TE Vfgh Erkenntnis 1984/9/27 G130/84

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Veröffentlicht am 27.09.1984
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
BAO §16
BAO §19
BAO §224 Abs1

Beachte

vgl. Kundmachung, BGBl. 409/1984, am 25. Oktober 1984, sowie AÖFV 234/1984 am 13. November 1984; s. Anlaßfall VfSlg. 10223/1984

Leitsatz

BAO; Gleichheitswidrigkeit einiger Worte in §16; Angehörigenverhältnis für sich allein keine ausreichende sachliche Begründung für steuerliche Schlechterstellung

Spruch

Die Worte "eines seiner Angehörigen (§25) oder" im ersten Satz des §16 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/961, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die aufgehobene Gesetzesstelle ist nicht mehr anzuwenden.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH ist zu B406/79 das Verfahren über eine Beschwerde nach Art144 B-VG anhängig, in der insbesondere die Verfassungswidrigkeit des §16 der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. 194/1961, geltend gemacht wird. Der erste Satz dieses Paragraphen und der darin bezogene §25 BAO haben folgenden Wortlaut:

"§16 erster Satz: Stehen Wirtschaftsgüter, die einem gewerblichen oder einem land- und forstwirtschaftlichen Unternehmen dienen, nicht im Eigentum des Unternehmers (Mitunternehmers), sondern im Eigentum eines seiner Angehörigen (§25) oder einer an der Körperschaft wesentlich beteiligten Person, so haftet der Eigentümer der Wirtschaftsgüter mit diesen Gütern für die Abgaben, bei denen sich die Abgabepflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet.

§25. Angehörige im Sinn der Abgabenvorschriften sind

1. der Ehegatte;

2. die Verwandten in gerader Linie und die Verwandten zweiten und dritten Grades in der Seitenlinie, und zwar auch dann, wenn die Verwandtschaft auf einer unehelichen Geburt beruht;

3. die Verschwägerten in gerader Linie und die Verschwägerten zweiten Grades in der Seitenlinie, und zwar auch in Fällen unehelicher Verwandtschaft;

4. Die Wahl(Pflege)eltern und die Wahl(Pflege)kinder."

2. Zur Beschwerdesache ist folgendes festzuhalten:

a) J P sen. war Eigentümer der Liegenschaft EZ ... KG Ybbs mit dem

Haus ..., ... S-Platz, in welchem sein Sohn J P jun. einen

Gastgewerbebetrieb führte. Mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom 7. August 1979 machte die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. unter Berufung auf §16 BAO die auf diese Liegenschaft beschränkte Haftung von J P sen. für Abgabenschuldigkeiten seines Sohnes in Höhe von 644248 S geltend.

b) J P sen. verstarb nach Beschwerdeerhebung. Sein Nachlaß wurde mit der Einantwortungsurkunde des BG Innsbruck vom 7. Oktober 1981 zu je einem Drittel seiner Witwe A sowie seinen Söhnen F und H P eingeantwortet, welche die Erklärung abgaben, das Beschwerdeverfahren fortzusetzen.

c) Das Finanzamt Melk führte gegen J P sen. aufgrund eines für die Abgabenschuldigkeit ausgestellten Rückstandsausweises Exekution durch zwangsweise Begründung eines Pfandrechtes auf der erwähnten Liegenschaft. Am 5. August 1981 übernahm das Finanzamt Innsbruck auf Ersuchen des Finanzamtes Melk von der Verlassenschaft nach J P sen. zur Sicherstellung der (infolge einer Gutschrift verminderten) Abgabenschuldigkeit ein Sparbuch mit einem Einlagenstand von 627264 S und folgte Zug um Zug ein Schreiben des Finanzamtes Melk aus, mit dem die Einwilligung zur Einstellung der Exekution einschließlich der Löschung des Pfandrechtes erteilt wird. Aufgrund dieses Schreibens beschloß das BG Ybbs am 19. August 1981 auf Antrag der Verlassenschaft die Einstellung der Exekution sowie die Pfandrechtslöschung.

II. Aus Anlaß dieses Beschwerdefalles beschloß der VfGH, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der im ersten Satz des §16 BAO enthaltenen Worte "eines seiner Angehörigen (§25) oder" einzuleiten.

1. In verfahrensrechtlicher Hinsicht nahm der VfGH vorläufig an, daß der Bescheid der Finanzlandesdirektion (nunmehr) in die Rechtssphäre der Erben nach J P sen. eingreift und jene befugt sind, das anhängige Beschwerdeverfahren als bf. Parteien fortzusetzen. Dazu führte er im einzelnen folgendes aus:

"Der gemäß §224 Abs1 BAO an J P sen. erlassene Haftungsbescheid bewirkte kraft §7 Abs1 BAO (demzufolge Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, durch Geltendmachung dieser Haftung (§224 Abs1) zu Gesamtschuldnern zu werden) die - nach Maßgabe des §16 BAO sachlich beschränkte - persönliche Haftung des Bescheidadressaten für die Abgabenschuldigkeit. Durch den Erlag des Sparbuchs zur Sicherheitsleistung wurde gemäß §222 Abs2 BAO ein Pfandrecht für die Abgabenschuldigkeit begründet, das infolge des Verzichts der Abgabenbehörde auf eine Befriedigung aus der Liegenschaft gleichsam an deren Stelle als Haftungsobjekt trat. Im Hinblick auf die eingetretene Gesamtrechtsnachfolge der Erben sind sie gemäß §19 BAO in die geschilderten Rechte und Pflichten, insbesondere in die persönliche Haftung als Gesamtschuldner mit dem Abgabepflichtigen J P jun. für die bestehende Abgabenschuldigkeit mit einer auf die Befriedigung aus dem Sparbuch beschränkten Haftung eingetreten. In diesem Sinn äußert der an J P sen. ergangene Bescheid Rechtswirkungen für die Erben, sodaß sie zur Fortsetzung des anhängigen Beschwerdeverfahrens berechtigt erscheinen."

2. Weiters ging der VfGH vorläufig davon aus, daß er bei der Prüfung des bekämpften Bescheides den ersten Satz im §16 BAO insoweit anzuwenden hätte, als sich die darin enthaltene Regelung auf die Angehörigen des Unternehmers bezieht; demnach sah er die (sprachlich vom übrigen Inhalt des §16 erster Satz trennbare) Wenden "eines seiner Angehörigen (§25) oder" als präjudiziell an.

3. Die verfassungsrechtlichen Bedenken legte der Gerichtshof in seinem Einleitungsbeschluß folgendermaßen dar:

"Gegen diese Vorschrift besteht das verfassungsrechtliche Bedenken, daß sie dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot widerspricht. Sie begründet - in ihrem hier relevanten Teil - eine Haftung des Eigentümers von Wirtschaftsgütern des Unternehmens ohne Rücksicht auf die zivilrechtliche Beziehung zum Unternehmer allein aus dem Gesichtswinkel seiner persönlichen Stellung als Angehöriger, wobei der weitreichende Angehörigenbegriff des §25 BAO zugrunde gelegt wird. In der Literatur (siehe insbesondere Reeger - Stoll, Kommentar zur Bundesabgabenordnung, S72 f., Kopecky, Die Haftung im österreichischen Steuerrecht, S 45 f., Gebetsroither, Ist die sogenannte 'Angehörigenhaftung' nach §16 BAO verfassungswidrig? FJ 1978 S 17) wird die rechtspolitische Rechtfertigung der (dem §115 RAO nachgebildeten) Vorschrift im wesentlichen darin erblickt, daß zwischen Angehörigen Übereinstimmung in wirtschaftlichen Belangen gegeben sei sowie daß leicht Eigentum von Angehörigen vorgetäuscht werden könne, um der Inanspruchnahme durch die Abgabenbehörde zu entgehen. Beide Umstände erscheinen dem VfGH jedoch nicht tauglich, die allein auf der Angehörigeneigenschaft beruhende Haftung bei der Überlassung von Wirtschaftsgütern sachlich zu begründen.

Der Gerichtshof verweist auf seine ständige Rechtsprechung sowohl im Bereich des Abgabenrechts als auch des Sozialversicherungsrechts, wonach das Angehörigenverhältnis für sich alle in nicht ausreicht, eine steuerliche oder sozialversicherungsrechtliche Schlechterstellung sachlich zu begründen. So sei beispielsweise auf die wegen des Widerspruchs zum Gleichheitsgebot ausgesprochene Aufhebung von Bestimmungen im Gewerbesteuergesetz 1953 (VfSlg. 3863/1960, 4571/1963, 4824/1964), einer Vorschrift des Grunderwerbsteuergesetzes 1955 (VfSlg. 4764/1964), von einkommensteuerrechtlichen Bestimmungen (VfSlg. 5252/1966, 7280/1974, 7462/1974, 8709/1979) sowie von Vorschriften des ASVG und GSPVG (VfSlg. 5319/1966, 5750/1968, 5984/1969, 6345/1970, 6673/1972, 6772/1972, 6948/1972) Bezug genommen, die jeweils eine derartige, ausschließlich auf ein bestimmtes Angehörigenverhältnis abstellende Regelung trafen. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung findet der VfGH auch unter Berücksichtigung der vorhin angeführten rechtspolitischen Gründe keine sachliche Rechtfertigung für die Regelung, deren Verfassungsmäßigkeit auch von Stoll, Bundesabgabenordnung (1980), S 38 f., sowie in den oben angeführten Literaturstellen bezweifelt wird."

III. Die Bundesregierung sah von einer Äußerung ab.

IV. 1. Im Gesetzesprüfungsverfahren kam nichts hervor, was gegen die vorläufigen Annahmen des VfGH sprechen könnte. Dies gilt sowohl für die Annahme, daß die Erben des Bf. zur Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens befugt sind, da der im Beschwerdeverfahren angefochtene Bescheid (nunmehr) in ihre Rechtssphäre eingreift, und daß die übrigen im Prüfungsverfahren zu beachtenden Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, als auch für die aus dem Blickwinkel eines Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot angenommenen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die in Prüfung gezogenen Worte im ersten Satz des §16 BAO waren sohin als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die übrigen Entscheidungen stützen sich auf Art140 Abs7 zweiter Satz, Abs6 erster Satz und Abs5 erster Satz B-VG.

Schlagworte

Finanzverfahren, Haftung Finanzverfahren, VfGH / Legitimation, Zivilrecht, Erbrecht, Ehe und Verwandtschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:G130.1984

Dokumentnummer

JFT_10159073_84G00130_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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