofern nicht §140 Abs4 anzuwenden ist, nur dann als rechtzeitig, wenn das Rechtsmittel noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist der Behörde, welche die angefochtene Entscheidung erlassen hat, zukommt. Aufgrund dieses eindeutigen Gesetzeswortlautes kommt es somit nicht darauf an, ob die unzuständige Behörde das Rechtsmittel noch innerhalb der Rechtsmittelfrist an die zuständige Behörde im Postweg weitergeleitet hat oder nicht; für die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels ist vielmehr ausschließlich entscheidend, daß es der zuständigen Behörde innerhalb der Rechtsmittelfrist zukommt. Dies trifft im vorliegenden Fall jedoch unbestrittenermaßen nicht zu. Die Berufung könnte daher nur dann als rechtzeitig eingebracht angesehen werden, wenn §140 Abs4 FinStrG anzuwenden ist. Enthält nämlich das Erk. keine oder eine unrichtige Angabe über die Behörde, bei welcher das Rechtsmittel einzubringen ist, so ist nach dieser Gesetzesstelle ein Rechtsmittel dann richtig eingebracht, wenn es bei jener Behörde eingebracht wurde, die das Erk. ausgefertigt hat oder die in der Rechtsmittelbelehrung angegeben wurde.

Nach dem Kopf des Erk. ist der Spruchsenat beim Finanzamt Linz, Senat II, als Organ des Finanzamtes Vöcklabruck als Finanzstrafbehörde erster Instanz tätig geworden. Nach der Rechtsmittelbelehrung ist das Erk. bei der Behörde einzubringen, die das angefochtene Erk. erlassen hat. Die Rechtsmittelbelehrung enthält also sehr wohl eine Angabe über die Behörde, bei der das Rechtsmittel einzubringen ist. Dem Kopf des Erk. läßt sich ohne jeden Zweifel entnehmen, daß der Spruchsenat als Organ des Finanzamtes Vöcklabruck tätig geworden ist. Es kann daher auch nicht von unrichtigen Angaben über jene Stelle, bei der das Rechtsmittel einzubringen ist, die Rede sein, sodaß §140 Abs4 FinStrG auf den vorliegenden Beschwerdefall nicht angewendet werden kann. Der Bf. selbst führt im übrigen ... aus, daß sich die Berufung gegen das Erk. des Spruchsenates beim Finanzamt Linz als Organ des Finanzamtes Vöcklabruck richte. Trotzdem hat er sein Rechtsmittel ... an das Finanzamt Linz adressiert. Da somit einerseits das Rechtsmittel nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist der zuständigen Behörde zugekommen ist und andererseits auch die Voraussetzungen des §140 Abs4 FinStrG nicht gegeben sind, hat die Erstinstanz die vorliegende Berufung zu Recht als verspätet eingebracht zurückgewiesen. ..."

1.4.1. Gegen diesen Bescheid der Finanzlandesdirektion richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde des A W an den VfGH, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

1.4.2. Die Finanzlandesdirektion für OÖ erstattete eine Gegenschrift und beantragte darin die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Gemäß §164 FinStrG ist gegen Rechtsmittelentscheidungen der Finanzstrafbehörde zweiter Instanz ein weiteres ordentliches Rechtsmittel nicht gegeben. Der Instanzenzug ist damit erschöpft (VfSlg. 9194/1981).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2.2.1. Mit Bescheid der Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom 18. Oktober 1982 wurde die Beschwerde gegen einen ein Rechtsmittel (Berufung) des Bf. zurückweisenden Bescheid als unbegründet abgewiesen. Dieser - verfahrensrechtliche - zweitinstanzliche Bescheid ist so zu werten, als ob die Berufungsbehörde einen mit dem erstinstanzlichen Bescheid übereinstimmenden neuen Bescheid erlassen hätte (vgl. zB VfSlg. 6016/1969, 6486/1971, 8098/1977, 9194/1981). Gegenstand des vor dem VfGH angefochtenen zweitinstanzlichen Bescheides ist somit die Zurückweisung einer Berufung wegen Verspätung, daher die Verweigerung einer Sachentscheidung.

Hätte die Behörde die Berufung des Bf. rechtswidrig zurückgewiesen, wäre nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden (s. zB VfSlg. 7004/1973, 7171/1973, 8098/1977, 9194/1981).

2.2.2.1. Der VfGH mußte daher prüfen, ob die Auffassung der bel. Beh., daß die Berufung des Bf. im Finanzstrafverfahren verspätet eingebracht worden sei, dem Gesetz entspricht.

2.2.2.2. Vorerst ist festzustellen, daß es sich im gegenständlichen Fall um ein verwaltungsbehördliches Finanzstrafverfahren handelte, das gemäß §56 FinStrG - entgegen der offenbaren Beschwerdeauffassung - aufgrund der Vorschriften dieses Gesetzes durchgeführt werden mußte.

Die Frage nach der Einbringungsstelle eines Rechtsmittels im Finanzstrafverfahren wird im §150 Abs3 FinStrG beantwortet.

Diese Bestimmung lautet:

"Das Rechtsmittel ist bei der Behörde einzubringen, die das angefochtene Erk. (den Bescheid) erlassen hat. Die Einbringung bei einer anderen Stelle gilt, sofern nicht §140 Abs4 anzuwenden ist, nur dann als rechtzeitig, wenn das Rechtsmittel noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist der Behörde, welche die angefochtene Entscheidung erlassen hat, zukommt."

§140 Abs4 FinStrG hat folgenden Wortlaut:

"Enthält das Erk. keine oder eine unrichtige Angabe über die Behörde, bei welcher das Rechtsmittel einzubringen ist, so ist das Rechtsmittel richtig eingebracht, wenn es bei der Behörde, die das Erk. ausgefertigt hat, oder bei der angegebenen Behörde eingebracht wurde."

2.2.2.3. Der Bescheid vom 3. Feber 1982 wurde vom Spruchsenat beim Finanzamt Linz erlassen, der kraft der ausdrücklichen Vorschrift der §§58 Abs2, 65 Abs1 lita FinStrG als Organ des Finanzamtes Vöcklabruck, das ist hier die Finanzstrafbehörde erster Instanz, einschritt.

Wird nun in Betracht gezogen, daß der dem Bf. gegenüber als erkennende Instanz in Erscheinung tretende Spruchsenat nach dieser Rechtslage in Wahrheit zwei Behörden zugehört, und zwar funktionell dem Finanzamt Vöcklabruck, organisatorisch aber dem Finanzamt Linz, so kann als zur Einbringung eines Rechtsmittels iS des §150 Abs3 Satz 1 FinStrG bestimmte Stelle - der Rechtsmeinung der bel. Finanzlandesdirektion zuwider - nicht allein das Finanzamt Vöcklabruck gelten: Vielmehr muß - unter Berücksichtigung der organisatorischen Eingliederung des amtshandelnden Organs des Finanzamtes Vöcklabruck in eine andere Behörde - eine Berufungseinbringung auch beim Finanzamt Linz als - iS des nicht nach funktioneller oder organisatorischer Zuordnung differenzierenden §150 Abs3 Satz 1 FinStrG - zulässig angesehen werden, weil ja das bescheiderlassende Finanzamt Vöcklabruck angesichts der Regelung der §§58 Abs2, 65 Abs1 lita FinStrG durch einen nicht nur dislozierten, sondern auch organisationsmäßig dem Finanzamt Linz angeschlossenen Spruchkörper zu entscheiden hatte.

Legt man die hier entwickelte Rechtsauffassung zugrunde, wurde aber die Berufung des Bf. bei der in §150 Abs3 Satz 1 FinStrG genannten Behörde rechtzeitig eingebracht (s. hiezu Punkt 1.2.2.).

2.3. Zusammenfassend ergibt sich, daß der Bf. deshalb, weil die bel. Beh. seine verfahrensrechtlich zulässige Berufung als unzulässig zurückwies, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) verletzt wurde.

Der angefochtene Bescheid war darum als verfassungswidrig aufzuheben.

Schlagworte

Finanzverfahren, Rechtsmittel Finanzverfahren, Finanzstrafrecht, VfGH / Instanzenzugserschöpfung, VfGH / Prüfungsmaßstab, Berufung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B615.1982

Dokumentnummer

JFT_10168787_82B00615_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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