TE Vfgh Erkenntnis 1982/6/17 B263/77

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Veröffentlicht am 17.06.1982
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
DSt 1872 §49 Abs4
DSt 1872 §50 Abs2
VfGG §88

Leitsatz

Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter; Einräumung eines Informationsvorsprunges an den Generalprokurator - gleichheitswidrige Gesetzesanwendung

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer - er ist vom Beruf Rechtsanwalt - begehrte mit einer Eingabe an den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. vom 25. Feber 1974 mit näherer Begründung seine Enthebung als gemäß §41 Abs2 StPO bestellter Verteidiger. In einer Nachschrift dieser Eingabe führte er wörtlich folgendes aus:

"Sollte meine Enthebung nicht umgehend erfolgen, sehe ich mich genötigt, zu Prozeßbeginn in der Öffentlichkeit die Erklärung abzugeben, daß ich im Hinblick auf den Umfang der gegenständlichen Causa und der späten Bestellung durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann, eine Sache, deren Strafsatz bis lebenslang geht, unvorbereitet zu verteidigen."

Der Disziplinarrat der genannten Kammer, dem dieses Schreiben zur standesrechtlichen Beurteilung zur Kenntnis gebracht worden war, faßte am 19. Juni 1974 einen Ablassungsbeschluß, gegen den sodann der Kammeranwalt Administrativbeschwerde erhob. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) hob auf Grund dieses Rechtsmittels mit Bescheid vom 9. Dezember 1974 den Ablassungsbeschluß auf und faßte einen Einleitungsbeschluß mit der Anschuldigung, der Beschwerdeführer habe sich durch den wiedergegebenen Teil seines Schreibens vom 25. Feber 1974 einer unzulässigen Schreibweise gegenüber seiner Standesbehörde bedient und hiedurch eines disziplinär zu ahndenden Verhaltens schuldig gemacht. In der Begründung dieses Beschlusses führte die OBDK insbesondere aus:

"In dem beanstandeten Schreiben kann eine Drohung an den Kammerausschuß erblickt werden, durch die der Beschuldigte seine sofortige Enthebung erreichen wollte, indem er dem Kammerausschuß ankündigte, ihn unter Umständen wegen der späten Verteidigerbestellung in aller Öffentlichkeit bloßzustellen. Eine derartige Drohung gegenüber der Standesvertretung kann standeswidrig sein und das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Anwaltsstandes verwirklichen. Es ist daher der Verdacht eines Disziplinarvergehens des angezeigten Rechtsanwaltes, begangen durch eine unzulässige Schreibweise gegenüber seiner Standesbehörde, begründet."

2. Mit Disziplinarerkenntnis vom 7. Mai 1976 erkannte der Disziplinarrat den Beschwerdeführer des dadurch begangenen Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung, daß er sich im Schreiben vom 25. Feber 1974 einer unzulässigen Schreibweise gegenüber seiner Standesbehörde bedient habe, sowie eines weiteren Disziplinarvergehens schuldig und verhängte über ihn eine Geldstrafe. Gegen dieses Disziplinarerkenntnis, mit dem der Beschwerdeführer von fünf weiteren Anschuldigungen freigesprochen wurde, erhoben er (gegen den schuldigsprechenden Teil) und der Kammeranwalt (gegen den freisprechenden Teil sowie gegen den Strafausspruch) Berufungen.

Nach Vorlage der Rechtsmittel bestellte der Präsident der OBDK einen Anwaltsrichter zum Berichterstatter, der seinen das bisherige Verwaltungsgeschehen darstellenden Bericht mit einem Schreiben vom 1. März 1977 übersandte und in diesem ua. ausführte:

"Ich beabsichtige zu beantragen, der Berufung des Herrn Kammeranwaltes keine Folge zu geben. Bezüglich der Berufung des Beschuldigten hängt meine Antragstellung von seiner Verantwortung in der mündlichen Berufungsverhandlung ab. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission hat im Beschluß vom 9. Dezember 1974 (Bkd 34/74 zu D 28/74) zum Ausdruck gebracht, daß die Schreibweise des Beschuldigten in seinem Enthebungsgesuch vom 25. Feber 1974 eine Drohung darstellen könne und diese disziplinär sein könne. Der Beschuldigte hat im Verfahren jede Absicht, den Kammerausschuß zu bedrohen oder unter Druck zu setzen, bestritten. Ich behalte mir daher die Antragstellung zu diesem Faktum vor.

Hingegen werde ich zum Faktum Dr. G. (D 34/74) die Bestätigung des Schuldspruches beantragen."

Der Präsident der OBDK beraumte mit Verfügung vom 4. März 1977 eine mündliche Verhandlung in der Disziplinarsache an und verfügte unter einem die Übermittlung des - auch das eben zitierte Schreiben des Berichterstatters beinhaltenden - Aktes an die Generalprokuratur zur Einsicht, die sodann dem Akt eine Äußerung anschloß.

3. Nach durchgeführter mündlicher Verhandlung gab die OBDK mit Bescheid vom 2. Mai 1977 der Berufung des Beschwerdeführers teilweise, nämlich in dem hier nicht weiter interessierenden anderen Anschuldigungspunkt und im Strafausspruch Folge, wies sie aber in dem das inkriminierte Schreiben des Beschwerdeführers betreffenden Anschuldigungspunkt ab und verhängte deswegen - insoweit in Stattgebung der (im übrigen abgewiesenen) Berufung des Kammeranwaltes - eine Geldstrafe.

Gegen den die Berufung des Beschwerdeführers abweisenden Teil dieses Bescheides richtet sich seine vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in der er eine Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend macht und die Bescheidaufhebung im Umfang der Anfechtung begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Zunächst hält der VfGH eine Prüfung des angefochtenen Bescheides unter dem Blickpunkt geboten, ob der Beschwerdeführer im Gleichheitsrecht verletzt wurde.

In bezug auf die Mitwirkung des Generalprokurators an dem durch das Disziplinarstatut geregelten Rechtsmittelverfahren hat der VfGH in seiner bisherigen Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, daß es mit dem Gleichheitsgebot nicht vereinbar ist, wenn dem Generalprokurator als einer Behörde, die immerhin zum Nachteil des Beschuldigten auf ein gerichtsförmig gestaltetes Disziplinarverfahren Einfluß nehmen kann, die - dem Beschuldigten vorenthaltene - Kenntnis des (vom Berichterstatter ausgearbeiteten) Entscheidungsentwurfs verschafft wird. Der Generalprokurator würde damit in die Lage versetzt, auf die Willensbildung der erkennenden Behörde einen gezielteren und damit nachhaltigeren Einfluß auszuüben als der Beschuldigte. Es gebe jedenfalls in diesem Stadium des Verfahrens keinen sachlichen Grund, dem Generalprokurator solches zu ermöglichen, und es sei keine Funktion im Disziplinarverfahren ersichtlich, die es auch nur nahelegen würde, ihm in diesem Zeitpunkt einen wesentlichen Informationsvorsprung einzuräumen (VfSlg. 8551/1979; s. auch VfSlg. 8687/1979, 8747/1980 sowie 9160/1981). Im zuletzt angeführten Erk. hat der VfGH betont, daß dies auch dann gilt, wenn dem Generalprokurator bloß Kenntnis eines Teils des Entscheidungsentwurfs verschafft wird, dem eine bestimmte Rechtsansicht des Referenten entnommen werden kann.

Nach Ansicht des VfGH, der auf dem eingenommenen Standpunkt bleibt, gilt das zuletzt Gesagte auch dann, wenn der bestellte Berichterstatter seine Rechtsmeinung zwar nicht in dem (eine nicht wertende Darstellung des bisherigen Verfahrensgeschehens beinhaltenden) Referat, wohl aber in einem (der Generalprokuratur durch die Aktenübermittelung gleichfalls zur Kenntnis gebrachten) Begleitschreiben äußert; dies führt nämlich zum gleichen Ergebnis wie die Einsichtnahme in einen Entscheidungsentwurf des Referenten, weil es ebenfalls Kenntnis von dessen Rechtsansicht und damit einen Informationsvorsprung vor den anderen Prozeßparteien verschafft. Daß im vorliegenden Fall ein solcher - unzulässiger - Informationsvorsprung bewirkt wurde, bedarf keiner näheren Begründung. Es genügt, festzuhalten, daß aus dem oben auszugsweise wiedergegebenen Schreiben des zum Berichterstatter bestellten Anwaltsrichters folgendes hervorgeht: Der Berichterstatter teilt offenbar die im Einleitungsbeschluß der OBDK zum Ausdruck gebrachte rechtliche Beurteilung des inkriminierten Verhaltens, hält die Sache auf dem Boden der vorliegenden Verfahrensergebnisse noch nicht für spruchreif, weil ihm eine (ergänzende) Vernehmung des Beschuldigten erforderlich erscheint, und erachtet offenbar das Ergebnis dieser Beschuldigtenvernehmung als ausschlaggebend für die vorzunehmende Beurteilung des Anschuldigungspunktes.

2. Aus den dargelegten Erwägungen folgt, daß der Beschwerdeführer im Gleichheitsrecht verletzt wurde und der angefochtene Bescheid daher aufzuheben ist.

Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das Beschwerdevorbringen im einzelnen einzugehen.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1982:B263.1977

Dokumentnummer

JFT_10179383_77B00263_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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