TE Vfgh Erkenntnis 1984/10/8 B629/80

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Veröffentlicht am 08.10.1984
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
EStG §25 Abs1 Z3
EStG §67 Abs8
EStG §67 Abs10

Beachte

Anlaßfall zu VfSlg. 10184/1984

Leitsatz

B-VG Art140 Abs7; Anhängigkeit eines Beschwerdeverfahrens im Zeitpunkt der Ausschreibung der Verhandlung in einem Gesetzesprüfungsverfahren begründet Anlaßfallwirkung EStG 1972; Abweisung eines Antrages auf Rückerstattung zu Unrecht einbehaltener Lohnsteuer für die Auszahlung eines Pensionsrückstandes (Waisenrente) gemäß §67 Abs10; Lohnsteuerfreiheit der Waisenrente nach Aufhebung des §25 Abs1 Z3; Rechtsverletzung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Der Bf. ist der Sohn des am 25. Feber 1975 verstorbenen P G, der im Zeitpunkt des Todes Pensionsbezieher der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten (PVAng) war.

Auf seinen am 25. März 1975 gestellten Antrag wurde dem Bf. mit Bescheid der PVAng vom 26. Feber 1979 eine Waisenpension für den Zeitraum vom 25. Feber 1975 bis 30. April 1977 zuerkannt. Ihre Höhe betrug im Jahre 1975 monatlich 1738,80 S, im Jahre 1976 monatlich 1938,80 S und im Jahre 1977 monatlich 2074,50 S.

Der aufgrund dieses Bescheides gebührende Pensionsrückstand betrug 56654,60 S. Er wurde von der PVAng nach §67 Abs10 des Einkommensteuergesetzes 1972 (EStG 1972) versteuert. Die PVAng behielt einen Betrag von 25710,20 S an Lohnsteuer ein und führte ihn dem Finanzamt für Körperschaften ab. Die Differenz von 30944,40 S wurde dem Bf. am 6. März 1979 ausbezahlt.

b) Am 14. März 1979 beantragte der Bf. beim Finanzamt für Körperschaften die Rückerstattung dieser - seiner Meinung nach zu Unrecht einbehaltenen - Lohnsteuer. Er begründete dies damit, daß dann, wenn die Waisenrente laufend ausbezahlt worden wäre, er überhaupt keine oder eine wesentlich geringere Lohnsteuer zu entrichten gehabt hätte.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom 15. September 1980 wurde dieser Rückerstattungsantrag abgewiesen.

Der Bescheid wurde im wesentlichen damit begründet, daß gemäß §240 Abs3 BAO nur unrichtig einbehaltene Lohnsteuer rückzuerstatten sei. Die PVAng habe aber die Versteuerung der nachgezahlten Waisenpension richtig vorgenommen, sodaß eine Rückerstattung nicht in Betracht komme: Die Pensionsnachzahlung für abgelaufene Kalenderjahre zähle zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gemäß §25 Abs1 Z3 EStG 1972; sie habe wegen des von der PVAng abzuführenden Verwaltungsverfahrens erst später durchgeführt werden können. Zum Zeitpunkt der Auszahlung sei der Bf. nicht im Genuß einer laufenden Pensionszahlung gestanden, sodaß bei der Steuerbemessung §67 Abs8 EStG 1972 nicht - wie vom Bf. begehrt - habe angewendet werden können; vielmehr sei der gesamte Nachzahlungsbetrag gemäß §67 Abs10 EStG 1972 wie ein laufender Bezug nach dem Lohnsteuertarif zu versteuern gewesen. Die Tatsache, daß bei laufender Auszahlung der Pension keine oder nur eine geringe Steuerpflicht entstanden wäre, rechtfertige den Antrag auf Rückzahlung zu Unrecht entrichteter Steuer iS des §240 Abs3 BAO in keiner Weise.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die Beschwerde wird damit begründet, daß entweder §67 Abs8 EStG 1972 gleichheitswidrig sei oder aber die Behörde dieser Bestimmung fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt habe.

3. Die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. als bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. 1. Aus Anlaß dieser Beschwerde leitete der VfGH gemäß Art140 Abs1 B-Vg von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §67 Abs8 EStG 1972 idF der Nov. BGBl. 469/1974 ein.

Mit Beschluß vom 5. Oktober 1984, G83/84, stellte er das Gesetzesprüfungsverfahren jedoch mangels Präjudizialität der Gesetzesbestimmung ein, dies deshalb, weil in diesem Beschwerdeverfahren die die Steuerpflicht für Pensionen begründende Vorschrift des §25 Abs1 Z3 EStG 1972 nicht mehr anzuwenden ist (s. unter III.2.), sodaß der VfGH bei Entscheidung über die vorliegende Beschwerde §67 Abs8 EStG 1972 außer Betracht zu lassen hat.

2. Aus Anlaß einer anderen Beschwerde leitete der VfGH gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §25 Abs1 Z3 EStG 1972 ein und hob diese Gesetzesstelle mit dem Erk. G101/84 vom 30. Juni 1984 als verfassungswidrig auf.

III. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach §25 Abs1 EStG 1972 sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Arbeitslohn) ua. alle Bezüge und Vorteile aus einem bestehenden oder früheren (privat- oder öffentlich-rechtlichen) Dienstverhältnis (Z1) und Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung (Z3).

Der VfGH hat zwar aus Anlaß dieser Beschwerde kein amtswegiges Verfahren zur Prüfung des §25 Abs1 Z3 EStG 1972 eingeleitet. Dieses Beschwerdeverfahren war aber zum Zeitpunkt der Ausschreibung der Verhandlung in dem zu G101/84 geführten Gesetzesprüfungsverfahren, das zur Aufhebung dieser Gesetzesbestimmung führte (s. oben II.2.) bereits anhängig. Dieses Beschwerdeverfahren ist daher als Anlaßfall iS des Art140 Abs7 B-VG zu qualifizieren (s. VfSlg. 10067/1984).

2. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, bewirkt die Aufhebung einer Gesetzesbestimmung als verfassungswidrig für den Anlaßfall, daß sie auf ihn nicht mehr anzuwenden ist. Die vorliegende Beschwerdesache ist daher so zu beurteilen, als ob die aufgehobene Gesetzesstelle bereits im Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches und demnach auch in dem der Erlassung des angefochtenen, über die begehrte Rückzahlung der Abgabe absprechenden Bescheides nicht mehr dem Rechtsbestand angehört hätte. Die bel. Beh. hätte sohin bei ihrer Entscheidung über den geltend gemachten Erstattungsanspruch auf dem Boden des §240 Abs3 BAO so vorzugehen gehabt, als ob die Waisenrente des Bf. lohnsteuerfrei zu belassen gewesen wäre und der dementsprechende Steuerbetrag vom Abfuhrpflichtigen - infolge der Unanwendbarkeit des §25 Abs1 Z3 EStG 1972 - zu Unrecht einbehalten wurde.

Daraus folgt, daß der Bf. durch den bekämpften Bescheid wegen der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt wurde; der Bescheid war sohin aufzuheben.

Schlagworte

Einkommensteuer, Einkunftsarten Arbeit nichtselbständige, Renten, FfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1984:B629.1980

Dokumentnummer

JFT_10158992_80B00629_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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