TE Vfgh Erkenntnis 1985/9/26 B805/83

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Veröffentlicht am 26.09.1985
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/02 Strafvollzug

Norm

MRK Art3
MRK Art8
StVG §95

Leitsatz

StVG; in §95 normierte "schonende" Überwachung der Besuche von Strafgefangenen - kein Verstoß der Regelung gegen Art3 und Art8 Abs1 MRK; keine Verletzung in den nach Art3 und Art8 MRK gewährleisteten Rechten dadurch, daß Gespräche einer Strafgefangenen mit Besuchern (nur Verwandte) nicht nur überwacht, sondern auch aufgezeichnet und einer Auswertung unterzogen werden

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Die Bf. wurde mit Urteil des Geschwornengerichtes am Sitze des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4. Feber 1977 der Verbrechen des schweren Raubes und des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt sowie eines Vergehens gegen das Waffengesetz schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Mit Urteil des OGH vom 10. Oktober 1977 wurde die Freiheitsstrafe auf 12 1/2 Jahre herabgesetzt.

Die Bf. verbüßt diese Freiheitsstrafe in der Frauenstrafvollzugsanstalt Schwarzau.

1.2. In einer an den Leiter dieser Strafvollzugsanstalt gerichteten Beschwerde führte die Bf. darüber Klage, daß Besuche bei ihr nicht nur von Strafvollzugsbediensteten, sondern jeweils auch von zwei ihr namentlich nicht bekannten, vermutlich der Sonderabteilung "Terrorismusbekämpfung" bzw. dem staatspolizeilichen Büro der Sicherheitsdirektion Wien zugehörigen Beamten überwacht würden, die abwechselnd den gesamten Gesprächsinhalt schriftlich festhielten. Die Bf. stellt den Antrag, in Hinkunft die Teilnahme von Beamten, die nicht zum Personalstand der Strafvollzugsanstalt Schwarzau gehören, an Gesprächen mit ihren Besuchern nicht zuzulassen, allenfalls das Mitschreiben oder sonstige schriftliche wie immer geartete Festhalten der Gespräche mit ihren Besuchern nicht zuzulassen.

Mit Bescheid des Anstaltsleiters vom 24. Mai 1983 wurde diese Beschwerde als unbegründet "zurückgewiesen". Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, im Hinblick auf die ehemalige Zugehörigkeit der Bf. zu einer terroristischen Vereinigung erscheine im Rahmen der Besuchsabwicklung die Beiziehung von Polizeiorganen als Sachverständige insofern gerechtfertigt, als dies zum Ausgleich der fehlenden Kenntnisse der Vollzugsorgane über das Vorgehen terroristischer Vereinigungen notwendig sei. Bei einer Überwachung der Besuche lediglich durch Vollzugsbedienstete, denen es am notwendigen Hintergrundwissen hinsichtlich der "Terrorszene" mangle, sei die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Wirksamkeit einer Besuchsüberwachung nicht gewährleistet. Es könne den als Sachverständigen beigezogenen Polizeibeamten auch nicht verwehrt sein, über den Inhalt der zu überwachenden Gespräche der Bf. Aufzeichnungen zu führen.

1.3. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 14. Oktober 1983 gemäß §121 Abs1 StVG iVm. §66 Abs4 AVG 1950 und §95 StVG keine Folge gegeben.

Hiezu wurde ausgeführt, daß nach der tatsächlichen Ausgestaltung der Überwachung der Besuche der Bf. der Einsatz der Polizeibeamten allein den Zweck verfolge, sich der Sachkunde von Beamten über die Gefahren, welche von terroristischen Vereinigungen auf die Sicherheit der Anstalt ausgehen können, zu bedienen. Die Tätigkeit der Polizeibeamten entspreche daher ihrem Wesen nach der eines Sachverständigen. Die Bediensteten der Vollzugsanstalt besäßen demgegenüber infolge ihres anders gearteten Einsatzes nicht die notwendigen Erfahrungen, um Nachrichten und Informationen aus dem Bereiche der "Terroristen-Szene" als solche erkennen zu können; demnach könne bei einer bloßen Überwachung durch Strafvollzugsbedienstete eine verschlüsselte Weitergabe von Nachrichten nicht ausgeschlossen werden.

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 MRK), auf Achtung des Privat- oder Familienlebens (Art8 MRK) und auf Gleichheit vor dem Gesetz geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Die von der Bf. - ebenfalls - gegen den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß Art131 B-VG erhobene Beschwerde wurde vom VwGH mit Erk. vom 20. Feber 1985, Z 85/01/0028, als unbegründet abgewiesen.

Der VwGH verwies zunächst darauf, daß die Behörde erster Instanz sich im Spruch, der auf Zurückweisung laute, offensichtlich im Ausdruck vergriffen habe, weil nach Inhalt der Begründung dargelegt wurde, daß das Anliegen der Bf. in den materiell-rechtlichen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes keine Deckung fände. Entgegen der Auffassung der Bf. enthielten die Bestimmungen des StVG keine Anweisung, wer allenfalls den Inhalt des zwischen dem Strafgefangenen und dem Besucher geführten Gespräches zu überwachen habe; es sei daher nicht rechtswidrig, wenn der Anstaltsleiter zur Überwachung von Gesprächen der Strafgefangenen mit Besuchern auch andere Organe als solche der Strafvollzugsanstalt erforderlichenfalls heranziehe, um den vollen Inhalt der Gespräche erkennen zu können. Die Bf. übersehe weiters, daß das Gesetz die Überwachung keineswegs nur auf das "Abhören" solcher Gespräche beschränke. Vielmehr lasse das Gesetz der Anstaltsleitung, die auf die Sicherheit und Ordnung der Anstalt Bedacht zu nehmen habe, offen, über die Art der Überwachung zu entscheiden. Die Aufzeichnung solcher Gespräche sei daher nicht rechtswidrig.

Soweit die Bf. behaupte, der Bundesminister für Justiz habe zu Unrecht die Feststellung der Behörde erster Instanz übernommen, daß die Bf. einer terroristischen Vereinigung angehöre, sei festzuhalten, daß sich die Bf. selbst in Eingaben als "die Gefangene aus der RAF in Wien" bezeichnet und "uneingeschränkt mit dem Widerstand der Gefangenen aus der RAF und der Bewegung vom 2. Juni" solidarisch erklärt habe. In einem weiteren Schreiben habe sie ausgeführt, daß sie "als Gefangene" dem bewaffneten antiimperialistischen Widerstand angehöre. Der VwGH vermöge daher weder eine Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides darin zu erblicken, daß der Bundesminister für Justiz den Begriff "schonend" im 1. Satz des §95 StVG unzutreffend ausgelegt hätte, noch, daß der bekämpfte Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet wäre.

Soweit die Bf. eine Verletzung der Art3 und 8 MRK geltend mache, habe hierüber allein der VfGH zu befinden.

4. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1. Die Bf. behauptet, in den nach Art3 und 8 MRK gewährleisteten Rechten dadurch verletzt zu sein, daß die Gespräche, die sie mit ihren Besuchern führt - obwohl es sich hiebei nur um ihre Verwandten, vor allem ihre Schwester und ihre Mutter, handle und die Gespräche rein persönliche und familiäre Themen zum Inhalt hätten - nicht nur überwacht, sondern wörtlich mitgeschrieben und in der Folge einer Auswertung unterzogen würden. Dies bewirke eine Verletzung des Ehr- und Schamgefühls, aber auch der Privatsphäre der an diesen Gesprächen Beteiligten, was als erniedrigende und menschenunwürdige Behandlung zu werten sei. Die Aufzeichnung und Auswertung der zwischen ihr und ihren Angehörigen geführten Gespräche stelle darüber hinaus eine Verletzung des durch Art8 MRK gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar, da die Gesprächsinhalte durch deren Aufzeichnung aktenkundig würden und jederzeit weiter verwendet werden könnten.

Sollten aber die Bestimmungen des StVG eine gesetzliche Deckung für die bekämpfte Vorgangsweise bieten, so wären diese, insbesondere §95 StVG verfassungswidrig, da die in Art8 Abs2 MRK vorgesehenen Voraussetzungen nicht vorlägen. Eine Aufzeichnung des Inhaltes rein persönlicher und familiärer Gespräche und eine Auswertung dieser Aufzeichnungen sei nach keiner der im Art8 Abs2 MRK umschriebenen Gesetzesvorbehalte zulässig.

4.2. Der angefochtene Bescheid stützt sich im wesentlichen auf §95 StVG, wonach Besuche von Strafgefangenen "schonend" zu überwachen sind. Die damit normativ gebotene Achtung der Menschwürde eines Strafgefangenen schließt vorweg aus, daß die Regelung gegen Art3 MRK verstößt, wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Die Regelung greift aber sehr wohl in den durch Art8 Abs1 MRK jedermann gewährleisteten Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein. Nach Art8 Abs2 MRK ist ein Eingriff in den durch Art8 Abs1 MRK gesicherten Anspruch jedoch insoweit statthaft, als dieser gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft ua. für die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig ist. Bei der nach §95 StVG vorgesehenen Überwachung von Besuchen, die von Strafhäftlingen empfangen werden, handelt es sich um eine solche Maßnahme.

Der VfGH sieht sich aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles somit nicht veranlaßt, ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der in Frage stehenden Regelung einzuleiten.

Bei Würdigung der Umstände des vorliegenden Falles finden sich aber auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die Behörde bei Vollziehung des Gesetzes ein die Menschenwürde beeinträchtigendes, als eine gröbliche Mißachtung der Bf. zu qualifizierendes Verhalten gesetzt hätte; nur ein solches Verhalten aber würde sich als Verletzung des Art3 MRK darstellen (vgl. VfSlg. 8145/1977, 8146/1977, 8296/1978, 8654/1979, 8803/1980). Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen und des sich im Rahmen der gesetzlichen Regelung haltenden Vollzuges (vgl. VwGH 20. Feber 1985 Z 85/01/0028) kann aber auch von einer Verletzung des nach Art8 MRK gewährleisteten Anspruches auf Achtung des Privat- und Familienlebens keine Rede sein.

4.3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Strafvollzug

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:B805.1983

Dokumentnummer

JFT_10149074_83B00805_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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