TE Vfgh Beschluss 1985/3/14 B13/85

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.03.1985
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art91 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
Geschwornen- und SchöffenlistenG
StPO §13 Abs4
StPO §14 Abs2

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; den Geschwornengerichten des geltenden Rechtes kommt Gerichtsqualität zu; keine Zuständigkeit des VfGH zur Überprüfung des Urteiles eines Geschwornengerichtes

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit Urteil des Geschwornengerichtes am Sitz des Kreisgerichtes Korneuburg vom 18. Dezember 1984, Z ... Vr 949/82, wurde über den Bf. wegen des Verbrechens des Mordes, begangen nach §75 StGB und des Vergehens nach §36 Abs1 lita Waffengesetz eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Jahren verhängt und seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

2.1. Gegen diese - vom Bf. als verwaltungsbehördlicher Bescheid gewertete - Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der er die Gerichtsqualität von Geschwornengerichten bestreitet und die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie des aus Art6 Abs1 erster Satz MRK erfließenden Rechtes, wonach Gerichte über die Stichhaltigkeit einer Anklage zu entscheiden haben, geltend macht. Der Bf. beantragt, allenfalls nach amtswegiger Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen der §§13 Abs4 und 14 Abs2 StPO bzw. der in der Beschwerde näher bezogenen Bestimmungen des Geschwornen- und Schöffenlistengesetzes (GSchLG), die Aufhebung der bekämpften Entscheidung.

2.2. Im wesentlichen wird in der Beschwerde ausgeführt, daß die Gerichtsqualität von Geschwornengerichten nur dann bejaht werden könnte, wenn die Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit durch die Organisationsgesetze auch für Geschworne gewährleistet wären. Derartige einfachgesetzliche Vorschriften seien aber für Geschworne nicht vorhanden.

§13 Abs4 StPO, der für Geschworne gemäß §14 Abs2 leg. cit. sinngemäß gelte (demnach sind die für Richter geltenden Vorschriften auch für Geschworne anzuwenden), sei, da es sich um eine dynamische Verweisung handle, offenkundig mit Verfassungswidrigkeit belastet. §305 Abs1 StPO, der die Beeidigung der Geschwornen zum Gegenstand habe, bringe - nach Inhalt des abzulegenden Eides - nur die Verpflichtung der Geschwornen zum Ausdruck, dem Gesetz Geltung zu verschaffen, wie dies nach §7 BDG auch im Gelöbnis für Beamte vorgesehen sei, gewährleiste aber keine Unabhängigkeit der Geschwornen. Nach Ansicht des Bf. werde vielmehr durch mehrere Bestimmungen des GSchLG, insbesondere deren §§29 Abs1, 30 Abs1, 31 Abs2 iVm. 31a Abs1 sowie

§39 Abs1, der Exekutive überragender Einfluß auf die Auswahl der als Geschworne zu berufenden Personen und deren Streichung aus der Liste der Geschwornen eingeräumt, sodaß von einer Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit keine Rede sein könne.

Demnach sei aber auch Art6 MRK nicht entsprochen.

Ein Vergleich der heute geltenden Vorschriften der StPO mit den im Zeitpunkt der Erlassung des B-VG geltenden Bestimmungen zeige aber ferner, daß damals mit dem Begriff "Geschworne" eine andere Vorstellung verknüpft gewesen sei, sodaß der "Geschworne" des jetzt geltenden Strafprozeßrechtes gar nicht mehr dem Verfassungsbegriff des Art91 Abs2 B-VG entspreche.

3. Der VfGH hat erwogen:

3.1. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschwerde wäre, daß Geschwornengerichten die Gerichtsqualität abzusprechen ist.

Bei der bekämpften Entscheidung handelt es sich um das Urteil eines Geschwornengerichtes, einer Einrichtung, die sich im Dritten Hauptstück des B-VG im Abschn. "B. Gerichtsbarkeit" findet. Wie sich aus den Bestimmungen des B-VG ergibt, ist die Gerichtsbarkeit prinzipiell Aufgabe von Berufsrichtern. Der Gerichtstyp "Geschwornengericht" ist jedoch dadurch charakterisiert, daß an der Rechtsprechung nicht nur Berufsrichter, sondern auch Geschworne als Vertreter des Volkes mitwirken.

Der Bf. behauptet nun, daß sich Geschworne des geltenden Rechtes von Geschwornen, wie sie das Bundes-Verfassungsgesetz im Zeitpunkt seiner Erlassung verstanden habe, in einem Maße unterschieden, daß Geschwornengerichten des geltenden Rechts die Gerichtsqualität nicht mehr beizumessen sei; dies ergebe sich aus der Unterschiedlichkeit der Bestimmungen hinsichtlich der Bestellung und Enthebung von Geschwornengerichten des GSchLG und hinsichtlich der Mitwirkung von Geschwornen im Geschwornengerichtsverfahren der StPO im Vergleich zu den maßgeblichen Bestimmungen im Zeitpunkt der Erlassung der Bundesverfassung.

Damit zielt aber die Beschwerde in eine falsche Richtung. Nach dem Willen der Verfassung besteht die Mitwirkung des Volkes an der Rechtsprechung bei Geschwornengerichten darin, daß an der Entscheidung neben Berufsrichtern Personen mitwirken, die diese Funktion aufgrund einer staatsbürgerlichen Pflicht wahrnehmen. Dies trifft auf die Regelungen des geltenden Rechts offenkundig zu. Die vom Bf. bekämpfte Entscheidung ist demnach das Urteil eines Geschwornengerichtes iS des B-VG.

3.2. Damit fehlt aber dem VfGH die Zuständigkeit zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde.

Daraus ergibt sich, daß es dem VfGH auch verwehrt ist, auf Fragen einzugehen, die die Verfassungsmäßigkeit von Bestimmungen der StPO über das Geschwornengerichtsverfahren und des GSchLG über die Erstellung der Geschwornenliste und allfälliger Streichungen aus derselben betreffen, da es sich hiebei nicht um Normen handelt, die aus Anlaß der Beurteilung der Zuständigkeit des VfGH für die Behandlung der vorliegenden Beschwerde von ihm anzuwenden sind.

3.3. Die Beschwerde war daher zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG 1953 ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.

Schlagworte

Strafrecht, Strafprozeßrecht, VfGH / Zuständigkeit, Gericht, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B13.1985

Dokumentnummer

JFT_10149686_85B00013_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten