TE Vfgh Erkenntnis 1985/9/26 A29/84

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Veröffentlicht am 26.09.1985
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art137 / Allg
B-VG Art137 / ord Rechtsweg
B-VG Art137 / sonstige zulässige Klagen
ABGB §1431 ff, §1042
ASVG-Nov 39, ArtV Abs1
ASVG §23 Abs1 Z1
ASVG §32 Abs1
ASVG §436

Leitsatz

ASVG; Klage der Vbg. Gebietskrankenkasse auf Rückzahlung gemäß ArtV Abs1 der 39. Nov. zum ASVG an den Ausgleichsfonds der Träger der Pensionsversicherung überwiesener Beträge; Zulässigkeit der Klage gemäß Art137 B-VG; keine Ableitbarkeit eines Anspruchs gegen den Bund aus einer Verfassungswidrigkeit der der Überweisung zugrunde liegenden Vorschrift

Spruch

Das Klagebegehren, der Bund sei schuldig, der Vbg.

Gebietskrankenkasse den Betrag von 21434886,22 S samt 4 vH Zinsen ab 21. April 1984 und den Betrag von 35876804,22 S samt 4 vH Zinsen ab 21. September 1984 zurückzuzahlen, wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Am 21. Dezember 1984 brachte die Vbg. Gebietskrankenkasse (im folgenden GKK genannt) beim VfGH gegen den Bund eine Klage nach Art137 B-VG mit dem Begehren auf ein Erkenntnis ein, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von 21434886,22 S samt 4 vH Zinsen ab 21. April und einen Betrag von 35876804,22 S samt 4 vH Zinsen ab 21. September 1984 zurückzuzahlen. Ferner wurde die Zahlung der Prozeßkosten durch die beklagte Partei begehrt. Mit der Begründung, diese Leistungen der GKK seien durch den verfassungswidrigen ArtV Abs1 der 39. Nov. zum ASVG, BGBl. 590/1983, angeordnet worden, begehrt die klagende Versicherungsanstalt die Rückzahlung der gesetzmäßig geleisteten Beträge, und zwar vom Bund, weil diesen gemäß §80 ASVG die Ausfallhaftung für die Pensionsversicherungsträger treffe (die er in den Monaten April und September zu bevorschussen habe), sodaß die Zahlung der klagenden GKK die Leistungspflicht des Bundes minderten und im Ergebnis nur der Bund (ungerechtfertigt) bereichert sei. Die GKK regt weiters an, der VfGH möge die präjudizielle Bestimmung des ArtV Abs1 der 39. Nov. zum ASVG von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen und als verfassungswidrig aufheben.

Hinsichtlich der Verfahrensvoraussetzungen wurde in der Klage behauptet, daß der Beschluß auf Erhebung der Klage beim VfGH vom zuständigen Organ der GKK, nämlich dem Vorstand, gefaßt worden sei und das Begehren einen im öffentlichen Recht wurzelnden vermögensrechtlichen Anspruch betrifft, der weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sei.

2. Der Bund erstattete zu der Klage durch den Bundesminister für soziale Verwaltung eine Gegenschrift, in der er die Zurückweisung, allenfalls die Abweisung der Klage beantragte.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Klage ist zulässig.

Die beklagte Partei wendet gegen die Klage ein, daß es nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der GKK gehöre, gegen den Bund eine Klage gemäß Art127 B-VG zu erheben. Es sei nicht Aufgabe der GKK, den Willen des Gesetzgebers zu konterkarieren, um eben jene Bestimmungen bzw. deren Vollziehung anzufechten, mit denen der Gesetzgeber den Aufgabenbereich der Anstalt festgelegt habe. Sie räumt aber selbst ein, daß die GKK gemäß §23 Abs1 Z1 und 32 Abs1 ASVG eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei und daß ihr Rechtspersönlichkeit zukomme. Sie hat eigenes Vermögen, dessen Verwaltung ihr unter Aufsicht des Bundes übertragen ist (Abschn. V des ASVG). Sie kann daher grundsätzlich vermögensrechtliche Ansprüche gegenüber dem Bund vermöge des Art137 B-VG geltend machen (vgl. auch VfSlg. 10000/1984). Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, daß die Verwendung des Vermögens der Sozialversicherung durch Gesetz bestimmt ist.

Die beklagte Partei ist weiters der Auffassung, daß es Sache der Hauptversammlung sei, den grundsätzlich und finanziell bedeutsamen Beschluß auf Erhebung einer Klage gemäß Art137 B-VG zu fassen. Sie räumt aber selbst ein, daß dem Vorstand der GKK nach Gesetz und Satzung die Geschäftsführung obliegt, soweit diese nicht durch die genannten Normen anderen Verwaltungskörpern übertragen ist. Diese Aufgabe des Vorstandes erhellt sowohl aus §436 ASVG als auch aus §7 der Satzung. Das Gesetz und die Satzung räumen aber auch Klagserhebung nach Art137 B-VG weder in grundsätzlicher noch in finanzieller Hinsicht jene Bedeutung ein, von der die beklagte Partei ausgeht. Der Vorstand hat in Übereinstimmung mit Gesetz und Satzung den Beschluß über die Erhebung der Klage gefaßt.

Die Klage betrifft vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund. Keine gesetzliche Bestimmung beruft eine Verwaltungsbehörde zu deren Erledigung. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte wäre nur gegeben, wenn es sich um eine bürgerliche Rechtssache handelte. Wie der VfGH jedoch wiederholt ausgesprochen hat, ist für Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung dann die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nicht gegeben, wenn der Vermögenszuwachs auf einem öffentlich-rechtlichen Titel beruht (VfSlg. 5386/1966, 6093/1969, 8065/1977, 8542/1979, 8666/1979, 8812/1980 und 8954/1980). Nach dem Klagsvorbringen sind die Zahlungen, um deren Ausgleich es geht, nach der erklärten Absicht der Klägerin in Erfüllung einer - hier auf ihre Grundlagen nicht zu untersuchenden - besonderen gesetzlichen Verpflichtung gegenüber dem Ausgleichsfonds der Träger der Pensionsversicherung erfolgt, einer Verpflichtung also zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts (§§23 Abs1 Z1 und 32 Abs1 ASVG) im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgaben. Infolgedessen gehören die behaupteten Ansprüche dem öffentlichen Recht an. Sie sind nicht im ordentlichen Rechtsweg auszutragen. Dieses Ergebnis läßt sich ohne Anwendung des ArtV Abs1 der 39. Nov. zum ASVG ermitteln (vgl. VfSlg. 10279/1984).

2. Das Klagebegehren ist jedoch nicht begründet.

Die Klägerin begehrt Rückzahlungen des an den Ausgleichsfonds Geleisteten vom Bund. Sie legt diesem Begehren die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über ungerechtfertigte Bereicherung (§§1341 ff. und 1042 ABGB) zugrunde. Mit welcher Wirkung eine analoge Anwendung dieser Bestimmungen auf die in Rede stehenden öffentlich-rechtlichen Verhältnisse möglich ist (vgl. zu dem von der Klägerin in erster Linie angeführten §1042 ABGB etwa VfSlg. 3354/1958 und 8178/1977), kann aber im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben; denn das Vorbringen begründet die Ansprüche auch nach diesen Bestimmungen nicht.

Die Klage behauptet die Verfassungswidrigkeit der für die Leistung maßgebenden Gesetzesstelle (ArtV Abs1 der 39. Nov. zum ASVG) und regt an, diese Vorschrift als verfassungswidrig aufzuheben. Sie träfe damit aber nur das Verhältnis der Klägerin zum Empfänger der Leistung. Die Aufhebung des Gesetzes würde zum (nachträglichen) Wegfall des Rechtsgrundes ihrer Leistung führen und einen Rückforderungsanspruch gegen den Ausgleichsfonds begründen. Diesfalls könnte aber nicht zugleich ein Regreßanspruch gegen einen anderen Rechtsträger bestehen. Die Möglichkeit, zwischen Kondiktion gegen den Empfänger und Regreß gegen den Schuldner zu wählen, wie er im bürgerlich-rechtlichen Schrifttum für gewisse Fallgruppen erwogen wird (Auckenthaler, Irrtümliche Zahlung fremder Schulden, 1980; dazu Rummel, ABGB, RZ. 7 zu §1042 ABGB), scheidet für den Bereich des öffentlichen Rechts wegen Fehlens privatautonomer Gestaltungsmöglichkeiten jedenfalls aus. Ein Anspruch gegen den Bund ist aus einer Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschrift auf Grundlage von Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes also nicht ableitbar.

Ein solcher käme nur in Betracht, wenn die Leistungen der Klägerin einen wirksamen Aufwand iS des §1042 ABGB darstellten. Dazu wäre gerade die Rechtmäßigkeit der diese Leistungen tragenden Normen erforderlich (wie zB die Vereinbarungen der Gemeinde zur Errichtung einer Straßenbeleuchtung in VfSlg. 8178/1977). Unterstellte man aber die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Gesetzesbestimmung, dann enthielte die Rechtsordnung keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß es sich um einen Aufwand "für einen anderen" gehandelt habe, den dieser "nach dem Gesetz selbst hätte machen müssen" und für den er Ersatz zu leisten hätte. Es ist dann nämlich keine Vorschrift aufzufinden, die der Ausfallhaftung des Bundes den Vorrang vor einer Leistungspflicht der Klägerin verleihen würde (vgl. VfSlg. 10279/1984).

Von welcher Seite immer die Sache betrachtet wird, Ansprüche der Klägerin gegen den Bund sind nicht begründbar.

3. Die Klage ist daher abzuweisen, ohne daß auf die Behauptung der Verfassungswidrigkeit des ArtV Abs1 der 39. Nov. zum ASVG einzugehen wäre.

Schlagworte

VfGH / Klagen, Sozialversicherung, Zivilrecht, Bereicherung Überweisung (Sozialversicherung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:A29.1984

Dokumentnummer

JFT_10149074_84A00029_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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