TE Vfgh Erkenntnis 1985/10/5 V13/85

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Veröffentlicht am 05.10.1985
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Index

27 Rechtspflege
27/04 Sonstiges

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
BGBlG 1972 §2 Abs2 litf idF BGBl 603/1981
Erlaß des Bundesministers für Justiz vom 25.08.60. ZJMZ4260/60, betreffend Unterstützungsbeiträge für Rechtspraktikanten
Gesetz vom 24.12.10. RGBl 1/1911, über die Gerichtspraxis der nicht im richterlichen Vorbereitungsdienste stehenden Rechtspraktikanten
GOG 1896
GOG 1945 §2
GOG 1945 §3 Z1
GOG 1945 §5 Abs3
GOG 1945 §16 Abs1
GOG 1945 §17 Abs3
Verordnung des Bundesministers für Justiz vom 08.01.11. RGBl 5/1911, zum Vollzuge des Gesetzes vom 24.12.10. RGBl 1/1911, über die Gerichtspraxis der nicht im richterlichen Vorbereitungsdienste stehenden Rechtspraktikanten

Beachte

Kundmachung am 11. Feber 1986 BGBl. 68/1986; Anlaßfall VfSlg. 10689/1985

Leitsatz

Erlaß des BMJ vom 25. August 1960 betreffend Unterstützungsbeiträge für Rechtspraktikanten; Verordnungscharakter des Erlasses; keine gesetzmäßige Kundmachung des Erlasses; Mangel jeder gesetzlichen Grundlage iS des Art18 Abs2 für die im Erlaß getroffene Regelung

Spruch

Der Erlaß des Bundesministers für Justiz vom 25. August 1960, Z JMZ 4260/60, idF der Erlässe vom 14. Juli 1970, Z JMZ 3197-20/70, und vom 30. April 1979, Z JMZ 599.00/6-III 1/79, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit 30. September 1986 in Kraft.

Der Bundesminister für Justiz ist zur unverzüglichen Kundmachung im BGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 20. September 1983 wurde dem Rechtspraktikanten Dr. G W aufgrund der Erlässe des Bundesministers für Justiz vom 25. August 1960, Z 4260/60, und vom 14. Juli 1970, Z 3197-20/70, ab 1. September 1983 der Unterstützungsbeitrag von monatlich 70 vH des jeweiligen Gehaltes des Richteramtsanwärters abzüglich der von Dr. G W nach dem Heeresgebührengesetz bezogenen Barleistungen (Taggeld, Dienstgradzulage, Monatsprämie) bewilligt. Ferner wurde ihm nach je dreimonatiger Gerichtspraxis eine Sonderzuwendung in der Höhe von 50 vH des monatlichen Unterstützungsbeitrages zuerkannt.

2. Der gegen diesen Bescheid von Dr. G W erhobenen Berufung gab der Bundesminister für Justiz mit Bescheid vom 29. November 1983, Z 599.00/11-III 1/83, nicht Folge und bestätigte den Bescheid erster Instanz. Hinsichtlich der Gebührlichkeit und der Bemessung des Unterstützungsbeitrages berief sich der Bundesminister in der Begründung des Bescheides nicht nur auf die beiden unter I.1. angeführten Erlässe, sondern auch auf seinen Erlaß vom 30. April 1979, Z JMZ 599.00/6-III 1/79.

3. Gegen diesen Bescheid ist beim VfGH unter B68/84 eine Beschwerde nach Art144 B-VG anhängig, in der Dr. G W behauptet, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt zu sein, und anregt, den Erlaß des Bundesministers für Justiz, der die Regelung der Unterstützungsbeiträge für Rechtspraktikanten enthält, als gesetz- und verfassungswidrig aufzuheben.

4. Bei der Beratung über die Beschwerde sind beim VfGH Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des Erlasses des Bundesministers für Justiz vom 25. August 1960, Z JMZ 4260/60, idF der Erlässe vom 14. Juli 1970, Z JMZ 3197/70, und vom 30. April 1979, Z JMZ 599.00/6/III 1/79, entstanden. Der Erlaß hat folgenden Wortlaut:

"1. Dem in der Gerichtspraxis stehenden Rechtspraktikanten kann auf Ansuchen während der Dauer dieser Praxis ein monatlicher Unterstützungsbeitrag bewilligt werden, wenn er die ihm obliegenden Pflichten erfüllt.

(Fassung JMZ 599.00/6-III 1/79)

2. Die Präsidenten der Oberlandesgerichte werden ermächtigt, Rechtspraktikanten auf Ansuchen die Fortsetzung der Gerichtspraxis über das Pflichtjahr hinaus und den Fortbezug des Unterstützungsbeitrages bis zur Vollendung einer 2-jährigen Rechtspraxis mit der Maßgabe zu bewilligen, daß ihnen daraus weder ein Recht noch eine Anwartschaft auf die Übernahme in den richterlichen Vorbereitungsdienst erwächst.

Dabei ist darauf zu achten, daß dadurch die Gewährung von Unterstützungsbeiträgen an die für eine Ernennung zu Beamten im richterlichen Vorbereitungsdienst in Betracht kommenden Rechtspraktikanten und an die das Pflichtjahr absolvierenden Rechtspraktikanten nicht beeinträchtigt wird.

3. (Gegenstandslos)

4. Der Unterstützungsbeitrag wird einheitlich mit monatlich 70% des jeweiligen Gehaltes des Richteramtsanwärters gemäß §65a Richterdienstgesetz einschließlich allfälliger Teuerungszulagen und Ergänzungszulagen festgesetzt.

(Fassung JMZ 599.00/6-III 1/79)

5. Rechtspraktikanten, die den Unterstützungsbeitrag beziehen, ist bei Vorliegen jener Voraussetzungen, unter denen einem Bundesbeamten des Dienststandes nach dem Gehaltsgesetz 1956 die Haushaltszulage gebührt, ein monatlicher Betrag in der Höhe der jeweiligen Haushaltszulage zu gewähren.

(Fassung JMZ 3197-20/70)

6. (Gegenstandslos)

7. Rechtspraktikanten, die den Unterstützungsbeitrag beziehen, wird nach je dreimonatiger ununterbrochener Gerichtspraxis eine Sonderzuwendung in der Höhe von 50 vH des monatlichen Unterstützungsbeitrages gewährt. Urlaub und Krankheit im Ausmaß der §§7 und 8 des Gesetzes vom 24. 12. 1910, RGBl. Nr. 1/1911, gelten hiebei nicht als eine Unterbrechung der Gerichtspraxis.

Bei einem vorzeitigen Ausscheiden vor Zurücklegung der jeweils 3-monatigen Gerichtspraxis ist der auf die tatsächlich vollstreckte Praxis entfallende verhältnismäßige Teilbetrag der Sonderzuwendung zu rechnen.

(Fassung JMZ 3197-20/70)

8. Rechtspraktikanten unterliegen der Sozialversicherungspflicht nach §4 Abs1 Z3 ASVG vom 9. 9. 1955, BGBl. Nr. 189 unabhängig davon, ob sie einen Unterstützungsbeitrag beziehen oder nicht (Vollversicherung).

9. (Gegenstandslos)

10. Allen in der Gerichtspraxis stehenden sowie den in Hinkunft eintretenden Rechtspraktikanten ist dieser Erlaß nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

11. Dieser Erlaß tritt ab 1. September 1960 in Kraft. Gleichzeitig werden alle den Unterstützungsbeitrag für Rechtspraktikanten betreffenden ho Erlässe aufgehoben, soweit sie mit diesem Erlaß in Widerspruch stehen. Es sind diese insbesondere die ho Erlässe vom 15. 5. 1946, Zl. 3686/46, vom 25. 9. 1946, Zl. 8309/46, vom 4. 9. 1948, Zl. 8394/48, vom 11. 3. 1949, Zl. 0722/48, vom 15. 2. 1950, Zl. 1395/50, vom 19. 12. 1951, Zl. 8335/51, vom 28. 7. 1952, Zl. 4745/52, vom 6. 9. 1955, Zl. 5424/55, vom 28. 5. 1956, Zl. 2425/56, vom 3. 10. 1956, Zl. 6452/56, vom 27. 7. 1959, Zl. 4313/59 und vom 13. 1. 1960, Zl. 7030/59."

Die Bedenken des VfGH wurden im Beschl. vom 28. November 1984, B68/84, wie folgt zusammengefaßt:

"Mit Rücksicht darauf, daß das Rechtsverhältnis der Rechtspraktikanten, die die Gerichtspraxis absolvieren, ein öffentlich-rechtliches zu sein scheint, geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig auch davon aus, daß die Regelung der Unterstützungsbeiträge durch die erwähnten Erlässe dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Wenn dies zutrifft, ergibt sich das Bedenken, daß die Erlässe jeder gesetzlichen Grundlage entbehren und daher in Widerspruch zu Art18 Abs2 B-VG erlassen wurden. Ferner besteht das Bedenken, daß es sich bei den erwähnten Erlässen, weil sie Rechte der Rechtspraktikanten gestalten, um Rechtsverordnungen handelt, die nach §2 Abs1 litf des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt, BGBl. 293/1972 idF BGBl. 603/1981, im Bundesgesetzblatt kundzumachen gewesen wären, was nicht geschehen ist (vgl. VfSlg. 6786/1972)."

5. Der Bundesminister für Justiz gab eine Äußerung ab, in der er, ohne in der Sache einen Antrag zu stellen, beantragte, für den Fall der Aufhebung des Erlasses wegen der notwendigen gesetzlichen Vorkehrungen für das Außerkrafttreten desselben eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.

II. 1. Die Rechte und Pflichten der Rechtspraktikanten sowie die Rechte und Pflichten der Justizbehörden gegenüber den Rechtspraktikanten sind in dem Gesetz vom 24. Dezember 1910, RGBl. 1/1911, über die Gerichtspraxis der nicht im richterlichen Vorbereitungsdienste stehenden Rechtspraktikanten, der V des Justizministers vom 8. Jänner 1911, RGBl. 5/1911, zum Vollzuge des genannten Gesetzes, und dem Gesetz vom 27. November 1896, RGBl. 217, womit Vorschriften über die Besetzung, innere Einrichtung und Geschäftsordnung der Gerichte erlassen werden (Gerichtsorganisationsgesetz-GOG) festgelegt. Gemäß §2 iVm. §3 Z1 und §5 Abs3 des Gesetzes vom 3. Juli 1945, StGBl. 47, - GOG 1945 - traten diese Vorschriften wieder in Kraft. Gemäß §16 Abs1 GOG steht dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes die Aufnahme in die Gerichtspraxis zu. Gegen die Verweigerung ist binnen 14 Tagen die Beschwerde an den Bundesminister für Justiz zulässig. Gegen den Ausschluß von der Gerichtspraxis kann gemäß §17 Abs3 letzter Satz GOG binnen 14 Tagen die Beschwerde an den Bundesminister für Justiz erhoben werden.

2. Ob ein Rechtsverhältnis ein öffentlich-rechtliches oder privatrechtliches ist, richtet sich nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. VfSlg. 6786/1972) ausschließlich danach, ob es durch einen Hoheitsakt oder durch einen Privatrechtsakt (Vertrag) begründet wird. Wie II.1. zu entnehmen ist, wird das Rechtsverhältnis der Rechtspraktikanten zum Bund durch Hoheitsakt begründet. Das Gesetz schreibt eine Vergütung nicht vor. Die Unterstützungsbeiträge an Rechtspraktikanten werden ausschließlich aufgrund von Erlässen des Bundesministers für Justiz gewährt. Da in den Erlässen eine ausdrückliche Regelung der Rechtsnatur der Unterstützungsbeiträge nicht enthalten ist, ist der VfGH der Auffassung, daß die Regelung der finanziellen Seite der Rechtsstellung der Rechtspraktikanten durch den in Prüfung gezogenen Erlaß nur eine Ergänzung der Regelung der Rechtsstellung der Rechtspraktikanten, wie sie unter II.1. umschrieben ist, darstellt und daher auch dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Der in Prüfung gezogene Erlaß hat seinem Wortlaut nach normativen Charakter. Er ist als V gemäß Art139 B-VG anzusehen. Das Prüfungsverfahren ist zulässig.

III. 1. Da der Erlaß in der hier anzuwendenden Fassung nicht nur an nachgeordnete Dienststellen gerichtet ist, sondern das Rechtsverhältnis der Rechtspraktikanten zum Bund gestaltet und diesen zur Kenntnis gebracht wird, ist er als RechtsV anzusehen. RechtsV eines Bundesministers sind nach §2 Abs2 litf des BG über das BGBl., BGBl. 293/1972 idF BGBl. 603/1981, wiederverlautbart mit V des Bundeskanzlers BGBl. 200/1985, im BGBl. kundzumachen. Da eine Kundmachung des in Prüfung gezogenen Erlasses des Bundesministers für Justiz in gesetzmäßiger Weise nicht erfolgt ist, erweist sich der Erlaß schon aus diesem Grund als gesetzwidrig.

2. Dazu kommt aber noch, daß für den Inhalt der in dem Erlaß getroffenen Regelung über Unterstützungsbeiträge für Rechtspraktikanten in Widerspruch zu Art18 Abs2 B-VG jede gesetzliche Grundlage fehlt. Er ist daher auch aus diesem Grunde gesetzwidrig (vgl. VfSlg. 6786/1972).

Der Erlaß war daher in der im Spruch angegebenen Fassung gemäß Art139 Abs1 und 3 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben.

3. Gemäß Art139 Abs5 zweiter Satz B-VG war zu verfügen, daß der Erlaß nach Ablauf eines Jahres außer Kraft tritt.

4. Die Verpflichtung des Bundesministers für Justiz zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 VerfGG idF BGBl. 311/1976.

Schlagworte

Rechtspraktikanten, Privatrecht - öffentliches Recht, Verordnungsbegriff, RechtsV, Gericht Organisation, Verordnung Kundmachung, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:V13.1985

Dokumentnummer

JFT_10148995_85V00013_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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