TE Vfgh Erkenntnis 1985/6/12 V19/82

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Veröffentlicht am 12.06.1985
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
Tir BauO §6 Abs1
Tir LandesbauO §10
Tir RaumOG §28
Tir RaumOG §31 Abs3
Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Seefeld in Tirol vom 24.04.79. Nr 031-2-1979, über die Veränderung von Festlegungen des Bebauungsplanes. Festsetzung der Baufluchtlinie

Beachte

Anlaßfall VfSlg. 10486/1985

Leitsatz

Tir. RaumOG; V des Gemeinderates der Gemeinde Seefeld in Tir. vom 24. April 1979 über die Veränderung von Festlegungen des Bebauungsplanes, Festsetzung der Baufluchtlinie, nicht gesetzwidrig - die in §28 Abs1 litb normierte Verpflichtung des Verordnungsgebers, bestehende Bebauungs(Verbauungs)pläne zu ändern, um Widersprüche zum Gesetz zu vermeiden, umfaßt auch Änderungen, die erforderlich sind, den Plan der gesetzlichen Regelung anzupassen

Spruch

Die V des Gemeinderates der Gemeinde Seefeld in Tir. vom 24. April 1979, Nr. 031-2-1979, über die Veränderung von Festlegungen des Bebauungsplanes, Festsetzung der Baufluchtlinie, wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim VfGH ist zu B201/81 ein Verfahren über eine Beschwerde gegen die Versagung der Baubewilligung für den Anbau zu einem Hotel anhängig. Die bekämpfte Versagung der Baubewilligung stützt sich insbesondere auf die V des Gemeinderates der Gemeinde Seefeld in Tir. vom 24. April 1979, Nr. 031-2-1979, über die Veränderung von Festlegungen des Bebauungsplanes, Festsetzung der Baufluchtlinien, durch die die Festsetzung der Baufluchtlinien mindestens 4 m hinter der Straßenfluchtlinie angeordnet ist.

2. Bei der Beratung über diese Beschwerde sind beim VfGH Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der eben zitierten V entstanden. Aus Anlaß dieses Beschwerdefalles hat der VfGH beschlossen, ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der V einzuleiten (Beschl. vom 4. März 1982, B201/81-14).

3. Der Gemeinderat und die Tir. Landesregierung haben Äußerungen erstattet, in denen die V verteidigt und beantragt wird, die in Prüfung gezogene V nicht als gesetzwidrig aufzuheben.

4. Der VfGH hat erwogen:

4.1. Die in Prüfung gezogene V hat folgenden Wortlaut:

"Die Baufluchtlinie ist mindestens 4 m hinter der Straßenfluchtlinie (Grenze zwischen Bauland und Verkehrsfläche) festzusetzen. In Baulücken sind Abweichungen zulässig, wenn die Gestaltung des Straßenbildes dies erfordert (§7 Abs9 TBO)."

4.2. Der VfGH hat in dem dieses Verfahren einleitenden Beschl. vorläufig angenommen, daß die Beschwerde zulässig ist und daß er die in Prüfung gezogene V bei der Prüfung der Beschwerde anzuwenden hat. Diesen Annahmen des Gerichtshofes ist im Verfahren nicht entgegengetreten worden.

Das Beschwerdeverfahren, das Anlaß zu diesem Verordnungsprüfungsverfahren bildet, ist, da alle Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig. Die im Anlaßverfahren bel. Beh. hat bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides die in Rede stehende V angewendet, auch der VfGH hat sie bei der Prüfung der Beschwerde anzuwenden.

Das Verordnungsprüfungsverfahren ist daher zulässig.

4.3. Mit der in Prüfung gezogenen V wurde die Legende des (Be-)Verbauungsplanes der Gemeinde Seefeld geändert. Die vorher geltende Regelung der Baulinie vom 20. Dezember 1962 hatte folgenden Wortlaut:

"Die Baulinie ist mindestens 4,0 m hinter der Straßenfluchtlinie (Grenze zwischen Bauland und Verkehrsfläche) festzusetzen. In Baulücken sind Abweichungen zulässig, wenn die Gestaltung der Straßen dies erfordert.

Dies trifft nur für die offene Bauweise zu. Für die geschlossene Bauweise gelten die Bestimmungen des §18 TLBO."

(Tir. Landesbauordnung, LGBl. 12/1928)

4.3.2. Eine Änderung bestehender Bebauungspläne - gleiches gilt für die Änderung der bei Inkrafttreten des Tir. Raumordnungsgesetzes (TROG) in Geltung gestandenen Verbauungspläne (Wirtschaftspläne) - hat gemäß §28 Abs1 TROG zu erfolgen,

"soweit dies

a) durch eine Änderung der für die Planung bedeutsamen Gegebenheiten oder

b) zur Vermeidung von Widersprüchen zu Gesetzen und Verordnungen des Bundes oder des Landes erforderlich

ist. Bebauungspläne sind überdies zu ändern, soweit dies durch eine Änderung des Flächenwidmungsplanes notwendig ist."

Nach Abs2 leg. cit. dürfen Bebauungspläne nur geändert werden, "soweit wichtige Gründe hiefür vorliegen und die Änderung den Zielen der örtlichen Raumordnung nicht widerspricht. Bei der Prüfung der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist auch in Erwägung zu ziehen, ob durch die Änderung wesentliche private Interessen beeinträchtigt werden".

4.3.3. Hievon ausgehend äußerte der VfGH das Bedenken, daß ihm weder eine Änderung für die Planung bedeutsamer Gegebenheiten erkennbar noch eine Änderung der Gesetzeslage (oder des Flächenwidmungsplanes) ersichtlich sei, die eine Änderung des (Be-)Verbauungsplanes durch die in Prüfung gezogene V erforderlich gemacht habe. Er äußerte weiters, daß ihm auch ein wichtiger Grund iS des §28 Abs2 TROG nicht erkennbar sei; aus den von der Tir. Landesregierung vorgelegten Unterlagen scheine nur hervorzugehen, daß die Änderung den Zielen der örtlichen Raumordnung nicht widerspreche. Auch wenn das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu bejahen wäre, hege der VfGH das weitere Bedenken, daß dem Gebot des §28 Abs2 zweiter Satz TROG nicht entsprochen werde, wonach bei einer Änderung des Bebauungsplanes in Erwägung zu ziehen ist, ob hiedurch wesentliche private Interessen beeinträchtigt werden. Daß solche Interessen betroffen wurden, sei dem Verordnungsgeber offensichtlich bewußt gewesen, da sich aus der Aktenlage ergebe, daß gerade das Bauprojekt des Bf. Anlaß für die Neuregelung war, sodaß zumindest die privaten Interessen des Bf. beeinträchtigt seien. Der zweite Satz des §28 Abs2 TROG scheine den Verordnungsgeber zu verpflichten, private Interessen zu berücksichtigen, soweit dies unter Wahrung der öffentlichen Interessen möglich sei.

4.4. Sowohl der Gemeinderat als auch die Tir. Landesregierung vermeinen demgegenüber in ihren Äußerungen, daß schon aus der Sicht des Tatbestandes der litb des §28 Abs1 TROG die Änderung des Verbauungsplanes zur Vermeidung eines Widerspruches zum Gesetz zu erfolgen hatte.

4.5.1.1. Der Gemeinderat begründet dies damit, daß die Legende zum Verbauungsplan, wie sie am 20. Dezember 1962 beschlossen worden sei, auf die damals geltende Tir. Landesbauordnung verwiesen habe, welche inzwischen durch die neue Tir. Bauordnung (TBO) aufgehoben worden sei. Die in der Legende dargestellte Regelung habe daher der am 1. Jänner 1975 in Kraft getretenen TBO widersprochen.

Es sei auch nicht zu eruieren gewesen, ob der Einleitungssatz des zweiten Absatzes "Dies trifft nur für die offene Bauweise zu" sich auf den ganzen ersten Absatz oder nur auf dessen letzten Satz bezogen habe. Geht man von der ersten Annahme aus, dann hätte die Regelung keine Aussage über die Baulinie in der geschlossenen Bauweise getroffen; wäre nämlich die Baulinie nur für die offene Bauweise festgelegt worden, so hätte für die geschlossene Bauweise der §18 TLBO gegolten, was jedoch keinen Sinn ergeben hätte, weil durch §18 TLBO eine ganz andere Materie geregelt gewesen sei. Hätte sich aber der zitierte Hinweis nur auf den letzten Satz des vorherigen Absatzes der Legende bezogen, so wäre hieraus zu schließen gewesen, daß in der offenen Bauweise in Baulücken Abweichungen zulässig waren, wohingegen für die geschlossene Bauweise der §18 TLBO gegolten habe. Der Gemeinderat sei zu dem Schluß gekommen, daß die Baulinie für beide Bauzonen in gleicher Weise gegolten hätte.

Zur Beseitigung dieser Unklarheit und der Bezugnahme auf die nicht mehr geltende Bestimmung des §18 TLBO habe es der Gemeinderat für notwendig erachtet, die in Prüfung gezogene V zu erlassen.

4.5.1.2. Die Tir. Landesregierung hegt demgegenüber keinen Zweifel, daß sich der Hinweis "Dies trifft nur für die offene Bauweise zu" auf den ganzen ersten Absatz der am 20. Dezember 1962 beschlossenen Legende des Verbauungsplanes bezogen hatte; daß also die Anordnung, daß die Baulinie mindestens 4 m hinter der Straßenfluchtlinie festzusetzen sei, jedoch Abweichungen in Baulücken zulässig wären, wenn die Gestaltung des Straßenbildes dies erfordere, nur die offene Bauweise betraf. Sie vermeint jedoch, aus dem letzten Satz des zweiten Absatzes, der auf §18 TLBO verwiesen habe, ergebe sich, daß der Gemeinderat bei der Beschlußfassung offensichtlich der Meinung gewesen sei, damit eine Aussage über den Abstand von Nachbargebäuden getroffen zu haben; es sei auch nicht auszuschließen, daß bei der Verfassung der Bestimmung ein Satz ausgelassen worden sei. All dies führe zu einer Widersprüchlichkeit der Regelung; ein solcher Widerspruch sei jedenfalls aber durch die Verweisung auf die bei Erlassung der Regelung noch in Geltung gestandene TLBO mit dem Inkrafttreten der TBO entstanden. Die in Prüfung gezogene V habe zur Aufhebung dieses Widerspruches gedient und finde im §28 Abs1 litb TROG Deckung.

4.5.2. Die vom VfGH im Einleitungsbeschl. aufgeworfenen Bedenken treffen im Ergebnis tatsächlich nicht zu:

4.5.2.1. Mit der Tir. Landesregierung ist der VfGH, worauf zunächst verwiesen sei, der Ansicht, daß sich die Aussage des ersten Satzes im Abs2 der Verbauungsplanlegende vom 20. Dezember 1962 "Dies trifft nur für die offene Bauweise zu" auf die vorausgehende Regelung des ersten Absatzes insgesamt bezogen hat.

Der Versuch des Gemeinderates, einen Bezug nur zu der im zweiten Satz des ersten Absatzes enthaltenen Ausnahmeregelung für Baulücken herzustellen, scheitert schon an der Gliederung und dem hiedurch gebotenen sprachlichen Verständnis des Verordnungstextes. Für die geschlossene Bauweise enthält der Verbauungsplan somit lediglich eine Verweisung auf §18 TLBO. Was immer diese Verweisung zu bedeuten hatte, eine Baufluchtlinie wurde damit keinesfalls festgelegt.

4.5.2.2. Gemäß §31 Abs3 TROG bleibt ein nach den Bestimmungen der TLBO erlassener Verbauungsplan bis zur Erlassung eines Flächenwidmungs- bzw. Bebauungsplanes, der den Bestimmungen des TROG entspricht, weiterhin in Kraft (vgl. VfSlg. 9112/1981). Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber implizit in Kauf genommen, daß bei Inkrafttreten des TROG bestehende Verbauungspläne auch im Widerspruch zur neuen Rechtslage stehen können, ohne zu invalidieren; dies entspricht auch den wiederholten Aussagen des VfGH (vgl. VfSlg. 8167/1977, 8330/1978, 10007/1984), daß ein Verbauungsplan nach wie vor an den gesetzlichen Bestimmungen, auf die sich seine Erlassung stützte, zu messen ist. Hieraus ergibt sich zunächst, daß die Gesetzmäßigkeit des Verbauungsplanes vom 20. Dezember 1962 anhand der Bestimmungen der TLBO zu beurteilen ist. §10 leg. cit. ordnete nun an, daß "bei Bauführungen jeder Art an öffentlichen Straßen und Wegen ... innerhalb der geschlossenen Ortschaften die festgesetzte Baulinie einzuhalten" war. Dieser Bestimmung ist die Anordnung des Gesetzgebers zu entnehmen, daß in geschlossenen Ortschaften eine Baulinie sowohl für die offene als auch für die geschlossene Bauweise festzulegen war. Gerade dies war aber im Verbauungsplan der Gemeinde Seefeld vom 20. Dezember 1962 für die geschlossene Bauweise - in gesetzwidriger Weise - unterblieben.

4.5.2.3. Mit der in Prüfung gezogenen Regelung vom 24. April 1979 wurde der Verbauungsplan vom 20. Dezember 1962 dahin geändert, daß eine Baufluchtlinie allgemein - also auch für die geschlossene Bauweise - festgelegt wurde. Allerdings war bereits mit 1. Jänner 1975 die TBO in Kraft getreten, sodaß der Widerspruch zur Regelung des §10 TLBO für die in Frage stehende Änderung nicht mehr maßgeblich sein kann. Eine Regelung, daß der Abstand baulicher Anlagen von der Verkehrsfläche durch die im Bebauungsplan festgelegten Baufluchtlinien bestimmt wird, findet sich jedoch auch in §6 Abs1 TBO. Wenn auch Abs4 leg. cit. Näheres über den Abstand baulicher Anlagen von der Verkehrsfläche für den Fall vorsieht, daß kein Bebauungsplan besteht, ergibt sich aus Abs1 leg. cit., daß es dem Verordnungsgeber obliegt, die Baufluchtlinie generell festzulegen, wenn er einen Bebauungsplan erläßt. Auch auf dem Boden der TBO entsprach der Verbauungsplan vom 20. Dezember 1962 somit nicht dem Gesetz.

4.5.2.4. Der VfGH hat im Einleitungsbeschl. das Bedenken geäußert, daß die Änderung des Verbauungsplanes vom 20. Dezember 1962 durch die in Prüfung gezogene Regelung im §28 TROG - der für die Äußerung maßgeblich war (vgl. VfSlg. 8425/1978) - keine Deckung fände. Der VfGH konnte insbesondere nicht erkennen, daß eine Änderung zur Vermeidung eines Widerspruches mit dem Gesetz (§28 Abs1 litb TROG) zu erfolgen hatte. Nach dem bereits Dargelegten kann der VfGH diese Ansicht nicht weiter aufrechterhalten. Mit der Verbauungsplanlegende vom 20. Dezember 1962 wurde - ungeachtet der verwendeten Formulierung "festzusetzen" - die Baulinie für die offene Bauweise - und nur für diese - (mindestens) 4 m hinter der Straßenfluchtlinie festgelegt. Entgegen §10 TLBO ist eine solche Festlegung für die geschlossene Bauweise unterblieben. Auch nach §6 Abs1 TBO ist der Verordnungsgeber verpflichtet, eine Baulinie generell festzulegen, sobald er einen Bebauungsplan erläßt. §28 Abs1 litb TROG verpflichtet den Verordnungsgeber, bestehende Bebauungs(Verbauungs)pläne zu ändern, wenn dies zur Vermeidung von Widersprüchen zum Gesetz erforderlich ist. Das Vorliegen dieses Tatbestandes ist nach Meinung des VfGH auch dann zu bejahen, wenn die Änderung eines Bebauungs(Verbauungs)planes erforderlich ist, um ihn der gesetzlichen Regelung anzupassen. Gerade dieses Ergebnis wurde aber durch die in Prüfung gezogene V bewirkt.

Das Bedenken, daß die V des Gemeinderates vom 24. April 1979 in Widerspruch zu §28 TROG erlassen wurde, trifft somit nicht zu. Damit war nicht mehr auf die Frage einzugehen, ob auch wichtige Gründe iS des §28 Abs2 TROG zur Änderung vorlagen.

Es war daher auszusprechen, daß die V des Gemeinderates der Gemeinde Seefeld vom 24. April 1979 nicht als gesetzwidrig aufgehoben wird.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Bebauungsplan, Verordnungserlassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:V19.1982

Dokumentnummer

JFT_10149388_82V00019_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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