TE Vfgh Erkenntnis 2006/9/26 B3258/05

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Veröffentlicht am 26.09.2006
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art10
RAO §10 Abs2
RL-BA 1977 §9 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Verwendung der Berufsbezeichnung "Advokat" statt "Rechtsanwalt"; keine Bedenken gegen die maßgeblichen Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung und der Richtlinien für die Berufsausübung in Hinblick auf das Gleichheitsrecht, die Meinungsäußerungsfreiheit und die Erwerbsausübungsfreiheit; öffentliches Interesse an dieser sachlich gerechtfertigten, nicht unverhältnismäßigen Regelung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 20. November 2003 wurde der Beschwerdeführer der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er:

"1. in Ausübung seines Berufes nicht die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt[,] sondern Advokat führt und

2. die Weisung des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 26.06.2002 dahingehend, dass der DB [Disziplinarbeschuldigte] sich in Hinkunft zur Ausübung seines Berufes ausschließlich der im Gesetz begründeten Berufsbezeichnung Rechtsanwalt zu bedienen und daher sein Auftreten in der Öffentlichkeit auf diesen Umstand abzustellen hat, nicht befolgte.

Der DB hat hiedurch zu Faktum 1 gegen §9 Abs1 RL-BA verstoßen, somit Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt und zu Faktum 2 gegen §23 RL-BA verstoßen, somit sowohl Berufspflichten als auch Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt und wird hiefür gem. §38 Abs2 DSt in Verbindung mit §16 Abs1 DSt zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten, deren ziffernmäßige Bemessung einem gesonderten Beschluss gem. §41 Abs2 DSt vorbehalten bleibt, verurteilt."

1.2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 20. Juni 2005 keine Folge gegeben und das Erkenntnis des Disziplinarrates mit der Maßgabe bestätigt, dass der Beschwerdeführer durch die Fakten 1. und 2. seine Berufspflichten verletzt habe.

2. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsausübung sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

3. Die OBDK als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst in seinen Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung - nämlich des §9 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977) - verletzt worden zu sein. Die Bestimmung greife in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Meinungsfreiheit ein, weil keine der in Art10 Abs2 EMRK genannten Voraussetzungen die vorgesehene Einschränkung rechtfertige. Die Bestimmung sei außerdem gleichheitswidrig, weil sie dem "Einzelanwalt" auftrage, seinen akademischen Grad und die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" zu verwenden, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts hingegen nur einen Hinweis auf den Beruf "oktruiere". Das Argument der belangten Behörde, wonach ausschließlich die Firma der Rechtsanwaltspartnerschaft oder der Rechtsanwaltsgesellschaft einen Hinweis auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft zu enthalten habe und sich die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft der Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" zu bedienen haben, sei unzutreffend, weil die einzelnen Mitglieder einer Rechtsanwaltsgesellschaft nicht zwingend angegeben werden müssen. Schließlich liege durch die Verpflichtung, die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" zu führen, eine Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit vor.

2. Zur Rechtslage:

§9 RL-BA 1977 idF des Beschlusses des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 30. März 2001 (kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 10. April 2001 und im AnwBl. 2001, 256) lautet:

"§9. (1) Der Rechtsanwalt hat in Ausübung seines Berufes seinen akademischen Grad, Vor- und Zunamen und die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt zu führen. Niedergelassene europäische Rechtsanwälte haben dabei den Vorschriften des §12 EuRAG zu entsprechen.

(2) Die Firma einer Rechtsanwaltspartnerschaft hat bei ihrer Anmeldung den Bestimmungen des EGG zu entsprechen, wobei es genügt, den Zunamen eines die Rechtsanwaltschaft ausübenden Gesellschafters in die Firma aufzunehmen.

(3) Die Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechtes haben bei Führung einer Kurzbezeichnung, die dem Zunamen der Gesellschafter entnommen sein und den Hinweis auf den Beruf enthalten muß, auch den akademischen Grad sowie den Vor- und Zunamen jedes Gesellschafters an geeigneter Stelle anzugeben. Der Name eines berufsfremden Gesellschafters darf weder geführt noch angegeben werden."

3. Zu den geltend gemachten Normbedenken:

3.1.1. Vom Schutzumfang des Art10 Abs1 EMRK ist das Recht der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden erfasst. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Informationsfreiheit muss sohin gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein.

3.1.2. §10 Abs2 Rechtsanwaltsordnung (im Folgenden: RAO) normiert, dass ein Rechtsanwalt verpflichtet ist, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren. Gemäß §37 RAO kann der Österreichische Rechtsanwaltskammertag Richtlinien zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes (Z1) und zur Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes (Z2) erlassen. §1 Abs1 Disziplinarstatut (im Folgenden: DSt 1990) sieht vor, dass ein Rechtsanwalt, der schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt oder inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Verhalten die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt, ein Disziplinarvergehen begeht.

Bereits in VfSlg. 12.886/1991 hat der Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertreten, dass dem §10 Abs2 RAO, der inhaltlich §9 Abs1 RL-BA 1977 determiniert, verfassungskonform der Inhalt zu unterstellen ist, dass Rechtsanwälte auch bei Meinungsäußerungen die Ehre und Würde des Standes soweit zu wahren haben, als dies der Schutz der in Art10 Abs2 EMRK genannten Rechtsgüter rechtfertigt. Eine solche auf Art10 Abs2 EMRK Bedacht nehmende, verfassungskonforme Interpretation hat auch der Verordnungsgeber zu beachten.

3.1.3. Die Verpflichtung zur Verwendung der Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" in §9 Abs1 RL-BA 1977 stellt einen Eingriff in die durch Art10 Abs1 EMRK vermittelte Grundrechtsposition dar und ist daher am Gesetzesvorbehalt des Art10 Abs2 EMRK zu messen.

Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, dass die in §9 Abs1 RL-BA 1977 enthaltene Verpflichtung, die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" zu führen, in Art10 Abs2 EMRK - und somit auch in §10 Abs2 RAO sowie §1 DSt 1990 - Deckung findet. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers widerspricht es nicht der Informationsfreiheit, einer bestimmten Berufsgruppe, die aufgrund ihrer Schulbildung, Befähigung und Prüfungen eine bestimmte Berechtigung erworben hat, eine bestimmte - und eben nur diese - Berufsbezeichnung vorzuschreiben.

Die Verpflichtung zur Führung einer einheitlichen Berufsbezeichnung kann durch den Schutz der Rechte anderer gerechtfertigt werden und scheint auch im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht, das ebenfalls von der Verpflichtung zur Führung einer bestimmten Berufsbezeichnung ausgeht, notwendig zu sein.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt vor dem Hintergrund der unter Pkt. II. 3.1.2. dargelegten Rechtslage auch unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes keine Bedenken gegen §9 Abs1 RL-BA 1977. Wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, hat auch der einzelne im Rahmen einer Rechtsanwaltsgesellschaft oder Rechtsanwaltspartnerschaft tätig werdende Rechtsanwalt - unabhängig von den weitergehenden Regelungen gemäß §9 Abs2 und 3 RL-BA 1977 - die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" zu führen.

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes ist es nicht unsachlich, einer bestimmten Berufsgruppe eine bestimmte Bezeichnung vorzuschreiben und den Mitgliedern dieser Berufsgruppe zum Schutz der Rechte anderer aufzutragen, diese Berufsbezeichnung zu führen.

3.3. Da es sich somit bei der Verpflichtung gemäß §9 Abs1 RL-BA 1977 um eine im öffentlichen Interesse gelegene, sachlich gerechtfertigte und nicht unverhältnismäßige Maßnahme handelt, begegnet diese auch unter dem Gesichtspunkt der Freiheit der Erwerbsausübung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

3.4. Der Beschwerdeführer ist daher nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

4. Zu den geltend gemachten Vollzugsmängeln:

4.1. Der Beschwerdeführer behauptet eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Erwerbsfreiheit, weil durch die Feststellung des Verstoßes gegen §9 RL-BA 1977 seine "weitere Berufsausübung zu einem standeswidrigen Verhalten" werde.

4.2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes durch einen Bescheid verletzt, wenn dieser einem Staatsbürger den Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt, ohne dass ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungs- oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.470/1997, 15.449/1999; vgl. auch VfSlg. 15.431/1999).

4.3. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, dass die belangte Behörde den - gesetz- und verfassungsrechtlich unbedenklichen - §9 Abs1 RL-BA 1977 denkunmöglich angewendet oder dieser Vorschrift einen gesetz- bzw. verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat. Der Beschwerdeführer wurde somit bezüglich des Faktum 1. nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt.

4.4. Auch im Hinblick auf das Faktum 2. - die festgestellte Verletzung des §23 RL-BA 1977 - sind beim Verfassungsgerichtshof keine Bedenken entstanden, zumal sich der Beschwerdeführer zumindest bis zur Berufungserhebung vor der OBDK keinesfalls weisungskonform verhalten hat. Darüber hinaus ist die vom Beschwerdeführer unangefochten gebliebene Weisung rechtskräftig geworden.

5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

6. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Berufsrecht, Disziplinarrecht, Meinungsäußerungsfreiheit, Erwerbsausübungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B3258.2005

Dokumentnummer

JFT_09939074_05B03258_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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