TE Vfgh Erkenntnis 1986/6/6 B127/84

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Veröffentlicht am 06.06.1986
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
DSt 1872 §49 Abs4
DSt 1872 §50 Abs2

Leitsatz

Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter; gleichheitswidrige Einräumung eines Informationsvorsprunges an den Generalprokurator aus den in VfSlg. 9431/1982 genannten Gründen durch Zugänglichmachen des vom Berichterstatter ausgearbeiteten Entscheidungsentwurfes

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Zunächst verweist der VfGH auf die Entscheidungsgründe (insbesondere die dort gegebene Darstellung des Verwaltungsgeschehens) seines Erk. B263/77 vom 16. Juni 1982 (VfSlg. 9431/1982), mit dem der im ersten Rechtsgang erlassene Berufungsbescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter - OBDK (im Umfang der Anfechtung durch den bf. Rechtsanwalt) wegen der Verletzung des Gleichheitsrechtes aufgehoben wurde. Der Gerichtshof begründete dies unter Bezugnahme auf seine Vorjudikatur damit, daß im Berufungsverfahren vor der OBDK der Generalprokuratur kein Informationsvorsprung durch Einsichtnahme in den Entscheidungsentwurf des Berichterstatters (im Wege der Aktenübersendung) zukommen dürfe, was auch für Rechtsauffassungen des Berichterstatters enthaltende Begleitschreiben gelte.

2. Im zweiten Rechtsgang bestellte der Präsident der OBDK mit Verfügung vom 3. September 1982 einen Anwaltsrichter zum Berichterstatter, der sodann mit Schreiben vom 9. November 1982 einen (den bisherigen Verlauf der Disziplinarangelegenheit ohne Wertung darstellenden) "Bericht" sowie einen Entscheidungsentwurf übermittelte, die als Ordnungsnummern 23 (Bericht) und 24 (Entscheidungsentwurf) zum Akt der OBDK genommen wurden. Mit Verfügung vom 11. November 1982 beraumte der Präsident eine mündliche Berufungsverhandlung für den 17. Jänner 1983 an, die jedoch später abgesetzt wurde. Die Anberaumung geschah mit einem Formular, das auch eine (hand- oder maschinschriftlich) zu ergänzende Zustellverfügung enthält, mit der unter I. die Ladung der betreffenden Personen (zB der Anwaltsrichter) und unter III. die Übermittlung des Aktes "Der Generalprokuratur zur Einsicht" angeordnet wird. In dieser Verfügung vom 11. November 1982 wurde den wiedergegebenen Worten in Punkt III. der Zustellverfügung der Beisatz "ohne ON 24" (dh. ohne Übermittlung des Entscheidungsentwurfs) angefügt.

Am 21. März 1983 setzte der Senatsvorsitzende (neuerlich) eine mündliche Berufungsverhandlung an. Hiezu wurde nicht das erwähnte Formular verwendet, der Text wurde vielmehr maschinschriftlich niedergelegt. Die beigesetzte Zustellverfügung wurde durch das Inkludieren zweier Stellen aus der Zustellverfügung vom 11. November 1982 mit einer handschriftlichen Einfügung eines Punktes 2. abgefaßt, wobei das erste Inklusum einen Teil der Z I. der früheren Zustellverfügung und das zweite weitere Teile der früheren Zustellverfügung einschließlich der Worte "III. Der Generalprokuratur zur Einsicht" umfaßt, nicht aber den nachfolgenden Beisatz "ohne ON 24". Die Einsichtsvorschreibung an die Generalprokuratur wurde durch Aktenübermittlung vollzogen.

3. Nach einer mündlichen Berufungsverhandlung entschied die OBDK mit Bescheid vom 18. April 1983 neuerlich über den hier maßgeblichen Anschuldigungspunkt (nämlich daß der Bf. sich im Schreiben vom 25. Feber 1974 einer unzulässigen Schreibweise gegenüber seiner Standesbehörde bedient habe); sie erkannte den Bf. einer hiedurch begangenen Berufspflichtenverletzung schuldig, sah aber unter Bedachtnahme auf eine andere disziplinäre Verurteilung des Bf. in sinngemäßer Anwendung der §§31, 40 StGB von der Verhängung einer Zusatzstrafe ab.

Dieser Berufungsbescheid ist Gegenstand der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Bf. die Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insbesondere des Gleichheitsrechtes, geltend macht und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Aufgrund der geschilderten Aktenlage des Verwaltungsverfahrens nimmt der Gerichtshof als erwiesen an, daß der Generalprokuratur in Durchführung der Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 21. März 1983 der vollständige Akt der OBDK, mithin auch der Entscheidungsentwurf des Berichterstatters zur Einsicht übermittelt wurde. Es ist in diesem Zusammenhang einmal zu beachten, daß die Zustellverfügung vom 11. November 1982 nicht etwa schlechthin übernommen wurde (was allenfalls den Schluß zuließe, daß bloß beim Inkludieren ein den Sinn der früheren Zustellverfügung nicht verändernder erkennbarer Flüchtigkeitsfehler unterlaufen wäre), sondern daß zwei umfangsmäßig beschränkte Teile der ersten Zustellverfügung erfaßt wurden, was zum Gegenschluß führt, daß der jeweils nicht eingeschlossene Teil der früheren Verfügung eben außer Betracht zu bleiben habe. Zum anderen fehlt jeglicher Anhaltspunkt für die Annahme, daß die durch die Zustellverfügung angewiesene Kanzlei auftragswidrig vorgegangen wäre, also etwa auf eine Divergenz zur früheren Zustellverfügung hingewiesen und um eine Weisung bezüglich des weiteren Vorgehens ersucht hätte.

Wurde jedoch der Generalprokuratur der vom Berichterstatter ausgearbeitete Entscheidungsentwurf zugänglich gemacht, so widerspricht dieses behördliche Vorgehen aus den vom VfGH im Erk. B263/77 unter Anführung der Vorjudikatur näher dargelegten Gründen dem Gleichheitsgebot. Hiezu ist bloß noch anzumerken, daß es ausschließlich auf das Verhalten der zur Wahrung dieses Gebotes verpflichteten prozeßleitenden Behörde ankommt, es hingegen unerheblich ist, ob die durch einen potentiellen Informationsvorsprung rechtswidrig begünstigte andere Verfahrenspartei von der geschehenen Bevorzugung überhaupt in irgendeiner Weise Gebrauch macht.

2. Der angefochtene Bescheid war sohin aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das Beschwerdevorbringen im einzelnen einzugehen.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B127.1984

Dokumentnummer

JFT_10139394_84B00127_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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