TE Vfgh Erkenntnis 1984/6/23 A4/83, A19/84

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Veröffentlicht am 23.06.1984
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9200 Altenheime, Pflegeheime, Sozialhilfe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art137 / Bescheid
B-VG Art137 / Klage zw Gebietsk
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
AVG §56
F-VG 1948 §3 Abs2
FAG 1979 §4
FAG 1979 §10 Abs4
FAG 1979 §11
VfGG §35
Vlbg SozialhilfeG
Vlbg LandesumlageG §2 Abs2
Vlbg LandesumlageG §3
ZPO §187
ZPO §404

Leitsatz

B-VG Art137; Klagen einer Gemeinde gegen das Land wegen vermögensrechtlicher Ansprüche aus dem Vbg. Sozialhilfegesetz und dem Vbg. Landesumlagegesetz Vbg. Sozialhilfegesetz; Ansprüche durch Bescheid zu erledigen; keine Klagslegitimation Vbg. Landesumlagegesetz; Klagslegitimation gegeben; keine Bedenken gegen die Finanzkraftregelung in §2 Abs2

Spruch

1.) Die Klagen mit den Begehren, das Land Vbg. ist schuldig, der Marktgemeinde L

die zuviel geleisteten Beiträge nach dem Vbg. Sozialhilfegesetz in Höhe von 34309699,82 S für die Zeit vom 1. Jänner 1982 bis 31. Dezember 1982 sowie

die zuviel geleisteten Beiträge nach dem Vbg. Sozialhilfegesetz in Höhe von 3741987,10 S für die Zeit vom 1. Jänner 1983 bis 31. Dezember 1983

sA zu bezahlen, werden zurückgewiesen.

2.) Die Klagebegehren, das Land Vbg. ist schuldig, der Marktgemeinde

L

die zuviel einbehaltenen Beiträge nach dem Vbg. Landesumlagegesetz in Höhe von 19632538,80 S für die Zeit vom 1. Jänner 1979 bis 31. Dezember 1982 - vorbehaltlich der Geltendmachung von Ansprüchen für frühere und spätere Zeiträume - sowie die zuviel einbehaltenen Beiträge nach dem Vbg. Landesumlagegesetz in Höhe von 10631359,60 S für die Zeit vom 1. Jänner 1983 bis 31. März 1984

sA zu bezahlen, werden abgewiesen.

Die Klägerin hat dem Land Vbg. die mit 1316,80 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Marktgemeinde L erhebt Klagen gemäß Art137 B-VG gegen das Land Vbg. wegen vermögensrechtlicher Ansprüche aus dem Vbg. Sozialhilfegesetz und aus dem Vbg. Landesumlagegesetz.

Die Klägerin begehrt (zu A4/83) die Erlassung des Erk.:

"Das Land Vorarlberg ist schuldig, der Marktgemeinde L

1. die zuviel geleisteten Beiträge nach dem Vorarlberger Sozialhilfegesetz in Höhe von 34309699,82 S für die Zeit vom 1. 1. 1972 bis 31. 12. 1982,

2. die zuviel einbehaltenen Beiträge nach dem Vorarlberger Landesumlagegesetz in Höhe von 19632538,80 S für die Zeit vom 1. 1. 1979 bis 31. 12. 1982 - vorbehaltlich der Geltendmachung von Ansprüchen für frühere und spätere Zeiträume -

zuzüglich der jeweils ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit angefallenen gesetzlichen Zinsen, und zwar zu 1. von ca. 4613903,22, zu 2. von ca. 1263587,75, binnen Monatsfrist, bei sonstiger Exekution, zu bezahlen."

Die Klägerin begehrt weiters (zu A19/84) die Erlassung des Erk.:

"Das Land Vorarlberg ist schuldig, der Marktgemeinde L

1. die zuviel geleisteten Beiträge nach dem Vorarlberger Sozialhilfegesetz in Höhe von 3741987,10 S für die Zeit vom 1. 1. 1983 bis 31. 3. 1983,

2. die zuviel einbehaltenen Beiträge nach dem Vorarlberger Landesumlagegesetz in Höhe von 10631359,60 S für die Zeit vom 1. 1. 1983 bis 31. 12. 1984,

zuzüglich der jeweils ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit angefallenen gesetzlichen Zinsen, und zwar zu 1. von derzeit ca. 93549,63 zu 2. von derzeit ca 200476,23, binnen Monatsfrist, bei sonstiger Exekution, zu bezahlen."

Die Begehren unter Z2 werden hilfsweise in der Form der Klagsausdehnung zu den (unter A6/82 bzw. A18/84 protokollierten) Klagen über vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Finanzausgleichsgesetz gestellt, sollte der VfGH der Meinung sein, daß die unter Z2 geltend gemachten Ansprüche in unmittelbarem und untrennbarem Zusammenhang mit dem FAG 1979 stehen, was die Klägerin nicht annimmt.

Die Klägerin stützt ihre Klagen ausschließlich darauf, daß die Regelungen betreffend die Berechnung der Finanzkraft im 2. Satz des §14 Abs4 des Sozialhilfegesetzes und im §2 Abs2 des Landesumlagegesetzes verfassungswidrig seien.

Diese Bestimmungen lauten in ihrem textlichen Zusammenhang:

§14 des Gesetzes über die Sozialhilfe (Sozialhilfegesetz - SHG) LGBl. 26/1971, der unter der Überschrift "Kostentragung durch das Land und die Gemeinden" steht:

"(4) Die Gemeinden haben die Kosten ihrer Förderungstätigkeit (§18 Abs2) zu tragen und dem Land jährlich einen Beitrag in Höhe von 75 v. H. zu den vom Land im Sinne des Abs3 zu tragenden oder zu ersetzenden Kosten der Sozialhilfe zu leisten. Der Beitrag ist von der Landesregierung auf die einzelnen Gemeinden nach Maßgabe ihrer Finanzkraft aufzuteilen, die aus der Summe des auf den Hebesatz von 150 vH umgerechneten Gewerbesteueraufkommens des dem Beitragsjahr vorangegangenen Jahres und der aus den Grundsteuermeßbeträgen des dem Beitragsjahr vorangegangenen Jahres und dem Hebesatz von 300 vH errechneten Grundsteuer zu ermitteln ist. Die Gemeinden haben auf Verlangen vierteljährlich Vorschüsse in der Höhe je eines Sechstels des zu erwartenden Beitragsanteiles gegen nachträgliche Verrechnung zu überweisen. Die Vorschüsse sind unter Zugrundelegung der im Landesvoranschlag für Sozialhilfe vorgesehenen Einnahmen und Ausgaben zu ermitteln."

§2 des Gesetzes über die Einhebung einer Landesumlage (Landesumlagegesetz - LUmlG) LGBl. 6/1952 idF LGBl. 3/1960 und 20/1967:

"(1) (idF LGBl. 20/1967) Das Ausmaß der Landesumlage ist alljährlich durch Verordnung der Landesregierung mit dem Hundertsatz festzusetzen, der sich aus dem Verhältnis zwischen den zu erwartenden ungekürzten Gemeindeertragsanteilen und dem Einnahmenansatz 'Ertrag der Landesumlage' des Landesvoranschlages ergibt. Hiebei darf das durch Bundesgesetz festgesetzte Höchstausmaß nicht überschritten werden.

(2) (idF LGBl. 3/1960) Der auf die einzelnen Gemeinden entfallende Anteil an der Landesumlage richtet sich nach deren Finanzkraft, die zu ermitteln ist durch Heranziehung

1. der Grundsteuer von den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben unter Zugrundelegung der Meßbeträge des Vorjahres und eines Hebesatzes von 300 v.H.,

2. der Grundsteuer von den Grundstücken unter Zugrundelegung der Meßbeträge des Vorjahres und eines Hebesatzes von 300 v.H., wenn jedoch nach den grundsteuerrechtlichen Vorschriften ein Mindestbetrag maßgebend ist, unter Zugrundelegung des einfachen Mindestbetrages, und

3. der tatsächlichen Erträge der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital des Vorjahres, jedoch unter der Annahme eines Hebesatzes von 150 v.H.

(3) Eine rechnungsmäßig unter Null sinkende Finanzkraft ist gleich Null zu setzen."

2. In der Klage zu A4/83 legt die Klägerin zunächst ihre Auffassung zur Zulässigkeit des Rechtsweges dar. Die Zulässigkeit der Klage nach Art137 B-VG bezüglich der geltend gemachten Ansprüche nach dem Landesumlagegesetz hält sie offenkundig für gegebenm; bezüglich der Ansprüche nach dem Sozialhilfegesetz führt sie aus:

"Zwar hat der VfGH im Erk. 30. 9. 1982, B431/79, 438/79, 494/79 usw. betreffend eine Tiroler Gemeinde erkannt, daß Vorschuß-Verlangen und jährliche 'Abrechnungen' als vor dem VfGH nanch Art144 Abs1 B-VG bekämpfbare Bescheide zu werten seien. Diese Rechtsprechung übersieht aber allgemein und jedenfalls in bezug auf die Verhältnisse in Vorarlberg, daß bei konsequenter Anwendung dieser Auffassung der jahrzehntelangen Rechtsprechung des VfGH über die Notwendigkeit der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Finanzausgleich mittels Klage nach Art137 B-VG (s. zuletzt Klecatsky - Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 3. Auflage, Wien 1982, 625 f.) der Boden entzogen wäre. Denn jedenfalls in Vorarlberg werden Vorauszahlungen und 'Jahresabrechnungen' nach dem Finanzausgleichsgesetz in völlig gleicher technisch-manipulativer Art abgewickelt wie Beitragsleistungen der Gemeinde nach §14 Abs4 des Vorarlberger Sozialhilfegesetzes LGBl. 1971/26. Der Umstand, daß es sich dabei tendenziell bei den Abwicklungen nach dem FAG um Hereinbeträge seitens der Gemeinden, im Bereich der Sozialhilfe aber um Hinausbeträge handelt, kann angesichts des identen technischen Vorganges zu keiner anderen Beurteilung führen, weil dann auch im Finanzausgleichsbereich die schriftlichen Mitteilungen als Bescheide zu deuten wären, welche durch die tatsächlichen Überweisungen vollzogen würden, welche Auffassung der VfGH zu Recht immer abgelehnt hat. Im übrigen kommt es aber auch im Finanzausgleich zu Hinausgängen (wenn sich die Vorauszahlungen bei der Jahresabrechnung als überhöht erweisen) und im Sozialhilfebereich zu Hereingängen (zB wenn die Vorschußleistungen überhöht waren und/oder die Ansprüche der Gemeinde nach §14 Abs3 jene des Landes nach §14 Abs4 Vorarlberger Sozialhilfegesetz übersteigen). All diese Erwägungen zeigen, daß es sich bei der rein technisch-manipulativen Bekanntgabe der Höhe der Vorauszahlungen durch die BH sowie bei der 'Jahresrechnung' seitens der Vorarlberger Landesregierung nicht um Bescheide handelt.

Auch Rechtsschutzinteressen der Klägerin sprechen für die Annahme, daß jedenfalls der Klägerin gegenüber keine Bescheide erlassen wurden. Denn keine Erledigung entsprach den strengen Vorschriften des §58 Abs1 AVG 1950 über Inhalt und Form des Bescheides. Dadurch hervorgerufene begründete Zweifel der Klägerin über das Vorliegen einer hoheitlichen Erledigung hätte die Behörde zu verantworten und das Vorliegen eines Bescheides darf nicht zu Lasten der Klägerin - die dadurch gehindert wäre, frühere Zeiträume 'aufzurollen' - gehen (s. VfSlg. 3728, 16. 10. 1981, V6/81).

Jedenfalls für Vorarlberg wird die Auffassung des Nicht-Vorliegens von Bescheiden durch folgende Erwägung zwingend bestätigt:

Nach §16 Abs1 des Vorarlberger Sozialhilfegesetzes hat im Streitfall über den Kostenersatz zwischen Land und Gemeinden sowie über die Leistung der Beiträge (Hinweis auf §14 Abs3 und 4 leg. cit.) die Schiedskommission für Sozialhilfekosten zu entscheiden. Würden danach die jährlichen Endabrechnungen seitens der Vorarlberger Landesregierung als Bescheide gewertet, könnte dagegen diese Schiedskommission angerufen werden, deren Entscheidungen endgültig sind (s. §16 Abs3 Vorarlberger Sozialhilfegesetz). Es bedarf keiner weiteren Erklärungen, sondern liegt offen zutage, daß eine Prüfung von Bescheiden einer Landesregierung durch eine andere Verwaltungsbehörde im Hinblick auf die Stellung der Landesregierung als oberstem Verwaltungsorgan - s. Art19, 20 und 101 B-VG - und der damit verfassungsrechtlich zwingend verbundenen obersten Führungs- und Leitungsbefugnis unvereinbar wäre. Hiezu genügt es, auf die diesbezügliche einheitliche ständige Rechtsprechung des VfGH (s. VfSLg. 3144, 3506, 7930, 8917), insbesonders zuletzt auf das Erk. des VfGH vom 2. 7. 1982, G49/81, V21/81, G128/81, V42/81 zu verweisen.

Dagegen ist zwanglos eine verfassungskonforme Interpretation in der Weise möglich, daß die 'Erledigungen' der Landesregierung keine Bescheide, sondern technisch-manipulative Vorgänge sind. Im 'Streitfall' kann die Schiedskommission angerufen werden, die als einzige zu einer Entscheidung, also zur Bescheiderlassung berufene Stelle für solche Auseinandersetzungen nach dem Vorarlberger Sozialhilfegesetz vorgesehen ist. Dies kommt auch in den EB zur RV zum Vorarlberger Sozialhilfegesetz (s. 10. Beilage im Jahre 1971 zu den Sitzungsberichten des XXI. Vorarlberger Landtages, S 124) eindeutig zum Ausdruck, wenn es dort heißt:

'Zu §16:

Anstelle der an sich berufenen Landesregierung soll zur Vermeidung des Eindruckes der Befangenheit eine Schiedskommission im Streitfall über den Kostenersatz zwischen Land und Gemeinden sowie über die Leistung der Beiträge im Sinne des §14 Abs3 und 4 zu entscheiden haben. Die Organisation der Schiedskommission ist im wesentlichen jener der Kommission nach §6 Abs6 und 7 des Straßengesetzes nachgebildet.'

Danach ist also die Vorarlberger Landesregierung eindeutig nicht zur Erledigung von Ansprüchen des Landes gegenüber Gemeinden zur Leistung von Kostenersätzen berufen und es können und dürfen deren Erledigung verfassungskonformer Weise nicht als - durch die Schiedskommission überprüfbare - Bescheide gedeutet werden.

Die Anrufung der Schiedskommission ist, da eine Verjährung im Vorarlberger Sozialhilfegesetz nicht speziell vorgesehen ist und im öffentlich-rechtlichen Bereich nicht allgemein gilt (s. die Nachweise bei Klecatsky - Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 254 f. insbesonders VfSlg. 6337) an sich jederzeit möglich und offenkundig an keinerlei Fristen gebunden.

Nun könnte die Auffassung vertreten werden, gerade weil diese jederzeitige Anrufung der Schiedskommission möglich erscheint, sei eine Klage nach Art137 B-VG unzulässig. Dagegen vertritt die Klägerin die Auffassung, daß die Anrufung einer Schiedskommission freiwillig und nicht zwingend ist und daß wegen der Identität der Regelungen im FAG einerseits und im Vorarlberger Sozialhilfegesetz andererseits nur die Klage nach Art137 B-VG in Frage kommt."

Die Klägerin hält dafür, daß die gesamten Anordnungen des §14 Abs4 SHG und des §2 Abs2 LUmlG präjudiziell seien, die verfassungsrechtlichen Bedenken wendeten sich allerdings nur gegen die Regelung betreffend die Ermittlung der Finanzkraft.

Die Verfassungswidrigkeit der Regelungen liege darin, daß durch sie nur einzelne und willkürlich herausgegriffene Gemeindeeinnahmen Berücksichtigung fänden. Insofern bestehe eine besondere Art einer verfassungsrechtlich sanktionierbaren "teilweisen Untätigkeit" des Gesetzgebers.

Die Klägerin legt sodann ihre Meinung darüber dar, in welchem Umfang die angeführten Gesetzbestimmungen aufzuheben seien.

Zur Begründung der behaupteten Verfassungswidrigkeit verweist die Klägerin auf ihre Ausführungen in ihrer Klage, mit welcher Ansprüche aus dem Finanzausgleich geltend gemacht worden seien (A6/82); die dort vorgebrachten Argumente gälten uneingeschränkt auch für die vorliegenden Regelungen, welche sich durchgängig an die Finanzkraftregelungen der Finanzausgleichsgesetze hielten. Zu ergänzen sei aber, daß in anderen Bundesländern die Regelung der Finanzkraft-Berechnung eher verfassungskonform sei als jene im FAG und im LUmlG und im SHG. So berücksichtige etwa §13 Abs4 des Tir. Sozialhilfegesetzes in litd und e auch wesentlich andere Einnahmen der Gemeinden.

In der Klage wird dann näher ausgeführt:

"A. Allgemeine Erwägungen.

Die zitierten Regelungen betreffend die Ermittlung der Finanzkraft verstoßen in eklatanter Weise gegen den Gleichheitssatz, indem sie völlig willkürlich einige, global gesehen wenig aussagekräftige Gemeindeabgaben in die Berechnung einbeziehen, wesentliche und tragende Aspekte aber völlig unberücksichtigt lassen. Die Regelungen sind aus sich selbst heraus, aber auch unter Bedachtnahme auf das gesamte System des österreichischen Finanzausgleiches bzw. der Sozialhilfe grundsätzlich sachwidrig. Die differenzierende Berücksichtigung eines von der Quantität her nur minder wichtigen Teiles (erheblich unter 50%) der Finanz-Realität, die in ihrer Gesamtheit gleich beachtlich ist, vermag durch keinerlei Begründung sachlich gerechtfertigt zu werden.

Die Richtigkeit dieser Behauptung wird durch einen Blick auf die Statistik bestätigt. Da es sich bei der gegenständlichen Problematik um eine solche der Gemeinden handelt, ist eben diese tatsächliche Gemeindeebene die rechtlich relevante Ebene der Fakten. Diesbezüglich stehen zunächst einmal 'Gebarungsübersichten der Bundesländer, Gemeindeverbände und Gemeinden' zur Verfügung, die jährlich vom Bundesministerium für Finanzen und vom Österreichischen Statistischen Zentralamt herausgegeben werden. Im weiteren werden von verschiedenen Bundesländern Gemeindesteuerstatistiken herausgebracht. Schließlich sind auch Finanzstatistiken der Verbindungsstelle der Bundesländer beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung von wesentlicher Bedeutung. Angesichts des Umstandes, daß innerhalb der letzten Jahre - abgesehen von der besonderen Elastizität der Gewerbesteuer keine gravierenden Unterschiede bestehen, kann hier auf eine ins einzelne gehende Verwertung dieser Statistiken verzichtet werden. Vielmehr genügt es, - die -, Statistiken früherer Jahre sagen im wesentlichen genau dasselbe aus neben jenen statistischen Unterlagen, welche die im folgenden zitierte Literatur verwendet, auf die neueste, sehr instruktive, im Jänner 1982 herausgebrachte neueste Statistik der Verbindungsstelle der Bundesländer 'Das Steueraufkommen der Gemeinden im Jahre 1979' zurückzugreifen (diese Statistik wird im folgenden zitiert: Statistik Verbindungsstelle 1979).

Wenn auch vorliegendenfalls - anders als zu A6/82 - nur die Gemeindeebene in Vorarlberg für die Berücksichtigung der Finanzkraft der Gemeinden in Vorarlberg maßgeblich sein kann, ergibt sich auch allein aus den Vorarlberger Zahlen ein eindeutiges Indiz für die grundlegend verfehlten Regelungen der Finanzkraftberechnung. In diesen Regelungen sind nur berücksichtigt die Komponenten

Grundsteuer A

Grundsteuer B

Gewerbesteuer (nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital, nicht jedoch Lohnsummensteuer),

und zwar jeweils mit fiktiven Hebesätzen.

Nicht jedoch sind berücksichtigt die für die Finanzkraft ohne jeden Zweifel auch beachtlichen und - wie noch gezeigt wird, zum Teil noch viel bedeutsameren - Gemeindeeinnahmen aus

Lohnsummensteuer

Getränkesteuer einschließlich Speiseeisabgabe

und 'sonstige Gemeindeabgaben';

darüber hinaus werden überhaupt nicht berücksichtigt die überwiesenen Ertragsanteile.

Laut Statistik Verbindungsstelle 1979, 2 f. ergeben sich für 1979 bezüglich Vorarlbergs an Einnahmen

aus Gewerbesteuer            256583504 S

aus Grundsteuer A              3820582 S

aus Grundsteuer B             78857023 S

insgesamt also               329261109 S

das sind ca. 37,69% der gesamten Gemeindeeinnahmen in Vorarlberg von 900125480 S! Hingegen bleiben die mehr als 62% der Gemeindeabgaben, also nahezu 2 Drittel (!), bestehend aus

Lohnsummensteuer             214965749 S

Getränkesteuer               132868110 S

sonstige Gemeindeabgaben     213030520 S

insgesamt also               560864371 S

ohne jegliche Berücksichtigung.

Diese Summen sind auch unter dem Aspekt zu sehen, daß in Vorarlberg 1979

den Gemeinden 793935084 S

an Ertragsanteilen an gemeinschaftlichen Bundesabgaben zugeflossen sind, also

88,202%

der Gemeindeabgaben, die bei der Finanzkraftberechnung völlig unberücksichtigt bleiben.

Mag man als Grundlage der Berechnung der Finanzkraft einer Gemeinde auch nicht unbedingt darauf bestehen, diese Ertragsanteile mitzuberücksichtigen, ist doch keinerlei Rechtfertigung dafür erkennbar, nur einen ökonomisch und insgesamt tatsächlich nicht signifikanten Sektor gemeindlicher Erträge zu berücksichtigen. Umgekehrt waren von den Vorarlberger Gemeinden im Jahre 1979 zu verausgaben

an Landesumlage       94829126 S

für Sozialhilfe       89894866 S,

also sehr hohe Prozentanteile im Verhältnis zu den Gemeindeabgaben.

Das entscheidende an diesem Zustand ist nun, daß sich aus der gemeindeweisen Aufteilung (s. dazu Statistik Verbindungsstelle 1979 betreffend alle Gemeinden Österreichs inklusive Vorarlbergs) eindeutig ergibt, daß zwischen den berücksichtigten Steuersparten und den viel ertragreicheren, nämlich in Vorarlberg mehr als 62% erbringenden Steuersparten keinerlei signifikantes Verhältnis, keinerlei sichtbare Relation bzw. keinerlei Korrelation besteht, vielmehr ist die Relation der Beträge aus den einzelnen Einnahmen der Gemeinden jeweils völlig unterschiedlich und ohne jegliche erkennbare und nachweisbare Gesetzmäßigkeit. Die gegenwärtige Regelung basiert vielmehr auf einer rein zufälligen historischen Entwicklung, deren Voraussetzungen aber grundlegend verändert wurden. Auch gilt es schon hier, festzuhalten, daß niemand, auch nicht die Wirtschaftswissenschaften etwa der Ansicht wären, die - willkürlich herausgegriffenen - Sparten der Gemeindeerträge zur Berechnung deren Finanzkraft seien in spezifischer Weise für die wirtschaftliche Leitsungskraft überhaupt signifikant. Vielmehr ist das wahre Gegenteil der Fall.

Die Berücksichtigung der Grundsteuer A als maßgeblich bedeutet die Akzeptierung eines Markenkennzeichens besonderer Wirtschaftsschwäche einer Gemeinde, was sich allein aus der global gesehen als Bagatelle zu bezeichnenden Summe von 3820582 S (!) Gesamteinnahmen in ganz Vorarlberg ergibt.

B. Verfassungsrechtlicher Maßstab.

Die im Rahmen der vorliegenden Klage präjudiziellen Rechtsvorschriften sind anhand des durch Art7 Abs1 B-VG und durch Art2 des Staatsgrundgesetzes von 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger verfassungsgesetzlich garantierten Gleichheitssatzes zu messen, der auch und gerade für die Gesetzgebung gilt (VfSlg. 1451, 2645, 2770 uva). Darüber hinaus sind für den gegebenen Zusammenhang aber auch §4 des F-VG 1948 bezüglich der Landesumlage sowie das österreichische Gemeindeverfassungsrecht von Bedeutung.

§4 des F-VG 1948 ist als die für die Verteilung der Abgabenerträge maßgeblichste finanzverfassungsgesetzliche Regelung anzusehen. Nach dieser Verfassungsbestimmung hat die in den §§2 und 3 leg. cit. vorgesehene Regelung in Übereinstimmung mit der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung zu erfolgen und darauf Bedacht zu nehmen, daß die Grenzen der Leistungsfähigkeit der beteiligten Gebietskörperschaften nicht überschritten werden. Da die Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung in Vorarlberg im wesentlichen auf alle Gemeinden gleich erfolgt, hat auch die Verteilung der Abgabenerträge auf diese Gemeinden gleich zu erfolgen. Deshalb ist die genannte Verfassungsbestimmung als eine den Gleichheitssatz spezialisierende und diesen verstärkende Verfassungsnorm für die Finanzverfassung zu betrachten. Das österreichische Gemeindeverfassungsrecht ist ebenso gekennzeichnet durch die grundsätzliche Gleichstellung aller Gemeinden und den Umstand, daß ihnen insgesamt gleiche Aufgaben übertragen sind. Lehre und höchstgerichtliche Rechtsprechung haben dies entsprechend berücksichtigt und sprechen von der abstrakten Einheitsgemeinde als jenem Typus der österreichischen Gemeinde, der der österreichischen Verfassungsordnung zugrundeliegt (s. Oberndorfer, Gemeinderecht und Gemeindewirklichkeit, Linz 1971, 68 ff u passim; Neuhofer, Handbuch des Gemeinderechtes, Wien-New York 1972, 191 ff; Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 4. Auflage, Wien 1982, 243 ff; Klecatsky - Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 518 f, 533 ff). Diese grundsätzliche verfassungsrechtliche Gleichstellung aller österreichischen Gemeinden erheischt, daß der Gleichheitssatz verstärkt und strenger zur Anwendung gelangt als bei Bedachtnahme auf die eingangs zitierten Grundrechtsverbürgungen allein. An differenzierende, also ungleiche Regelungen ist danach ein besonders strenger Maßstab hinsichtlich ihrer Zulässigkeit anzulegen. Dies gebietet darüber hinaus auch die verfassungsgesetzlich garantierte Selbstverwaltung der Gemeinden, weil sich daraus auch die verfassungsrechtliche Pflicht zu entsprechender finanzieller Dotierung ableitet.

Diese Notwendigkeit der besonders strikten Anwendung des Gleichheissatzes ist vor allem auch durch jene Rechtsprechung geboten, wonach es einen selbstverständlichen Auslegungsgrundsatz darstellt, daß Rechtsvorschriften nicht so ausgelegt werden dürfen, daß sie überflüssig und daher inhaltslos werden (VfSlg. 2546, 2688, aber auch 7717; VwSlgNF. 3086 F; 6035 A, 12. 3. 1964, 789/63, 27. 3. 1980, 1232/78).

C. Gundsätzliches zur Bedeutung des Gleichheitssatzes für den vorliegenden Fall.

Angesichts dieser eindeutigen Verfassungsrechtslage können ungleiche Regelungen des einfachen Gesetzgebers nur dann Bestand haben, wenn sie sich im einzelnen eindeutig und nachweislich belegbar auf Unterschiede im Tatsächlichen berufen können. Insbesonders in einem so detaillierten, technisierten, feinmaschigen und letztlich in gewisser Weise auch professionellen Normensystem wie es das österreichische Finanzausgleichswesen darstellt, könnte ein plötzliches und punktuelles Zurückgreifen auf allfällige 'Erfahrungen des täglichen Lebens' (s. VfSlg. 3568, 4154, 5098, 5485, 6260, 6401, 6419, 6471, 7891 aber auch VfSlg. 7996, 8352) nicht hinreichen, die Sachlichkeit der Regelung zu erweisen. Vor kurzem wurde zutreffend darauf hingewiesen (s. dazu das zum 8. Österreichischen Juristentag erstattete Gutachten von Morscher, Das Abgabenrecht als Lenkungsinstrument der Gesellschaft und Wirtschaft und seine Schranken in den Grundrechen, 87), daß die sogenannten 'Erfahrungen des täglichen Lebens' häufig nichts anderes sind als permanent wiederholte, aber durch nichts belegte Vorurteile. Auch wenn man die Kraft des Wortes und darüber hinaus des Geistes insgesamt hoch veranschlagt, können durch solche bloße Worte nachweisliche Fakten nicht verändert, sondern höchstens zu Unrecht verfremdet und übergangen werden.

Auch muß mit allem Nachdruck hervorgehoben werden, daß es an sich nicht Sache der klagenden Marktgemeinde L sein kann, im einzelnen und detailliert den schlüssigen Nachweis der Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Finanzkraftregelung zu erbringen; dennoch wird sie im folgenden alles wesentliche vorliegende Material vortragen. Zutreffenderweise ist es aber Sache der den Landesgesetzgeber vor dem VfGH vertretenden Landesregierung, den - wie hier vorweggenommen werden kann, völlig unmöglichen - Nachweis zu erbringen, daß die gegenwärtigen Finanzkraftregelungen mit ihrer völlig ungleichen Berücksichtigung der Gemeindeeinnahmen in tatsächlichen Unterschieden ihre Rechtfertigung auch tatsächlich findet (und nicht nur vage finden könnte).

Ferner ist von Bedeutung, daß für den Bereich des Finanzwesens - wie auch die Hinweise auf die zur Verfügung stehenden, aufeinander abgestellten Systeme der Finanzstatistiken ebenso wie der geradezu ungehemmte Einsatz von EDV und ADV schlagend beweisen - Aspekte der Verwaltungsökonomie eine Typisierung, Pauschalierung oder sonstige Vereinfachung in der hier vorgenommenen grobschlächtigsten Weise keineswegs fordern (vgl. VfSlg. 4409, 4930, 4958, 5022, 5160 ua; vgl. zu den diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Grenzen Morscher, Das Abgabenrecht als Lenkungsinstrument, 83 ff; Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und als Garant vorhandener Finanzautonomie, Köln 1982, 52 f u passim), da alle relevanten Daten nicht nur auf Knopfdruck zur Verfügung stehen und über beliebige Verknüpfung jeder noch so komplizierte Rechenvorgang in Sekundenschnelle abgeschlossen ist, sondern jeder Volksschüler auf Grund der veröffentlichten Daten alle diese Rechenvorgänge leicht selbst vornehmen kann. Abgesehen davon, daß für eine genaue Berechnung überhaupt kein zusätzlicher Verwaltungsaufwand erforderlich wäre, zeigt ein Durchgehen der 2301 im Jahre 1979 bestandenen österreichischen Gemeinden, insbesonders aber auch der 96 Vorarlberger Gemeinden (etwa anhand der Statistik Verbindungsstelle 1979), daß weder bei nach Bewohnern gemessen großen, noch mittleren noch kleinen, noch all diesen Gemeinden irgendein einheitliches, überhaupt typisierbares Element bei der Unterscheidung der einzelnen Steuereinnahmen besteht. Hier spricht die Statistik ganz ausnahmsweise eine ganz eindeutige Sprache für die Willkürlichkeit der Regelung, nur bestimmte Steuern der Finanzkraftberechnung zugrunde zu legen. Auch hat der VfGH im Erk. 2. 10. 1982, G27/82, zutreffend erkannt, daß die Praktikabilität einer Regelung dort ihre Grenzen findet, wo anderen Überlegungen größeres Gewicht beizumessen ist als verwaltungsökonomischen Erwägungen. Auch ist zu berücksichtigen, daß Prüfungsmaßstab im Gesetzesprüfungsverfahren immer die Verfassungsordnung als solche ist; es geht dabei nicht darum, ob die in Prüfung gezogene gesetzliche Regelung in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte eingreift, was vorliegendenfalls ohne Zweifel auch zutrifft, sondern darum, ob sie gegen verfassungsgesetzliche Normen verstößt (VfSlg. 5921, 7720). Darüber hinaus müßte die Verfassungswidrigkeit einer Norm nicht einmal im Anlaßfall verwirklicht werden (VfSlg. 8533) und es müssen die Umstände, die diese Regelung verfassungswidrig machen, bei der Anwendung der Norm im Anlaßfall keine Rolle gespielt haben (VfSlg. 8009, 8806, 1. 3. 1982, G35, 36/81, G83, 84/81). Zwar wird vorliegendenfalls durch die geltende Rechtslage durchaus auch in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte der Klägerin eingegriffen. Unabhängig davon ist aber bei der Gesetzesprüfung nicht nur auf ihre Lage Bedacht zu nehmen, sondern auf die Situation der Gemeinden in ganz Vorarlberg.

Umgekehrt handelt es sich bei der Situation der Klägerin nicht um einen 'atypischen Härtefall', der sich bei jeder Abgrenzung zwangsläufig ergeben müßte (s. zu deren Zulässigkeit VfSlg. 3568, 3862, 3714, 3749, 4154, 4925, 5098, 5958, 6260, 6401, 6419, 6471, 7012, 7471, 7996, 8352, 8457, 8871 uva; ferner Klecatsky - Morscher,

Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 90 ff; Morscher, Das Abgabenrecht als Lenkungsinstrument 93; vgl. aber auch Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und als Garant vorhandener Finanzautonomie, 52 f). Alle Statistiken zeigen, daß es einen 'Regelfall' für die Gliederung der gemeindlichen Einnahmen aus Steuern nicht gibt, sondern keinerlei Gesetzmäßigkeiten erkennbar sind und somit für die völlig unterschiedliche Bewertung eines Steuerschillings gegenüber einem anderen Steuerschilling keinerlei sachliche Rechtfertigung gefunden werden kann.

D. Zur Verfassungswidrigkeit im einzelnen.

Der Klägerin ist selbstverständlich bekannt, daß es nach der Rechtsprechung des VfGH dem Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz nicht verwehrt ist, verschiedenste poitische Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen und daß der VfGH die 'Richtigkeit' solcher Maßnahmen nicht überprüft (s. VfSlg. 3766, 4973, 5267, 5268, 5862, 6030, 6255, 6929, 7010, 7559, 7996, 8012 uva; beachte ferner Klecatsky - Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 91 f; Morscher, Das Abgabenrecht als Lenkungsinstrument, 98 ff). Insoferne bestehen selbstverständlich grundsätzlich keinerlei Bedenken dagegen, daß der Landesgesetzgeber in den präjudiziellen Regelungen eine Lastenverteilung nach der Finanzkraft vornimmt. Nach der genannten Rechtsprechung des VfGH sind aber in jedem Falle Exzesse völlig unzulässig und völlig ungeeignete Lösungen ebenso (vgl. Morscher, Das Abgabenrecht als Lenkungsinstrument, 94 f, 104 ff). Solche Lösungen liegen hier vor, weil ohne jede sachliche Begründung der Finanzkraftberechnung nur ein minderbedeutender Teil der Gemeindeeinnahmen zugrunde gelegt wird, hingegen bedeutsame und signifikante Einnahmen für die Wirtschaftsstärke einer Gemeinde wie die Getränkesteuer und die Lohnsummensteuer überhaupt nicht berücksichtigt werden. Bezüglich der Lohnsummensteuer ist auch die Anfragenbeantwortung des Bundesministers für Finanzen, 1876/AB, II-4101 BlgNR 15 GP vom 1. 7. 1982 beachtlich, wo es ausdrücklich heißt:

'Zur Darstellung der in diesem Zusammenhang zur Diskussion stehenden Größen ist darauf hinzuweisen, daß das Gesamtaufkommen an Lohnsummensteuer im Jahre 1979 bei rd. 4,75 Mrd. S (davon rd. 1,5 Mrd. S allein in Wien), 1980 bei rd. 5,2 Mrd. S und 1981 bei rd. 5,35 Mrd. S gelegen ist. Der jährliche Zuwachs am Aufkommen beträgt jeweils rd. 7%. Das Aufkommen an Lohnsummensteuer stellt etwa 25% der gesamten Landes- und Gemeindeabgaben dar. Daraus ist zu ersehen, daß es sich hier um eine Abgabe handelt, die für die Gemeinden von der Größenordnung her von besonderer Bedeutung ist, auf die die Gemeinden jedenfalls nicht ohne finanzielle Abgeltung verzichten könnten.'

Die oben beschriebenen Differenzierungen könnten etwa damit begründet werden, daß bestimmte Einnahmen für die Wirtschaftskraft im allgemeinen und die Finanzkraft im speziellen von besonderer Signifikanz und Bedeutung seien. Dies wird aber zu Recht von niemandem, weder im Bereiche der Politik oder gar der Wirtschaftswissenschaften vertreten. Abgesehen von der Frage, ob es zu einer Zeit, in welcher erhebliche Arbeitsplatzprobleme bestehen, zweckmäßig ist, eine Arbeitsplatzsteuer (in Form der Lohnsummensteuer) einzuheben, ist es gerade die Höhe der Lohnsummensteuer, die in besonderer Weise eben diese Finanz- und Wirtschaftskraft kennzeichnet. Gleicherweise ist es die ungetrübte und offenkundig durch nichts trübbare Trinkfreudigkeit der österreichischen Bevölkerung einerseits und der Umstand andererseits, daß der Fremdenverkehr eine Säule der österreichischen Wirtschaft darstellt, der die Getränkeabgabe zu einem besonderen Kennzeichen der Finanzkraft werden läßt, dies alles insbesonders auch in bezug auf Vorarlberg. Gerade diese wichtigen Bereiche finden aber bei der Finanzkraftberechnung keinerlei Beachtung. Die Klägerin ist an sich der Meinung, daß, wie ganz allgemein das Prinzip gelten muß, daß jeder Schilling gleich viel wert ist und hier uneingeschränkt das Schilling-Ist-Gleich-Schilling-Prinzpip gilt. Die bestehende Regelung verstößt in exzessiver Weise dagegen, ohne daß eine sachliche Rechtfertigung auch nur im Ansatz vorläge. Ist man aber der Meinung, bestimmte Gemeindesteuern seien besonderes Kennzeichen einer besonderen Wirtschafts- und/oder Finanzkraft kann es keinem Zweifel unterliegen, daß dies keinesfalls für die Grundsteuern - weder für die Grundsteuer B noch gar für die Grundsteuer A - gilt, kaum für die Gewerbesteuer, jedenfalls aber für die Lohnsummensteuer und die Getränkesteuer. Aus dieser Sicht erweist sich die geltende Regelung kontrafunktional und in jeder Hinsicht verfehlt, indem sie aus ihrer eigenen Zielsetzung heraus offenkundig gerade die falschen Gemeindeeinnahmen der Finanzkraftberechnung zugrundelegt. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Regelung, deren Richtigkeit vom VfGH nur in extenso zu prüfen wäre, sondern um eine in sich verfassungswidrige Lösung.

Die Ursache dieses Umstandes ist durch die Bedachtnahme auf die historische Entwicklung des Finanzausgleichswesens in Österreich, das die präjudiziellen Landesregelungen zum Vorbild nahmen, leicht rekonstruierbar (s. dazu die Ausführungen in der Klage zu A6/82).

Nun ist aber entscheidend, daß - unabhängig davon, ob jemals die Finanzkraftregelung überhaupt verfassungskonform war - nach der durchaus zutreffenden Rechtsprechung des VfGH die Verfassungsmäßigkeit einer Norm in jedem Zeitpunkt, also nicht etwa nur im Zeitpunkt ihres Entstehens gegeben sein muß (VfSlg. 3723, 3810, 5022, 5854, 6770, 7330, 7394, 8004, 8574 ua) und daß dieser Grundsatz insbesoders für den Gleichheitssatz gilt (VfSlg. 3754, 3822, 5169). Auch kann sich danach der Maßstab für die Sachbezogenheit einer Regelung im Laufe der Zeit ändern und es kann die Nichtanpassung einer Regelung zu ihrer Verfassungwidrigkeit führen (VfSlg. 5854, 7844, 7974, wohl auch VfGH 5. 10. 1981, WI-9/79; vgl. auch Morscher, Das Abgabenrecht als Lenkungsinstrument, 47 ff). Hisorische Gesichtspunkte können demnach keineswegs die geltende Regelung rechtfertigen, vielmehr beweisen sie die Unsachlichkeit derselben.

Der Umstand, daß auch in der Bundesrepublik Deutschland (s. dazu die neulich erschienene, umfassende Studie von Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und als Garant vorhandener Finanzautonomie, insbesonders auch die 'Ergebnisse' 126 ff) sowie in der Schweiz (s. dazu Kesselring, Kommunaler Finanzausgleich und Regionalpolitik, Diessenhofen/Schweiz 1979) gleiche Verfassungsprobleme bestehen, darf keineswegs dazu führen, daß sie unter den Tisch gekehrt werden, vielmehr scheint eine verfassungsrechtlich einwandfreie Lösung umso dringlicher geboten.

Die Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften bestätigen im übrigen eindeutig die Verfassungswidrigkeit der geltenden Finanzkraftregelungen. Zwar können Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften ohne Zweifel niemals Wertentscheidungen des Gesetzgebers ersetzen (s. insbesonders Antoniolli, Finanzverwaltung und Rechtsstaat, in: FS Huber, Bern 1961, 9 ff, insbesonders 16; Morscher, Das Abgabenrecht als Lenkungsinstrument, 19 ff). Auch der VfGH hat dies in VfSlg. 5862 zutreffend zum Ausdruck gebracht. Er hat aber genauso zutreffend hinzugefügt, daß die Ordnungsgedanken der Finanzwissenschaft durchaus bei einer Gesetzesprüfung zu beachten sein werden. Gantner - Theurl, 'Finanzkraft' und 'Finanzbedarf', Das öffentliche Haushaltswesen in Österreich 1977, 1 ff (s. dazu auch Theurl, Die Finanzkraft der Tiroler Gemeinden, SoWi Diplomarbeit Innsbruck 1976; ferner Huber, Nochmals: 'Finanzkraft' und 'Finanzbedarf', Das öffentliche Haushaltswesen in Österreich 1977, 145 ff; ferner Gantner - Theurl, ebenda 148 ff; Gantner, Überlegungen zu den Begriffen 'Finanzkraft' und 'Finanzbedarf' im FAG 1973: Kritik und Reformansätze, in: Matzner (Hg), Öffentliche Aufgaben und Finanzausgleich, Wien 1977, 316 ff; derselbe, Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel als Problem der Länder und Gemeinden, Wien 1978, 49 ff u passim) kritisieren insbesonders die Unvollständigkeit der Verwendung des Begriffs Finanzkraft im FAG 1973 - völlig gleiches gilt für die analogen präjudiziellen Regelungen dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens - und den Umstand, daß dieser Begriff nicht das mißt, was er eigentlich messen sollte (s. Gantner - Theurl, aaO 2). Dabei handelt es sich nicht nur um einen wissenschaftlich fundierte Begriffskritik, sondern um eine, die die Sache als solche betrifft. Sie weisen demnach zu Recht darauf hin, daß in der Definition des §10 Abs4 FAG 1973 - gleiches gilt für die präjudiziellen Regelungen - 'nur ganz bestimmte Steuern herangezogen, aber so wichtige Gemeindesteuern wie die Lohnsummensteuer und die Getränkesteuer beiseite gelassen (werden), von den übrigen Gemeindeeinnahmen ganz zu schweigen ... Diese einseitige Bevorzugung bzw. grobe Benachteiligung einzelner Gemeinden ist der Haupteinwand, der gegen den FK-Begriff des FAG vorgebracht werden muß.

Nicht nur der Umstand, daß ein Gutteil der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Gemeinde bei der Ermittlung der Finanzkraft überhaupt außer acht gelassen wird, auch die Zusammensetzung derjenigen Einnahmen, die für den FK-Begriff im FAG ausgewählt wurden, bietet Anlaß für Kritik.

Bekannt ist die Konjunkturanfälligkeit der Gewerbesteuer. Der Umstand, daß der Bedarfsausgleich auf der FK des Vorjahres aufbaut, läßt Gemeinden mit schrumpfendem Gewerbesteueraufkommen im laufenden Jahr von mehreren Seiten in die Klemme kommen: Zu den Ausfällen der Gewerbesteuer kommt noch ein fehlender oder der Situation der Gemeinden nicht entsprechender Bedarfsausgleich und eine erhöhte Landesumlage. So ist auch aus dem Flexibilitätsgesichtspunkt heraus der FK-Begriff des FAG völlig unbefriedigend ...' (aaO 5 f).

Schließlich zeigen ihre Varianten der Finanzkraftberechung (aaO 11 ff), zu welchen Verzerrungen und sachlich ungerechtfertigten Ungleichheiten die bestehende Regelung führt. Zu dieser Alternativen-Berechnung werden aber nicht unzulässige Wertungen seitens der Wissenschaft vorgenommen, sondern nur deutlich gezeigt, in welch tiefgreifender Weise die gegenwärtige Finanzkraftregelung an den Tatsachen vorbeigeht, sie ignoriert und deshalb wegen krasser Ungleichheit verfassungswidrig erscheint.

Gleicherweise findet auch Thöni, Finanzierungsprobleme der Gemeinden, Wien 1977, 83 ff, an den geltenden Regelungen nur Kritikwürdiges. Derselbe, Finanzierungsprobleme der Gemeinden, Das öffentliche Haushaltswesen in Österreich 1980, 181 ff (186) meint im übrigen, der Finanzkraft- und Finanzbedarf-Ausgleich habe auf Grund der praktischen Handhabung jede Zielorientierung verloren und erörtert die völlige Einseitigkeit und Unvollständigkeit der Regelung. Auch Hanselitsch, Die Stellung der Gemeinden im österreichischen Finanzausgleich, ÖGZ 1978, 160

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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