TE Vfgh Erkenntnis 1985/11/28 G109/84, G153/85, G154/85

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Veröffentlicht am 28.11.1985
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/05 Lebensmittelrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
MRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
LMG 1975 §48

Beachte

Kundmachung BGBl. 10/1986 am 10. Jänner 1986; Anlaßfälle VfSlg. 10695/1985

Leitsatz

LMG 1975; die durch §48 erster Satz normierte Bestellung des Bediensteten der anzeigenden Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung zum Sachverständigen in einem Strafverfahren, das das Gutachten dieses Bediensteten ausgelöst hat, verstößt gegen Art6 MRK

Spruch

Der erste Satz des §48 des Lebensmittelgesetzes 1975, BGBl. 86, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Oktober 1986 in Kraft. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im BGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das BG Eisenstadt wies mit Beschl. vom 13. Juni 1983, U 838/82, in der Strafsache gegen A K wegen Vergehens nach §64 (§63 Abs1 Z1 und 2) des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG 1975), BGBl. 86, den Antrag des Sachverständigen DDr. F P, "ihm für seine Tätigkeit in der Hauptverhandlung am 27. Mai 1983 Sachverständigengebühren zuzusprechen", im wesentlichen mit der Begründung ab, daß der Antragsteller als Bediensteter der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung (im folgenden Bundesanstalt) gemäß §48 LMG 1975 nur das sogenannte Anzeigegutachten erläutert habe. Er sei damit lediglich seiner Dienstpflicht nachgekommen und habe keinen Anspruch auf Gebühren nach dem Gebührenanspruchsgesetz 1975 (GebAG 1975), BGBl. 136.

2. Der dagegen vom Sachverständigen DDr. P erhobenen Beschwerde gab das Landesgericht Eisenstadt als Rechtsmittelgericht mit Beschl. vom 5. September 1983, Bl 43/83, nicht Folge. Das Gericht vertrat die Auffassung, die Frage der Kosten der von der Bundesanstalt vorgenommenen Untersuchungen und Begutachtungen sei im §45 Abs2 LMG 1975 grundsätzlich und abschließend geregelt. Dies gelte auch für den im §48 LMG 1975 geregelten Fall, daß in der Hauptverhandlung ein Bediensteter der Bundesanstalt als Sachverständiger vernommen werde. Demgemäß seien diese Leistungen als Amtshilfe der Bundesanstalt dem Gericht grundsätzlich unentgeltlich zu erbringen. Das Gericht habe gemäß §381 Abs1 Z3 StPO von den Parteien hiefür eine Vergütung einzuheben, die eine Einnahme des Gerichtes darstelle.

3. Zur Entscheidung über die gegen die angeführten Beschlüsse des BG Eisenstadt und des Landesgerichtes Eisenstadt von der Generalprokuratur gemäß §33 Abs2 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wegen der ua. behaupteten Verletzung des §48 LMG 1975 ist beim OGH ein Verfahren anhängig. Der OGH hat in nichtöffentlicher Sitzung aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes der Generalprokuratur vom 12. Dezember 1983, Gw 407, 408/83, gegen die Beschlüsse des BG Eisenstadt vom 13. Juni 1983 und des Landesgerichtes Eisenstadt vom 5. September 1983 den Beschluß gefaßt, gemäß Art89 Abs2 B-VG beim VfGH den Antrag zu stellen, den ersten Satz des §48 LMG 1975 (beginnend mit: "Hat das Gericht ..." und endend mit: "... zu vernehmen ist"), allenfalls (nur) die Wortgruppe "als Sachverständigen" aus diesem Satz, als verfassungswidrig aufzuheben.

§48 LMG 1975 hat folgenden Wortlaut (der erste Satz, dessen Aufhebung der OGH beantragt hat, ist hervorgehoben):

"Hat das Gericht gegen den Befund oder das Gutachten einer Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung Bedenken oder hält es eine Ergänzung des Befundes oder Gutachtens für erforderlich oder werden gegen den Befund oder das Gutachten begründete Bedenken vorgebracht, so hat es einen Bediensteten dieser Bundesanstalt, der mit der Untersuchung oder Begutachtung befaßt war, zur Darlegung und Ergänzung ihres Befundes oder Gutachtens als Sachverständigen zu vernehmen; diese Bestimmung gilt im Verwaltungsstrafverfahren mit der Maßgabe sinngemäß, daß der Bedienstete der Bundesanstalt als Amtssachverständiger (§52 Abs1 AVG 1950) zu vernehmen ist. Im übrigen gelten für den Sachverständigenbeweis im gerichtlichen Strafverfahren die Bestimmungen der Strafprozeßordnung und im Verwaltungsstrafverfahren die Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze."

In der Begründung dieses am 10. April 1984 beim VfGH eingelangten Antrages führte der OGH nach Darstellung des Sachverhaltes aus, gegen die Verfassungsmäßigkeit der - somit im vorliegenden Fall zwecks Beurteilung der verfahrensrechtlichen Stellung des zu vernehmenden Bediensteten der Bundesanstalt sowie der Art und Höhe der damit in Zusammenhang stehenden allfälligen Ansprüche nach dem GebAG 1975 auszulegenden - Regelung des §48 LMG 1975 bestünden insoweit, als diese Bestimmung sachlich nicht gerechtfertigte, einem fairen Verfahren widersprechende Einschränkungen bei der Gestaltung des Beweisverfahrens in Strafsachen vorsehe, erhebliche Bedenken (Art7 Abs1 B-VG, Art6 Abs1 MRK).

Während im gerichtlichen Strafverfahren allgemein der Grundsatz gelte, daß die Beurteilung der Frage der Notwendigkeit der Beiziehung eines Sachverständigen und die Auswahl der hiefür in Betracht kommenden Person dem Gericht obliege (s. etwa §§119 Abs1, 248 Abs1, 254 Abs1 und 2 StPO; vgl. allerdings auch die dem Schutz des "Betroffenen" dienenden Anordnungen in den §§429 Abs2 Z2, 430 Abs4, 436 Abs2 und 439 Abs2 StPO), normiere §48 LMG 1975 ua. eine hievon abweichende Regelung (vgl. Mayer, ÖZW 1982/3, S 67). Entstünden nämlich im Zuge eines gerichtlichen Verfahrens nach dem LMG 1975 gegen ein sogenanntes "Anzeigegutachten" einer Lebensmitteluntersuchungsanstalt gemäß §44 LMG 1975 die im §48 LMG 1975 genannten Bedenken, so habe das Gericht einen "Bediensteten" der Bundesanstalt, der mit der Erstellung des Anzeigegutachtens befaßt gewesen sei, zu dessen Darlegung und Ergänzung "als Sachverständigen" zu vernehmen. Das Gericht sei daher zum Nachteil des Angeklagten - jedoch zum Vorteil der Anklagebehörde, deren Verfolgungsantrag auf dem Anzeigegutachten der Lebensmitteluntersuchungsanstalt beruhe - auf diese Weise nicht nur in der Wahl der ihm zur Aufklärung des Sachverhaltes geeignet erscheinenden Beweismittel an sich, sondern auch bei der Bestimmung der als Sachverständigen heranzuziehenden Person insofern eingeschränkt, als es den "anzeigenden" Bediensteten der Bundesanstalt mit dieser qualifizierten Funktion zu betrauen habe. In dieser dem §48 LMG 1975 innewohnenden Tendenz, das Beweisverfahren in eine für den Angeklagten nachteilige Richtung zu lenken, könnte nach Ansicht des antragstellenden Gerichtshofes - unabhängig von der Freiheit des erkennenden Gerichtes in der beweiswürdigenden Bewertung eines solchen Gutachtens - eine Verletzung des Rechtes des Beschuldigten auf ein "fair trial" iS des Art6 Abs1 MRK erblickt werden.

Die dargestellte Einschränkung der richterlichen Befugnisse bei der Gestaltung des Beweisverfahrens, vor allem bei der Auswahl von Sachverständigen, erscheine wegen der verfahrensrechtlichen Schlechterstellung von Beschuldigten in Strafverfahren nach dem LMG 1975 gegenüber Beschuldigten in anderen gerichtlichen Strafverfahren, die sich aus der notwendigen Bestellung eben jener Person zum Sachverständigen ableiten lasse, deren frühere Befassung mit dem inkriminierten Sachverhalt zu einem die Strafverfolgung auslösenden Ergebnis geführt habe, auch aus dem Gesichtspunkt einer sachlich gerechtfertigten Differenzierung im Hinblick auf Art7 B-VG und Art2 StGG verfassungsrechtlich bedenklich.

Der zur Entscheidung über die in der Strafsache gegen A K wegen Vergehens gegen §64 LMG 1975 von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zuständige Senat des OGH sehe sich daher veranlaßt, den oben wiedergegebenen Antrag zu stellen, zumal nach Eliminierung nur der verfassungsrechtlich bedenklichen Regelung "so hat es einen Bediensteten der Bundesanstalt, der mit der Untersuchung oder Begutachtung befaßt war, zur Darlegung und Ergänzung ihres Befundes oder Gutachtens als Sachverständigen zu vernehmen" eine Wortfolge bliebe, die sprachlich unverständlich wäre.

Der OGH verkenne nicht, daß die nach der derzeit gültigen Fassung des §48 erster Satz LMG 1975 im Bedenklichkeitsfall vorgesehene qualitative Veränderung des Beweismittelcharakters der Anzeige schon dadurch vermieden werden könnte, daß man - iS des gestellten Eventualantrages - den Inhalt der genannten Norm, soweit er für das gerichtliche Verfahren von Bedeutung sei, auf die Anordnung des Versuches beschränke, eine verständliche Interpretation aufklärungsbedürftiger Teile des sogenannten Anzeigegutachtens bzw. eine Klarstellung der Art der Aufnahme des diesem zugrunde liegenden Befundes durch (bloße) Vernehmung jenes Anstaltsbediensteten zu erreichen, der damit befaßt gewesen sei.

4. Die Bundesregierung erstattete zu dem Antrag des OGH eine Äußerung und stellte die Anträge, weder den ersten Satz des §48 LMG 1975 im Umfang der Anfechtung noch die Wortgruppe "als Sachverständigen" in diesem Satz als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen - auch iS des Eventualantrages - wurde beantragt, für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmung eine Frist von einem Jahr festzusetzen.

Die Bundesregierung führte aus:

"I. Die Stellung des LMG im System des gerichtlichen Strafverfahrens

1. Der Oberste Gerichtshof geht bei der Begründung seines Antrages davon aus, daß im gerichtlichen Strafverfahren allgemein der Grundsatz gilt, daß die Beurteilung der Frage der Notwendigkeit der Beiziehung eines Sachverständigen und die Auswahl der hiefür in Betracht kommenden Personen dem Gericht obliegt. Diese Ansicht wird mit der Zitierung einfachgesetzlicher Bestimmungen der Strafprozeßordnung, wie etwa des §119 Abs1, begründet. Es muß jedoch festgehalten werden, daß es sich hiebei um keinen verfassungsgesetzlich vorgesehenen Grundsatz handelt. Das heißt, daß für den einfachen Gesetzgeber durchaus die Möglichkeit besteht, von dieser Regelung im Hinblick auf die Besonderheiten einer bestimmten Verfahrensart abzugehen. Hiebei muß der einfache Gesetzgeber allerdings auf sonstige verfassungsrechtliche Schranken, wie etwa Art6 Abs1 EMRK oder Art7 B-VG, Rücksicht nehmen.

2. Der Umstand, daß das die Anzeige veranlassende Gutachten der Lebensmitteluntersuchungsanstalt zunächst die Grundlage des gerichtlichen Strafverfahrens bildet, ist eine Konsequenz der Amtsstellung der Anstalt und ein Erfordernis der Verfahrensökonomie (und der gebotenen Sparsamkeit), bedeutet aber nicht, daß das Gericht an dieses 'Anzeigegutachten' in irgendeiner Weise gebunden wäre. Vielmehr gelten nach dem letzten Satz des §48 LMG 1975 auch im Lebensmittelstrafverfahren die Bestimmungen der Strafprozeßordnung für den Sachverständigenbeweis. §48 LMG 1975 ordnet lediglich darüber hinaus an, daß bei Unklarheiten des Gutachtens der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung zuerst und jedenfalls ein Bediensteter dieser Anstalt, der mit der Untersuchung oder Begutachtung befaßt war, zur Erläuterung und Ergänzung des Befundes bzw. Gutachtens als Sachverständiger zu vernehmen ist. Diese Vorschrift des Gesetzes wirkt sich deshalb nicht - wie der Oberste Gerichtshof vermeint - 'zum Nachteil für den Angeklagten - jedoch zum Vorteil der Anklagebehörde' aus, sondern bedeutet nur, daß sich das Gericht bei Bedenklichkeit oder Ergänzungsbedürftigkeit des Gutachtens nicht einfach über dieses hinwegsetzen kann, sondern zunächst danach zu trachten hat, durch Vernehmung eines mit der Sache befaßten Bediensteten als Sachverständigen die entstandenen Bedenken auszuräumen. Eine solche Vorgangsweise ist der österreichischen Rechtsordnung, wie schon oben gesagt, nicht fremd. Die Vorschrift, zuerst immer den Amtssachverständigen heranzuziehen, findet sich schließlich auch im Verwaltungsrecht (§52 AVG 1950) und stimmt mit dem in den §§125 und 126 der Strafprozeßordnung enthaltenen allgemeinen Grundsatz überein, wonach das Gericht zunächst danach zu trachten hat, bestehende Bedenken oder Unklarheiten in bezug auf ein Sachverständigengutachten 'durch eine nochmalige Vernehmung des Sachverständigen' zu beseitigen. Ist eine das Gericht befriedigende Klärung auf diese Weise nicht möglich, so ist nach §126 StPO das Gutachten eines anderen oder zweier anderer Sachverständiger, in Fällen besonderer Schwierigkeiten gegebenenfalls das Gutachten der medizinischen Fakultät einer österreichischen Universität einzuholen. Die Geltung dieses Grundsatzes auch im Lebensmittelstrafverfahren wird durch §48 LMG 1975 in keiner Weise eingeschränkt, durch den letzten Satz dieser Gesetzesvorschrift vielmehr ausdrücklich bekräftigt.

Die vom Obersten Gerichtshof angegriffene Vorschrift des §48 LMG 1975 bedeutet somit keine Beschränkung der Beweismittel und keine Beeinflussung der freien richterlichen Beweiswürdigung (§258 Abs2 StPO) oder eine prozessuale Schlechterstellung des Beschuldigten im Strafverfahren nach dem Lebensmittelgesetz im Gegensatz zu anderen gerichtlichen Strafverfahren, sondern setzt lediglich eine gewisse Reihenfolge der Beweismittel fest, die der Verfahrensökonomie entspricht. Die Erläuterung und Ergänzung des 'Anzeigegutachtens' der Lebensmitteluntersuchungsanstalt stellt für das Gericht die am nächsten liegende Aufklärungsquelle dar, auf die schon auf Grund der Verpflichtung, von Amts wegen die Wahrheit zu erforschen, nicht verzichtet werden darf. Das Gericht ist aber weder an das ursprüngliche Gutachten der Bundesanstalt noch an die von dem als Sachverständigen vernommenen Bediensteten dieser Anstalt in der Hauptverhandlung gegebenen Erläuterungen und Ergänzungen dieses Gutachtens gebunden. Führt die Vernehmung der Sachverständigen (Bediensteten der Bundesanstalt) in der Hauptverhandlung zu keiner das Gericht befriedigenden Erklärung bzw. Beseitigung der bestehenden Bedenken, so hat das Gericht - wie schon erwähnt - gemäß den §§125, 126 StPO einen oder mehrere weitere Sachverständige zu bestellen und zu vernehmen. Ob dies im Einzelfall erforderlich ist, unterliegt der pflichtgemäßen Beurteilung durch das erkennende Gericht im Rahmen seiner Verpflichtung, von Amts wegen die materielle Wahrheit zu erforschen.

Im übrigen bildet die Vernehmung einer Person, die ein Gutachten erstattet hat, welches zur Einleitung eines Strafverfahrens geführt hat, als Sachverständigen im weiteren Verfahren keine Besonderheit des Lebensmittelstrafverfahrens. Es kommt auch sonst vor, daß der Verfasser eines der Einleitung eines Strafverfahrens zugrundeliegenden Gutachtens vom Gericht als Sachverständiger bestellt und vernommen wird. So kann z.B. der Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft das Gutachten eines Gerichtsmediziners oder eines Kraftfahrzeugsachverständigen zugrundeliegen, wenn bei der Untersuchung einer Leiche bzw. bei der technischen Untersuchung eines Unfallfahrzeuges der Verdacht eines strafrechtlich relevanten Verschuldens zutage tritt.

Eine solche Vorgangsweise ist der österreichischen Rechtsordnung nicht fremd. Im Erkenntnis des VwGH VwSlg. 9602 A/1978 wird etwa folgendes festgestellt: 'Der im Verwaltungsstrafverfahren - ebenso wie in anderen Verwaltungsverfahren - geltende Grundsatz der freien Beweiswürdigung berechtigt die Behörde nicht, davon auszugehen, daß allein die Eigenschaft eines nicht als Zeuge vernommenen Anzeigers als Organ der öffentlichen Sicherheit (Meldungsleger) schon ausreicht, einen leugnenden Beschuldigten der ihm zur Last gelegten Tat (Übertretung einer Verwaltungsvorschrift) als unwiderlegbar überführt und damit als schuldig ansehen zu können.' Aus diesem Erkenntnis ist ersichtlich, daß eine Befragung des Anzeigers im Verfahren nicht nur dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht widerspricht, sondern sich im Gegenteil sogar die Verpflichtung dazu aus diesem Grundsatz ableiten läßt, was wohl nicht nur für das Verwaltungsstrafverfahren, sondern auch für den Bereich der Strafprozeßordnung gelten wird (siehe etwa die §§125 und 126 StPO).

3. Es wäre nun näher zu prüfen, inwieweit diese Festlegung des Gerichtes bei der Wahl der ihm zur Aufklärung des Sachverhaltes geeignet erscheinenden Beweismittel und bei der Bestimmung der als Sachverständigen heranzuziehenden Person - wie dies im Antrag des Obersten Gerichtshofes behauptet wird - einen Nachteil für den Angeklagten bringt.

Da der Oberste Gerichtshof in seinem Antrag lediglich die Feststellung trifft, daß §48 LMG 1975 zum Nachteil des Angeklagten gereicht, diese Behauptung jedoch nicht weiter begründet, muß wohl davon ausgegangen werden, daß der erwähnte Nachteil für den Angeklagten in der Beschränkung seines auf Art6 EMRK gestützten Rechtes auf 'fair trial' liegt.

Dazu ist zunächst festzuhalten, daß der Sachverständige kein Organ der Gerichtsbarkeit oder der Verwaltung ist, sondern ein Beweismittel (siehe EvBl. 1969/191 = RZ 1969, 85). Seine Handlungen sind weder der Anklagebehörde noch dem Gericht zuzuordnen, sie sind vielmehr ihm selbst zuzurechnen. Diese Unterscheidung ist deshalb von Bedeutung, weil ihre Unterlassung zu der offensichtlich falschen Ansicht verleitet, ein eventuelles Strafverfahren auf Grund des §48 LMG 1975 wäre von einem sogenannten 'Anzeigegutachten' einer Lebensmitteluntersuchungsanstalt eingeleitet worden.

Es ist überhaupt notwendig, zwischen der 'Anzeige' und dem 'Gutachten' einer Lebensmitteluntersuchungsanstalt strikt zu unterscheiden. Soweit die BALU gemäß §44 LMG 1975 eine Anzeige erstattet, ist sie damit in ihrer verfahrensrechtlichen Bedeutung vergleichbar etwa mit Anzeigen eines Organs der öffentlichen Aufsicht oder der öffentlichen Sicherheit, des sogenannten 'Meldungslegers'. (vergleiche MAYER, ÖZW 1982, 6). Die Erstattung einer solchen Anzeige ist zweifellos der BALU bzw. der Behörde, deren Dienststelle die Bundesanstalt ist, zuzurechnen, keinesfalls aber dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde, bei denen ein Verfahren gemäß §48 LMG 1975 anhängig ist.

Die Unterscheidung zwischen 'Anzeige' und 'Gutachten' ist auch deshalb von Bedeutung, weil die BALU hinsichtlich der Erstattung einer Anzeige an Weisungen der sachlich in Frage kommenden Oberbehörde gebunden ist, was hinsichtlich ihrer gutachterischen Tätigkeit keinesfalls zutrifft.

Im Erkenntnis VfSlg. 4501/1963 hat der VfGH festgestellt, daß die Gutachtertätigkeit in bezug auf die Voraussetzungen für die Gutachtenerstellung notwendigerweise eine freie Tätigkeit ist, weil es auf die nach freier Überzeugung gewonnene Sachverständigenmeinung ankommt. Aus diesem Grund ist die Nichtbefolgung eines Dienstauftrages, dessen Befolgung eine ernsthafte Beeinträchtigung der Gutachtertätigkeit gewesen wäre, kein Dienstvergehen. Das heißt, daß auch eine Bundesanstalt hinsichtlich ihrer gutächtlichen Tätigkeit bzw. ein Bediensteter dieser Anstalt hinsichtlich seiner Tätigkeit als Sachverständiger weisungsfrei sind, (vergleiche auch MAYER, ÖZW 1982, 3, wo diese Ansicht - wenn auch einschränkend - gleichfalls vertreten wird.)

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, daß die Lebensmitteluntersuchungsanstalten keine wie auch immer gearteten Organe der Anklagebehörde bzw. des Gerichtes sind, daß sie hinsichtlich der Erstattung einer Anzeige zwar an Weisungen etwa des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz gebunden sind, hinsichtlich ihrer gutachterischen Tätigkeit bzw. ihres Auftretens vor Gericht als Sachverständige aber an keine Weisungen gebunden sind. Darüber hinaus kann §48 LMG 1975 keine Wirkung zum Nachteil des Angeklagten haben, da das der Anklage zugrunde liegende Gutachten einer Lebensmitteluntersuchungsanstalt auf einer 'nach freier Überzeugung gewonnenen Sachverständigenmeinung' beruht.

4. Darüber hinaus steht §48 LMG 1975 selbstverständlich auch im Einklang mit dem der österreichischen Rechtsordnung innewohnenden Grundsatz der Verfahrensökonomie. Es entspricht diesem Grundsatz, zur Erläuterung eines Gutachtens bzw. zu dessen Ergänzung jenen Sachverständigen heranzuziehen, der das Gutachten erstellt hat oder aber an der Erstellung mitgewirkt hat. Eine Nichtbefolgung dieses Grundsatzes könnte sich allerdings durchaus nachteilig für den Angeklagten auswirken, indem es einerseits zu einer Prozeßverzögerung kommen würde, und andererseits dem Angeklagten im Falle einer Verurteilung erhebliche Mehrkosten bedeuten würde, da dieser sowohl die Gebühren für das von der Lebensmitteluntersuchungsanstalt erstellte Gutachten als auch für das Gutachten des zweiten Sachverständigen tragen müßte. In diesem Zusammenhang muß noch auf den Umstand verwiesen werden, daß §48 LMG 1975 die Beiziehung eines Bediensteten der BALU, der an der Erstellung des der Anzeige zugrundeliegenden Gutachtens mitgearbeitet hat, nicht grundsätzlich und in jedem Fall vorsieht, sondern nur dann, wenn

-

das Gericht Bedenken gegen den Befund oder das Gutachten einer Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung hat oder

-

eine Ergänzung des Befundes oder Gutachtens vom Gericht für erforderlich erachtet wird oder

-

gegen den Befund oder das Gutachten begründete Bedenken vorgebracht werden.

Daß durch §48 LMG 1975 keine den Angeklagten benachteiligende Bestimmung geschaffen wurde, zeigt auch der letzte Satz dieser Bestimmung, in dem bestimmt wird, daß im übrigen für den Sachverständigenbeweis im gerichtlichen Strafverfahren die Bestimmungen der Strafprozeßordnung und im Verwaltungsstrafverfahren die Bestimmungen der Verwaltungsstrafgesetze gelten. Diese Bestimmung eröffent dem Angeklagten im Lebensmittelprozeß die Möglichkeit, gegen den Sachverständigen 'erhebliche Einwendungen' im Sinne des §120 StPO vorzubringen und damit die Beiziehung eines anderen Sachverständigen zu erwirken.

5. Durch §48 LMG 1975 letzter Satz bleibt auch das Recht des Angeklagten gewahrt, die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen zu beantragen und darüber hinaus ein privates Gegengutachten erstellen zu lassen. §39 LMG 1975 bestimmt nämlich, daß bei der Probenziehung durch die Lebensmitteluntersuchungsanstalt eine sogenannte 'Gegenprobe' der Partei auszufolgen ist. Dadurch hat der Angeklagte die Möglichkeit, diese Gegenprobe von einem anderen, von ihm ausgewählten Sachverständigen untersuchen zu lassen und ein entsprechendes Gutachten erstellen zu lassen. Er kann dann auch die Befragung des Sachverständigen im Strafprozeß erwirken. Dieser wird zwar nicht als 'Sachverständiger' im Sinne der Strafprozeßordnung sondern als sogenannter 'sachverständiger Zeuge' zu qualifizieren sein, dies bringt jedoch für den Angeklagten keinerlei Nachteile, da alle Beweismittel grundsätzlich gleichrangig sind und es somit nicht darauf ankommt, ob eine Person als Sachverständiger oder als Zeuge vernommen wurde, sondern auf die inhaltliche Konsistenz der Aussagen und auf die Glaubwürdigkeit der Person (vgl. die Ausführungen JESIONEKs bei der Enquete über Lebensmittelstrafverfahren, 12. Dezember 1977).

Als Ergebnis kann also festgehalten werden, daß §48 LMG 1975 auf das Ergebnis eines Beweisverfahrens keine für den Angeklagten nachteilige Wirkung auszuüben vermag.

II. Zur Übereinstimmung des §48 LMG 1975 mit dem Gleichheitssatz

Wie oben ausgeführt, wirkt sich §48 LMG 1975 im Strafprozeß nicht zum Nachteil des Angeklagten aus. Aus diesem Grund treffen auch die Bedenken des Obersten Gerichtshofes, wonach wegen der prozessualen Schlechterstellung von Beschuldigten im Strafverfahren nach dem Lebensmittelgesetz gegenüber Beschuldigten in anderen gerichtlichen Strafverfahren Art7 B-VG und Art2 des Staatsgrundgesetzes, RGBl. Nr. 142/1867, verletzt wären, nicht zu."

Näher weist die Bundesregierung auf folgendes hin:

"1. Die Bedenken des Obersten Gerichtshofes werden damit begründet, daß die dargelegte Einschränkung der richterlichen Befugnisse bei der Gestaltung des Beweisverfahrens, vor allem bei der Auswahl der Sachverständigen, den Beschuldigten im Strafverfahren nach dem Lebensmittelgesetz gegenüber Beschuldigten in anderen gerichtlichen Strafverfahren prozessual schlechterstellt. Diese Schlechterstellung leitet sich aus der notwendigen Bestellung eben jener Person zum Sachverständigen ab, deren frühere Befassung mit dem inkriminierten Sachverhalt zu einem die Strafverfolgung auslösenden Ergebnis führte.

Dazu ist zunächst auszuführen, daß die besondere strafprozessuale Regelung des §48 LMG 1975 keine prozessuale Schlechterstellung des Beschuldigten bedeutet. Dies schon deshalb, weil sie die prozessualen Rechte des Beschuldigten im Strafprozeß unberührt läßt (siehe oben I.4. und I.5.). Der Umstand allein, daß jene Person zum Sachverständigen bestellt werden muß, deren frühere Befassung mit dem inkriminierten Sachverhalt zu einem die Strafverfolgung auslösenden Ergebnis führte, kann schon deshalb keine Nachteile für den Beschuldigten bringen, weil eben diese sachverständige Person sowohl hinsichtlich ihrer gutächtlichen Tätigkeit als auch hinsichtlich ihres Auftretens als Sachverständiger ein Maximum an Sachlichkeit und Ausgewogenheit garantiert (siehe oben I.3.). Daß ihre frühere Befassung mit dem inkriminierten Sachverhalt zu einem die Strafverfolgung auslösenden Ergebnis führte, bedeutet keinen Vorteil für die Anklagebehörde, da diese durch diesen Umstand weder auf das Gutachten noch auf die Aussage des Sachverständigen vor Gericht Einfluß nehmen konnte. Die Anklagebehörde kann aus dem erwähnten Umstand auch keinen Informationsvorsprung gegenüber dem Beschuldigten erlangt haben.

2. Die Sachlichkeit der Regelung ist im Lichte der oben stehenden Ausführungen vom Standpunkt des Gleichheitssatzes durchaus begründbar: Dies vor allem im Hinblick auf die besondere Komplexität des Strafverfahrens nach dem Lebensmittelgesetz sowie darauf, daß ohne ein Gutachten eines besonders qualifizierten Sachverständigen ein Verfahren gar nicht eingeleitet werden könnte. Daß weder die Staatsanwälte noch die Richter über die notwendigen biologischen und chemischen Kenntnisse und Untersuchungsmöglichkeiten verfügen, liegt wohl auf der Hand. Die Einholung eines Gutachtens wäre also auf jeden Fall Bedingung der Einleitung eines Strafverfahrens. Wenn aber ein solches Gutachten bereits vorliegt, so kann schon im Sinne des oz. Erkenntnisses des VwGH (VwSlg. 9602 A/1978) und aus dem Grund der Verfahrensökonomie eine Vorschrift, die vorsieht, daß ein solches Gutachten nicht übergangen werden darf, nicht sachlich ungerechtfertigt sein. Im Gegenteil, sie erscheint geradezu sachlich geboten.

Die besondere Komplexität des Lebensmittelstrafverfahrens ist wohl auch der Grund dafür, daß der Gesetzgeber im §48 LMG 1975 eine andere Regelung getroffen hat, als im §24 Qualitätsklassengesetz, demzufolge das Kontrollorgan, das die Probe entnommen hat, oder Personen, die mit der Untersuchung oder Begutachtung amtlich befaßt waren, nicht zu Sachverständigen im Verfahren bestellt werden dürfen (vgl. auch Mayer, ÖZW 1982/1, Seite 6, FN 65). Die Sachlage im Lebensmittelverfahren ist eben eine von der des Verfahrens nach dem Qualitätsklassengesetz durchaus verschiedene. In dem zuletzt genannten Verfahren kommt der besonderen Qualifikation der Untersuchungsorgane und der Anstalten keineswegs die Bedeutung zu wie im Lebensmittelverfahren.

3. Der VfGH hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 5397/1966 festgestellt, daß die Ungleichheit 'in bezug auf die Regelung wesentlich' sein muß. Nur in diesem Fall ist der Gleichheitsgrundsatz verletzt. Diese Voraussetzung trifft in bezug auf §48 LMG 1975 nicht zu, da die Heranziehung eines Sachverständigen, dessen frühere Befassung mit dem inkriminierten Sachverhalt zu einem die Strafverfolgung auslösenden Ergebnis führte, weder auf den Ausgang des Verfahrens noch auf die Entscheidung des Gerichtes einen Einfluß haben. Dies ist schon aus der Praxis der Gerichte in anderen Verfahren zu ersehen, wo eine dem §48 LMG 1975 parallele Bestimmung fehlt, Personen, die ein Gutachten erstattet haben, welches zur Einleitung eines Strafverfahrens geführt hat, als Sachverständige im weiteren Verfahren zu vernehmen. In der Praxis kommt es häufig vor, daß der Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft des Gutachten eines Gerichtsmediziners oder eines Kraftfahrzeugsachverständigen zugrunde liegen, wenn bei der Untersuchung einer Leiche bzw. bei der technischen Untersuchung eines Unfallfahrzeuges der Verdacht eines strafrechtlich relevanten Verschuldens zu Tage tritt. In der Praxis haben sich offenbar die Gerichte durch die Vernehmung eines solchen Geichtsmediziners oder eines solchen Kraftfahrzeugssachverständigen in ihrer freien Beweiswürdigung nicht eingeschränkt gefühlt, ebensowenig haben die Beschuldigten die Vernehmung dieser Personen als für sie grundsätzlich benachteiligend empfunden.

4. Im §48 LMG 1975 kann auch keine Verletzung des vom VfGH im Verfahren VfSlg. 8551/1979 aufgestellten Grundsatzes der Waffengleichheit und somit des Gleichheitsgrundsatzes erblickt werden. Wie schon oben ausgeführt, bringt diese Bestimmung weder einen Informationsvorsprung noch einen sonstigen prozessualen Vorteil für die Anklagebehörde, sie ist vielmehr in ihren Möglichkeiten auf das Verfahren Einfluß zu nehmen, genauso gestellt, wie in anderen Strafverfahren.

III. Zur Übereinstimmung des §48 LMG 1975 mit Art6 EMRK

Zu dieser Frage sind derzeit zwei Verfahren vor der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg anhängig, die jedoch noch nicht abgeschlossen sind. Die nachfolgenden Ausführungen zum Art6 EMRK - die sich zum Teil mit den vorstehenden Argumenten decken - geben im wesentlichen das Vorbringen der Bundesregierung in diesem Verfahren wieder.

Zunächst ist festzuhalten, daß das im Art6 EMRK enthaltene Recht auf ein faires Verfahren nach der Rechtsprechung der Kommission nicht durch eine genaue und erschöpfende Definition umschrieben werden kann. Es muß vielmehr im Licht der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls gesehen werden (vergleiche Fawcett, The application of the European Convention on Human Rights, 1969, 136, Jacobs, The European Convention on Human Rights, 1975, 99 und die dort angegebene Judikatur).

Im Nielsen-Fall (B Nr. 343/57 gegen Dänemark; YB 4, 494) hat die Kommission zur Frage des fairen Verfahrens folgendes festgestellt:

'Admittedly, one particular incident or one particular aspect even if not falling with the provisions of paragraph 2 or 3, may have been so prominent or may have been of such importance as to be decisive for the general evaluation of the trial as a whole. Nevertheless, even in this contigency, it is on the basis of an evaluation of the trial in its entirety that the answer must be given to the question whether or not there has been a fair trial.'

Die Europäische Menschenrechtskommission, in der weiteren Folge 'Kommission' genannt, trägt somit, wie diese Ausführungen erkennen lassen, bei der Auslegung des Begriffes 'fair hearing' den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung. Darüber hinaus trägt sie jedoch auch der jeweiligen Verfahrensart sowie den rechtlichen Gegebenheiten des jeweils betroffenen Staates Rechnung (vergleiche Peukert, EuGRZ 1980, Seite 254 und die dort zitierte Judikatur).

Daraus ist aber zu ersehen, daß der Art6 der Konvention im Rahmen der von ihm aufgestellten Grundsätze auch Raum für verfahrensmäßige Besonderheiten oder 'rechtliche Gegebenheiten' in den einzelnen Vertragsstaaten läßt. So stellte die Kommission beispielsweise in einer gegen die BRD geführten Beschwerdesache fest, daß die ständige Übung der deutschen Gerichte, wonach die Parteien nicht notwendigerweise vom Gericht aufgefordert werden, zu allen Rechtsfragen Stellung zu nehmen, die nach Ansicht des Gerichts im konkreten Fall erheblich sein können, keine Verletzung des Art6 Abs1 der Konvention darstelle (Zulässigkeitsentscheidung 3147/67, Collections of Decisions 27, 119).

Das bedeutet aber für das gegenständliche Gesetzesprüfungsverfahren, daß es im Lichte der einzelnen Umstände des gesamten Verfahrenskomplexes sowie im Rahmen der Besonderheiten des Lebensmittelstrafverfahrens gesehen werden muß.

Das Ziel des österreichischen Lebensmittelgesetzes, BGBl. Nr. 86/1975, ist es, 'in einer umfassenden Neuregelung der Vorschriften über den Lebensmittelverkehr, den Interessen des Verbraucherschutzes in einer den Fortschritt von Wissenschaft und Technik berücksichtigenden, aber auch die wohl verstandenen Interessen der Wirtschaft wahrenden Weise, Rechnung zu tragen' (Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 4 der Beilagen zu den Sten. Prot. des NR, XIII. GP, S 21). Daß dieses Gesetz, das einen ausgewogenen Kompromiß zwischen Erzeuger- und Verbraucherinteressen darstellen soll, nur mit großen Schwierigkeiten zustande gekommen ist, zeigt sich schon an der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes, die hier aber nicht näher dargestellt werden soll. Besondere Bedeutung kommt dem Gesetz allein schon angesichts der rasanten Entwicklung zu, die die Lebensmittelindustrie in den letzten Jahrzehnten genommen hat, nicht zuletzt wegen der Methoden, mit denen heute die Lebensmittel gegenüber ihrem Ausgangsmaterial verändert werden, bevor sie zum Verbraucher gelangen (Wimmer, Juristische Blätter 1977, S 472). Gerade die technische Seite dieser komplexen Problematik spielt dabei eine besondere Rolle.

Wie anläßlich der parlamentarischen Diskussionen bei der Beratung des Lebensmittelgesetzes ausdrücklich betont wurde, ist auch 'das beste Recht sinnlos, wenn Verstöße gegen bestehende Vorschriften nicht oder kaum mehr geahndet werden können.' Es bedarf daher zu einer wirksamen Regelung modernster technischer Einrichtungen, deren Sachkunde in möglichst effizienter Weise in ein lebensmittelrechtliches Verfahren eingebracht werden soll. Die Verfahrensmechanismen müssen so gestaltet sein, daß sie insbesondere eine effiziente Ahndung von Verstößen gegen das bestehende Recht ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist bei der parlamentarischen Diskussion auf die Gefahr hingewiesen worden, die darin gesehen werden muß, daß durch eine Schwächung des funktionierenden Gerichtsverfahrens einem Hinwegsetzen über die lebensmittelrechtlichen Vorschriften Vorschub geleistet werden könnte.

Was die technische und wissenschaftliche Kapazität der staatlichen Lebensmittelunterschungsanstalten betrifft, so ist hier auf die im Jahre 1977 im Bundesministerium für Justiz zur Problematik des Lebensmittelstrafrechtes abgehaltene Enquete hinzuweisen, deren Ergebnisse auch in schriftlicher Form vorliegen. Wenn nun der Gesetzgeber Einrichtungen schafft, die auf einem so komplexen und technisch wie wissenschaftlich so schwierigen Gebiet maßgebliche Kompetenz besitzen, dann muß man ihm auch zugestehen, daß er diese Einrichtungen in die Verfahren einbindet, die die Ahndung von Verstößen gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften zum Ziele haben.

Dies bedeutet aber nicht, daß damit das Recht eines Angeklagten auf ein faires Verfahren ausgeschaltet wird. Auch das Lebensmittelstrafverfahren ist beherrscht vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung, der Beschuldigte oder Angeklagte ist, wie bereits ausgeführt wurde, keineswegs schlechter gestellt als in einem anderen Strafverfahren.

Die gemäß §42 Abs1 des Lebensmittelgesetzes 1975 eingerichteten Untersuchungsanstalten des Bundes haben die Aufgabe, Lebensmitteluntersuchungen für die mit der Vollziehung des Lebensmittelgesetzes betrauten Behörden, für die Gerichte sowie für Privatpersonen durchzuführen und hierüber Befund und Gutachten zu erstatten (§43 Abs1 LMG 1975). Wenn eine Bundesanstalt bei ihrer (von wem immer veranlaßten) Tätigkeit zur begründeten Auffassung gelangt, es bestehe der Verdacht der Verletzung von Rechtsvorschriften (insbesondere des Lebensmittelgesetzes), so hat die Anstalt das in ihrem Gutachten festzustellen und bei der jeweils zuständigen Behörde (Verwaltungsbehörde oder Staatsanwaltschaft) unverzüglich Anzeige zu erstatten (§44 LMG 1975). Hiebei handelt es sich für den Bereich des gerichtlichen Strafrechts um einen besonderen Anwendungsfall der nach der StPO 'alle öffentlichen Behörden und Ämter' treffenden Pflicht, ihnen amtlich bekanntgewordene, von Amts wegen zu verfolgende gerichtlich strafbare Handlungen dem Staatsanwalt des zuständigen Gerichtes anzuzeigen (§84 Abs1 StPO).

Die Lebensmitteluntersuchungsanstalten des Bundes sind zwar keine Behörden im organisatorischen Sinn, sie sind aber von der Bestimmung des §84 StPO erfaßt. Diese gesetzlich festgelegte Anzeigepflicht beeinträchtigt aber nicht die mit der Amtsstellung der Anstalt und der Verpflichtung zur Abgabe von Gutachten verbundene und gesetzlich sanktionierte Verpflichtung zur Wahrung der Objektivität.

Der Umstand, daß das der Anzeige vorausgehende Gutachten der Lebensmitteluntersuchungsanstalt zunächst die Grundlage des gerichtlichen Strafverfahrens bildet, ist eine Konsequenz der Amtsstellung der Anstalt und ein Erfordernis der Verfahrensökonomie (und der gebotenen Sparsamkeit), bedeutet aber nicht, daß das Gericht an dieses 'Anzeigegutachten' in irgendeiner Weise gebunden wäre. Vielmehr gelten nach dem letzten Satz des §48 LMG 1975 auch in Lebensmittelstrafverfahren die Bestimmungen der Strafprozeßordnung für den Sachverständigenbeweis. §48 LMG 1975 ordnet darüber hinaus nur an, daß bei Unklarheiten des Gutachtens der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung zuerst und jedenfalls ein Bediensteter dieser Anstalt, der mit der Untersuchung oder Begutachtung befaßt war, zur Erläuterung und Ergänzung des Befundes bzw. Gutachtens als Sachverständiger zu vernehmen ist. Diese Vorschrift des Gesetzes bedeutet jedoch nur, daß sich das Gericht nicht ohne Anhörung eines Bediensteten der Bundesanstalt über deren Gutachten hinwegsetzen kann, sondern zunächst danach zu trachten hat, bestehende Bedenken zu klären.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf den Ausschußbericht des zuständigen Ausschusses des Nationalrates anläßlich der Beratungen des Lebensmittelgesetzes, wonach der Ausschuß von der Überlegung ausging, daß für den Sachverständigenbeweis im Lebensmittelstrafverfahren grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften der Strafprozeßordnung wie auch in jedem anderen Verfahren gelten sollen. Von diesem Grundsatz sollte nur insoweit abgewichen werden, als es auf Grund der besonderen Situation der Befundaufnahme und Gutachtenerstattung durch die Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung sachlich geboten ist und der österreichischen Rechtstradition entspricht. Im übrigen wurde aber die Beurteilung der Beweiskraft des Anstaltsgutachtens im Zusammenhang mit den übrigen Beweismitteln der freien richterlichen Beweiswürdigung überlassen, und es sollten für das richterliche Vorgehen hinsichtlich allenfalls vorgelegter weiterer Gutachten die allgemeinen Bestimmungen der Strafprozeßordnung gelten. Durch die Formulierung sollte der auf Grund dieser Bestimmungen bestehenden Möglichkeit Rechnung getragen werden, daß der Richter, wenn er es für notwendig erachtet, neben dem Anstaltsgutachten noch einen zweiten Sachverständigen bestellen kann; nicht wollte der Ausschuß hingegen damit zum Ausdruck bringen, daß der Richter in Lebensmittelstrafsachen verpflichtet sein soll, stets zusätzlich zu dem Anstaltsgutachten einen zweiten Sachverständigen zu hören.

Es ist hervorzuheben, daß das Gericht zwar bei Bedenken gegen das (schriftliche) Gutachten den Versuch zu unternehmen hat, diese Bedenken zunächst durch Vernehmung des Anstaltsgutachters als Sachverständigen auszuräumen, daß es jedoch an dessen (mündliches) Gutachten ebensowenig (formell) gebunden ist, wie an das Gutachten jedes anderen Sachverständigen. Vielmehr unterliegt auch dieses Gutachten der freien richterlichen Beweiswürdigung, die für den Richter als Fachunkundigen naturgemäß schwierig sein und gegebenenfalls nur unter Zuhilfenahme anderer Sachverständiger vorgenommen werden kann. Die Strafprozeßordnung bestimmt daher in den §§125 und 126, daß unter den dort genannten Voraussetzungen weitere Sachverständigengutachten einzuholen sind.

Die in Prüfung gezogene Vorschrift des §48 LMG 1975 bedeutet somit keinerlei Beschränkung der Beweismittel und - wie schon erwähnt - keine wie immer geartete Beeinflussung der freien richterlichen Beweiswürdigung (§258 Abs2 StPO), sondern setzt lediglich eine gewisse Reihenfolge der Beweismittel fest, die der Verfahrensökonomie entspricht. Die Erläuterung und Ergänzung des Gutachtens der Lebensmitteluntersuchungsanstalt stellt für das Gericht die am nächsten liegende Aufklärungsquelle dar, auf die schon auf Grund der Verpflichtung, von Amts wegen die Wahrheit zu erforschen, gar nicht verzichtet werden darf. Im übrigen bildet die Vernehmung einer Person, die ein Gutachten erstattet hat, welches zur Einleitung eines Strafverfahrens geführt hat, als Sachverständiger im weiteren Verfahren keine Besonderheit des Lebensmittelstrafverfahrens. Es kommt - wie erwähnt - auch sonst vor, daß der Verfasser eines der Einleitung eines Strafverfahrens zugrundeliegenden Gutachtens vom Gericht als Sachverständiger bestellt und vernommen wird. So kann zB der Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft das Gutachten eines Gerichtsmediziners oder eines Kraftfahrzeugsachverständigen zugrundeliegen, wenn bei der Untersuchung einer Leiche bzw. bei der technischen Untersuchung eines Unfallfahrzeuges der Verdacht eines strafrechtlich relevanten Verschuldens zutage tritt. Diese Vorgangsweise steht mit den oben erwähnten Bestimmungen (§§125 und 126) der StPO im Einklang.

Dem als Sachverständigen vernommenen Bediensteten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung wird keine 'ausschließliche' Sachverständigenstellung eingeräumt. Das Gericht ist weder an das ursprungliche Gutachten der Bundesanstalt, noch an die von dem als Sachverständigen vernommenen Bediensteten dieser Anstalt in der Hauptverhandlung gegebenen Erläuterungen und Ergänzungen dieses Gutachtens gebunden. Führt die Vernehmung des Sachverständigen (Bediensteten der Bundesanstalt) in der Hauptverhandlung zu keiner das Gericht befriedigenden Klärung bzw. Beseitigung der bestehenden Bedenken (zB weil das Untersuchungszeugnis über die Gegenprobe dem Gutachten der Bundesanstalt bzw. des Sachverständigen widerspricht und diese Widersprüche nicht aufgeklärt werden können oder weil die Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung dies schon an sich erfordert), so hat das Gericht gemäß den §§125, 126 StPO einen oder mehrere weitere Sachverständige zu bestellen oder zu vernehmen. Ob im Einzelfall ein Erfordernis dazu besteht, unterliegt der pflichtgemäßen Beurteilung durch das erkennende Gericht im Rahmen der Verpflichtung, von Amts wegen die materielle Wahrheit zu erforschen.

In der dem §48 LMG 1975 entsprechenden Bestellung eines Bediensteten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung zum Sachverständigen kann daher bei einer Gesamtwürdigung des Verfahrens keinesfalls eine Verletzung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichtes oder des fairen Verfahrens im Sinne des Art6 Abs1 MRK erblickt werden. Selbst dann, wenn man die Meinung vertreten sollte, das Gericht hätte sich in einem konkreten Fall mit den vorhandenen fachlichen Beurteilungen nicht begnügen dürfen, sondern im Sinne der Bestimmungen des §48 letzter Satz LMG 1975 und des §126 StPO einen weiteren Sachverständigen bestellen müssen, kann darin noch keine Verletzung eines durch die Konvention gewährleisteten Rechtes gesehen werden.

Auch das im Art6 Abs3 litd EMRK gewährleistete Recht, 'die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken', wird durch das Unterbleiben der förmlichen Bestellung eines weiteren Sachverständigen nicht verletzt. Der zum Sachverständigen bestellte Bedienstete der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung kann - wenn man ihn überhaupt als 'Zeugen' i. S. des Art6 Abs3 litd EMRK ansieht - nämlich aus den oben dargelegten Gründen nicht einseitig als 'Belastungszeuge' bzw. 'Sachverständiger der Anklage' gedeutet werden. Nur, wenn gegen den Befund oder das Gutachten des Sachverständigen Bedenken bestehen oder vorgebracht werden und wenn sich diese Bedenken nicht durch eine Vernehmung des bestellten Sachverständigen in der Hauptverhandlung in befriedigender Weise klären lassen, besteht nach den Bestimmungen der §§48 LMG 1975 und 125, 126 StPO die Notwendigkeit der Zuziehung eines weiteren Sachverständigen - allenfalls auf Antrag des Beschuldigten - durch das Gericht. Dies erscheint auch vom Standpunkt des Art6 Abs3 litd EMRK vertretbar. In diesem Sinn hat auch die Kommission in wiederholten Entscheidungen - so etwa in der Entscheidung vom 4. Dezember 1978 über die Beschwerde Nr. 8141/78 ausgesprochen, daß dem Beschuldigten auf Grund des Art6 Abs3 litd EMRK kein absolutes Recht auf Erwirkung der Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zusteht.

Eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem vorliegenden Fall spielt auch der Grundsatz der Waffengleichheit. Die Kommission hat zu diesem Grundsatz wiederholt festgestellt, daß er ein wesentliches Element für ein faires Verfahren bilde und daß er in einem engen Zusammenhang mit dem Erfordernis eines unabhängigen und unparteiischen Gerichtes stehe. Vor einem voreingenommenen Gericht kann es kein faires Verfahren geben (JACOBS, S 99 und 104).

Somit stellt sich die Frage, ob und inwieweit ein Beschuldigter in dem gegen ihn geführten Strafverfahren aufgrund der behaupteten besonderen Stellung der Sachverständigen gegenüber dem Ankläger benachteiligt ist.

Zu dieser Problematik wurde bereits oben Stellung genommen und auf die Gleichwertigkeit der Beweismittel hingewiesen. Dem Gutachten des Sachverständigen - der schon aufgrund der strafgesetzlichen Bestimmungen unter Strafsanktion zur Objektivität verpflichtet ist - kann jederzeit ein 'Gegengutachter' in der Form der Aussage eines 'sachverständigen Zeugen' gegenübergestellt werden. Beide Beweismittel hat das Gericht in objektiver Weise zu beurteilen. Auf Grund der Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsermittlung wird es darüber hinaus alle ihm erforderlich scheinenden ergänzenden Fragen zu stellen und Auskünfte einzuholen haben. Unabhängig davon steht es jedoch den Prozeßparteien, und zwar sowohl dem Vertreter der Anklage als auch der Verteidigung in gleicher Weise frei, alle ihnen erforderlich scheinenden Fragen sowohl an den Sachverständigen als auch an den Gegengutachter zu stellen. Nur dieses Recht hat der Art6 Abs3 litd EMRK im Auge, und dieses Recht ist auch durch die im Lebensmittelstrafverfahren geltenden Bestimmungen in keiner Weise eingeschränkt."

Die Bundesregierung führte ergänzend zum Eventualantrag aus:

"Der Oberste Gerichtshof hat den Eventualantrag gestellt, allenfalls (nur) die Wortgruppe 'als Sachverständigen' im §48 LMG 1975 erster Satz als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Oberste Gerichtshof begründet diesen Antrag damit, daß die nach der derzeit gültigen Fassung des §48 LMG 1975 erster Satz im Bedenklichkeitsfall vorgesehene qualitative Veränderung des Beweismittelcharakters der Anzeige schon dadurch vermieden werden könnte, daß man den Inhalt der genannten Norm auf die Anordnung des Versuches beschränkt, eine verständliche Interpretation aufklärungsbedürftiger Teile des sogenannten Anzeigegutachtens bzw. einer Klarstellung der Art der Aufnahme des diesem zugrunde liegenden Befundes durch (bloße) Vernehmung jenes Anstaltsbediensteten zu erreichen, der damit seinerzeit befaßt war.

Der Oberste Gerichtshof übersieht dabei offensichtlich, daß nicht die Anzeige einer Lebensmitteluntersuchungsanstalt durch §48 LMG 1975 zum Beweismittel wird, sondern das Gutachten, das dieser Anzeige zugrunde liegt. Damit kann man auch nicht von einer 'Veränderung des Beweismittelcharakters der Anzeige' sprechen.

Der Oberste Gerichtshof übersieht ebenfalls, daß durch eine 'bloße' Vernehmung jenes Anstaltsbediensteten, der mit dem Gutachten bzw. mit dem Befund seinerzeit befaßt war, ein Effekt erreicht wäre, der als eine Benachteiligung des Beschuldigten ausgelegt werden könnte. Wird nämlich der genannte Anstaltsbedienstete nicht als Sachverständiger vernommen, so fallen die aus der Verbindung des Art20 Abs1 letzter Satz B-VG mit §288 StGB resultierenden Garantien weg. Das heißt, daß in diesem Fall der betreffende Anstaltsbedienstete, dadurch, daß er weder 'zur Sache' noch 'als Sachverständiger' im Sinne des §288 StGB auszusagen hat, sondern lediglich ein Gutachten oder einen Befund zu erläutern hat, von dieser Bestimmung des Strafgesetzbuches nicht erfaßt wäre, wodurch er hinsichtlich seiner Aussage vor Gericht an Weisungen gebunden wäre."

II. 1. a) Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von OÖ vom 3. März 1982, Z SanRB-4998/1-1982, wurde festgestellt, daß F W am 12. November 1979 als verantwortlicher Geschäftsführer der H-KG in einer Filiale in Wien eine Seife unter der Bezeichnung "Grüner Apfel - frische Seife" zum Verkauf bereitgehalten habe, welche als falsch bezeichnet iS des §8 litf des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG 1975) zu beurteilen gewesen sei. Die auf der Verpackung befindliche Anpreisung "Grüner Apfel - frische Seife" und "mit dem natürlichen Duft" sei für die Käufer irreführend, da die Seife weder die wertbestimmenden Bestandteile noch die natürlichen Düfte des Apfels, sondern lediglich nach Apfel riechende ätherische Öle enthalte. Über W wurde eine Geldstrafe bzw. eine Ersatzarreststrafe verhängt. Der Landeshauptmann berief sich in der Begründung des Bescheides auf das Sachverständigengutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung in Wien, mit dem die Anzeige gegen W erstattet wurde, und verwarf das von W vorgelegte Gutachten eines Hochschullehrers.

b) Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von OÖ vom 3. März 1982, Z SanRB-4999/1-1982, wurde weiters festgestellt, daß F W am 26. November 1979 als verantwortlicher Geschäftsführer der H-KG in einer Filiale in Wels "Lübecker-Marzipan-Kartoffeln" zum Verkauf feilgehalten habe, welche als wertgemindert zu beurteilen gewesen seien, weil sie infolge von Lagereinflüssen Geruchs- und Geschmacksfehler sowie nicht mehr die vom Konsumenten für eine derartige Ware erwartete Frische und Haltbarkeit aufgewiesen hätten, wodurch eine erhebliche Minderung der spezifischen wertbestimmenden Eigenschaften bewirkt worden sei; dieser Umstand sei nicht deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht gewesen. Über W wurde eine Geldstrafe bzw. eine Ersatzarreststrafe verhängt. Der Landeshauptmann berief sich in der Begründung des Bescheides auf das Sachverständigengutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in Linz, mit dem die Anzeige gegen W erstattet wurde, und verwarf das von W vorgelegte Gutachten eines Hochschullehrers.

2. Gegen diese Bescheide erhob F W jeweils Beschwerde an den VfGH, in der er die Verletzung bestimmt bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§9 VStG 1950) behauptete und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragte. Der Landeshauptmann von OÖ hingegen erstattete eine Gegenschrift, in der er die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragte.

3. Im Zuge der verfassungsgerichtlichen Beratung über diese Beschwerden entstanden verfassungsrechtliche Bedenken gegen den zweiten Halbsatz des §48 erster Satz LMG 1975. Der VfGH faßte am 29. Juni 1985 jeweils den Beschluß, diese bundesgesetzliche Vorschrift gemäß Art140 Abs1 B-VG auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (hg. Verfahren zu G153/85 und G154/85).

4. Die Bundesregierung verteidigte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 27. August 1985 die Bestimmung des zweiten Halbsatzes des §48 erster Satz LMG 1975 als verfassungsmäßig.

III. Der VfGH hat erwogen:

1. Vorausgeschickt sei, daß der VfGH nicht berechtigt ist, durch seine Entscheidung darüber, ob der OGH die von ihm angefochtene Gesetzesbestimmung anzuwenden hatte, letzteren an eine bestimmte Gesetzesauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH darf daher ein Antrag des OGH iS des Art140 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß das - angefochtene - Gesetz eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (VfSlg. 10311/1984 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der OGH hat die Frage der Präjudizialität des ersten Halbsatzes des §48 erster Satz LMG 1975 jedenfalls denkmöglich beantwortet. Der VfGH ist aber darüber hinaus der Ansicht, daß der OGH zu Recht auch die Aufhebung des zweiten Halbsatzes des ersten Satzes des §48 LMG 1975 beantragt hat, weil dieser Halbsatz nach Aufhebung des ersten Halbsatzes unverständlich würde. Der im Falle der Aufhebung des ersten Halbsatzes übrig bleibende zweite Halbsatz könnte in völlig sinnwidriger Weise als Verweisung auf §47 LMG 1975 verstanden werden. Der OGH ist also zu Recht von dem untrennbaren Zusammenhang der beiden Halbsätze ausgegangen.

2. Der Antrag des OGH ist daher zulässig.

3. a) Der OGH führt in seinem Antrag aus, der angefochtene Teil des §48 LMG 1975 sei verfassungsrechtlich bedenklich, weil er den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger von dem Gesetz gemäß Art7 B-VG bzw. Art2 StGG und auf ein faires Verfahren iS des Art6 MRK widerspreche. Er führt diesen Widerspruch hauptsächlich darauf zurück, daß das Strafgericht durch §48 LMG 1975 verhalten sei, eine Person, die mit der Erstellung des Gutachtens befaßt war, das zur Einleitung des Strafverfahrens führte (sogenanntes "Anzeigegutachten"), als Sachverständigen zu vernehmen. Das Gericht sei auf diese Weise nicht nur in der Wahl der ihm zur Aufklärung des Sachverhaltes geeignet erscheinenden Beweismittel an sich, sondern auch bei der Bestimmung der als Sachverständigen heranzuziehenden Person insofern eingeschränkt, als es den "anzeigenden" Bediensteten der Bundesanstalt mit dieser qualifizierten Funktion zu betrauen hat. In dieser Tendenz, das Beweisverfahren in eine für den Angeklagten nachteilige Richtung zu lenken, erblickt der OGH - unabhängig von der Freiheit des erkennenden Gerichtes in der beweiswürdigenden Bewertung eines solchen Gutachtens - eine Verletzung des Art6 Abs1 MRK.

Die Schlechterstellung des Beschuldigten in einem Strafverfahren nach dem Lebensmittelgesetz sei sachlich nicht zu rechtfertigen und verletze daher auch den Gleichheitssatz.

b) Vorauszuschicken ist, daß der VfGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen hegt, daß Personen, die an der Abfassung des sogenannten "Anzeigegutachtens" (§44 LMG 1975) beteiligt waren, in einem Strafverfahren, das durch dieses Gutachten ausgelöst wurde, gehört werden, um Unklarheiten im Anzeigegutachten tunlichst aufzuklären. Hätte §48 LMG 1975 nur diesen Inhalt, so würde er bloß etwas in einem Strafverfahren Selbstverständliches wiederholen, nämlich daß alle zur Erforschung der Wahrheit relevanten Beweise aufzunehmen und daher Widersprüche und Unklarheiten, die sich im Verfahren ergeben haben, aufzuklären sind. §48 LMG 1975 erschöpft sich freilich nicht in dieser bloßen Wiederholung. Nach §48 LMG 1975 hat der zu vernehmende Bedienstete der Bundesanstalt nicht nur (wie etwa ein Beamter des Erkennungsdienstes in einem anderen Strafverfahren) seine Wahrnehmungen, die er im Zuge der Erstellung des Anzeigegutachtens machte, darzulegen. Mit seiner Aussage wird er zum gerichtlichen Sachverständigen des betreffenden Verfahrens ("als Sachverständigen zu vernehmen"). Das Anzeigegutachten ist das Sachverständigengutachten iS des §124 StPO, das der Bedienstete zu ergänzen und gegen Bedenken, die gegen dieses Gutachten (vorwiegend wohl vom Beschuldigten) vorgetragen werden, zu verteidigen hat. Die Vernehmung des Bediensteten der Bundesanstalt "als Sachverständiger" schli

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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